BAS-LAG: Das China Miéville-Forum
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BAS-LAG: Das China Miéville-Forum
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No new posts Re: »The City & The City«
"Demnächst" ist ja ein sehr dehnbarer Begriff ... Ich hab mir auch diesmal wieder das Lektorat für die deutsche Ausgabe gesichert (so viel Zeit muss sein ;) ) und werde kurz vorher auch das Original lesen. Das wird dann allerdings erst gegen Jahresende der Fall sein. Früher lesen bringt für mich wenig, weil ich das Buch natürlich wirklich zeitnah für die deutsche Ausgabe im Kopf haben will. Und ich glaube mal, ein halbes Jahr will die Leserunde auch nicht warten, bevor sie anfängt. Wenn sich allerdings jetzt nicht genug finden und Molo dann doch warten will - ab Jahresende wäre ich dabei :).
Lomax 14.05.09, 09:22
No new posts Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
[quote:molosovsky]Da fehlen mir folgende Faktoren: • Sorgfalt der Aufbereitung; • Jeweilige Ambition und Geschick im Ansprechen unterschiedlicher Publikums-Segmente (Vertreter, Platzierung im Laden); • PR-Budget für verschiedene Titel.[/quote]Genau deshalb hatte ich auch das Beispiel von den beiden Titel derselben Reihe genannt. Gleicher Autor, gleiche Zielgruppe, gleiche Platzierung. Trotzdem verkauft sich der schwächere Titel besser. Na ja, vielleicht liegt's ja auch nur am Titelbild. Die sind nämlich auch nicht gleich ;)
Lomax 09.03.07, 18:04
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[quote:Alechadro]Ach ja, wer ist denn der Verkaufssieger in der Sparte Fantasy?[/quote]Wie gesagt, einzelne Namen und Titel wollte ich bewusst nicht nennen. Aber in diesem Fall ging es mir nicht um einen Autor, sondern um ein konkretes Buch unter den Fantasy-Neuerscheinungen des Verlags. Und da kann ich zumindest sagen, dass man an der Spitze auch genau das finden wird, was derzeit bei den Verlagen in der Sparte der Renner zu sein scheint. Keine Überraschungen also in dieser Hinsicht.
Lomax 09.03.07, 18:00
No new posts Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Mein kleiner Nachtrag zum Thema - es gab hier ja Stimmen, die der Ansicht waren, dass die schlechten Werke Programmplätze für bessere Werke blockieren, oder dass die "bösen Verlage" den bereitwilligen Lesern die guten Titel vorenthalten. Heute habe ich mal wieder Jahresabrechnungen für Bücher erhalten, an denen ich mitgearbeitet habe. Ich gehe davon aus, dass Titel und Zahlen Geschäftsgeheimnisse sind, und daher sage ich dazu nichts. Nur mein allgemeiner Eindruck: Ich habe eine mittlere Existenzkrise, weil ich in diesem Jahr feststellen musste, dass sich wirklich und ohne Ausnahme die Titel umso schlechter verkauft haben, je formal besser ich sie eingeschätzt hatte. Die höchsten Verkäufe hatte ein Buch mit rein funktionalen Charakteren, simpelster und im Original deutlich unpassender Sprache und einer Vielzahl von Sachfehlern infolge unzureichender Recherche. Und das, obwohl diesem Roman eben diese Mängel in jeder Rezension auch bescheinigt werden (so viel nebenbei zum Wert von Rezensionen). Die schlechtesten Verkäufe hat das Buch mit den ausgefeiltesten Charakteren, komplexem Plot und ausgefeilter Sprache (das, nebenbei gesagt, auch in allen Rezensionen gelobt wird. Nur leider zu selten gekauft). Nun mag der ein oder andere sagen, andere Autoren, andere Genres, oder die Werbung ... Aber leider gibt es auch ein Buch aus derselben Reihe vom selben Autor. Beim Lesen hab ich mir gedacht: "Na, deutlich nachgelassen. Die Figuren sind diesmal ja recht konstruiert, und der Plot ziemlich dünn." Abrechnung: Peng. 20% mehr Verkäufe als der Vorgängerband. Mein Fazit: Es ist wirklich "der Leser" der die Bücher genau so will. Wenn ein Verlag beides anbietet, greifen die meisten zum simpler gestrickten Buch. Ich kann daraus nur schließen, dass es keine "Verschwörung" und auch keine "Ignoranten" in den Verlagen gibt, sondern dass es schlichtweg eine Nötigung des Marktes wäre, würde man in den Verlagen versuchen, den Lesern mehr in gewissen Kreisen als "gut" empfundene Literatur aufzudrängen. Auch wenn die Zahlen hier nur eine zufällige Momentaufnahme sind und ich genau weiß, dass es Ausnahmen gibt, die nur zufällig bei den Belegen nicht dabei waren. Aber im großen und ganzen habe ich im Augenblick das Gefühl, die Qualitätsdiskussion hier ist doch eine sehr theoretische :( Sozusagen pure Fantasy ;) Ach ja, den derzeitigen Verkaufssieger der Sparte Fantasy kenne ich jetzt auch. Der Titel dürfte für aufmerksame Beobachter des Marktes unschwer zu erraten sein.
Lomax 08.03.07, 22:35
No new posts Re: Franz Kafka
[quote:Seblon]Wie ist Eure Meinung zu Kafka?[/quote]Kafka war mir von den "Schulautoren" mit Abstand der liebste. Das andere Ende der Leiste markiert dann Thomas Mann :( Aber, wie so oft, habe ich mir über Sekundäres kaum Gedanken gemacht. Mich haben die Bücher interessiert, nicht der Autor.
Lomax 19.02.07, 18:29
No new posts Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
[quote:Theophagos]Den auf die europäische Geschichte zugeschnittenen Begriff "Mittelalter" wende ich z.B. nicht auf außereuropäische Gebiete an, das ist mir viel zu waghalsig.[/quote]Nun ja, wie gesagt - ich habe Probleme, den Begriff Mittelalter überhaupt auf Fantasy anzuwenden, zumindest auf die meisten "mittelalterlich anmutenden Werke". Denn in der Regel werden ja nur einige Facetten aus einem breiten Spektrum an Möglichkeiten herausgeriffen, und dann diejenigen Werke diffamiert, die das ein oder andere Element mehr oder minder zufällig aufweisen. Diese Willkür führt dann leicht zur Tautologie, nach dem Motto: Mittelalterfantasy ist schlecht - und was nicht schlecht ist, ist dann irgendwie ja auch keine Mittelalterfantasy mehr ;) Und schon hier in der Diskussion wurde deutlich, dass die "Mittelalterfantasy" durchaus nicht so trennscharf definiert war, sondern sich eher an einem "gefühltem Eindruck" festmachte. Und das möchte ich als geeigneten Qualitätsmarker schon in Frage stellen. [quote:Theophagos]... Dalemark sind mir zu neuzeitlich geprägt[/quote]... darum hatte ich den "Fluss der Seelen" aus dem Zyklus genannt, auf den dieser Einwand nicht zutrifft. Und der gerade deshalb ein starkes Argument gegen eine Überbewertung des Settings ist, weil er zeigt, dass die Reihe nicht deshalb gut ist, [i]weil[/i] sie neuzeitlicher geprägt ist. Wenn man gut schreibt, kann man das also auch vor einem archaischen Setting. [quote:Theophagos]Wenn ich ein Viertel der Reihe lesen muss, bevor ich was Originelles geboten bekomme, dann greife ich lieber zu etwas, das gleich originell ist.[/quote]Ich glaube, da hast du mich missverstanden: Ich musste nicht ein Viertel der Reihe lesen, um was Originelles geboten zu bekommen - ich hatte schon ein Viertel gelesen, ehe es mir richtig bewusst wurde. Weil nämlich der Text gerade mit dem altbekannten Muster an der Oberfläche spielt und die Besonderheiten sehr unterschwellig sind. Ein gutes Beispiel für das Spiel mit dem Subtext und gehobenes "Show, don't tell": Die Autorin macht es fühlbar, dass ihre Geschichte anders ist, aber man bekommt es nicht gleich mit dem Exotik-Holzhammer und krampfhafter Originalität um die Ohren gehauen. [quote:Theophagos]Ist es aufgefallen, dass die jüngste Reihe in den frühen 80ern konzipiert wurde? Sicher, kein Beleg dafür, dass die Fantasy-Mittelalter-Settings ausgelaugt sind, aber auch nicht gerade dagegen.[/quote]Wer weiß, woran es liegt. Wenn jemand sagt, dass man schon in den 80ern und dann nach den HdR-Filmen erneut mit abgegriffener "Mittelalterfantasy" zugekleistert wurde, dann würde ich dem auch nicht widersprechen. Deshalb lese ich auch seit den 90ern deutlich weniger in diesem Subgenre. Ein paar "bessere" Bücher habe ich seither trotzdem noch gefunden - beispielsweise den "Grünen Reiter" von Kristen Britain. Aber Bücher, die einfach auf die ein oder andere Weise gut oder gelungen sind, sehe ich viele, und meistens bleiben die Titel trotzdem nicht so lange im Gedächtnis. Und die wirklich herausragenden Titel, die man sich als exemplarisch merken kann, werden schon seltener - aber das kann ich nicht nur für die Mittelalterfantasy sagen. Vielleicht fallen mir für das Subgenre also keine echten "Perlen" aus neuerer Zeit ein, weil ich in neuerer Zeit viel weniger davon gelesen und deshalb nicht mehr so viel dort entdeckt habe - also ein rein statistisches Phänomen. Es kann auch sein, dass es seitdem tatsächlich immer weniger herausragende Werke auf diesem Sektor gibt. Aber dem muss ich entgegen halten, dass ich in den anderen Gebieten in der Zwischenzeit auch nicht mehr wirklich gute Bücher gefunden habe und Mieville wirklich wie ein Monolith aus meiner Leseerfahrung der letzten 15 Jahre herausragt. Und das relativiert doch sehr die Möglichkeit, dass gerade die "Mittelalterfantasy" ganz besonders ausgelaugt ist. Aus 15 Jahren Leseerfahrung mit moderner SF könnte ich also vermutlich nur eine noch schmalere Liste wirklich guter Bücher zusammenstellen, als vorher aus 10 Jahren mehr oder minder mittelalterlicher Fantasy - trotzdem komme ich jetzt nicht auf die Idee zu sagen, dass man ja keine guten SF-Bücher mehr schreiben kann ;) Wenn überhaupt, sehe ich eher eine unangenehme Entwicklung bei der Literatur an sich. Aber das ist eine andere Frage, die wirklich anderswo diskutiert werden sollte. [quote:Theophagos]Und nun zu etwas völlig Anderem: Wenn ohne Erläuterung von "kontrafaktischer Literatur" gesprochen wird, vermute ich, dass der Autor pulpige Weird-Fiction schreibt - so wie Diego Patchen und seine Kollegen halt.[/quote]Hm, schon zwei mögliche Missverständnisse - na, egal. Ich gehe mal davon aus, dass die meisten Leute, die den Begriff hören, Cities nicht gelesen haben :D Außerdem, schrieb Diego Patchen nur pulpige Weird-Fiction? Die Themen boten doch teilweise durchaus Raum für anspruchsvolle Ausarbeitungen, und wie die Texte letztlich aussahen, weiß man ja nicht :confused: Obwohl ich seinen Lektor in der Geschichte durchaus gut fand und ihn noch heute gerne zitiere ;)
Lomax 19.02.07, 18:22
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[quote:molosovsky]Auch wenn man eine griechische Vokabel lernen muß, ist ›Uchronie‹ doch um einiges handlicher, denn ›kontrafaktische Literatur‹. Bzw. wenn Du eben nicht auf Alternativweltgeschichten spezialisiert bist, ist Dein Ettikett ganz schon mißverständlich.[/quote]Na, na - wo ist denn da der Maximalist geblieben? Diesmal ziehst du dich ja auf die speziellste Wortbedeutung zurück, die man finden kann ;) Mein Fremdwörterduden definiert "kontrafaktisch" ganz allgemein als "nicht der Wirklichkeit entsprechend"; und in der literarischen Vorlage, der ich es entnommen habe, hatte ich auch das Gefühl, dass die "kontrafaktische Literatur" ganz allgemein verstanden war. Dann würde der Begriff auch die Phantastik im weiteren Sinne abdecken. Hm, oder beziehst du dich auf den Begriff "kontrafaktische Geschichte"? Da ist das "kontrafaktisch" ja durch die "Geschichte" noch näher spezifiziert - und zwar durch "Geschichte" im Sinne von "Historie", nicht "Erzählung". Ich glaube nicht, dass ich mir den Begriff "kontrafaktische Literatur" davon determinieren lassen muss. Denn wenn die "kontrafaktische Geschichte" sich mit Parallelwelten im Sinne von "nicht-wirklicher Historie" beschäftigt, kann doch die "kontrafaktische Literatur" auch alles andere umfassen, was "nicht wirklich ist". Jedenfalls leuchtet mir nicht ein, warum Uchronie das Problem dann lösen sollte, steckt doch hier die "Geschichte" schon fest im Wort drin und lädt wirklich zu Missverständnissen ein. :confused: [quote:molosovsky]Kurz: es liegt an der Dummheit und Unkultiviertheit der entsprechenden >Entscheider‹ in den Verlagen[/quote]Hm, eine sehr fragwürdige Schuldzuweisung. Es ist halt einfach so: Egal, was die Entscheider in den Verlagen gerne wollen - es muss finanziert werden. Und die Art Fantasy-Literatur, die hier im Forum schon mal so nett als "Bücher fürs jugendliche Proletatriat" bezeichnet wurde, verkauft sich nun mal besser als der anspruchsvolle Stoff. Und zwar auch, wenn beides angeboten wird. Und solange sich das Zeug gut verkauft, ist in den Verlagen auch mehr Geld für andere Dinge da - für Liebhaberprojekte und Experimente und auch für Dinge, mit denen man sich schmückt, die aber keine so guten Einnahmen bringen. Denn meiner Erfahrung nach sitzen in den Verlagen keinesfalls unkultivierte Leute, aber Leute, die sich den Schmuck eben nur dann leisten können, wenn das Geld dafür da ist. Wenn dieses Marktsegement wegfällt, blühen die anderen Bereiche nicht auf, sondern verkümmern mit. So war es Ende der 80er, so kann es auch wieder kommen. Weil die meisten jungen Post-HdR-Leser dann eben doch nicht die anspruchsvollere Fantasy kaufen, sondern entweder aussteigen und nur noch Computerspiele zocken, oder komplett das Genre verlassen. Das können die "Entscheider" in den Verlagen auch nur beschränkt steuern. [quote:molosovsky]Ich sabber wie ein Alien und die Spritze vom Zahnarzt hat vor ner Stunde ihre Wirkung eingestellt.[/quote]Erinnert mich an den Tag, als ich nach einem Zahnartbesuch mit noch wirkender Spritze in der Videothek war und einen Film reklamiert habe. Ich hatte mich schon gewundert, warum die Angestellte so zuvorkommend war und sich so oft entschuldigt hat - bis ich zu Hause festgestellt hatte, dass nicht nur meine Lippen aufgequollen waren, sondern auch überall getrocknetes Blut klebte. Vermutlich sah ich gerade nicht so aus wie jemand, der einfach wieder geht, wenn seine Reklamation nicht angemessen bearbeitet wird :) Aber ansonsten habe ich eine ausgewachsene Zahnarztphobie und will gar nichts mehr von diesem Thema hören ...
Lomax 16.02.07, 23:02
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[quote:molosovsky]Ich würd sagen, daß es ein sich gegenseitig hochschaukelnder Teufelskreis ist, der sich irgendwann mit Übersättigung und gegenseitiger Rohrverstopfung von selbst erledigt.[/quote]Wie schon damals, Ende der 80er? Das mag sein, aber ich wünsche es mir nicht. Denn die damalige Erfahrung lehrt, dass das keinesfalls Raum für "bessere" Werke schafft, sondern das komplette Genre danach in den Buchhandlungen als Kassengift gilt und auch viele von den anspruchsvolleren Autoren rausfliegen, die derzeit zur Imagepflege in den Verlagen "querfinanziert" werden.
Lomax 16.02.07, 19:30
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[quote:Seblon]Mein Problem mit diesen Werken ist, dass sie den Markt beherrschen und es dadurch für anspruchsvollere Autoren, die neue Wege beschreiten wollen schwer ist, überhaupt einen Verlag zu finden.[/quote]Da würde ich Ursache und Wirkung eher andersrum sehen ... [quote:Seblon]Ein Autor, der einen phantastischen Roman schreibt, bei dem er das klassische Fantasy-Mittelalter mit den klassischen Fantasy-Archetypen und Klischees benutzt, muss mir als Leser sehr deutlich machen, warum er gerade diese für meinen Geschmack ausgebluteten Versatzstücke nutzt, um eine Geschichte zu erzählen. Nur passiert dies zu 90% eben nicht. Zurück bleibt meist ein triviales kommerzielles Produkt, dass weder mehr kann oder im schlimmsten Fall mehr will, als Popcorn-Literatur für jugendliche Leser zu sein.[/quote]Das ist wohl so. Aber es muss nicht in jedem Einzelfall so sein. Als Beispiel dafür habe ich ja Geraldine Harris angeführt: Da habe ich tatsächlich erst mal den viertel Zyklus lesen müssen, um zu erkennen, dass diese Geschichte anders ist - man sieht es also nicht, wenn man nur auf die gängigen Marker schaut. Und der Grund, warum ich dieses Buch so lange nicht angerührt habe, war derjenige, dass vorher einige maßgebliche Leute aus meinem Bekanntenkreis über die "klischeehafte Story" gelästert haben - und später, als ich mich bei ihnen über den schlechten Rat beschwert habe, zugeben mussten, dass sie das Buch gar nicht gelesen haben, sondern nur nach dem Klappentext beurteilt. Diese persönliche Erfahrung mag auch ein Grund sein, warum mich jetzt im Brustton der Überzeugung vorgetragene Wertungen stören, die sich nur auf eine Handvoll Äußerlichkeiten stützen. [quote:Seblon]Ich halte es nur für problematisch, dass gerade diese Autoren enorm erfolgreich sind und damit das Genre für Phantastik-ferne Literaturfreunde ein zu tiefst triviales und eskapistisches Stigma geben.[/quote]Ich möchte das Argument gerne andersrum wieder ins Rennen schicken: Gerade weil es zu viele Leute gibt, die das Phantastik-Genre nur nach Äußerlichkeiten beurteilen - und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb des Genres - gibt es in dem Genre kaum eine Selektion nach "innerer" Qualität, sondern nur durch den Markt. Und das ist im Zweifel der kleinste gemeinsame Nenner.
Lomax 16.02.07, 19:06
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[quote:molosovsky]Weil: Englisch Fantasy heißt eben Phantastik. Das ›Fantasy‹ eben ›Phantastik‹ bedeutet, ist ja auch ein Punkt, auf dem auch manche englischsprachige Phantasten herumreiten. Ich seh mich da also nicht allein auf weiter Flur stehend, sondern beobachte mal erstaunt, mal amüsiert, mal mit Unbehagen, wie Leser sich Zeugs aneigenen, solange bis Akademiker ihnen auf Irrwege folgen.[/quote] ... und das englische "stark" bedeutet im Deutschen "starr". Das bedeutet aber nicht, dass man jetzt etwas falsch macht, wenn man im englischen "stark" verwendet und etwas anderes meint als das deutsche "stark", oder umgekehrt. Es bedeutet nur, dass ein und derselbe Begriff in beiden Sprachen unterschiedlich besetzt ist. Legitim und üblich, und ein Problem nicht für all diejenigen, die die Begriffe in der jeweiligen Sprache korrekt verwenden, sondern für diejenigen, die den Bedeutungsunterschied nicht berücksichtigen - wie auch bei den fehlerhaften Übersetzungen der amerikanischen "Billion". Also: Es gibt keinen Grund, hier im Deutschen den Begriff "Fantasy" nicht als Bezeichnung für ein spezielleres Genre zu gebrauchen statt als Synonym für "Phantastik". Ich denke, Ersteres braucht man nötiger als Letzteres ;) Das größere Problem bei dem Begriff "Phantastik" sehe ich darin, dass er zum einen "landläufig" als Oberbegriff für die übliche Genreliteratur dient, zum anderen aber auch als spezieller Ausdruck für alles, was nicht den Genres zuordbar ist. Ich persönlich bemühe mich, den Begriff "kontrafaktische Literatur" zu verbreiten, den ich in der "Cities"-Anthologie kennen gelernt habe und als Oberbegriff sehr sympathisch fand. Also, ich sage seitdem nicht mehr: "Ich schreibe Phantastik", sondern: "Ich schreibe kontrafaktische Literatur". Klingt auch gleich viel intellektueller und macht deutlich, dass nicht nur die "klassische Trias" gemeint ist :D
Lomax 16.02.07, 18:48
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[quote:molosovsky]Freilich hängt diese Sicht davon ab, was ich als ›typisch mittelalterlich‹ ansehe[/quote]Genau ;) Das war einer meiner Punkte, dass sich unter "mittelalterlicher Fantasy" eine Menge Dinge verbergen können, die sehr unterschiedlich sind. Denn manches Buch erfüllt bestimmte kritisierte Aspekte - andere aber auch nicht. [quote:molosovsky]Für mich ist zum Beispiel der durch Mangelernährung geschwächte Pächter, der auf der harten Ackerkrumerumkratzt um einiges ›typischer‹ mittelalterlich, als ein Vertreter der Adels- und Ritterschicht.[/quote]Nun, für mich wäre ein Pächter schon nicht mehr mittelalterlich, sondern im Gegenteil bereits Ausdruck einer neuzeitlichen Wirtschaftoptimierung. Mittelalterlich ist der unfreie Bauer oder der freie Bauer auf "eigenem" Land; und das Entrichten einer ertragsabhängigen Abgabe statt einer festen Pacht. [quote:molosovsky]Resummee: nein, nicht das Setting an sich bestimmt die Qualität, sondern eben die Inszenierung und Instrumentalisierung des Settings[/quote]Mach aus dem "bestimmt" ein "bestimmt mit" oder "hat Einfluss auf", und ich stimme zu :D Und damit wäre man dann wieder vom Betrachten der Äußerlichkeiten zum Betrachten von Abhängigkeiten gekommen - denn "Inszenierung" und "Instrumentalisierung" ist ja eine Antwort auf die Frage "wie", nicht mehr auf die Frage "was". Und genau dafür habe ich plädiert.
Lomax 16.02.07, 18:11
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@Molo: Ein wenig Unbehagen empfinde ich auch, wenn du die spezielle deutsche Bedeutung von Fantasy mit dem allgemeinen, amerikanischen "Fantasy-Schwamm" vom Tisch wischen willst, und das ganze dann auch noch in den deutschen "Phantastik-Bottich" wringst. Dein Hinweis auf die "moderne Phantastik-Trias" macht deutlich, wo die Probleme liegen: Ich gehe mal davon aus, dass du Fantasy/Horror/SF meinst, was die gängige Einteilung für die Genre-Literatur ist. Aber aus der Perspektive der allgemeinen Literaturwissenschaft ist das allenfalls die Peripherie der Phantastik, wobei noch darüber zu streiten ist, wie weit SF und Fantasy überhaupt zur phantastischen Literatur zählen. Der Kernbereich der Phantastik wären eher die Geschichten mit phantastischem Element, die nicht den drei Genres angehören - oder wo würdest du "Fool on the Hill" in dieser "Trias" einordnen? Ich wäre also dafür, eher die engstmögliche Definition für die jeweiligen Begriffe zu verwenden, und möglichst darauf zu verzichten, die Genreliteratur unter "Phantastik" zu subsumieren, damit man noch ein Wort hat, wenn man über phantastische Werke reden will, die in keines der Genres passen. Sonst reden angesichts dieser verwirrenden Begriffslage bald alle aneinander vorbei, und jeder verwendet dieselben Begriffe und meint was ganz anderes damit. Ich bin ehrlich gesagt ganz froh darüber, dass wir im Deutschen wissen, was gemeint ist, wenn jemand "Fantasy" sagt ;)
Lomax 16.02.07, 14:52
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[quote:Theophagos]Fantasy (und Literatur insgesamt) neigt dazu schlecht zu sein, wenn sie unoriginell (das ist übrigens ein Synonym von 'fantasielos') ist ... Dem würde ich entgehen halten, dass es allerdings intersubjektive Kriterien gibt[/quote]Dem habe ich jetzt eigentlich nichts entgegenzusetzen. An der hier angesprochenen, allgemeinen Theorie stört mich nichts, sondern nur an der in der praktischen Diskussion anklingenden Fokussierung auf das "Setting" als maßgeblichem Ausdruck von Originalität und Fantasielosigkeit. Und dem wollte ich entgegenhalten, dass zum einen gerade nach gängigen "intersubjektiven Qualitätskriterien" das Setting von eher marginaler Bedeutung ist; und dass, wenn man als Kriterium eine so breite und allgemeine Definition wie "Mittelalterfantasy" heranzieht, viele originelle Spielartien davon mit pauschalisiert werden. [quote:Theophagos]Es würde mich mal sehr interessieren, was du für gute Fantasy mit altbekanntem Setting hältst - vielleicht kannst du ein paar Beispiele geben?[/quote]Das Problem mit den Beispielen ist, dass sie versickern, solange die Diskussion sich um allgemeine Pauschalvorwürfe dreht. Denn ich hatte es oben schon erwähnt: Würde man die Vorwürfe konkretisieren und das "ausgelutschte Setting" konkret und präzise fassen, hätte ich auch keine Probleme. Ich nenne also einfach mal einige Titel, die eine gewisse Anzahl von Settings aufspannen - und dann muss jeder sehen, welche davon noch unter das böse "Mittelalter-Setting" fallen und als Gegenbeispiel dienen können, und welche man "ja gar nicht damit gemeint hat". Aber in letzterem Fall muss man dann auch seine Genrevorstellungen differenzieren und sich überlegen, warum genau man wo seine Grenzen zieht - was eigentlich alles ist, was ich wollte. Denn gestört haben mich nicht die Vorwürfe gegen "unoriginelle Fantasy", sondern gegen "mittelalterliche" oder "rückwärtsgewandte" Fantasy. - Zunächst einmal will ich Tolkien selbst nennen, der als Begründer eines Subgenres ja irgendwas richtig gemacht haben muss ;) Und der selbst auch deutlich vielschichtiger und differenzierter ist als seine Plagiatoren. - Als zweites habe ich schon Mervyn Peake und seinen Gormenghast-Zyklus genannt, vor allem Band 1 und 2: Rein äußerlich auch ein mittelalterlich- bis frühneuzeitliches Setting, das noch dazu (böse, böse) feudalistische Strukturen thematisiert. Trotzdem ein Vorbild von Mieville und sehr ... eigen. - Geraldine Harris: Die Sieben Zitadellen. Der Roman wirkt sehr "klassisch", und ich hatte den Zyklus 10 Jahre ungelesen im Schrank stehen, gerade weil Handlung und Setting, wie sie im Klappentext beschrieben standen, mich eine Geschichte erwarten ließen, die ich schon hundertmal gelesen habe. Schließlich habe ich mich aufgerafft und die Bücher doch gelesen, und anderthalb Bücher lang dachte ich, eine recht nette und gut geschriebene, aber doch konventionelle Geschichte zu lesen - bis mir ganz plötzlich im Rückblick auffiel, dass kein Konflikt so gelöst worden war, wie ich es erwartet hatte. Und das blieb auch so. Eine Reihe, die ich für subtil und genial halte - und die man zuunrecht wegen des konventionellen Settings leicht unterschätzt und übersieht. - Ursula K. LeGuin: Erdsee. Zählt nicht zu meinen "All-Time-Favorites", ist aber in vielerlei Hinsicht auch ein "gutes" Buch. - Stephen Donaldson: First Chronicles of Thomas Covenant. Ich nenne hier den englischen Titel, weil ich die dt. ÜS zum Abgewöhnen fand. - Barry Hughart: Die Brücke der Vögel. Zwar definitiv keine Tolkien-Fantasy - aber märchenhaft und rückwärtsgewandt. - Alexander Lloyd: Taran. Eine Kinderbuchreihe - aber gute Kinderbücher. - Michael Ende: Die Unendliche Geschichte. Keine Tolkienfantasy, aber trotzdem die "klassische Queste". - Hans Bemman: Stein und Flöte: Archaisch, rückwärtsgewandt und märchenhaft. Aber trotzdem ein "modernes" Stück Literatur. - Diana Wynne Jones Dalemark-Zyklus ist auch ein sehr interessanter Beitrag zum Thema: Die meisten Bände sind in einem frühneuzeitlichem Ambiente angesiedelt und thematisieren nicht zuletzt politisch/gesellschaftliche Konflikte. Und "Der Fluss der Seelen" führt dann plötzlich in die Vergangenheit, und plötzlich ändert sich auch die Atmosphäre ins mystisch-märchenhafte. Ein anderes Buch - aber nicht schlechter als die Bände vor dem "anderen Setting". Nur wird nicht jeder, dem das eine gefällt, auch mit dem anderen etwas anfangen können. Ein Beispiel also, das nach meinem Empfinden recht gut illustriert, dass die Frage nach dem Setting oft doch mehr mit persönlichem Geschmack zu tun hat, und mit der Frage, welche Art Thema einem liegt, nicht so sehr mit der Qualität. Denn wie schon gesagt wurde: Jede Geschichte hat das ihr angemessene Setting. Wenn einem nun aber eine Geschichte nicht liegt, und diese Art Geschichte, die einem nicht liegt, sich nun mal besonders gut vor einem speziellen Setting erzählen lässt, sollte man nicht gleich das Setting für das Missfallen verantwortlich machen, und nicht automatisch annehmen, eine Geschichte wäre allgemein schlechter, weil man selbst keinen Zugang dazu hat. Denn gerade Geschichten mit mystisch/märchenhafter Komponente lassen sich oft vor mittelalterlich/archaischem Setting besser erzählen. Und man mag solche Geschichten mögen oder nicht - aber das ist in jedem Fall eine reine Geschmacksfrage; und diese Art Geschichte würde einem dann vor anderem Setting auch nicht besser gefallen. Die von mir genannten Beispiele sind jedenfalls alle so, dass man sie als "rückwärtsgewandt" bzw. das Setting als "mittelalterlich" bezeichnen könnte - dass sie aber trotzdem in zumindest einem entscheidenden Punkt doch anders sind. Manchmal sieht man es sofort, manchmal muss man genauer hinschauen. Hm, soweit ich sehen kann, kommen zudem zwar mitunter "Elfen" und "Zwerge" vor, aber niemals Orks. Wie an anderer Stelle gesagt: Es ist nicht leicht, etwas so Konkretes wie "Orks" zu bringen, aber trotzdem nicht plagiierend zu wirken :) Und dementsprechend gibt es neben den "Spitzenleistungen", den "preiswürdigen Büchern" (die natürlich die ersten sind, die mir hier einfallen) auch noch weitere Abstufungen: Bücher, die in mancherlei Hinsicht konventioneller sind, aber trotzdem keine reinen Nachzügler. Auch sie schaffen es, einzelne Facetten originell herauszuarbeiten und mehr zu bieten als reine Unterhaltung. Ein breites Mittelfeld gehobener Unterhaltungsliteratur in der Mittelalterfantasy, sozusagen, die im Prinzip auf dieselbe Weise "gut" sind wie die von mir genannten Beispiele, bei denen das "andere" aber oft unter etwas dickerer Firnis verborgen liegt und nicht so stilbildend für das Gesamtwerk ist. Dementsprechend würde ich sagen, dass dieses Subgenre auch nicht schlechter dasteht als andere, die sich ebenfalls nicht von Highlight zu Highlight hangeln, sondern neben einigen Spitzentiteln auch viele Eintagsfliegen vorzuweisen haben, und ein breites Mittelfeld mit dem vollen Spektrum dazwischen, das mal mehr, mal weniger Interessantes zu bieten hat. Was ein wenig den Blick verzerrt, ist nicht etwa eine grundsätzlich geringere Qualität oder fehlende Möglichkeiten des Subgenres "mittelalterliche Fantasy". Es ist schlichtweg der überwältigende Erfolg und ein daraus resultierender, statistischer Mechanismus: Man kann davon ausgehen, dass vorzugsweise schwächere Autoren die Anlehnung an ein größeres Vorbild suchen. Wenn man sich an ein Vorbild anlehnt, nimmt man vorzugsweise das erfolgreichste. Und das ist nun mal Tolkien. Wäre Mieville der kommerziell erfolgreichste Fantasy-Autor, dann hätte man denselben dicken Bodensatz an Plagiatoren in der politischen, urbanen Fantasy - und würde die Diskussion hier unter umgekehrten Vorzeichen führen. Es ist nämlich nicht das spezielle Subgenre mit seinen Eigenschaften, das Geschichten schlecht macht; sondern es ist die Gravitation des kommerziellen Erfolgs, die besonders viele schwächere Autoren in das spezielle Subgenre zieht.
Lomax 16.02.07, 14:23
No new posts Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
[quote:molosovsky]Also, lieber Fantasy-Adept, schreibe einfach eine unbeschönigte, reale Geschichte mit Tolkienorks (Irvine Welsh wäre dafür vielleicht ein guter Kandidat, grins). — Diese Platzhalter-Strategie ist übrigens ein guter Einblick in die fundamentale Euphemismus-Praxis/Gutenacht-Stilistik von Tolkien, die Anlaß für viel (berechtigte) Kritik ist.[/quote]Über letzteres könnte man einiges diskutieren, was dann aber wirklich meine Tippkapazitäten übersteigt. Aber die "ungeschönten" Orks finde ich jedenfalls interessanter, als die modernen "sozialpädagogischen Grauorks", wo die Orks aus Gründen der "political correctness" nicht mehr böse sein dürfen, sondern menschliche Motive für ihr Verhalten bekommen. Das macht Orks denn vollends sinnlos - und damit meine ich nicht die Motive, sondern die Vermenschlichung. Und damit finde ich diese Aussage eigentlich sehr sympathisch: [quote:molosovsky]Ich finde, daß z.B. Fantasy um so besser ist, desto weniger sich solche fiktiven Arten (Orks, Elfen, Wichtel, Trolle, Drachen) auf tatächliche Gruppen/Millieus zurückführen lassen[/quote] [quote:molosovsky]Man schreibe einen Krimi, bei dem sich am Ende der Leser als Mörder entpuppt. — Hat meines wissens noch keiner geschafft.[/quote]Lustigerweise war genau das der Ansatz einer SF-Geschichte, die ich mal geschrieben hatte. Allerdings natürlich auch nur durch einen Trick: Indem ich nämlich den Leser mit der "Du"-Form gekidnappt und in die Haut der Hauptfigur geschoben habe. Aber eigentlich sollte auch der Krimi mit dem Leser in seinem realen Leben als Mörder heutzutage kein Problem mehr sein - im Zeitalter personalisierter Bücher und BoD ;)
Lomax 15.02.07, 13:19
No new posts Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?
[quote:Theophagos]Ich sehe einen deutlichen Unterschied zwischen: "Ich lese keine Genre-Literatur, weil die schlecht ist," und "Ich lese keine Bücher, von denen ich annehmen muss, dass sie schlecht sind."[/quote]Das ist eine gute Gegenüberstellung, um das Problem zu illustrieren: Denn diese an sich unterschiedlichen Ansätze laufen dann zusammen, wenn man sagt: "Ich lese keine Bücher, von denen ich annehmen muss, dass sie schlecht sind - und das muss ich dann annehmen, wenn sie dem Genre XX zugehörig sind." Wo mein Problem liegt, kann ich am besten an einem Beispiel aus meinem Studium deutlich machen: Dort hat ein Professor ein Hauptseminar eingeleitet mit den Worten: "Trivialität macht sich nicht am Genre oder an Inhalten fest. Es gibt strikt formale Merkmale der Trivialität ..." Und die hat er den Rest der Sitzung über erklärt. Sie waren wissenschaftlich, algorithmisch nachvollziehbar, prinzipiell wertfrei - und haben mich so überzeugt, dass ich sie auch heute noch als Maßstab akzeptiere. Und danach ging es darum, welche Bücher wir den Rest des Hauptseminars über bearbeiten. Dabei kam ein Vorschlag von einem Teilnehmer, auf den hin der Professor mit deutlichem Naserümpfen meinte: "Aber das ist doch Fantasy - das ist trivial!" Nun, ich weiß nicht mehr, welches Buch es war, und ob es wirklich Fantasy war oder nicht doch SF. Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass der Professor von diesem Buch nicht mehr wusste als das Genre. Und dass er es daraufhin als minderwertig einstufte - obwohl er selbst vorher in seinem Seminar erklärt hatte, dass Trivialität zunächst mal nicht werthaft ist und dann auch nichts mit dem Genre zu tun hat. Und damit möchte ich den Bogen zu deiner Gegenüberstellung schlagen: Ich würde dann einen unterschied zwischen "Ich lese keine Bücher, von denen ich annehmen muss, dass sie schlecht sind" und "Ich lese keine Genre-Literatur, weil die schlecht ist" sehen, wenn man in ersterem Falle - wie es besagter Professor selbst vorher in der Theorie vorgestellt hat - individuelle Qualitätsmerkmale der Bücher prüft und nicht nur auf Äußerlichkeiten achtet, aus denen man allenfalls Inhalte und Zugehörigkeit zum (Sub)genre entnehmen kann - wie es besagter Professor später in der Praxis getan hat. Denn gerade dieser Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist es, der dazu führt, dass die fantastischen Genres in ihrem literarischen Wert kaum wahrgenommen werden: Weil nämlich selbst Literaturwissenschaftler sich oft genug weigern, sie methodisch korrekt zu betrachten, sondern sie ungesehen in eine Schublade stecken. Da, denke ich, kann man es sich gerade als Phantastik-Fan nicht erlauben, auf der einen Seite zu klagen und auf der anderen genau dasselbe zu tun. [quote:Theophagos]Es geht ja nicht darum, dass ich Fantasy-Literatur aussortiere; ich habe ähnliche Kriterien um 'Hochliteratur' und Krimis auszusortieren. Es geht ja nicht um ein Aussortieren ohne Informationen über das Werk gesammelt zu haben. Und umgekehrt sehe ich nicht ein, warum ich ein Buch bevorzugen soll, von dem ich glaube, dass es mir nicht gefallen wird, gegenüber einem Buch, von dem ich annehme, dass es mir gefallen wird, nur weil dass eine Fantasy ist und das andere nicht.[/quote]Es geht mir ja auch nicht darum, dass jetzt jeder zwanghaft jedes Buch erst mal liest, um zu sehen, ob es nicht doch was taugt. Ich lese auch keine Western, keine Liebesgeschichten ... es sei denn, ich bekomme zufällig nähere Informationen über ein Einzelwerk aus dem Genre, die nahe legen, dass es mir vielleicht doch gefallen könnte, obwohl ich mit den Inhalten ansonsten nichts anfangen kann. Mir geht es eher darum, dass man nicht die einfache Abkürzung gehen sollte und sagen: Ich lese dieses Buch nicht, weil es schlecht ist - obwohl man über das Buch nichts weiter weiß als den groben Inhalt, mit dem aus rein geschmacklichen Gründen nichts anfangen kann. Daran ändert dann auch die Tatsache nichts, dass dieser Geschmack womöglich dadurch geprägt wurde, weil man zu viele schlechte Vertreter mit ähnlichem Inhalt/Setting/Subgenre gelesen hat. Denn wenn Seblon beispielsweise die Theorie aufstellt, dass "Autoren die völlig neue Welten schaffen, sich zumeist auch sehr viel mehr Gedanken um soziale Gefüge und gesellschaftliche Zusammenhänge in der geschaffenen Welt machen", so mag das zutreffend sein oder nicht - es ist zumindest eine gültige These, gegen die ich ohne exakte quantitative Erhebung erst mal nichts einwenden kann. Sie enthält allerdings zwei Arten von Aussagen, die man nicht verwechseln darf. Zunächst mal drückt sie eine Korrelation aus, also: "Das Vorkommen von neuen Welten und Gedanken um Zusammenhänge korreliert." Implizit kommt auch eine Abhängigkeit zum Ausdruck: "Gedanken um Zusammenhänge sind ein Wert." Wenn man aus der von Seblon genannten These den Schluss zieht: "Bücher, die keine neue Welt enthalten, enthalten mit größerer Wahrscheinlichkeit keine Gedanken um Zusammenhänge, also meide ich sie (erst) mal", dann ist das eine korrekte Operation. Wenn ich hingegen den Schluss ziehe: "Bücher, die keine neue Welt enthalten, sind schlechter", dann ist das eine unzulässige Operation, weil ich einen Zusammenhang konstatiere, wo nur eine Korrelation existiert. Ein wissenschaftlicher Kardinalsfehler und Quell der meisten Fehleinschätzungen gerade in den Naturwissenschaften. Die einfache und in der Regel nur durch persönliches Erleben "erfühlte" Korrelation mag ausreichen, um seinen persönlichen Lesegeschmack durch den Buchmarkt zu navigieren, aber für allgemeine Werturteile erwarte ich doch eine etwas präzsiere Differenzierung.
Lomax 15.02.07, 13:07
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[quote:Theophagos]Zunächst zur Unendlichkeit[/quote]Nun ja, ich bekenne mich schuldig, dass ich mich überhaupt auf die theoretische Diskussion eingelassen hatte. Hätte ich nicht tun dürfen, nachdem ich allein deinen Bezug zur "mathematischen Unendlichkeit" schon für ablenkend vom eigentlichen Thema gehalten habe :( Also präzisiere ich meine ursprüngliche Aussage strikt aufs Thema bezogen: Normalerweise kommt der Einwand, dass es "ja nur eine endliche Anzahl von Themen/Motiven/etc. gäbe", stets verknüpft mit der Folgerung, dass dann "ja ohnehin alles schon mal dagewesen ist". Mein Gegenargument mit der unendlichen Anzahl an Verknüpfungen sollte eigentlich nur aussagen, dass man eben doch noch was neues bringen kann. Dafür reicht, angesichts der Zahl möglicher "Bausteine" für einen Roman, eine exponentielle Steigerung schon aus. Damit ist dann die Zahl [i]sinnvoller[/i] Verknüpfungen - im Gegensatz zur Zahl der Verknüpfungen insgesamt - zwar nicht theoretisch unendlich, aber für den praktischen Gebrauch in hinreichendem Maße, dass sich die Suche nach dem Neuen noch lohnt. Wie dann und wann ja mal ein Werk beweist. [quote:Theophagos]Mehr oder minder: Ich glaube, dass ein Setting nur eine begrenzte Anzahl von originellen Geschichten hergibt.[/quote]Dem wiederum würde ich nur dann zustimmen, wenn man das Setting ganz eng und konkret definiert. "Fantasy vor mittelalterlich anmutendem Umfeld" hingegen ist eine so weit gefasste Beschreibung für ein Setting, dass man sie kaum so weit füllen kann, dass sämtliche Variationsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Dass viele Autoren die noch freien Variationsmöglichkeiten nicht nutzen, ist eine andere Frage und nicht die Schuld des Settings. [quote:Theophagos]Wenn eine unoriginelle Geschichte zu erwarten ist, warum sollte ich sie dann nicht links liegen lassen und nach etwas Originellerem Ausschau halten?[/quote]Wie gesagt, zur persönlichen Lektüreauswahl - okay. Das Problem, was ich damit habe, ist nur, dass man sich damit denselben Mechanismus zueigen macht, mit dem wiederum die deutsche Hochliteratur SF und Fantasy grundsätzlich ausklammert. Und damit eigentlich genau das tut, was dazu führt, dass der deutsche Markt für literarische Fantasy de facto nicht existiert. Und ich finde es ein wenig widersinnig, wenn man sich einerseits über die viele schlechte Fantasy beschwert, andererseits aber unreflektiert die Algorithmen durchlebt, die für diesen Zustand mitverantwortlich sind. [quote:Theophagos]..., weil ein Klon kein spielen mit Kontext ist. Darauf wollte ich hinaus: Man kann selbst mit den die Fantasy dominierenden Elfen noch spannende Dinge anstellen - nur nicht mit einem Legolas-Klon. Viele Autoren schreiben eigentlich Fanfiction (in dieser Hinsicht). Sie finden die Legolas-Elfen irrsinnig cool und verwenden sie weiter.[/quote]Das ist wohl wahr. Wobei dann wieder eine andere Frage ist, wie viel Fanfic der Autoren ist, und wieviel Fanfic für die Fans - geschrieben halt, weil es Fans gibt, die etwas in der Art lesen wollen. Und selbst wenn man für Fans schreibt, gibt es Möglichkeiten, die Anlehnung auf originelle Weise zu suchen und nicht nur über Klone. Aber damit stößt man einen Teufelskreis an: Solange alle, die überhaupt auf Originalität achten, das erfolgreichste Fantasy-Subgenre pauschal meiden, wird die Originalität aus diesem Subgenre förmlich herausgezüchtet. Durch die fehlende Originalität in diesem Genre werden die Leser dort auch immer weniger "herangebildet" und nicht mit orginellerer Fantasy vertraut gemacht. Und damit wird dann quasi die Nachwuchsförderung für anspruchsvolle Fantasy an der breitesten potenziellen Leserbasis vernachlässigt - letztlich zu Lasten derer, die gerne was anderes lesen würden, es aber nur in dem Maße bekommen, wie es für die Verlage einen interessanten Markt darstellt.
Lomax 13.02.07, 11:34
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[quote:Alechadro]Dramaturgie, Tiefe, Spannung, Sprache, ...[/quote]... Figuren werden auch von vielen Lesern als wichtig genannt, und vermutlich gibt es noch andere Kriterien, die mir spontan nicht einfallen. Bei dieser Vielfalt wundert mich schon, warum so viele Leute gerade das Setting allein quasi als "Qualitätsetikett" auf eine Geschichte aufdrücken wollen. Und das nicht nur in der Fantasy-Frage. Ich habe das Gefühl, es liegt daran, dass man das Setting als einziges einordnen kann, ohne die Geschichte wirklich gelesen zu haben - meist schon "nach Klappentext". Insofern greift natürlich jeder gerne danach, der eine schnelle Orientierungshilfe zu den für ihn "richtigen" Büchern sucht.
Lomax 13.02.07, 09:56
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[quote:Theophagos]Das Setting muss jederzeit den Anforderungen der Geschichte nachgeben.[/quote]Damit stimme ich überein. Nicht aber mit der Schlussfolgerung, dass dann jedes Setting optimalerweise nur einmal vorkommt. Jede neue Geschichte hat ein optimales Setting - aber nicht jede braucht ihr eigenes. Wie schon häufiger als Beispiel genannt: Die meisten Romane außerhalb der Phantastik spielen in einer "zeitgenössischen Realität". Viele Geschichten sind dort auch am besten aufgehoben - und man kann auch beliebig viele Geschichten davor platzieren. Und dasselbe gilt auch für das "Fantasy-Mittelaltersetting". Manche Geschichte funktioniert nur vor einem Setting, andere vor mehreren - aber kein Setting funktioniert besser für Geschichten im Allgemeinen. Insofern würde ich dein Argument eher als Einwand [i]dagegen[/i] ansehen, das Setting von vornherein und unabhängig von der konkreten Geschichte zu bewerten. [quote:Theophagos]Nehmen wir mal die Elfen als Beispiel ... Wenn diese Figur auftritt, muss der Autor richtig schnell was spannendes Unternehmen, da meine Banalitätsgrenze sehr niedrig ist.[/quote]Du vertrittst also die These, dass ein Element eines Settings umso schlechter in einer eigenständigen Geschichte unterzubringen ist, je häufiger es schon verwendet wurde. Dem möchte ich entschieden widersprechen - eher ist das Gegenteil der Fall: Die bisherige Verwendung eines Elementes schafft einen referentiellen Kontext, den der Autor für sich nutzen kann. Als praktisches Beispiel: Ich würde in eigenen Romanen zwar Elfen verwenden, aber keine Orks. Und zwar gerade [i]weil[/i] Elfen eine lange literarische Tradition haben und schon über die Sagen und Mythen vordefiniert in die moderne Fantasy eingegangen sind; und weil sie dann auch in der modernen Fantasy auf unterschiedliche Weise interpretiert wurden. Wenn ich also einen "Elfen" auftauchen lasse, habe ich zum einen die Möglichkeit, mit diesen Referenzierungen zu spielen und so Sinnhaftigkeit zu erzeugen - denn gerade die Eingebundenheit in einen literaturhistorischen Kontext ist Grundlage literarischer Qualität. Und zum anderen geben mir die zahlreichen vorhandenen Interpretationen die Möglichkeit, auch mit einer eigenen Interpretation, einer "Nuance" des Elfen wahrgenommen zu werden, weil es kein so dominantes Vorbild gibt, das alles überlagert. Orks hingegen sind allzu fest mit Tolkien assoziiert. Verwendet wurden sie ansonsten nur von Epigonen, die sich ebenfalls offen an Tolkien anlehnen und selbst wiederum auf Tolkien referieren. Ich habe für diese Figur also keinen weiten Bedeutungshorizont, mit dem ich spielen kann; und ich kann sie auch kaum neu definieren, ohne dass jeder Leser sofort doch wieder den Tolkien-Ork vor Augen hat - außer in der deutlichen Form einer Parodie. Bevor der Ork als allgemeines literarisches Element in den Werkzeugkasten wandern kann, muss erst noch einiges über ihn geschrieben werden: Und zwar neben reinen Epigonenwerken auch noch genug gebrochene Darstellung, um das Vorbild zu demontieren, und Werke von eigenständiger literarischer Relevanz, die diese Figur mit zusätzlichen Definitionen versehen. Die Frage ist allerdings: Braucht man den Ork? Vermutlich nicht. Aber der Elf ist nun mal mit diesem Kontext da, und gerade weil er einen breiteren Kontext hat und schon öfter verwendet wurde, ist er unproblematischer. Dass es heute viele einseitig gebildete Fans gibt, die bei Elf doch direkt wieder an Tolkien denken, ist eher ein soziales denn ein literarisches Problem ... [quote:Theophagos]Entschuldigung, aber das ist formal-logischer Unsinn; wenn es nur eine begrenzte Anzahl von Basiselementen gibt, dann gibt es auch nur eine begrenzte Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten. Die nehmen zwar exponentiell zu, bleiben aber begrenzt - wenn du mir sagst, wie viele Basiselemente es gibt, kann ich dir die Anzahl der Kombinationsmöglichkeiten sagen.[/quote]Entschuldigung, diese Antwort hast du nicht richtig durchgerechnet. Aber zunächst mal: Ich habe mich bei meiner Einschätzung an den Maßstäben der Informatik orientiert. Und da habe ich gelernt, dass mit "nicht lösbar" "nicht in polynominalzeit lösbar" bedeutet. Und das reicht mir eigentlich auch als praxisrelevante Definition für "Unendlichkeit". Insofern würde ich also eher deinen Einwand als "formal-logischer Unsinn" bezeichnen - und das ist jetzt nicht böse gemeint, sondern einfach nur sachlich und im Wortsinne: als mathematische Theorienhuberei ohne Praxisrelevanz. Aber auch rein "formal-logisch", also mathematisch, ist der Einwand fehlerhaft. Deutsch hat einschließlich Umlauten 29 Buchstaben. Wie viele mögliche Geschichten kann ich damit bilden? Die Antwort darauf lautet, nicht nur praktisch (also nach der Informatiker-Definition), sondern auch mathematisch unendlich viele - weil nämlich weder die Wortlänge noch die Satzlänge (als Segmentierungsgrenzen) noch die Textlänge theoretisch begrenzt sind. Und aus eben diesem Grund sind auch die Kominationmöglichkeiten sämtlicher Elemente sprachlicher Gestaltung theoretisch ebenso unendlich wie praktisch. Aber das nur als mein Beitrag zur formal-logischen Komponente der Frage ;)
Lomax 13.02.07, 09:44
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[quote:Seblon]Vermutlich bin ich da sehr eigen, aber ich brauche Abwechselung, ansonsten langweile ich mich erschreckend schnell.[/quote]Vermutlich nicht, auch wenn es anscheinend genug Leser gibt, die auf Abwechslung gar keinen Wert legen ;) [quote:Seblon]Deshalb kann ich Romane ... im bekannten (Fantasy-)Mittelalter-Setting ... einfach nicht mehr ertragen.[/quote]Nun ja, und das ist dann natürlich eine Geschmacksfrage, gegen die man nicht mehr viel einwenden kann. Viele Leute lesen gerne Romane in einem Setting, das eine literarische Aufarbeitung unserer Realität ist. Das wiederum ist ein Setting, mit dem ich wenig anfangen kann. Das liegt aber nicht daran, dass Bücher dieser Art generell zweitklassig wären - es ist einfach nicht mein Ding. Und ich schere sie auch nicht über einen Kamm, sondern wenn mir ein Buch in der "Realität" unterkommt, das mir doch inhaltlich etwas zu bieten hat, lese ich es trotzdem mit Interesse und nehme das Setting halt in Kauf. [quote:Seblon]die gleichen ausgelatschten Fantasy-Archetypen um die Ohren gehauen werden[/quote]Da möchte ich doch einwenden, dass das bei den besseren Vertretern des Subgenres auch nicht passieren sollte. [quote:Seblon]Ich bin ein großer Cate Blanchet-Fan, doch wenn kaum noch Filme produziert würden, in denen Cate Blanchet nicht mit spielt, wäre ich doch recht schnell auch davon angenervt, da könnte die Story noch so gut sein.[/quote]Ich denke, dass ist sicher ein Punkt, an dem wir uns grundsätzlich unterscheiden: Ich bin Autist genug, dass es schon sehr lange dauern würde, bis ich die Schauspielerin überhaupt wiedererkennen würde. Und wenn ich sie erkenne, hätte ich trotzdem keine Probleme, sie in jedem Film als neue Figur wahrzunehmen und die "Vertrautheit" und "Vorprägungen" von der neuen Darstellung überlagern zu lassen. Dafür habe ich viel mehr Probleme damit, wenn eine Figur während des Films die Frisur ändert und ich sie nicht wiedererkenne ... Früher habe ich diese meine spezielle Disposition als störend empfunden, aber je älter ich werde, umso mehr lerne ich die Vorteile schätzen ;) [quote:Seblon]Grundsätzlich gibt es ja die Theorie, dass es nur eine bestimmte Anzahl von Konflikten und Handlungslinien gibt, die eigentlich immer nur variiert werden.[/quote]Ich bin kein Freund dieser Theorie. Natürlich ist etwas Wahres dran - aber gerade die Kombination der begrenzten verfügbaren Elemente [i]ist[/i] das Neue an einer Geschichte, und diese Kombinationsmöglichkeiten sind potenziell unendlich. Und die Theorie vom "es gibt nichts Neues mehr" wird leider immer wieder von denjenigen als Entschuldigung vorgebracht, die einfach zu faul sind und eine Entschuldigung nicht für den begrenzten Fundus an Elementen suchen, sondern für ihre altbackene Kombination derselben. Aber gerade weil die Elemente begrenzt, aber die Kombinationsmöglichkeiten unendlich sind, achte ich bei Geschichten auch mehr auf diese Kombinationen - also auf Inhalte und Bezüge, statt auf die äußerlich sichtbaren Bausteine, die in das Netz eingefügt wurden. [quote:Seblon]Autoren, die eigentlich nicht mehr wollen, als bloß zu unterhalten[/quote]Und ich denke, da liegt gerade der Kern des Problems: Nicht an den Settings, sondern dass derzeit in dieser Art von Setting einfach zu viele Autoren unterwegs sind, die nicht genug daraus machen. Oder zumindest nicht das, was du gerne sehen würdest ... oder was beispielsweise Mieville in seinen Werken unterbringt. Also, vielleicht spielt da wirklich der Geschmack rein und dir gefällt dieses Setting einfach (grundsätzlich) nicht (mehr). Aber wenn ich deine Einwände lese, habe ich immer das Gefühl, dass das, was dich konkret stört, eigentlich nicht wirklich dem Setting zwangsweise inhärente Elemente sind, sondern vielmehr die konkreten Ausformungen des Settings in den derzeit populären Romanen. Und nach ein paar schlechten Erfahrungen in einem Subgenre ist es mitunter nicht nur einfacher, sondern auch oft ökonomischer, einfach das komplette Subgenre links liegen zu lassen anstatt weiterhin jedes Werk aus dem Bereich individuell zu prüfen. Fürs private Lesevergnügen kann ich die Einstellung verstehen. Aber gerade wenn man selbst Einfluss nehmen und "bessere" Literatur fördern will, halte ich den Ansatz für kontraproduktiv. Denn die Leser, die "Fantasy in der Art vom Herrn der Ringe" lesen wollen, erreicht man nicht, indem man ihnen sagt: "Lasst doch den Mittelalter-Scheiß. Lest lieber was ganz anderes." Man erreicht sie, indem man ihnen Fantasy im gewünschten Setting präsentiert - aber dabei gezielt versucht, eigenständige und bessere Vertreter des Subgenres auszusuchen und hervorzuheben. Wenn also jemand "Fantasy in der Art vom Herrn der Ringe" sucht, würde ich ihm eher "Die sieben Zitadellen" als "Shannara" empfehlen. Auch "Gormenghast" müsste man streng genommen ja dem "feudal angehauchten Mittelalter-Setting" zuordnen, und doch wäre ein Leser, der sich im Laufe seiner Leseentwicklung dorthinbewegt, schon verdammt nah bei Mieville. Und die Möglichkeit, solche "Lesewege" zu konstruieren, die die eigene Vorstellung und die Vorlieben anderer Leser sinnvoll verknüpfen, nimmt man sich halt, wenn man aufhört, innerhalb eines Settings die Geschichten zu differenzieren, sondern alles nach äußerem Etikett in dieselbe Schublade wirft.
Lomax 12.02.07, 12:56
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[quote:Seblon]Dort habe ich auch meinen Unmut darüber geäußert, dass in 95% aller erscheinenden CRPG's Elfen, Zwerge, Orks, Drachen etc. im Mittelaltersetting auftauchen und ich mich frage, wann auch der letzte CRPG-Fan mal etwas neues und originelles sehen möchte.[/quote]Zum einen muss ich mich als Historiker immer ärgern, wenn bei Fantasy von einem "Mittelaltersetting" gesprochen wird, weil für mich das Mittelalter doch etwas sehr Spezifisches ist und nicht jedes archaische Setting gleich mittelalterlich. Und die Settings, die mittelalterlich sind, orientieren sich eher an den Mittelalterbildern der Romantik als am Mittelalter an sich. Ein richtiges mittelalterliches Setting hat also durchaus noch Innovationskraft ;) Zum anderen erinnere ich mich gerne an meine Fantasy-Blütezeit in den 80ern. Gegen Ende kamen die Verlage offenbar auch zu dem Schluss, dass die üblichen Settings zu abgegriffen waren, und man fand (tatsächlich) immer seltener HdR-Klone und immer öfter Bücher, die "alles neu" machen wollten. Leider erschöpfte sich dieses "neue" zumeist auf immer exotischere Welten, zu denen man keinen Zugang fand, und immer ausgefallenere und größere Monster. Daraufhin war die Fantasy 10 Jahre lang für den deutschen Buchmarkt tot, und meines Empfindes nach war es ein verdienter Tod. Meine Lehre daraus ist: Lieber gut kopiert als schlecht selbst gemacht. Wenn ein Autor kein mitreißendes Setting konzipieren kann, soll er es lieber bleiben lassen und sich auf altbewährtes stützen. Denn man sollte nicht vergessen, dass das Setting nicht alles ist: Eine gute Geschichte kann davon unabhängig erzählt werden, und wenn die Geschichte gut ist, dann wirkt sie vor einem altbekannten Setting immer noch besser als vor einem missglücktem. Innovation ist ja schön und gut, aber nicht, wenn man krampfhaft und aus Selbstzweck danach suchen muss. Auch klassische Settings haben durchaus noch ihre Berechtigung. Sie sind dem Leser vertraut, und er findet rasch hinein - und das bedeutet auch, wenn ein Autor noch wirklich etwas neues zu erzählen hat, kann er bei einem so altvertrautem Setting den Blick der Leser rascher aufs Wesentliche lenken. Und wer das "Mittelaltersetting" nimmt und in entscheidenden Punkten davon abweicht, findet für diese Dinge, die anders sind, auch mehr Aufmerksamkeit als ein Autor, der alles ohne Sinn und Verstand neu machen will und bei dem dann die wichtigen Innovationen in dem Wust untergehen. Ich würde also nicht sagen, dass das "klassische" Setting vermieden werden muss. Viele Geschichten können damit sogar besser erzählt werden. Und gerade dann, wenn der Autor außer Action und farbenfrohen Fantasien noch mehr zu bieten hat, beispielsweise auch kritische und gesellschaftliche Aussagen, dann kann er die in vertrautem Rahmen oft besser herausarbeiten, als wenn er sie mit "Farbe" zuklatscht. Das Problem sind also weniger "Mittelaltersettings" oder gebräuchliche Versatzstücke wie "Elfen, Orks und Zwerge". Immerhin kommen in den meisten Romanen auch Menschen vor, ohne dass das abgegriffen wirkt ;) Das Problem ist, wenn diese Romane keine starke Geschichte mehr zu erzählen haben, wenn außer den üblichen Klischees in den Büchern nichts passiert, wenn "Elfen, Orks und Zwerge" ziellos durch die Bücher stapfen und keinen dramturgischen Nutzen mehr haben. Ich denke also, die Fantasy sollte sich eher auf das Stück konzentrieren und nicht so sehr auf die Kulisse. Und natürlich auf die Sprache ... aber das ist natürlich ein ganz anderes Thema, weil mein Missfallen da nicht fantasyspezifisch ist, sondern ein Grunsätzliches.
Lomax 08.02.07, 11:06
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[quote:molosovsky]Sprich: wer sich halbwegs mit Genre-Zeug auskennt, orientiert sich nach USA oder England und liest Originalausgaben.[/quote]Das Lesen von Originalausgabe spielt insgesamt sicher eine kleine Rolle. Allerdings ist es schon wahrscheinlich, dass in der Gruppe der "anspruchvollen Leser" auch überproportional häufig Leute zu finden sind, die auch zum Original greifen (können). Und da die Zielgruppe insgesamt deutlich kleiner ist, schlägt dieser Schwund dann auch etwas stärker zu Buche. Insgesamt aber trotzdem eher eine Erscheinung, die an den Rändern des deutschen Marktes knabbert und nicht für das Kernproblem verantwortlich ist. [quote:molosovsky]kleinerer Markt usw[/quote]Früher dachte ich auch, dass die höheren Auflagen englischer Bücher in erster Linie darauf zurückzuführen sind, dass es nun mal deutlich mehr englischsprachige Leser gibt als deutsche. Leider musste ich mich dann schon während meiner ersten Unterhaltungen bei Lübbe belehren lassen, dass in England allein Fantasy, zumal anspruchsvolle, schon die 10-fachen Auflagen erzielt wie hier in Deutschland. Und England ist insgesamt auch kein größerer Markt als Deutschland. Es ist also nicht nur ein Masseproblem, sondern schon Ausdruck einer ganz anderen Marktstruktur hier in Deutschland. [quote:molosovsky]Ich baue darauf, dass die jungen Leser von heute sich geschmacklich noch entwickeln[/quote]Es lässt sich tatsächlich bestätigen, dass die Leser der "Stangenware" im Durchschnitt eher jüngeren Datums sind, und dass mit steigendem Alter auch die Zahl anspruchsvollerer Leser steigt. Leider sinkt der Lesekonsum insgesamt in den höheren Altersgruppen, so dass man davon ausgehen kann, dass nur ein kleiner Teil der jetzigen "Jugend" später auch anderes kauft. Aber insgesamt hoffe ich trotzdem auf einen langfristigen Strukturwandel in Deutschland. Für irgendwas muss die Harry-Potter-Manie ja gut sein ;)
Lomax 07.02.07, 18:29
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[quote:Seblon]Ich frage mich tatsächlich, ob sich die SF durch ihr längeres Bestehen als literarisches Genre[/quote]"Literarisches" Schreiben macht sich in erster Linie an der Sprache fest, nicht an "anspruchsvollen" Inhalten. Und dabei fällt mir auf, dass ich die heute weithin populäre Forderung nach "Inhalt vor Form" vor allem in der SF kennen gelernt habe. Selbst viele der "inhaltlich anspruchsvollen" SF-Autoren sind sprachlich eher anspruchslos - mit ein Grund, warum die SF aus Sicht der Literaturwissenschaftler immer wenig Beachtung gefunden hat. Diesem Diktum hat sich die Fantasy sehr viel weniger unterworfen, und da ist es meist so, dass, sobald man die anspruchsvolleren Werke betrachtet, die Sprache zumindest ebenso gepflegt wird wie der Inhalt. Insofern würde ich durchaus sagen, dass die Fantasy eher das "literarischere" Genre ist - und weitaus weniger unter dem Problem zu leiden hat, das Andreas Eschbach mal sinngemäß auf einer Buchmesse für die SF genannt hat: Wenn etwas gut ist und eindeutig Literatur, sagen die Literaten gleich, dass es keine SF mehr sein kann. [quote:Seblon]Während die Sehnsucht nach Wundern, Göttern, Magie und Traditionen der Fantasy immanent erscheint, ist gerade die Veränderung bzw. die Evolution (technisch und gesellschaftlich) die Essenz der SF.[/quote]Auch mit solchen Urteilen muss man vorsichtig sein. Viele Fantasy-Werke haben durchaus sehr vielschichtige Inhalte und aktuell relevante "Botschaften". Aber während diese in der SF gerne an der Oberfläche erzählt werden, also die "Vision" zugleich auch die Geschichte ist, arbeitet man in der Fantasy sehr viel mehr mit dem Subtext. Die erzählte Geschichte, die Handlung, ist also nur der Hintergrund, vor dem der Autor dann seine unterschwelligen Botschaften platziert. In dieser Hinsicht ist die Fantasy also auch die "intellektuellere" Literaturform ;) Das Problem ist dabei nur, dass je nach Zielgruppe vermutlich 90% der Leser diese Inhalte gar nicht wahrnehmen, und 99% nicht bewusst. Aber gerade diesen Prozentsatz, der die Botschaften unbewusst als emotionalisierte Aussage aufnimmt, erreicht man dafür sehr viel besser, als die SF es mit ihren meist leicht durchschaubaren Botschaften kann. Ich persönlich würde daher als Autor immer lieber mit dem Subtext arbeiten, als im Buch deutlich zu machen, dass ich eine Botschaft habe - was ja oft genug auch als "moralischer Zeigefinger" erst zum Widerspruch einlädt. Und ich vergesse auch nicht, dass es ein Fantasy-Werk war, aufgrund dessen ich zum ersten und einzigen Mal eine "politische" Einstellung um 180 Grad geändert habe. Diese Wirkung hat noch kein SF-Roman bei mir erzielt, obwohl ich in der SF bei der Lektüre schon oft das Gefühl hatte, dass der Autor genau das bei mir gerne erreicht hätte :D Die Fantasy platziert also ihre relevanten Botschaften unterschwelliger als die SF, und im Gegensatz zur SF betreffen diese Botschaften zumeist keine komplexen, gesellschaftlichen Szenarien, sondern Fragen der allgemeinen menschlichen Lebensführung - also eher die Ethik als die Politik. Und auch das hat seinen Grund, denn die Fantasy hat durchaus keine so kurze Geschichte, sondern literaturhistorische Vorbilder, von denen sie vieles übernommen hat. Tolkien beispielsweise hat den Herrn der Ringe als "Mythos für England" konzipiert und sich ganz bewusst an den Bauformen von Sagen und frühen epischen Schriften orientiert. Im Vergleich mit diesen Vorbildern ist die Fantasy natürlich "künstlich", weil sie die vordergründige Handlung einem anderen Zeitalter entnimmt. Aber ähnlich wie bei Mythen und Legenden dient auch in der Fantasy dieses vordergründige Setting nur als "vereinfachtes Modell", in dem sich ein Wertekanon tradieren und vermitteln lässt. Und diese Werte sind durchaus oft genug deutlich moderner als das Setting der Geschichte, die im Vordergrund erzählt wird. Das merkt man recht schnell, wenn man moderne Fantasy und ihre Botschaften mit tatsächlichen mittelalterlichen Sagen vergleicht. Nun gibt es in der Fantasy natürlich jede Menge Werke, die gar nichts enthalten: Weder eine ausgefeilte Sprache, noch einen Subtext. Charakterlose Kopien der Oberflächenmerkmale des Genres ... Nun gut, aber die gibt es in der SF auch. Ich glaube nicht, dass sich beide Genres in dieser Hinsicht viel geben. Aber im Gegensatz zur SF sind gerade die besseren Werke der Fantasy selten welche, die den Leser an der Hand nehmen und ihm genau zeigen, was er sehen soll. Ich persönlich finde das eigentlich besser so - und umso bedauerlicher, dass gerade der deutsche Markt sich zumeist auf die Oberflächenkopien beschränkt und man für "richtige" Fantasy tatsächlich meist auf englische Autoren angewiesen ist. Dabei vertrete ich persönlich die Ansicht, dass man auch für den reinen "U-Bereich" der Fantasy nicht auf diese Vielschichtigkeit verzichten muss, gerade [i]weil[/i] die Fantasy unterschwellig arbeitet und niemand einen Autor daran hindert, mehr reinzupacken, als der Leser eigentlich haben will, und das dann so zu verpacken, dass es auch beim oberflächlichen Lesen zumindest nicht stört.
Lomax 07.02.07, 18:20
No new posts Re: In guter Hoffnung: Neuerscheinungen '07
[quote:molosovsky]• Miéville: Un Lun Dun (Februar); oder der wohl übersetzt wird, und wenn ja, mit oder ohen Illus?[/quote]Ja, wird er ... derzeit ;) Zumindest steht er ab Mai irgendwann in meiner Arbeitsplanung. Aber zu den Illus kann ich noch nichts sagen, nur dass es mit den Rechten für Bilder immer etwas heikel ist und ich bis zum Beweis des Gegenteils erst mal nicht damit rechne. [quote:molosovsky]> • Miéville: Andere Himmel (August) Kommt freilich ins Haus.[/quote]Hm, das ist jetzt schon so lange her, dass ich selbst immer wieder vergesse, dass es auf Deutsch noch nicht erschienen ist :( Schade eigentlich, denn die Anthologie hatte viele schöne Geschichten. Oder vielleicht sollte man eher sagen, interessante Geschichten ;) [quote:molosovsky]Ich wüßte noch um einen dt. Autoren, dessen dritten Roman kein Verlag die Eier hat, das Buch zu machen.[/quote]Und der wäre? Müsste ich da jetzt wissen, wer gemeint ist?
Lomax 05.02.07, 14:15
No new posts Re: D&D meets Bas-Lag
Muahahaha - der Dragon ist mein! Leider hatte ich noch nicht die Zeit, viel zu lesen, aber die Aufmachung gefällt mir schon mal ganz gut. Und allein für die Karten lohnt es sich - sogar eine etwas farbenfrohere Variante der NC-Karte ist dabei. Leider sieht die Umgebung von NC geographisch nicht so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich frage mich, wer als erster überprüft, ob dann alle Bewegungen in den Büchern auch mit den Karten in Einklang stehen :D
Lomax 03.02.07, 00:33
No new posts Re: D&D meets Bas-Lag
[quote:Theophagos]Korrigire mich, wenn ich falsch liege.[/quote]Jaein ... Im Prinzip hast du das richtig analysiert, aber mir geht es um den Einfluss der Details, die sich nicht so leicht aus der Welt schaffen lassen. Im Grunde diskutieren wir jetzt also über Nuancen, für die sich außer Geeks und Prinzipienreiter niemand mehr interessiert :D [quote:Theophagos]Bei D&D drückt sich das in einer 5% Chance aus[/quote]Eine solche Mindestchance hat Einfluss und ist nützlich, zugleich aber fällt sie aus der "Regelmäßigkeit" heraus und hat nicht den Einfluss auf das Verhalten der Spieler, den ein tatsächlich abgestuftes Regelsystem hätte, das von vornherein und ohne Mindestchance eine "Unverletzlichkeit" nicht zulässt. Beispiel: Wenn ich als "Überkämpfer" gegen 20 Deppen antrete, von denen keiner eine realistische Chance hat, mich zu treffen, aber jeder dieselbe Mindestchance, dann überlege ich mir vielleicht noch, ob ich mich auf einen Kampf einlasse - aber viele Nuancen, wie ich den Kampf gestalten würde, um realistischerweise meine Chancen zu vergrößern, nutze ich nicht mehr, weil sie ohnehin keinen Einfluss mehr haben. Und das wiederum macht den "Punk mit dem Messer" zu einem bloßen NPC, mit dem nur eine beschränkte Interaktion stattfindet - weil an diesem Charakter für mich als Spieler nur noch die verbliebene "Mindestchance" interessant ist, an der ich eh nichts ändern kann. Wenn ich als hochstufiger Charakter eine Mindestchance habe, zu der sich eine Verletzung entzünden kann, muss ich sie ja auch nicht mehr behandeln, sobald meine körperlichen Werte erst mal die Wahrscheinlichkeit auf die Mindestchance reduziert werden. Und so wird der Charakter zur Kampfmaschine erzogen, für die eigene Befindlichkeiten keine Rolle mehr spielen und außer den Werten nur noch das Würfelglück zählt; während bei einem System ohne Mindestchancen, aber mit nur schwach stufenabhängigen Auswertungssystemen auch hochstufige Charaktere zu einem differenziertem Verhalten in Kleinigkeiten erzogen werden. [quote:Theophagos]D&D kennt kaum bleibende Schäden, da muss man auf andere d20 Produkte zurückgreifen; d20 Stormbringer (Dragon Lords of Melniboné) bietet da z.B. was.[/quote] Wie gesagt, ich habe nur ein paar Materialen von D&D bzw. AD&D gelesen, und kenne Berichte aus entsprechenden Runden. Was andere D20-Supplemente in der Hinsicht mehr bieten, weiß ich nicht. Da mag es welche geben, die besser vor den Hintergrund von Bas-Lag passen. [quote:Theophagos]Wenn die Spieler meinen, einen Amoklauf starten zu müssen[/quote]Vorsicht: Bei meinen Einwänden geht es oft um Psychologie, weniger um das Tun. Ich habe die deutliche Erfahrung gemacht, dass die Spieler anders mit "Bürgern" umgehen und ganz anders sozial interagieren, wenn sie das Gefühl haben, sie [i]könnten[/i] jederzeit einen Amoklauf starten und damit durchkommen und verzichten jetzt nur aus Gnade und Vernunft darauf. Oder sie verzichten aus Rücksicht aufs Setting und den Spielleiter darauf - also aus Gründen, die sie in der Spieltechnik sehen, und nicht aus dem Charakter heraus. Denn diese Trennung zwischen Spieler und Charakter stört auch die Atmosphäre. [quote:Theophagos]So etwas funktioniert nur, wenn die Spieler akzeptieren, dass es gesellschaftliche Regeln gibt, gegen die die Charaktere nicht verstoßen würden wollen - wenn sie akzeptieren, dass sie Teil eines Milieus sind.[/quote]Letztendlich kann man, unabhängig von den Regeln, natürlich mit der richtigen Gruppe alles in jeder Form spielen. Trotzdem habe ich oft genug erlebt, wie ein und dieselben Spieler bei vergleichbarem Setting, aber unterschiedlichen Regeln, eine völlig unterschiedliche Spielweise an den Tag legen. Und das liegt daran, dass neben der Gruppendynamik die Regeln eben doch einen Rahmen vorgeben, der zu einem bestimmten Verhalten erzieht, oder dem einvernehmlichen Eintauchen der Gruppe in ein Setting eben doch Grenzen setzt. Man kann mit Aktzeptanz der Gruppe alles spielen, aber mit manchen Regeln funktionieren bestimmte Spielweisen besser als mit anderen Regeln, weil man in dem einen Fall beständig gegen einen von den Regeln ausgeübten Druck "ankämpfen" muss, während im anderen Fall die Regeln vielleicht gerade diese Spielweise befördern. Das macht in der Praxis schon einen Unterschied. Nach allem, was ich nun von D&D weiß (und, wie oben erwähnt, ich weiß nicht alles ;) ), habe ich bisher eher das Gefühl bekommen, dass D&D so ziemlich das ungeeignetste Regelwerk ist, um Mievill'sches Feeling zu erzeugen. Damit meine ich nicht, dass es unmöglich ist - nur, dass es mit anderen System leichter geht, und man deshalb vielleicht eher andere Systeme dafür benutzt, anstatt die D&D-Regeln "per Hand" an Bas-Lag anzupassen. Aber, wenn es geeignete D20-Supplemente gibt, hat diese Arbeit ja vielleicht schon jemand getan. Wäre also vielleicht noch eine interessante Frage, ob im Dragon auch Ergänzungen zum D20-Universum genannt werden, die dafür nützlich wären? [quote:Theophagos]Das ist mir aber völlig gleich, so lange ich mit d20 adäquat Horror/Wirtschafts/Polit-Thriller in New Crobuzon spielen kann.[/quote]Ja, das sollte es mir wohl auch sein. Aber erklären wir es mal so: Ich habe ein Lehramtsstudium mit reichlich Pädagogik hinter mir, und da lernt man halt auch, nicht einfach zusehen zu können, wenn andere etwas [i]falsch[/i] machen - und sei es auch nur, dass sie Mieville falsch spielen :D Und nicht zuletzt die Abenteurergruppe in PSS habe ich eben als deutliches Statement Mievilles gegen die "klassische" D&D-Gruppe gesehen - und da stört mich der Gedanke schon, dass demnächst jede Menge solcher Gruppen auf Bas-Lag rumlaufen. Selbst wenn es nicht in meinem Wohnzimmer geschieht :) Vielleicht eine Art der Entweihung? ;)
Lomax 01.02.07, 16:15
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[quote:Theophagos]Es ist am Spielleiter (SL) das Niveau der Gegner festzulegen, wenn er 'angemessene' Bedrohungen[/quote]Ja, aber genau dieser Mechanismus, der eine angemessene "Bedrohung" nur über die Stufen der Gegner erlaubt, ist dasjenige, was die Spielatmosphäre einer Welt in eine Richtung kippen lässt, die m.E. nach komplett Un-Mievillesk ist. Die geplanten Gegner sind da meist noch das geringere Problem - es ist das soziale Umfeld, das aus dem Ruder läuft. Weil man dann nämlich entweder irgendwann nur noch High-Level-Bürger in der Stadt herumlaufen lässt, oder die Spieler sonst in ihrer Alltagsumgebung wie die Götter herumlaufen und nur noch von schwerer Artillerie zu bremsen sind. Dementsprechend müsste ein Regelsystem Sonderfaktoren sehr viel stärker berücksichtigen als den Level von Charakteren - also deren "persönliche Heldenhaftigkeit". Dazu zählt zum einen bloße Überzahl, zum anderen aber auch situative Begleitumstände - und gerade letztere lassen sich schwer in ein Regelwerk einflicken und führen am ehesten zu Streit, wenn der SL durch seine Setzungen letztendlich die normalen Spielregeln regelmäßig aushebeln muss, statt sie nur anzupassen. Denn gerade das ist eine Aussage, die Bas-Lag meiner Empfindung nach prägt: Dass der "Held" seine Umwelt eben nicht nach Belieben, sondern nur in Grenzen gestalten kann, und selbst wiederum von ihr und Veränderungen, die er in Bewegung gesetzt hat, geprägt wird. P.S.: vielleicht mal als Gegenbeispiel - auch in meiner Fantasygruppe waren heroische Kämpfe möglich. Es gab Drachen und Dämonen, und die Spieler konnten kämpfen und hatten irgendwann eine hohe Stufe, die sie wirklich gut machte. Auf der anderen Seite kriegte auch mal ein Charakter nach einem bloßen Kratzer von einem Tier eine Hirnhautentzündung, überlebte nur knapp und musste sich wegen der Folgeschäden zur Ruhe setzen. Auch ein hoher Level schützt nicht vor den ganz alltäglichen "Jedermann-Bedrohungen" - und das sorgt dafür, dass die Spieler die "alltäglichen" Grenzen ihrer Charaktere nicht aus den Augen verlieren und "menschlich" bleiben.
Lomax 01.02.07, 12:05
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[quote:molosovsky]Die Regelmechanik ist ja nicht der Papst. Regeln können angepasst werden ... »If the rules don’t fit the story, forget the rules«[/quote]Das ist im Prinzip korrekt. Soweit ich zurückdenken kann, habe ich auch noch nie in einer Gruppe "by the book" gespielt - Ad-hoc-Modifikationen waren stets ebenso üblich wie planvolle Regelergänzungen oder -auslassungen. Trotzdem setzt das Regelwerk Grenzen. Wenn die gewünschte Spielatmosphäre zu verschieden ist von der, die vom Regelwerk "gefördert" wird, muss man irgendwann so viel ändern, dass man besser gleich ein anderes Regelwerk nimmt oder es komplett selbst konstruiert (was ich für Fantasy letztlich gemacht habe, um ein Setting mit unauffälliger Magie zu bekommen, das auch Alltäglichkeiten wie Hunger und Krankheiten angemessen berücksichtigt). Denn Regelergänzungen per Hand sind nicht wenig aufwendig, wenn alles stimmig und abgerundet bleiben soll. Ad-hoc-Anpassungen sind ebenfalls nicht geeignet, die Charaktere und damit die Story stets in die richtige Richtung zu lenken. Denn wenn man einem Charakter etwas verwehrt, was er laut Regeln kann, oder ihn überraschend mit einer Konsequenz konfrontiert, die er nach den bekannten Regeln nicht vorplanen konnte, die aber eindeutig nicht auf einen nicht planbaren Umstand der Spielwelt, sondern auf einer mechanistischen Setzung des SL beruhen, dann entsteht schnell der Eindruck von Spielleiterwillkür. Auch gehen die Vorstellungen von dem, was "realistisch" ist, oft so weit auseinander, dass sie im Einzelfall keine konsensfähige Basis darstellen. Je nach Gruppenzusammensetzung sind die Grenzen dessen, was an spontanen Änderungen ohne Missstimmung möglich ist, mal enger und mal weiter. Aber Grenzen hat da eigentlich jeder Spieler. Ich erinnere mich beispielsweise an ein SF-Rollenspiel, wo die Gruppe mit Maschinengewehren und Raketenwerfern am Ufer in Deckung stand und von ein paar Typen mit Armbrüsten in Segelbooten aufgemischt wurde. Als dann noch einige der Gegner mit Vollrüstung ins Wasser sprangen und zum Ufer schwammen, um zum Nahkampf überzugehen, wurde es vollends abstrus ... In einem Regelwerk, das solche Vorgänge erlaubt, sind schon sehr viele Anpassungen nötig um ein ausgewogenes Spiel zu erlauben. Und dieses Moment der "Ausgewogenheit" war in Mievilles Romanen ja immer sehr stark vertreten. Bei D&D hatte ich stets das Gefühl, das genau das fehlt - und ich weiß nicht, wie leicht es sich implementieren lässt bzw. ob es nicht bereits vorgefertigte D20 Supplemente gibt, bei denen es bereits implementiert ist. Man könnte jetzt also fragen, ob der Dragon [i]dazu[/i] etwas sagt. Aber da ich ohnehin das Material eher auf ein anderes Regelwerk anpassen würde als für ein Mieville-RSP in D20 einzusteigen, spielt das für mich wohl ohnehin keine Rolle. Ein wenig graut mir bei dem Gedanken, dass bald jede Menge Kiddies mit dem "Dragon" in der Hand genau die Art von Rollenspiel auf Bas-Lag betreiben werden, die Mieville selbst in PSS mit seiner gebrochenen "Abenteurergruppe" entmystifiziert hat. Aber eigentlich sollte mir das ja egal sein, was andere Leute im Spiel mit einer allgemeinen Vorlage machen :rolleyes:
Lomax 01.02.07, 10:04
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[quote:molosovsky]Aber denk an eher mal fatale Welten wie CALL OF CTHULHU.[/quote]Sag ich ja - wenn man den Hintergrund hat, kann man ja auch ein anderes System als Regelgrundlage nehmen. Und ich denke, das sollte man für Bas-Lag vielleicht auch tun. Aber, ehrlich gesagt, um das abschließend zu entscheiden, kenne ich mich im D20-Universum auch nicht gut genug aus. Ich werd jetzt erst mal zusehen, dass ich den Dragon kriege, und dann sehe ich weiter :)
Lomax 31.01.07, 23:11
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[quote:Theophagos]Mögliche Schlagzeilen des Runagate Rampart in D&D-Bas-Lag: "Paladin (27) räumt in New Crobuzon auf!" & "Brucolac (567) baff: Von einem Priester vertrieben!" & "Endgültig geklärt: Der Weber (?) ist chaotisch neutral!"[/quote] *smile15* *smile14* Die sind gut!
Lomax 31.01.07, 23:08
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Nun ja, Regeln können ja schon einen Einfluss auf die Spielatmosphäre haben. Als ich damals meine erste Gruppe nach selbst angepassten Regeln für "historisierendes" Rollenspiel angeboten habe, waren nach den ersten beiden Abenteuern sämtliche Charaktere so weit demoliert, dass sie nicht mehr spielbar waren. Bis dahin hatten die Spieler mit üblichen, "Lebenspunkte-orientierten" Systemen Erfahrung gesammelt. Die Hälfte der Spieler stieg anschließend aus - und die anderen spielten danach sozial vernünftig und realistisch. Denn das ist das Problem: Dass manche Systeme mehr, andere weniger eine "heroische" Spielführung fördern, vor allem durch ein Kampfsystem ohne Konsequenzen und Artillerie-Magie. Das Problem entsteht dann, wenn die Regeln ein "einfach mal ausprobieren statt vorher nachdenken" fördern. Und Mievilles Welt ist nun mal so "unheroisch" wie nur was. Da sehe ich schon Probleme. Und zwar gerade bei D&D. Ich erinnere mich, dass ich mal zwei AD&D-Abenteuer für meine Gruppe angepasst hatte. Ein Desaster. Das Maß an Kampf, das im Abenteuer schon als Minimum angelegt war, war in realistischen Szenarien einfach nicht zu bestehen. Und da habe ich mich schon gefragt, wie heroisierend die Darstellungen in dem Regelwerk sein müssen, um so was spielbar zu machen. Und wie Charaktere mit diesem Regelwerk dann wohl, über kurz oder lang, durch NC wüten werden ... Aber andererseits - wenn man Karten und Hintergrundbeschreibungen erst mal hat, ist es ja kein Problem mehr, den Hintergrund für ein besser geeignetes System zu adaptieren ;)
Lomax 31.01.07, 21:45
 
 
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