Kein nachehelicher Unterhalt bei kranker Exfrau für Hausmann - MangelfallIngrid,
12.05.05, 06:04- drucken- weiterempfehlen
NJW-RR 2005 Heft 8 516
Klage auf nachehelichen Unterhalt gegen jetzigen Hausmann
Die Übernahme von Haushaltsführung und Kinderbetreuung durch einen zuvor erwerbstätigen Ehegatten kann auch dann zu billigen sein, wenn der jetzige Lebenspartner über ein etwa gleich hohes Einkommen verfügt. Das Interesse des anderen Partners an einer Beibehaltung seiner beruflichen Tätigkeit ist nicht geringer als das Unterhaltsinteresse des geschiedenen Ehegatten auf Zahlung von Unterhalt zu bewerten.
Ein möglicher Nebenverdienst begründet dann keine Leistungsfähigkeit, wenn dieser zusammen mit dem Einkommen des neuen Lebenspartners nicht den sich nach der Düsseldorfer Tabelle für die Bedarfsgemeinschaft ergebenden Selbstbehalt erreicht.
Der 1968 geborene Ast. und die 1972 geborene Ag. haben im Oktober 1998 geheiratet. Auf den am 2. 12. 2003 zugestellten Scheidungsantrag ist die kinderlos gebliebene Ehe durch Verbundurteil vom 24. 6. 2004 geschieden worden, nachdem die Parteien bereits seit November 2002 getrennt gelebt hatten. Die Ag. nimmt den Ast. auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Anspruch. Sie leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Sie ist zur Zeit bei den „Beschützenden Werkstätten“ mit einem Einkommen von 200 Euro beschäftigt. Daneben erhält sie 180 Euro Wohngeld sowie zunächst befristet bis zum 31. 12. 2004 Leistungen der Grundsicherung in Höhe von rund 208 Euro. Der Ast. ist angestellter Verkäufer. Aus dieser Tätigkeit erzielte er im Monatsdurchschnitt ein Einkommen von zuletzt rund 1250 Euro netto. Er ist Vater einer im Januar 2004 geborenen Tochter. Nach der Geburt des Kindes hat er Erziehungsurlaub in Anspruch genommen, und zwar voraussichtlich bis Januar 2007. Er erhält zur Zeit 300 Euro Erziehungsgeld und wird im Übrigen von seiner Lebensgefährtin, der Mutter des Kindes, unterhalten.
Das AG - FamG - hat den Ast. im Verbundurteil zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von 175 Euro monatlich verurteilt. Dem Ast. sei weiterhin ein Einkommen in der früher bezogenen Höhe zuzurechnen. Der ausgeurteilte Betrag ergebe sich aus der Mangelfallberechnung. Die Berufung des Ast. hatte Erfolg. Aus den Gründen:
Der Ast. ist nicht verpflichtet, der Ag. nachehelichen Unterhalt zu zahlen, da es an einer ausreichenden Leistungsfähigkeit fehlt.
Die krankheitsbedingte Unterhaltsbedürftigkeit der Ag. steht außer Frage. Auf Grund ihrer psychischen Erkrankung ist sie in ihrer eigenen Erwerbsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sie trotz dieser Erkrankung in der Lage ist, aus einer eigenen Erwerbstätigkeit ein den Betrag von 200 Euro nachhaltig übersteigendes Einkommen zu erzielen. Dem steht ihr unbestritten labiler Gesundheitszustand entgegen. Dieser machte allein im vergangenen Jahr drei mehrwöchige Klinikaufenthalte erforderlich. Bei einer generell eingeschränkten Belastbarkeit lässt sich unter diesen Voraussetzungen eine feste Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt nicht realisieren, so dass ihre bei den „Beschützenden Werkstätten“ ausgeübte Tätigkeit krankheitsgerecht ist. Gestützt wird diese Beurteilung auch durch den Bezug von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz, die nur bei voller Erwerbsminderung i.S. von § 43 II SGB VI gewährt werden. Da die Ag. aus ihrer Tätigkeit folglich keinen höheren Verdienst als den geringen, tatsächlich ausgezahlten Betrag erzielen kann, ergibt sich ihr darüber hinausgehender Unterhaltsbedarf aus § 1572 BGB.
Die Höhe dieses Bedarfs beträgt gerundet 340 Euro. Für die Bestimmung dieses Bedarfs sind ihr eigenes Einkommen mit 200 Euro sowie das von dem Ast. in der Ehezeit erzielte Einkommen heranzuziehen. Dieses betrug unstreitig rund 1250 Euro netto, so dass sich unter Berücksichtigung des Aufwands für berufsbedingte Aufwendungen ein Betrag von 1190 Euro ergibt. Hiervon ist der Bedarf des noch vor Ehescheidung geborenen Kindes mit 200 Euro abzuziehen, so dass sich bei einer Einkommensdifferenz ein nach den Lebensverhältnissen angemessener Bedarf von 340 Euro ergibt. Dass der Ast. die Rolle des Hausmannes übernommen hat und sich nunmehr im Erziehungsurlaub befindet, beeinflusst die Höhe des nach den ehelichen Lebensverhältnissen angemessenen Bedarfs nicht. Sich hieraus ergebende Beschränkungen berühren nur die Leistungsfähigkeit.
Der von dem Ast. vorgenommene Rollenwechsel ist unterhaltsrechtlich zu billigen. Denn nach seinen Erläuterungen im Termin gab es für ihn keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Alternative. Seine Lebensgefährtin ist durch ein ererbtes Hausgrundstück, in dem die Familie kostengünstig lebt, örtlich gebunden. Von dort aus könnte der Ast. seine Arbeitsstelle in angemessener Zeit nur mit einem Pkw erreichen. Dies wäre ihm jedoch auf Grund der fehlenden Fahrerlaubnis nicht möglich. Die Lebensgefährtin des Ast. ist mit einem etwa gleich hohen Einkommen beim selben Arbeitgeber beschäftigt, so dass sich der gewählte Rollenwechsel unter den gegebenen Verhältnissen als eine in jeder Hinsicht vernünftige Entscheidung darstellt. Unerheblich ist es, dass sich dadurch für die neue Familie keine deutliche Verbesserung der Einkommenssituation ergibt. Diesem Umstand kann nur eine untergeordnete Bedeutung zukommen, da beide Partner im Rahmen ihrer Elternverantwortung die Aufgabenverteilung zwischen Beruf und Kindererziehung frei bestimmen können. Im Übrigen stünden dem Gesichtspunkt einer möglicherweise vorübergehenden Einkommenseinbuße die für Mütter größere Schwierigkeiten bei der Rückkehr in den früheren Beruf entgegen. Als weiterer Gesichtspunkt von erheblichem Gewicht rechtfertigt dies die vorliegend getroffene Aufgabenverteilung.
Dieser Rollenwechsel führt dazu, dass der Ast. den Unterhaltsbedarf der Ag. auch nicht teilweise aus seinem Einkommen bzw. ihm fiktiv zuzurechnenden Einkünften decken kann. Das an ihn gezahlte Erziehungsgeld muss dabei unberücksichtigt bleiben (§ 9 BErzGG; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rspr. zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rdnr. 660). Allerdings obliegt es dem Ast., bei der Übernahme der Aufgaben auf die Belange aller gleichrangig Unterhaltsberechtigten Rücksicht zu nehmen und die Ausübung seiner Erwerbstätigkeit nur in dem Umfang zu beschränken, wie dies für die Kinderbetreuung erforderlich ist. Soweit es die häuslichen Verhältnisse zulassen, besteht die Verpflichtung zur Aufnahme einer Nebentätigkeit (st. Rspr.; BGH, NJW 1980, 340 = FamRZ 1980, 43; NJW 1996, 1815 = FamRZ 1996, 796; zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft s. BGH, NJW 2001, 1488 = FamRZ 2001, 614). Diese Verpflichtung ist nicht von vornherein auf Ansprüche von Kindern aus einer früheren Beziehung beschränkt, sondern beruht auf dem Gleichrang aller Ansprüche (BGH, NJW 1982, 1590 = FamRZ 1982, 590). Ob sie auch bei einem mit der Kinderbetreuung konkurrierenden Anspruch aus § 1572 BGB durchgreift (so OLG Düsseldorf, FamRZ 1999, 1079), kann jedoch offen bleiben. Denn obwohl die Voraussetzungen für die Ausübung einer Nebentätigkeit im vorliegenden Fall als günstig zu beurteilen sind, führt dies nicht zur Leistungsfähigkeit des Ast. Eine solche wäre nur dann gegeben, wenn ein zusätzlicher Verdienst für Unterhaltszwecke zur Verfügung steht und nicht vorrangig zur Deckung des eigenen Bedarfs benötigt würde (BGH, NJW 2003, 3770 = FPR 2004, 27 = FamRZ 2004, 24). Denn nur soweit dieser Bedarf bereits aus dem Familienunterhalt gedeckt ist, ist ein zusätzlicher Verdienst für den Unterhalt einzusetzen. Die Höhe des eigenen Bedarfs bemisst sich nach einem fiktiv in Geld zu veranschlagenden Anspruch auf Familienunterhalt, der sich wiederum nach den gleichen Grundsätzen bestimmt, wie sie für einen geschiedenen Ehegatten gelten (BGH, NJW 2003, 3770 = FPR 2004, 27 = FamRZ 2004, 24; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Rdnr. 659).
Das der neuen Lebensgemeinschaft zur Verfügung stehende Einkommen ist so gering, dass der Ast. hieraus nicht einmal seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu decken vermag. Die Lebensgefährtin des Ast. verfügt nach seinen Erläuterungen über ein gleich hohes Nettoeinkommen, wie er es in der Vergangenheit selbst erzielte. Zusammen mit dem Vorteil mietfreien Wohnens kann daher kein höheres Familieneinkommen als rund 1450 Euro angesetzt werden. Dieses vermindert sich um den Barbedarf des Kindes, der unter Berücksichtigung des gezahlten Kindergeldes mit wenigstens 200 Euro anzusetzen ist, sowie die Fahrtkosten für die regelmäßigen Fahrten zum Arbeitsplatz. Bei einer Fahrtstrecke von etwa 70 km sind hierfür mehr als 300 Euro im Monat anzusetzen, so dass für den sonstigen Familienbedarf in jedem Fall weniger als 1000 Euro verbleiben. Der bei einem Ehepaar zu berücksichtigende Selbstbehalt beträgt jedoch bereits bei Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder 1375 Euro (840 Euro + 535 Euro; Unterhaltsrechtliche Leitlinien Nr. 22.1) und liegt bei anderen Unterhaltsansprüchen deutlich darüber. Ein dem Ast. fiktiv zuzurechnender Nebenverdienst würde damit vorrangig zur Deckung des eigenen angemessenen Bedarfs benötigt. Dass sich die Familie mit einem zur Zeit geringeren Einkommen zufrieden gibt, kann nicht dazu führen, jeden zusätzlichen Verdienst als für Unterhaltszwecke frei verfügbares Einkommen zu behandeln.
Damit scheitert ein Unterhaltsanspruch der Ag. an der mangelnden Leistungsfähigkeit des Ast. auch dann, wenn man zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass dieser mit der Übernahme der Kinderbetreuung seiner Erwerbsverpflichtung nicht genügt und ihm die Aufnahme einer Nebentätigkeit zuzumuten ist. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung, ob eine etwa fünfjährige Ehedauer noch als „kurz“ i.S. von § 1579 BGB anzusehen wäre und allein die Eheschließung unter Wahrung der Kindesinteressen eine absehbar lebenslange Unterhaltslast rechtfertigen kann, obwohl die Erkrankung der Ag. in keinem Zusammenhang mit dem Verlauf der Ehe steht.
(Mitgeteilt vom 12. Zivilsenat des OLG Oldenburg) Anm. d. Schriftltg.:
Zu der zitierten Entscheidung des BGH, NJW 2003, 3770 = FPR 2004, 27, s. auch die Anm. Peschel-Gutzeit, LMK 2004, 24; zu der zitierten Entscheidung des BGH, NJW 2001, 1488, s. die Anm. Hohloch, LM H. 7/2001 § 1570 BGB Nr. 21.
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