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3.3 Vertretung der Interessen von Geschwisterkindern
Die Erfahrung zeigt, dass Gerichte allzu pauschal eine einzige Fachkraft zur Interessenvertretung mehrerer Geschwister bestellen, ohne die Individualität und Zukunftsperspektiven der einzelnen Kinder sowie deren Beziehungen zueinander hinreichend zu bedenken. Es empfiehlt sich, diese Vorgehensweise frühzeitig zu hinterfragen und gegebenenfalls die Bestellung einer eigenständigen Vertretung für jedes einzelne Kind anzuregen.
Werden VerfahrenspflegerInnen zur Vertretung mehrerer Geschwister bestellt, sind Einzelgespräche mit jedem Kind zu führen. Das Risiko einer unzulänglichen Bestimmung und Vertretung der individuellen Interessen des jeweiligen Kindes lässt sich am ehesten durch Fallbesprechungen begrenzen.
Im übrigen sollten VerfahrenspflegerInnen grundsätzlich im Blick behalten, ob auch die Interessen von Geschwistern des Kindes, das sie vertreten, gewahrt sind. Sei es, dass auch über deren Interessen im Verfahren entschieden wird, sei es, dass sie sich in einer kritischen Lebenssituation befinden, ohne dass ein Verfahren eingeleitet wurde.
3.4 Grundsatz der Vertraulichkeit, Umgang mit Medien
Auch wenn es bislang an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt, verpflichten sich VerfahrenspflegerInnen zum Schweigen gegenüber Außenstehenden sowie zur Einhaltung von Datenschutzbestimmungen.
Ungeklärt ist, ob VerfahrenspflegerInnen ein Zeugnisverweigerungsrecht in gerichtlichen Verfahren, insbesondere im Strafverfahren, geltend machen können. Solange eine gesetzliche Regelung fehlt, bleibt diese Klärung der Rechtsprechung überlassen.
Werden VerfahrenspflegerInnen in einem Fall tätig, über den seitens der Medien berichtet wird oder werden soll, so sind sie GarantInnen für den Schutz der Persönlichkeitsrechte des betroffenen Kindes. So sollten sie keine fallbezogenen Auskünfte geben und sich gegebenenfalls auf eine allgemeine Klarstellung ihrer Aufgaben, Rechte und Pflichten beschränken.
3.5 Umgang mit Drohungen und Gewalt
Sind VerfahrenspflegerInnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit Drohungen oder gewalttätigem Verhalten ausgesetzt oder haben sie entsprechende Befürchtungen, ist dies als ein Hinweis auf die mögliche Gefährdung des Kindes zu begreifen. Bei Drohungen sollten VerfahrenspflegerInnen das bestellende Gericht unverzüglich in Kenntnis setzen. Es empfiehlt sich, in einem solchen Fall die praktische und beratende Unterstützung weiterer Personen zu suchen. Zur Reflexion der Auswirkungen auf die Begleitung des Kindes sollte Beratung bzw. Supervision in Anspruch genommen werden.
3.6 Reflexion
VerfahrenspflegerInnen sollten über Möglichkeiten zur Reflexion und kritischen Distanzierung von ihrer Arbeit verfügen, auf die sie bei der Übernahme einer Verfahrenspflegschaft zurückgreifen können. Hierfür bieten sich neben einer schriftlichen Reflexion insbesondere Supervision, Balint-Gruppen sowie Fallbesprechungen mit anderen VerfahrenspflegerInnen an.
Diese Reflexion sollte insbesondere eine Auseinandersetzung mit der eigenen Motivation, Betroffenheit und persönlichen Kindheitserfahrungen ermöglichen. Sie dient zugleich der fachlichen Überprüfung der eigenen Rolle, Vorgehensweise und Empfehlungen sowie der Entlastung in Situationen, in denen VerfahrenspflegerInnen unter Handlungsdruck oder Entscheidungszwängen stehen.
VerfahrenspflegerInnen sollten bei der Auswahl ihrer Supervision darauf achten, dass diese sie in ihrem Bemühen um eine auf die Kindesinteressen zentrierte Vorgehensweise unterstützt. Hierfür werden in der Regel solche SupervisorInnen ungeeignet sein, die sich wegen ihrer institutionellen Einbindung oder aufgrund ihres theoretischen Vorverständnisses auch den Interessen der anderen am Verfahren beteiligten Personen und Institutionen verpflichtet sehen.
Weitere Kriterien zur Auswahl entsprechender Supervisionsangebote sind die psychologischen, pädagogischen und juristischen Kenntnisse der SupervisorInnen. Hilfreich sind zudem eigene Erfahrungen der SupervisorInnen in der Arbeit mit belasteten und traumatisierten Kindern und Jugendlichen bzw. in der Supervision von Fachkräften aus diesem Bereich der Jugendhilfe.
Alle an der Reflexion Beteiligten sollten sich schriftlich verpflichten, personen- oder fallbezogene Informationen nicht oder nur vollständig anonymisiert nach außen zu tragen.
4. Vorgehensweise der Interessenvertretung
4.1 Übernahme einer Verfahrenspflegschaft
Bei Anfragen des Gerichtes, eine bestimmte Verfahrenspflegschaft zu übernehmen, sollten VerfahrenspflegerInnen ihre persönliche und fachliche Eignung zur Begleitung und Vertretung dieses Kindes prüfen, um den ungünstigsten Fall zu vermeiden, dass die Aufhebung der Bestellung nötig wird, obwohl das Kind seine/seinen VerfahrenspflegerIn bereits kennen gelernt hat.
Hierbei empfiehlt sich bereits vor der Übernahme einer Verfahrenspflegschaft eine vorläufige Einschätzung der Konfliktlage des Kindes. VerfahrenspflegerInnen sollten ihre Möglichkeiten und Schwierigkeiten erkennen, sich auf das Erleben und die Gefühlswelt dieses Kindes einzulassen. Gleichermaßen geht es um ihre persönliche Fähigkeit, hiervon den Abstand zu gewinnen, den es zur fachlichen Reflexion des eigenen Handelns und der Situation des Kindes bedarf. Neben ihrer Eignung sollten VerfahrenspflegerInnen prüfen, ob sie die Begleitung und Vertretung des Kindes bis zum Ende des Verfahrens übernehmen können.
Besonderen Problemlagen des Kindes sollte mit Hilfe von ExpertInnen begegnet werden: z.B. durch kinderpsychiatrische oder heilpädagogische Beratung bei seelischen, geistigen oder körperlichen Krankheiten bzw. Behinderungen, durch Rechtsberatung zum Internationalen Privatrecht, durch Beratung über ethnische Minderheiten, Sekten etc. Die Notwendigkeit solcher Informations- und Beratungsgespräche sollte frühzeitig mit dem Gericht geklärt werden.
Anfragen von Privatpersonen oder Institutionen, die verständlicherweise Einfluss auf die Auswahl der Kindesvertretung zu nehmen versuchen, sollten möglichst allgemein beantwortet werden. Hierzu können Informationen über die Rolle und Aufgabenstellung der Interessenvertretung sowie über die eigenen Kapazitäten zur Übernahme einer Vertretung zählen; eine Stellungnahme zum konkreten Fall sollte hingegen vermieden werden.
Bedarf das Kind einer eigenständigen Interessenvertretung im Jugendhilfeverfahren, sollte ein Entzug der entsprechenden elterlichen Vertretungsrechte und die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft i.S.d. §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2, 1909 Abs. 1 S. 1 BGB angeregt werden. VerfahrenspflegerInnen ziehen auch frühzeitig in Betracht, ob neben der Verfahrenspflegschaft auch ein Verletztenbeistand zur Begleitung des Kindes in einem strafrechtlichen Verfahren erforderlich ist.
Falls ein Kind sowohl im zivil- als auch im strafrechtlichen Verfahren eine Interessenvertretung benötigt, sollte geprüft werden, ob diese Aufgaben durch eine einzige Person oder durch zwei Fachkräfte verschiedener Disziplinen wahrgenommen werden sollten. Hier ist insbesondere das Bedürfnis des Kindes nach einer einzigen Ansprechperson gegen Rollenkonflikte der Interessenvertretung abzuwägen, die durch unterschiedliche Vertretungsaufgaben und -ziele hervorgerufen werden könnten.
4.2 Aktenstudium und Auswertung
VerfahrenspflegerInnen sollten in ihrer Eigenschaft als Verfahrensbeteiligte unverzüglich Akteneinsicht nehmen und sich eine Kopie der Gerichtsakten anfertigen (§ 34 FGG).
Es empfiehlt sich, bereits während des Aktenstudiums eine Zeittafel sowie eine Aufstellung des Sachverhalts, der involvierten Institutionen sowie der beteiligten Personen zu erarbeiten, die einen Überblick über die Lebensgeschichte und die aktuelle Lebenssituation des Kindes ermöglichen. Von zentraler Bedeutung ist bereits hier das Bemühen, sich in dieses Kind einzufühlen und seine Erlebnisse und Erfahrungen nachzuvollziehen. Dabei sollten von Beginn an auch eigene Assoziationen und Annahmen sowie alle Unklarheiten, Widersprüche und sich daraus ergebende Fragen notiert werden.
Ermöglichen die Gerichtsakten keinen ausreichenden Aufschluss über die bisherige Vorgehensweise und Hilfeplanung des Jugendamtes, empfiehlt sich eine direkte Nachfrage beim Jugendamt sowie eine Anregung an das Gericht, die Akten um eine entsprechende Schilderung dieser Sachverhalte ergänzen zu lassen.
4.3 Eigenständige Gewinnung von Informationen
4.3.1 Gespräche mit Bezugspersonen und Fachkräften
Das Gespräch mit den aktuellen Betreuungspersonen des Kindes ist verpflichtend. Gleiches gilt auch für Gespräche mit Eltern und Pflegeeltern sowie den MitarbeiterInnen des Jugendamtes.
Ebenso sollte geprüft werden, welche anderen für das Kind zuständigen Fachkräfte, wie z.B. HeimerzieherInnen, Kindergarten- oder HorterzieherInnen, LehrerInnen, TherapeutInnen, ÄrztInnen und BeraterInnen dazu beitragen könnten, die Lebensgeschichte und -situation des jeweiligen Kindes zu erhellen. Analog gilt dies auch für das soziale Umfeld des Kindes, dies können z.B. Eltern, Pflegeeltern, VormünderInnen, Geschwister, andere Angehörige, FreundInnen des Kindes und NachbarInnen sein.
VerfahrenspflegerInnen sollten die Gefühle, die das Kind seinen Bezugspersonen entgegenbringt, respektieren und zur Festigung und Weiterentwicklung dieser Beziehungen beitragen, soweit dies zu verantworten ist. Hierbei sollte die immer wieder auflebende Tendenz zur Bagatellisierung oder Umdeutung belastender und traumatisierender Erfahrungen des Kindes beachtet werden, der durch eine klare Benennung der Verantwortlichen und ihres Verhaltens begegnet werden sollte.
VerfahrenspflegerInnen werden oft mit Notlagen und Situationen konfrontiert, in denen die Eltern des Kindes eines psychologischen, sozialarbeiterischen oder juristischen Beistandes bedürfen. Um die Interessen des Kindes konsequent wahrnehmen zu können, sollten VerfahrenspflegerInnen sich selbst und den anderen Beteiligten klar machen, dass es nicht zu ihren Aufgaben gehört, für Abhilfe zu sorgen. Auch wenn eine solche Hilfe durchaus im Interesse des Kindes zu liegen scheint, sind hierfür neben den betroffenen Erwachsenen selbst auch andere Fachkräfte und Institutionen, insbesondere das Jugendamt, zuständig und verantwortlich. Um eigene Rollenkonflikte zu vermeiden, können sich entsprechende Hinweise an diese Stellen empfehlen.
Beabsichtigen VerfahrenspflegerInnen dem Gericht gegenüber eine bestimmte Hilfe für das Kind oder seine Familie vorzuschlagen oder zu bewerten, verschaffen sie sich eine realistische Grundlage für diese Prognose, indem sie sich unmittelbar mit denjenigen Fachkräften (bzw. Pflegeeltern) in Verbindung setzen, die diese Hilfe durchführen bzw. anbieten, um deren Eignung im Hinblick auf die Bedürfnisse dieses individuellen Kindes zu prüfen.
4.3.2 Dokumentation
VerfahrenspflegerInnen dokumentieren Anlass, Dauer, Verlauf, Ergebnisse, Eindrücke und offene Fragen der jeweiligen Telefonate und persönlichen Gespräche. Sie schaffen so die Grundlage für ihre Stellungnahmen und die Rechnungslegung und stellen zugleich sicher, dass im Fall einer unvorhersehbaren Verhinderung eine zügige Einarbeitung ihrer/s NachfolgerIn möglich wird.
Besondere Kenntnisse und Sorgfalt erfordert die Gewinnung und Dokumentation solcher Informationen, die das Kind zum gegenwärtigen oder zu einem späteren Zeitpunkt in die Lage versetzen könnten, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltend zu machen oder die im Hinblick auf ein bereits anhängiges oder mögliches Strafverfahren bedeutsam sind.
4.4 Sachverständige GutachterInnen
Vielfach wird die Interessenvertretung in der Lage sein, das individuelle Erleben des Kindes, seine Entwicklungsbedürfnisse und seine Beziehungserfahrungen eigenständig einzuschätzen. Bedarf es aber zur Klärung einer bestimmten Fragestellung des fachlichen Wissens und der Kompetenz von Sachverständigen, sollte die Einholung eines Gutachtens bei Gericht angeregt werden. Demgegenüber sind Verfahrensverzögerungen und anderweitige Belastungen des Kindes durch die Begutachtung abzuwägen.
Beabsichtigt das Gericht, ein Gutachten einzuholen, regt die Interessenvertretung gegebenenfalls Ergänzungen zur Fragestellung an. Soweit erforderlich, äußern sich VerfahrenspflegerInnen auch über Kriterien zur Auswahl der Sachverständigen. Diese sollten über die zur Klärung der Fragestellung erforderlichen medizinischen und psychologischen Fachkenntnisse sowie über einen ausreichenden Erfahrungshintergrund verfügen.
Gutachten, die im privaten Auftrag von Verfahrensbeteiligten erstellt werden sollen, sind wegen des damit verbundenen Risikos der mehrfachen Begutachtung des Kindes sowie möglicher Bedenken einer Befangenheit der Sachverständigen in der Regel zu vermeiden.
Soweit für die Klärung einer Fragestellung die Begutachtung Erwachsener genügen könnte, ist diese vorrangig anzustreben. Ist die Begutachtung des Kindes selbst nicht zu vermeiden, orientieren sich VerfahrenspflegerInnen an der unter Punkt 2.7 genannten Vorgehensweise.
Bleiben methodische oder inhaltliche Fragen im Hinblick auf ein Gutachten offen oder werden Mängel sichtbar, so sollten VerfahrenspflegerInnen dies mit dem Gericht besprechen.
Im Vorfeld der Begutachtung können sich Hinweise empfehlen, wie Belastungen des Kindes reduziert bzw. vermieden werden können. Hat die Begutachtung das Kind sehr irritiert oder belastet, sollten VerfahrenspflegerInnen dem Gericht und den Sachverständigen eine entsprechende Rückmeldung geben.
4.5 Kooperation mit dem Jugendamt
VerfahrenspflegerInnen respektieren bei der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, dass auch dieses zur Beratung des Kindes sowie zur Wahrnehmung und Vertretung der Kindesinteressen im gerichtlichen Verfahren berufen ist. Es liegt in der Verantwortung und bedarf der Anstrengung aller beteiligten Fachkräfte, die Subjektstellung des Kindes im Verfahren zu garantieren sowie die Grundlage für eine fundierte und tragfähige, an den wohlverstandenen Interessen des Kindes orientierte gerichtliche Entscheidung zu erarbeiten.
VerfahrenspflegerInnen sollten sich diese Gemeinsamkeiten vergegenwärtigen, aber auch das Konfliktpotential beachten, das zwischen der Jugendbehörde und der Kindesvertretung aufgrund der divergierenden gesetzlichen Aufträge - insbesondere bei einer unzureichenden Klärung der Rollen - entstehen kann. So empfiehlt es sich, eine frühzeitige Klarstellung ihrer spezifischen Verantwortlichkeit für das Kind herbeizuführen, die aus dem Verständnis erfolgt, daß sie dessen Interessen anstelle der gesetzlichen Vertreter wahrnehmen und repräsentieren.
Das Jugendamt sollte unmittelbar nach der Bestellung informiert werden, dass der / die VerfahrenspflegerIn künftig als eine der verantwortlichen Fachkräfte gemäß § 36 Abs. 2 KJHG an der Hilfeplanung und an vergleichbaren, die Hilfeplanung betreffenden Fachgesprächen mit amtsexternen Fachkräften, teilnehmen wird. Nach Auswertung der Gerichtsakten ist es ratsam, sich über neuere Entwicklungen sowie die aktuelle Position des Jugendamtes zu informieren und offene Fragen bezüglich der bisherigen Hilfeplanung zu klären. Es kann sich empfehlen, um Einsichtnahme in die behördlichen Akten zu bitten und sich gegebenenfalls auch mit früher zuständigen JugendamtsmitarbeiterInnen in Verbindung zu setzen.
Die Anwesenheit der VerfahrenspflegerInnen während der Hilfeplangespräche ist obligatorisch. Nehmen die Jugendlichen und Kinder selbst hieran teil, sollten sie von ihrer Interessenvertretung begleitet und unterstützt werden (vgl. Punkt 2.7). Ansonsten bedarf es der einzelfallbezogenen Abwägung, wie weit sich VerfahrenspflegerInnen selbst am Prozess der Hilfeplanung beteiligen. Dies kann insbesondere notwendig sein, wenn bedeutsame Entscheidungen anstehen, wie zum Beispiel über die Unterbringung des Kindes außerhalb des Elternhauses oder die Rückführung in dasselbe sowie über den Umgang mit wichtigen Bezugspersonen. Andererseits kann sich eine aktive Mitwirkung von VerfahrenspflegerInnen an der Hilfeplanung hinderlich auf deren kritische Reflexion auswirken, welche aber gerade eine zentrale Grundlage der Empfehlungen der eigenständigen Kindesvertretung an das Gericht ist.
5. Vertretung der Kindesinteressen im Verfahren
5.1 Mitteilungen an das Gericht Stellungnahmen sollten die Vorgehensweise und fachlichen Bewertungskriterien der Kindesvertretung offen legen; sie sollten prinzipiell zügig erarbeitet werden.
Um dem individuellen Kind in diesen schriftlichen Berichten Gestalt zu geben, ist es erforderlich, die Erfahrungen, Bedürfnisse, Wünsche und das Erleben des Kindes einfühlsam und anschaulich zu vermitteln sowie die Bedeutung herauszuarbeiten, welche das Verfahren und die gerichtliche Entscheidung im Leben dieses Kindes haben.
Grundsätzlich sollten alle wichtigen Mitteilungen auch schriftlich zu den Akten gegeben werden. Dies ist insbesondere hinsichtlich künftiger Beschwerden bzw. späterer gerichtlicher Entscheidungen über die Abänderung eines Beschlusses (§ 1696 BGB) ratsam. Allerdings sollte bedacht werden, ob Informationen der Kindesvertretung in einem anderen Zusammenhang (z.B. Jugendstrafverfahren) gegen das Kind verwendet werden könnten.
Bei der Auswertung ihrer Gespräche und Begegnungen mit dem Kind und mit anderen Personen bemühen sich VerfahrenspflegerInnen um eine möglichst authentische Wiedergabe. Hierbei sollte auf widersprüchliche Informationen oder Sachverhaltsdarstellungen eingegangen und zwischen gesicherten Kenntnissen, begründeten Annahmen, Beobachtungen und Eindrücken differenziert werden. Es empfiehlt sich, Schlussfolgerungen und Empfehlungen in einem eigenen Abschnitt der Stellungnahme zu erörtern.
5.2 Abschließende Stellungnahme
VerfahrenspflegerInnen geben ihre abschließenden Empfehlungen zur gerichtlichen Entscheidung in Form einer schriftlichen Stellungnahme über die wohlverstandenen Interessen des Kindes ab. Zusätzlich sollte auch der Wille des Kindes in möglichst authentischer Weise wiedergegeben werden.
Bestandteile der abschließenden Stellungnahme sind in der Regel
- Schilderung des Sachverhaltes
- Dokumentation des Kindeswillens
- Schlussfolgerungen und Empfehlungen.
5.2.1 Schilderung des Sachverhaltes
In diesem ersten Teil der abschließenden Stellungnahme sollten die persönlichen Daten des Kindes genannt werden, auch empfiehlt sich eine Skizze vom Stand des Verfahrens zum Zeitpunkt der Bestellung. Im wesentlichen wird bei der Schilderung des Sachverhaltes sodann auf die Lebensgeschichte sowie die frühere und gegenwärtige Familiensituation des Kindes oder Jugendlichen einzugehen sein. Hinsichtlich der Lebensgeschichte sollten – unter Hinweis auf Lebensalter und Entwicklungsstand des Kindes bei bedeutsamen Ereignissen - insbesondere folgende Gesichtspunkte Berücksichtigung finden:
- das Erleben des Kindes oder des/der Jugendlichen
- die Befriedigung seiner/ihrer Grundbedürfnisse
- die Qualität und Intensität seiner/ihrer Bindungen
- die Bedeutung wichtiger Bezugspersonen, Geschwister und FreundInnen
- die Auswirkungen traumatischer und deprivierender Erfahrungen
- die biographische Bedeutung erzieherischer und therapeutischer Hilfen
- die eigene Sicht des Kindes oder des/der Jugendlichen.
Von besonderer Bedeutung ist weiterhin eine anschauliche Darstellung der gegenwärtigen Lebenssituation des Kindes, bei der die o.g. Aspekte erneut aufgegriffen werden sollten. Hier geht es sowohl um die Annäherung an das subjektive Erleben des Kindes sowie um eine fachlich fundierte Bewertung, ob diese Situation geeignet ist, die Grundbedürfnisse dieses Kindes zu befriedigen, seine Entwicklung zu fördern und ihm Schutz zu bieten.
5.2.2 Dokumentation des Kindeswillens
Der Wille des Kindes ist in einem eigenen Abschnitt der Stellungnahme an das Gericht zu vermitteln, wobei an dieser Stelle eigene Erläuterungen und Bewertungen vermieden werden sollen.
Insbesondere mit jüngeren Kindern sollte nach kreativen Wegen gesucht werden, die es ihnen entsprechend ihres Entwicklungsstandes ermöglichen, sich dem Gericht mitzuteilen, falls sie dies wünschen. Ältere Kinder und Jugendliche sollten die Möglichkeit haben, diesen Abschnitt selbst zu schreiben. Sofern dieser Teil nicht allein von den Jugendlichen bzw. Kindern verfasst wird, sollte er mit ihnen abgestimmt werden, um eine möglichst authentische Vermittlung ihrer Vorstellungen zu sichern.
5.2.3 Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Kindesvertretung sollten in einem gesonderten Abschnitt der Stellungnahme gut begründet und verständlich dargestellt werden.
Hier sollte eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Einschätzungen und Vorschlägen der anderen am Verfahren beteiligten Personen und Institutionen erfolgen und herausgearbeitet werden, inwieweit nicht nur die Interessen des Kindes sondern auch deren Eigeninteressen eine Rolle spielen.
Es bedarf besonderer Anstrengung, Diskriminierungen des Kindes und anderer Verfahrensbeteiligter zu erkennen und zu vermeiden. Bei ihren Empfehlungen sollten VerfahrenspflegerInnen bedenken, dass ihre Einschätzungen durch ihre Lebensgeschichte, ihren sozialen und familiären Status, ihr Geschlecht, ihre soziokulturelle Einbindung sowie politische und religiöse Haltungen, fachliche Überzeugungen sowie durch Aversionen bzw. Sympathien gegenüber den am Verfahren beteiligten Personen geprägt werden.
VerfahrenspflegerInnen orientieren ihre Empfehlungen an den wohlverstandenen Interessen des Kindes. Ausgehend vom Anlass des Gerichtsverfahrens und unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der eigenen Ermittlungen legen sie die Umstände des Einzelfalls möglichst konkret dar. Treffen sie Aussagen über die am wenigsten schädliche Alternative für das Kind bzw. über sein Wohl und dessen Gefährdung, orientieren sie sich an den gesetzlichen Kriterien, die durch die Rechtsprechung und die interdisziplinäre Fachdiskussion konkretisiert werden. Fachlich fundierte Prognosen sollen stets auf den konkreten Umständen des Einzelfalls basieren. Unwägbarkeiten und Zweifel sollten erörtert werden.
Grundsätzlich lassen sich VerfahrenspflegerInnen von der Vorstellung leiten, dass der Kindeswille ein integraler Bestandteil des Kindeswohls ist. Sie sollten deshalb in ihren Empfehlungen diejenigen Entscheidungsalternativen aufzeigen, die am weitesten mit den Wünschen des Kindes oder Jugendlichen zu vereinbaren sind. Ist es aus fachlicher Sicht nicht möglich, dem Willen des Kindes zu entsprechen, ohne das körperliche, geistige und seelische Wohl und die Entwicklung des Kindes zu gefährden, ist die weniger schädliche Alternative zu suchen und zu vertreten. Um diese zu bestimmen, bedarf es einer besonderen Beachtung der Bedürfnisse des Kindes, die in seinen Wünschen und Erwartungen zum Ausdruck kommen. In ihrer Stellungnahme sollten VerfahrenspflegerInnen sorgfältig begründen, weshalb sie vom Willen des Kindes abweichen oder gegenläufige Empfehlungen abgeben und die Chancen und Risiken der jeweiligen Alternativen offen legen.
In der Regel wird an dieser Stelle eine fachliche Auseinandersetzung mit dem separat dokumentierten Kindeswillen erforderlich sein. Ebenso sollte auf die Bedeutung anderweitiger (auch widersprüchlicher, ambivalenter, mehrdeutiger) verbaler und nonverbaler Mitteilungen des Kindes sowie auf deren situativen Kontext eingegangen werden. Nicht zuletzt können insbesondere Hinweise auf die Manipulation des Kindes oder offene Drohungen eine wichtige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung über die Berücksichtigung des Kindeswillens sein.
Um Problemen bei der praktischen Umsetzung der richterlichen Entscheidung zu begegnen, kann die Bestellung von ErgänzungspflegerInnen erforderlich sein. Für diese Aufgabe wird es oftmals zweckmäßig sein, sich im Interesse des Kindes selbst zur Verfügung stellen. Entsprechende Überlegungen sollten - bezogen auf die jeweiligen Entscheidungsalternativen - in der abschließenden Stellungnahme angesprochen werden.
5.3 Gerichtliche Verhandlungen
Die Teilnahme an jeder mündlichen Verhandlung im Verfahren ist obligatorisch. Bei der Festlegung der Verhandlungstermine sollten VerfahrenspflegerInnen ihren Einfluss geltend machen, um im Interesse des Kindes einen möglichst zügigen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Um Subjekt des Geschehens zu bleiben, hat das Kind Anspruch darauf, umfassend und zeitnah über jede Verhandlung informiert zu werden und seine Erwartungen und Befürchtungen äußern zu können.
Während der Verhandlung sollte das Kind, insbesondere sein Befinden, seine Bedürfnisse, seine Wünsche und seine sonstigen Interessen, im Zentrum des gemeinsamen Gespräches stehen. Beim Vortrag der Kindesposition sowie eigener Ermittlungen und Empfehlungen sollte eine Bezugnahme auf die verschiedenen Entscheidungsalternativen erfolgen.
Nach einer Verhandlung setzen sich VerfahrenspflegerInnen unverzüglich mit dem Kind oder Jugendlichen in Verbindung, erklären und besprechen deren Ergebnis sowie die für das Kind bedeutsamen Konsequenzen. Von dem Verlauf des Gespräches über den abschließenden Verhandlungstermin sollte das Gericht in der Regel in Kenntnis gesetzt und ein entsprechender Bericht zu den Akten gegeben werden. Erscheint aus pädagogischer Sicht ein persönliches Gespräch des Kindes oder Jugendlichen mit dem / der für die Entscheidung verantwortlichen RichterIn sinnvoll und erforderlich, sollten VerfahrenspflegerInnen dies anregen.
5.4 Beschwerde
VerfahrenspflegerInnen sind befugt, eine Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss einzulegen. Auch in der Beschwerdeschrift sind die Vorstellungen des Kindes zur Kenntnis des Gerichts zu bringen. Zur Vertretung Minderjähriger, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben und Beschwerde einlegen wollen vgl. Punkt 2.7.
5.5 Beendigung der Tätigkeit
Wechselt die örtliche Zuständigkeit des Gerichtes, sollten VerfahrenspflegerInnen für die im Interesse des Kindes erforderliche Aufrechterhaltung der Kontinuität seiner Vertretung sorgen.
Ist die Aufhebung einer Verfahrenspflegschaft beabsichtigt, weil das Kind durch eine-n Rechtsanwältin/-anwalt oder Verfahrensbevollmächtigte-n vertreten werden soll, ist zu prüfen, ob dieser Wechsel dem Kind zuzumuten ist und die unabhängige und zügige Wahrnehmung des „Kindeswohls“ gewährleistet wäre. VerfahrenspflegerInnen treten der Aufhebung ihrer Bestellung entgegen, wenn die fragliche Person nicht über die erforderliche Eignung verfügt, in Interessenbindung zu anderen Verfahrensbeteiligten steht oder sich in Anlehnung an ein anwaltliches Mandatsverständnis vom Kind instruieren lassen würde.
Wird ihre Bestellung während des Verfahrens aufgehoben, sollten VerfahrenspflegerInnen die Übergabe der Vertretung sichern. VerfahrenspflegerInnen prüfen insbesondere, ob es dem Kind helfen könnte, die neue Person in ihrer Anwesenheit kennen zu lernen. Um VertreterInnen der wohlverstandenen Kindesinteressen bei ihrer Einarbeitung zu unterstützen, sollten das bisherige Vorgehen sowie vorläufige Einschätzungen dokumentiert werden.
Vor der Beendigung einer Verfahrenspflegschaft sollte die getroffene Gerichtsentscheidung oder Vereinbarung besprochen und mit dem Kind geklärt werden, wen es künftig in schwierigen und problematischen Situationen ansprechen kann. Es ist wichtig, den aus psychologischer Sicht erforderlichen Abschiedsprozess rechtzeitig einzuleiten und dem Kind oder Jugendlichen Gelegenheit zu geben, sich über die gemeinsamen Erfahrungen während der Vertretung zu verständigen.
VerfahrenspflegerInnen sollten auch allen anderen am Verfahren Beteiligten verdeutlichen, dass ihre Aufgabe beendet ist, sofern sie nicht als ErgänzungspflegerIn zur Umsetzung der richterlichen Maßnahmenwahl bestellt wurden. In diesem Fall muss die neue Aufgabe mit dem Kind sowie den anderen Verfahrensbeteiligten besprochen werden.
VerfahrenspflegerInnen sollten fallbezogene Unterlagen und Aufzeichnungen auch nach Ende ihrer Tätigkeit unter Beachtung des Datenschutzes aufbewahren, um auf diese zurückgreifen zu können, falls es erneut zu einem Verfahren - z.B. wegen Abänderung der gerichtlichen Entscheidung - kommt.
5.6 Vergütung
Für die Rechnungsstellung ist es nötig, zeitliche und finanzielle Aufwendungen (z.B. Treffen mit dem Kind, Telefonate, Fahrten, Gesprächstermine, Supervision) übersichtlich und detailliert zu dokumentieren. Für eine langfristige Qualitätssicherung der Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche sollten VerfahrenspflegerInnen auf der Vergütung aller erbrachten fachlichen Leistungen bestehen.
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[editiert: 26.02.05, 18:34 von Ingrid]