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Auszugsweise Abschrift
FamRZ 1999, 1645
EKMR Nr. 1095
Urteil
(1. Kammer, Bericht v. 03.12.1997-Beschwerde Nr.: 23671/94 Gebhard Fidler/Österreich)
Unangemessen lange Verfahrensdauer
1. Art. 6 I EMRK begründet ein Recht auf effektivem Zugang zu einem Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen entscheidet.
2. Das Recht auf Zugang zu einem Gericht kann Beschränkungen unterworfen werden, die jedoch nicht' seinen Wesensgehalt antasten dürfen. Ein tatsächliches, Hindernis kann die Konvention ebenso verletzen wie eine gesetzliche Beschränkung.
3. Art. 6 I EMRK ist verletzt, wenn das Gericht einen in der zweiten Novemberhälfte gestellten Antrag auf Regelung des Weihnachtsferienumgangs des Nichtsorgeberechtigten mit seinen Kindern nicht so beschleunigt bearbeitet und die erforderlichen Tatsachen feststellt, daß es zeitgerecht über ihn entscheiden kann.
4. Im Falle der Feststellung einer Verletzung des Rechts auf effektiven Zugang zu einem Gericht gemäß Art. 6 I EMRK ist eine gesonderte Prüfung nach Art. 8 I EMRK nicht erforderlich.
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Vater zweier i. J. 1986 und 1988 außerhalb einer Ehe geborener Kinder, die bei der sorgeberechtigten Mutter leben. Die seit 1985 zusammenlebenden Eltern trennten sich im Januar 1991.
Am 27.05.1992 wies das BezirksG einen am 12.07.1991 gestellten Antrag des BF auf Gewährung eines wöchentlichen Umgangs mit seinen Kindern zurück. Auf die eingelegte Beschwerde legte das BezirkG die Akten dem LandesG für Zivilsachen vor.
Mit einem am 20.11.1992 beim BezirksG eingegangenen Antrag v. 16.11.1992 begehrte der Bf. die Regelung des Umgangs mit seinen Kindern am 24.12.1992 von vormittags bis 16.00 Uhr. Nach Darstellung des Bf. teilte ihm Richter F. am 27.11. 1992 mit, daß er in dieser Sache zuständig sei und zeitgerecht eine Entscheidung fällen werde. Am 30.11.1992 wurden die Akten an das BezirksG zurückgesandt. Das Gericht ordnete am selben Tage an, die Akten erneut dem LandesG für Zivilsachen zu übersenden, vor dem die Beschwerde des Bf. ;in dem oben bezeichneten Verfahren anhängig war. Am 02.12. 1992 gab der Präsident des LandesG für Zivilsachen die Akten an das BezirksG zurück und wies es an, zeitgerecht eine Entscheidung über den Antrag auf Regelung des Umgangs während der Weihnachtsferien zu treffen, die Akten daraufhin zurückzugeben und spätestens bis zum 21.12.1992 über den Stand des Verfahrens zu berichten.
Am 7.12.1992 lud Richter T. am BezirksG den Bf. telefonisch zu einer am 17.12.1992 stattfindenden Sitzung, an der ebenfalls die Kindesmutter teilnehmen sollte. Am 17.12.1992 hörte Richter T. die Mutter zum Umgangsantrag des Bf. an. Sie brachte vor, daß die Kinder sich weigerten, den Bf. zu besuchen. Der Bf. erschien verspätet, nachdem die Kindesmutter bereits gegangen war. Richter T. erläuterte dem Bf. daß er beabsichtigt habe, ihm und der Kindesrnutter die Möglichkeit zu geben, eine Vereinbarung über den Umgang zu treffen. Im Hinblick auf die verbliebene Zeit und den Umstand, daß er keinen persönlichen Eindruck von den tatsächlichen Verhältnissen habe, könne er jedoch keine Entscheidung mehr treffen. Mit Schreiben v. 28.12.1992 beschwerte sich der Bf. beim BezirksG darüber, daß Richter F. ihm im November versprochen habe, zeitgerecht eine Entscheidung zu treffen. Er habe jedoch nunmehr feststellen müssen, daß der Richter damals nicht für den Fall zuständig war.
Am 07.01.1993 wies das BezirksG den Antrag des Bf. zurück. es stellte fest, daß sich die Akten im Zeitpunkt der Einreichung des Antrages beim LandesG für Zivilsachen befunden hatten, das sie am 03.12.1992 zurückgesandt hatte. In der Verhandlung v. 17.12.1992 habe keine Einigung unter den Eltern erzielt werden können. Deshalb seien die Akten erneut dem LandesG für Zivilsachen übersandt worden, das sie am 30.12.1992 zurückgegeben habe. Im Hinblick auf den Zeitablauf sei es unmöglich geworden, den beantragten Umgang mit den Kindern zu gewähren. Die Entscheidung wurde durch Richter F gefällt.
Die vom Bf. eingelegten Rechtsbehelfe wurden vorn LandesG für Zivilsachen und vorn Obersten Gerichtshof im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, daß es an einem Rechtsschutzbedürfnis für eine Sachentscheidung fehle, da der Tag für den in Aussicht genommenen Umgang bereits verstrichen sei.
Die Kommission erklärte die. Beschwerde mit Entscheidung v.04.09.1996 im Hinblick auf die Beschwerdepunkte für zulässig, daß die Gerichte dem Bf. eine Entscheidung über den Antrag auf Regelung des Weihnachtsferienumganges versagt (Art. 6 I EMRK) und sein Recht auf Achtung seines Familienlebens (Art. 8 I EMRK) verletzt hätten.
Aus den Gründen:
32. Art. 6 I EMRK lautet, soweit relevant, wie folgt. "jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessener Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über Zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ... zu entscheiden hat."
35. Die Kommission erinnert daran, daß Art. 6 I EMRK jedem das Recht garantiert, seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen vor einem Gericht geltend zu machen. Auf diese Weise verwirklicht der Artikel das "Recht auf ein Gericht", von dem das Recht auf Zugang, nämlich das Recht, ein Verfahren vor den Gerichten in Zivilsachen einzuleiten, einen Aspekt darstellt (EuGMR, Golder/Vereinigtes Königreich, Urteil v. 21. 2. 1975, Ser. A Nr. 8, S. 18, Ziff. 36). Weiter erinnert die Kommission daran, daß Art. 6 EMRK Kl. ein effektives Recht auf Zugang zu den Gerichten im Hinblick, auf die Entscheidung über ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen garantiert (EuGMR, Airey/Irland, Urteil v. 9. 10. 1979, Ser. A Nr. 32, S. 14-15, Ziff. 26).
36. Das Recht auf Zugang zu einem Gericht ist nicht absolut, sondern kann Gegenstand von Beschränkungen sein. Den- noch dürfen die Beschränkungen den Zugang des Betroffenen nicht in einer solchen Weise oder in einem solchen Ausmaß einschränken oder vermindern, daß der Wesensgehalt dieses Rechtes angetastet wird (EuGMR, Colder/Vereinigtes Königreich, Urteil, a.a.O., S. 18-19, Ziff. 38; Ashingdane/Vereinigtes Königreich, Urteil v. 28. 5. 1985, Ser. A Nr. 93, S. 24, Ziff. 57).
37. Die Kommission stellt fest, daß es keine gesetzlichen Beschränkungen gab, die den Bf. daran hinderten, seinen Antrag bei den Zivilgerichten zu stellen. jedoch kann ein tatsächliches Hindernis ebenso gegen die Konvention verstoßen wie eine gesetzliche Beschränkung EuGMR, Golder/Vereinigtes Königreich, Urteil, a.a.O., S. 13, Ziff. 26; Airey/Irland, Urteil, a.a.O., S. 14, Ziff. 25).
39. Die Kommission stellt fest, daß das BezirksG es versäumt hat, den Antrag des Bf. auf Regelung des Umgangs mit seinen Kindern zu Weihnachten 1992 beschleunigt zu bearbeiten und die Tatsachen festzustellen, die es in die Lage versetzt hätten, in der Sache zu entscheiden. Insgesamt gesehen hatte der Bf. Zugang zum BezirksG nur, um zwei Wochen nach Weihnachten zu erfahren, daß es infolge Zeitablaufs unmöglich geworden sei, seinem Antrag stattzugeben.
40. Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist die Kommission der Auffassung, daß der Bf. kein effektives Recht auf Zugang zu den Gerichten hatte, wie es von Art. 6 I EMRK garantiert wird.
41. Die Kommission kommt eindeutig zu dem Ergebnis, daß im vorliegenden Fall eine Verletzung von Art 6 I EMRK vorgelegen hat.
Eine etwas anders formulierte Kurzfassung:
Aus FamRZ 1999, Heft 24, S. 1645-1646 (auszugsweise):
Europäische Kommission für Menschenrechte zum Recht auf gerichtliche Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist
Nr. 1095 EKMR - EMRK Art. 6 I, Art. 8 I
(1. Kammer, Bericht v. 03.12.1997 - Beschwerde Nr. 23671/94 Gebhard Fidler/Österreich)
1. Art. 6 I EMRK begründet ein Recht auf effektivem Zugang zu einem Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen entscheidet.
2. Das Recht auf Zugang zu einem Gericht kann Beschränkungen unterworfen werden, die jedoch nicht seinen Wesensgehalt antasten dürfen. Ein tatsächliches Hindernis kann die Konvention ebenso verletzen wie eine gesetzliche Beschränkung.
3. Art. 6 I EMRK ist verletzt, wenn das Gericht einen in der zweiten Novemberhälfte gestellten Antrag auf Regelung des Weihnachtsferienumgangs des Nichtsorgeberechtigten mit seinen Kindern nicht so beschleunigt bearbeitet und die erforderlichen Tatsachen feststellt, daß es zeitgerecht über ihn entscheiden kann.
4. Im Falle der Feststellung einer Verletzung des Rechts auf effektiven Zugang zu einem Gericht gemäß Art. 6 I EMRK ist eine gesonderte Prüfung nach Art. 8 I EMRK nicht erforderlich.
Der Sachverhalt scheint insbesondere wegen des (österreichischen) Instanzenwegs etwas verworren. Wir (Vfk e.V) fassen deshalb zusammen:
Im Rahmen eines seit längeren laufenden Verfahren zum Umgangsrecht begehrte der Bf. (Vater) in einem am 20.11.92 bei Gericht eingegangem Antrag die Gewährung eines Umgangs mit seinen Kindern am 24.12.92 von vormittags bis 16 Uhr. Nach Darstellung des Bf. teilte ihm Richter F. am 27.11.92 mit, dass er zuständig sei und zeitgerecht eine Entscheidung treffen werde. Am 7.12.1992 wurde er nicht von Richter F, sondern vom Richter T. telefonisch zu einer am 17.12.92 Sitzung geladen an der auch die Kindesmutter teilnehmen sollte. Der Bf. erschien verspätet, nachdem die K. M. bereits gegangen war. Diese hatte vorgebracht, dass die Kinder sich weigerten, den Bf. zu besuchen. [Anmerkung zu diesen uns sattsam bekannten Argument: Die Kinder waren zu diesem Zeitpunkt 4, bzw. 6 Jahre alt. Auch deutsche Gerichte gehen davon aus, dass ein erziehungsfähiger, sorgeberechtigter Elternteil zumindest Kinder bis zum Alter von 10 Jahren von der Notwendigkeit eines Umgangs zu überzeugen in der Lage sein müsse, und verpflichtet sei darauf hinzuwirken. Bzgl. des Besuchs des Kindergartens bzw. der Schule, beispielsweise, ist das ja praktisch immer auch der Fall.] Richter T. erklärte dann, dass er in Hinblick auf die verbliebene Zeit und den Umstand, dass er keinen persönlichen Eindruck von den tatsächlichen Verhältnissen habe, keine Entscheidung mehr treffen könne.
Mit Schreiben vom 28.12.92 beschwerte sich der Bf. darüber, dass ihm Richter F. im November eine zeitgerechte Entscheidung versprochen habe. Das wurde am 7.1.93 zurückgewiesen, mit dem Argumenten, dass am 17.12.92 keine Einigung zwischen den Eltern erzielt werden konnte, deshalb dann die Akten erneut an eine andere Instanz geschickt wurden von der sie erst am 30.12.92 zurückgegeben wurden. [Anm.: Das erscheint uns ja angesichts der Feiertage, aber auch nach sonstiger hiesiger Erfahrung, geradezu rasant, wenn auch leider nicht zielführend.] In Hinblick auf den Zeitablauf sei es unmöglich geworden, den beantragten Umgang mit den Kindern zu gewähren. Diese Entscheidung wurde durch Richter F. , nicht Richter T. gefällt.
Mit dem Argument, dass es an einem Rechtsschutzbedürfnis für eine Sachentscheidung fehle, wurde die Beschwerde auch von den höheren Instanzen zurückgewiesen.
Die Kommission erklärte die. Beschwerde mit Entscheidung v.4.9.1996 im Hinblick auf die Beschwerdepunkte für zulässig, dass die Gerichte dem Bf. eine Entscheidung über den Antrag auf Regelung des Weihnachtsferienumganges versagt (Art. 6 I EMRK) und sein Recht auf Achtung seines Familienlebens (Art. 8 I EMRK) verletzt hätten.
Aus den Gründen:
32. Art. 6 I EMRK lautet, soweit relevant, wie folgt:
,,Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessener Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über Zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ... zu entscheiden hat."
.......
35. Die Kommission erinnert daran, daß Art. 6 I EMRK jedem das Recht garantiert, seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen vor einem Gericht geltend zu machen. Auf diese Weise verwirklicht der Artikel das "Recht auf ein Gericht", von dem das Recht auf Zugang, nämlich das Recht, ein Verfahren vor den Gerichten in Zivilsachen einzuleiten, einen Aspekt darstellt (EuGMR, Golder/Vereinigtes Königreich, Urteil v. 21. 2. 1975, Ser. A Nr. 8, S. 18, Ziff. 36). Weiter erinnert die Kommission daran, daß Art. 6 EMRK Kl. ein effektives Recht auf Zugang zu den Gerichten im Hinblick, auf die Entscheidung über ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen garantiert (EuGMR, Airey/Irland, Urteil v. 9. 10. 1979, Ser. A Nr. 32, S. 14-15, Ziff. 26).
36. Das Recht auf Zugang zu einem Gericht ist nicht absolut, sondern kann Gegenstand von Beschränkungen sein. Dennoch dürfen die Beschränkungen den Zugang des Betroffenen nicht in einer solchen Weise oder in einem solchen Ausmaß einschränken oder vermindern, daß der Wesensgehalt dieses Rechtes angetastet wird (EuGMR, Golder/Vereinigtes Königreich, Urteil, a.a.O., S. 18-19, Ziff. 38; Ashingdane/Vereinigtes Königreich, Urteil v. 28. 5. 1985, Ser. A Nr. 93, S. 24, Ziff. 57).
37. Die Kommission stellt fest, daß es keine gesetzlichen Beschränkungen gab, die den Bf. daran hinderten, seinen Antrag bei den Zivilgerichten zu stellen. jedoch kann ein tatsächliches Hindernis ebenso gegen die Konvention verstoßen wie eine gesetzliche Beschränkung EuGMR, Golder/Vereinigtes Königreich, Urteil, a.a.O., S. 13, Ziff. 26; Airey/Irland, Urteil, a.a.O., S. 14, Ziff. 25).
39. Die Kommission stellt fest, daß das BezirksG es versäumt hat, den Antrag des Bf. auf Regelung des Umgangs mit seinen Kindern zu Weihnachten 1992 beschleunigt zu bearbeiten und die Tatsachen festzustellen, die es in die Lage versetzt hätten, in der Sache zu entscheiden. Insgesamt gesehen hatte der Bf. Zugang zum BezirksG nur, um zwei Wochen nach Weihnachten zu erfahren, daß es infolge Zeitablaufs unmöglich geworden sei, seinem Antrag stattzugeben.
40. Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist die Kommission der Auffassung, daß der Bf. kein effektives Recht auf Zugang zu den Gerichten hatte, wie es von Art. 6 I EMRK garantiert wird.
41. Die Kommission kommt einstimmig zu dem Ergebnis, daß im vorliegenden Fall eine Verletzung von Art. 6 I EMRK vorgelegen hat.
[editiert: 10.07.04, 00:06 von Ingrid]