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Gesamteindruck

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Theophagos
Dauerschreiber

Beiträge: 113

New PostErstellt: 09.08.07, 11:54  Betreff: Gesamteindruck  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

So, denn will ich mal 'vorpreschen'. Eine kleine Einschränkung: Ich habe LfJ, also nicht die Übersetzung, sondern das Original gelesen.

Insgesamt bin ich etwas enttäuscht, was aber eigentlich zu erwarten war. Miévilles Stärken in den Bas-Lag-Romanen sind mE das wunderbare Setting und die interessanten Figuren. Erzähltechnisch ist er auch gut, aber nicht herausragend. Seine Schwäche ist die umständliche Entwicklung der Plots - er sollte kürzer sein. Das fällt bei den Romanen allerdings kaum ins Gewicht.

Kurzgeschichten nun sind was anderes als Romane: Sie vernachlässigen zwangsläufig die Figuren (auf 17 Seiten kann man halt keine zwei Figuren interessant entwickeln - man könnte allenfalls einer Figur ausreichend Tiefe verleihen. Besonders spannend wäre das aber nicht) und brauchen zur Wirkung einen starken Plot (zumindest müssen sie sehr eng am Plot erzählt werden). Damit kann Miéville eine seiner Stärken nicht zur Geltung bringen - und in der Tat, im ganzen Band finde ich nicht eine interessante Charakterisierung finden - und seine Schwäche wiegt doppelt schwer.
Bleiben also das Setting und die Erzähltechnik. Gerade in letzterer wirkt er eher schwächer auf mich - das ist weit entfernt von 'schwach' oder gar 'schlecht', aber auch nicht gut, sondern allenfalls gehobener Durchschnitt.
Seine Settings enthalten allerdings wieder einige kraftvolle wunderbare und 'schräge' Ideen; hier gibt es zwar auch einiges, was mich nicht so sehr beeindruckte, aber auch einige tolle Sachen.

Kurz zu den einzelnen Geschichten:
Für die Glanzlichter der Sammlung halte ich "The Ball Room" - eine gruselige Geistergeschichte - "Report of Certain Events in London" - eine witzige Rätselgeschichte um eine Verschwörung von Parapsychologen, die ein okkultes Phänomen beobachten - "Entry Taken From a Medical Encyclopaedia" - die Beschreibung einer bizarren Krankheit und ihrer eigenwilligen Erforscher - "Jack" - der Abgesang auf den legendären Reemade - und "The Tain" - eine etwas andere postapokalyptische Geschichte.
"Foundation" - noch eine Geistergeschichte - "Details" - eine literarische Umsetzung des Sprichworts "Der Teufel steckt im Detail" - "An End to Hunger" - eine Geschichte, die einen unzuverlässigen Bericht über unlautere Philanthropie liefert - und der Comic "On the Way to the Front" - der Protagonist ist einem geheimen okkulten Krieg auf der Spur - fand ich trotz ihrer Schwächen noch ganz gut.
Enttäuschend belanglos schien mir der Rest: "Looking for Jake" - wie "The Tain" nur weniger interessant - "Go Between" - noch eine absurde Verschwörung - "Different Skys" - can you say "The Gable Window" (Lovecraft/Derleth)? - und "'Tis the Season" - ein dystopisches X-Mas.

Eine "mixed bag" - eine Reihe von Geschichten, besonders die, welche ein Sprichwort literarisch umsetzen, wirken auf mich ein wenig wie Schreibübungen; sauber ja, zweifellos, aber auch uninspiriert. So also wollte man Freys Ratschlag, immer eine Prämisse zu verwenden, einmal ausprobieren und es viel einem gerade nichts interessantes ein.
So viel Kritik - habe ich mich denn nur geärgert? Nein. Das Ganze ist in Relation zu sehen: Mir haben die Bas-Lag-Romane klar besser gefallen, aber wer auf "Weird" steht, wird hier dennoch gut bedient.

Theophagos

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Seblon
Administrator

Beiträge: 354
Ort: Bochum/NRW


New PostErstellt: 12.08.07, 10:39  Betreff: Re: Gesamteindruck  drucken  weiterempfehlen

Hallo! Nun zu meinen Gesamteindruck:

Suche Jake

Eine Geschichte über eine subtil ablaufende Apokalypse, die etwas an eine stilistische Mischung aus Kafka und Lovecroft erinnert und durchaus zu überzeugen weiß

Fundament

Interessant vom Ansatz (ein Hausflüsterer im "Gespräch" mit diversen Gebäuden) her, aber irgendwie etwas prätentiös und langweilig

Kullerbuntland

Eine meiner Favoriten. Wunderbar, wie ein Ort der scheinbaren kindlichen Freude und Sicherheit (das Kinderparadies eines Möbelladens) zu etwas dunklem und gefährlichen wird. Wirklich gruselig…

Berichte über gewisse Vorfälle in London

Noch ein Favorit. Inhaltlich und formal sehr origineller und stilistisch perfekt erzählter Bericht über "wandernde" Straßen.

Auszug aus einer medizinischen Enzyklopädie

Ein fiktiver Enzyklopädie-Eintrag zum Thema "Buscard’sche Faselpest od. Wurmwort." Erinnert etwas an einen satirischen Karel Capek in schlechter Stimmung. Zwar sehr von der Miévilleschen Originalität geprägt, aber für meinen Geschmack nicht ganz überzeugend.

Details

Eine sehr nette kleine Geschichte über einen kleinen Jungen, der lernt die Dinge im en Detail zu betrachten und dabei dann auch Dinge bemerkt, die nicht gesehen werden wollen. Erinnert etwas an Stephen King, ist dabei aber sehr viel subtiler. Ein Roman von Miéville in diesem realistischen Stil wäre etwas Feines.

Der Mittelsmann

Ganz in der Tradition eines modernen Kafkas erleben wir einen verängstigten Menschen, der sich als Mittelsmann einer geheimen Organisation erlebt, dessen Sinn und Zweck ihm verborgen bleibt. Eine wunderbar surrealistische Arbeit Miévilles.

Andere Himmel

Eine dunkle und gruselige Geschichte, die sich mit einem alten Herrn und seinem Blick auf die "andere" Seite befasst. Die Gothic-Novels des 19.Jhrds lassen auf reizvolle Art grüßen. Ich musste während der Lektüre ständig an den Film "Dark City" denken...

Die Hungernden speisen

In ihrem modernen und lakonischen Stil an "König Ratte" erinnernd, setzt sich diese Shortstory mit dem Medium unserer Zeit, dem Internet auseinander. Interessant, aber etwas zu lakonisch und zu modern für meinen Geschmack.

Eia Weihnacht

Eine interessant antikapitalistische Geschichte über eine Zukunft, in der auf alle Feiertage und deren Inhalt ein ® besteht und deren Nutzung viel Geld kostet. Gefällt mir in ihren konsequent-kritischen Blick einnehmend gut.

Jack

Zurück in Bas-Lag nehmen wir Anteil an den Reflektionen eines Biothaumaturgen über den Helden des Volkes Jack Gotteshand. Originell, surrealistisch und wunderbar perfide. Schön, einen Ausflug nach Bas-Lag machen zu dürfen.

Auf dem Weg zur Front

Wieder das Thema "unsichtbarer Krieg/Apokalypse", wie schon in "Suche Jake" oder auch in abgeschwächter Form in "Die Hungernden speisen", aber diesmal als Graphic-Novel. Hübsch anzusehen, aber irgendwie merkwürdig prätentiös artifiziell und leer.

Spiegelhaut

Ich muss gestehen, dass mir die Erzählung bereits beim ersten Lesen in der Anthologie „Moloch“ nicht besonders gefallen hat. Meine Meinung dazu hat sich auch beim zweiten Lesen nun in dieser Anthologie nicht verändert. Sie ist mir zu sehr Dali, zu selbst verliebt in ihrem artifiziellen Surrealismus, zu prätentiös. Wo sie spannend sein könnte, ist sie langweilig und anstrengend. Der Leser bleibt auf unangenehme Art und Weise auf Distanz zu den Figuren und damit auch zur Handlung.

Fazit:

Grundsätzlich hatte ich den Eindruck, dass die Kurzgeschichten die Stärken und Schwächen Miévilles auf den Punkt bringen. So wunderbar originell, interessant und innovativ sowohl Plots, wie auch Setting und Charaktere sind, so anstrengend können seine Bemühungen sein, sich herkömmlichen Erzählstrategien zu entziehen und auf Biegen und Brechen auch formal originell sein zu wollen. So gibt es Geschichten, die mich gerade wegen ihres eher traditionellen Erzählstils und ihrem innovativ-originellen Inhalt überzeugen und andere die wie missglückte (sehr bewusst!) künstlerische Experimente wirken.


Was für einen Eindruck habt Ihr von den Geschichten?

Es grüßt




Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.


[editiert: 12.08.07, 10:39 von Seblon]
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