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Nicht bekannt ob rechtskräftig!
Sozialgericht Leipzig S 1 AS 1/05 ER
Beschluss
In dem Rechtsstreit
XXXX XXX
-Antragstellerin-
Prozessbevollmächtigter:
Sebastian Obermaier,
Fachanwalt für Sozialrecht,
Selliner Straße 1c, 04207 Leipzig,
gegen
Arge XXXXXX, ……………………………………………,
-Antragsgegnerin-
beigeladen:
XXXX XXXXXX, …………………………………………….,
hat die 1. Kammer des Sozialgerichts Leipzig durch den Präsidenten des Sozialgerichts Weiß ohne mündliche Verhandlung am 25. Februar 2005 beschlossen:
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, beginnend ab dem Monat Januar 2005 bis zum Erlass eines Bescheides betreffend den Antrag der Antragstellerin auf Leistungen nach dem SGB II vorläufig an die Antragstellerin monatlich einen Betrag in Höhe von 250,00 € zu zahlen. Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin und den Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Bescheidung durch die Antragsgegnerin sowie vorläufige Zahlung.
Die Antragstellerin lebt mit ihrem minderjährigen Sohn XXXX und dessen Vater,
dem Beigeladenen, seit 1998 in einer Dreiraumwohnung unter der im Rubrum angegebenen Adresse. Bis zum 25.12.2004 bezog die Antragstellerin Arbeitslosengeld. Am 09.12.2004 beantragte die Antragstellerin bei der Agentur für Arbeit Leipzig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch II - SGB II - ( so genanntes Arbeitslosengeld II ).
Dabei gab sie im Antragsformular unter Ziffer II „Persönliche Verhältnisse“ keinen Lebenspartner oder Ehegatten an. Unter Ziffer III „Persönliche Verhältnisse der mit dem Antragsteller in einem Haushalt lebenden weiteren Personen“ gab sie den Sohn an. Weiterhin war dort von ihr ursprünglich der Beigeladene eingetragen, welcher jedoch nachträglich bei Entgegennahme des Antrags durch den zuständigen Sachbearbeiter mit grüner Farbe gestrichen wurde.
Auch der Beigeladene reichte am 09.12.2044 einen Antrag auf Arbeitslosengeld II ein. Ursprünglich war hier von ihm unter Ziffer II „ Persönliche Verhältnisse“ lediglich seine Kundennummer der Agentur für Arbeit sowie sein Geburtsdatum eingetragen. Nachträglich wurde dort sein Name sowie als Partnerin die Antragstellerin durch den Sachbearbeiter in grüner Farbe ergänzt. Unter Ziffer III „ Persönliche Verhältnisse der mit dem Antragstellerin in einem Haushalt lebenden weiteren Personen“ hatte der Beigeladene die Antragstellerin sowie seinen Sohn eingetragen. Bei der Korrektur durch den Sachbearbeiter wurde die Antragstellerin aus der Spalte 3 gestrichen.
Der gemeinsame Sohn der Antragstellerin und des Beigeladenen befindet sich derzeit im Eingliederungsqualifizierungsjahr und erhält dort 192,00 € monatlich.
Mit Bescheid vom 23.12.2004 bewilligte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen Leistungen für sich selbst sowie für mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Personen, nämlich die Antragstellerin und den gemeinsamen Sohn in Höhe von 1.264,10 € und zahlte diesen monatlichen Betrag in der Folgezeit auch an den Beigeladenen aus. Gegenüber der Antragstellerin erließ die Antragsgegnerin weder einen Bescheid noch erfolgten Geldzahlungen an sie.
Nach Erhalt des Bescheides bat der Beigeladene die Antragsgegnerin mit am 10.01.2005 bei ihr eingegangenem Schreiben um Angabe eines Kontos, auf das er den für die Antragstellerin und den gemeinsamen Sohn gezahlten Betrag zurück überweisen wolle, da er nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit diesen Personen lebe.
Am 21.02.2005 wurde durch das Jugendamt XX bei der Antragstellerin eine Prüfung hinsichtlich des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft durchgeführt. Diese Prüfung ergab im Wesentlichen, dass der Beigeladene ein eigenes Zimmer benutzt, Bad und Küche werden gemeinsam genutzt. Nach Angabe des allein angetroffenen Beigeladenen bewohnt Frau XX das Wohnzimmer, der Sohn XXXX sein eigenes Zimmer. Es fanden sich im Kühlschrank getrennt Lebensmittel vor, ebenso wie im Schlafzimmer lediglich eine Hälfte vom Doppelbett bezogen. Im Schrank befand sich nur Herrenbekleidung.
Bereits am 05.01.2005 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim erkennenden Gericht gestellt.
Sie behauptet unter Vorlage entsprechender eidesstattlicher Versicherungen, zwischen ihr und dem Beigeladenen bestehe keine Bedarfsgemeinschaft, lediglich eine Wohngemeinschaft. Sie zahle die Hälfte der Miete. Dieser Betrag werde monatlich in bar entsprechend einer Vereinbarung aus dem Jahr 1998 an den Beigeladenen übergeben. Es lägen zwei getrennte Haushalte vor, einerseits der der Antragstellerin zusammen mit ihrem Sohn, andererseits der des Beigeladenen. Zwischen dem Beigeladenen bestehe wechselseitig keine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. So unterstützt man sich nicht wechselseitig in Notsituationen. Es bestünden jeweils eigene Konten, auf welche nicht gegenseitig zugegriffen werden könne.
Jede in der Wohnung lebende Person habe ihr eigenes Zimmer. Es würden keine gemeinschaftlichen Einkäufe getätigt, ebenso koche die Antragstellerin nicht für den Beigeladenen, nur für sich und ihren Sohn. Es gäbe getrennte Lebensmittelvorräte, ebenso verhalte es sich mit der Wäsche. Auch sei nicht deshalb von einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Ziffer 2 SGB II auszugehen, weil die Antragstellerin zusammen mit dem Vater ihres gemeinsamen Kindes in einem Haushalt lebe. Zum einen bestehe kein gemeinsamer Haushalt, zum anderen sei der Beigeladene nicht der Partner der Antragstellerin.
Die Antragstellerin beantragt,
„der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
aufzugeben, der Antragstellerin einen Bescheid wegen Alg II zu
erteilen und für den Monat Januar 2005 vorläufig an die Antragstellerin
einen Betrag in Höhe von 250,00 € zu zahlen.“
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, es liege eine Bedarfsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen vor. Diese würden seit 1998 gemeinsam mit ihrem Kind in der Wohnung wohnen. Dies bedinge eine eheähnliche Gemeinschaft. Ein solches ergebe sich zum einen aus dem relativ beengten Raum, insgesamt 75,52m², und weiterhin aus der nun schon lang andauernden Gemeinschaft. Allein aus dem Umstand, dass kein gemeinsames Konto bestehe, könne nicht geschlussfolgert werden, dass sich vorliegend lediglich um eine Wohngemeinschaft handele. Es liege demnach eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II vor. An diese Bedarfsgemeinschaft seien stellvertretend an den Beigeladenen Leistungen bewilligt und ausgezahlt worden. Insofern sei der Antrag unbegründet. Am Vorliegen einer Wohngemeinschaft bestünden auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Besichtigung durch das Jugendamt weiterhin Zweifel.
Mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 07.01.2005 ist die Beiladung erfolgt. Am 24.02.2004 hat der Erörterungstermin stattgefunden; insoweit wird auf die in der Gerichtsakte befindlichen Schriftsätze sowie den Inhalt der Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist in aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet.
Das Sozialgericht Leipzig ist zuständig gemäß § 51 Sozialgerichtsgesetz – SGG -. Der Antrag ist im genannten Umfang nach § 86 b Abs. 2 SGG statthaft.. Begehrt werden vorliegend Leistungen aufgrund eines seitens der Antragsgegnerin zu erlassenden Bescheides. Insoweit ist in der Hauptsache die kombinierte Leistungs- und Verpflichtungsklage statthafte Klageart (§ 54 Abs. 4 SGG ). Soweit allerdings der Erlass des Bescheides selbst im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt wird, ist dieser Antrag unzulässig, da eine isolierte Anfechtung behördlicher Verfahrenshandlungen (hier: der „ Handlung“, keinen Bescheid zu erlassen ) nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 44a Verwaltungsgerichtsordnung, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 54 Rdnr. 8c), unstatthaft ist. Die Antragstellerin hat allerdings aus § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG einen Anspruch auf vorläufige Regelung des Rechtsverhältnisses; Rechtsschutz gegen unterlassene Verwaltungsakte bieten darüber hinaus die Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Der Antrag ist - soweit statthaft - auch in materieller Hinsicht begründet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gegeben.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld II gemäß § 19 SGB II. Die Voraussetzungen nach §§ 8 und 9 SGB II hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit sind gegeben. Ebenso besitzt die Antragstellerin kein gemäß § 12 SGB II die Freibeträge übersteigendes Vermögen.
Sie kann von der Antragsgegnerin jedenfalls die begehrte Zahlung von 250 € ab dem Monat Januar verlangen. Dieser Betrag übersteigt bei weitem der gemäß § 20 SGB II zu berechnende Bedarf aus einer Regelleistung i. H. v. 331 € für die Antragstellerin und i. H. v. 265 € für ihren Sohn zuzüglich 252,55 € Mietkosten, abzüglich 154 € Kindergeld sowie 192 Eingliederungsqualifizierungshilfe an den Sohn, insgesamt also 507,55 €.
Die Antragstellerin ist Berechtigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II. Es ist vorliegend keine Bedarfsgemeinschaft mit dem Beigeladenen im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II gegeben. Die Leistungen an die Antragstellerin haben mithin nicht nach § 7 Abs. 2 SGB II, sondern nach § 7 Abs. 1 SGB II zu erfolgen.
Zu einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II gehören die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines minderjährigen, unverheirateten Erwerbsfähigen Kindes. Abgestellt wird dabei auch die Führung eines gemeinsamen Haushaltes. Die ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Prüfung durch das Jugendamt ergab den Sachverhalt so, wie von der Antragstellerin behauptet. Hier wurde festgestellt, dass tatsächlich auf Grund der räumlichen Trennung innerhalb der Wohnung - der Beigeladene bewohnt das Schlafzimmer, die Antragstellerin das Wohnzimmer, der Sohn der Antragstellerin hat ein eigenes Zimmer - sowie der getrennten Lebensführung hinsichtlich der Einkäufe, des Kochens und Waschens, lediglich von einer Teilung in die Wohnung auszugehen ist. Dies wurde darüber hinaus durch die Angaben des Beigeladenen bestätigt. Die wegen der unzutreffenden oder unvollständigen Angaben fehlerhaft ausgefüllten und vom Beigeladenen als richtig bestätigten Antragsformulare lassen keine anderen Schlüsse zu.
Der Beigeladene hat im Erörterungstermin nachvollziehbar angegeben, warum er das Formular am 09.12.2004 nochmals unterschrieben hatte. Der Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit kam nach den Angaben des Beigeladenen zu dem Schluss, dass vorliegend eine Bedarfsgemeinschaft gegeben sei. Diese Rechtsauskunft hatte der Beigeladene in seiner Position als Antragsteller zunächst akzeptiert, was insgesamt nachvollziehbar ist. Erst die spätere Reflexion führte dann doch wieder zu Zweifeln an der Richtigkeit der durch die Antragsgegnerin vorgenommenen Bewertung. Insgesamt führt das Ergebnis des Erörterungstermins jedenfalls nicht dazu, die im Wege der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin abgegebenen Erklärungen zu erschüttern.
Ebenso wenig liegt ein Fall der Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II vor. Die Antragstellerin lebt mit dem Beigeladenen nicht in eheähnlicher Gemeinschaft. Auch dies ergibt sich aus den glaubhaft gemachten Schilderungen der Antragstellerin sowie den Angaben des Beigeladenen gegenüber den Mitarbeitern des Jugendamtes XXX und im gerichtlichen Erörterungstermin am 24.02.2005.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin ist zum Zeitpunkt der Entscheidung nun schon seit fast 2 Monaten auf die Inanspruchnahme ihrer Ersparnisse und anderer Hilfen angewiesen. Eilbedürftigkeit ist mithin gegeben, zumal die Antragsgegnerin im Erörterungstermin auch keine weiteren Erklärungen abgegeben hat und im Gegenteil trotz der Feststellung des Jugendamtes immer noch von einer Bedarfsgemeinschaft ausgeht, da man auf „so engem Raum“ nicht getrennt leben könne.
Eine - wenn auch nur vorläufige - Geldzahlung schon vor dem Bescheiderlass stellt zwar eine Vorwegnahme der Hauptsache dar, diese ist allerdings zulässig, wenn das Bestehen des Anordnungsanspruchs überwiegend wahrscheinlich ist und ohne eine vorläufige Regelung schwerwiegende Nachteile zu befürchten sind. Diese Voraussetzungen sind - wie oben ausgeführt - gegeben. Daher war dem Antrag im bezeichneten Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung - auch hinsichtlich des Beigeladenen - beruht auf § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Weiß
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Schumacher @ zweitfrauen.de
[editiert: 21.05.05, 11:14 von Ingrid]