Sie sind nicht eingeloggt.
LoginLogin Kostenlos anmeldenKostenlos anmelden
BeiträgeBeiträge SucheSuche HilfeHilfe StatStatistik
VotesUmfragen FilesDateien CalendarKalender
Freies Politikforum für Demokraten und Anarchisten

PLATTFORM FÜR LINKE GEGENÖFFENTLICHKEITEN

Beiträge können nicht (mehr) eingestellt oder kommentiert werden!

 

Anfang   zurück   weiter   Ende
Autor Beitrag
zystein


New PostErstellt: 14.09.06, 21:55     Betreff: Re: treffende Deutung der schwindenden Wahlbeteiligung

MINUSREKORD IN NIEDERSACHSEN
Auf Nimmerwiedersehen, Wähler!


Von Franz Walter

Jeder zweite Niedersachse hat die Kommunalwahl gestern einfach ignoriert. Für das Land war es ein Minusrekord bei der Wahlbeteiligung, für Deutschlands Parteien eine verheerende Botschaft: Wahlenthaltung ist in unteren Schichten inzwischen normal - und auch in höheren populär.
ANZEIGE

Es war nur eine pflichtgemäße Aufregung. Nach der dramatisch niedrigen Beteiligung an der Kommunalwahl in Niedersachsen gab es sofort demokratische Tugendappelle von Spitzenpolitikern und Medienkommentatoren, die sorgenvoll in die Kameras blickten. Doch spätestens am Mittwoch wird das alles vorbei sein - dann werden säumige Wahlberechtigte niemanden in den Parteien und der Politik noch ernsthaft um den Schlaf bringen. Schließlich winken ja auch Experten aus Wahlforschung und Politikwissenschaft in schöner Regelmäßigkeit lässig ab, wenn es um niedrige Wahlbeteiligung geht: So etwas, bedeuten uns telegene Wissenschaftler, trage lediglich zur Normalisierung der Deutschen an westliche Demokratiestandards bei. Und das war schließlich der Schlacht- und Jubelruf des Fußballsommers 2006: "Endlich normal!"

Man kann das auch ganz anders sehen. Im Rückgang der Wahlbeteiligung drückt sich seit nunmehr zwei Jahrzehnten signifikant die soziale Spaltung der Gesellschaft aus - die Kluft zwischen privilegierten und randständigen Schichten, die Ungleichgewichte bei sozialen Chancen und gesellschaftlicher Teilhabe. Eben dies macht die abstürzende Wahlbeteiligung doch ein wenig dramatischer.

Die Welt der Politik wird mehr und mehr zum eigenen Kosmos, der sich seiner früheren lebensweltlichen Wurzeln entzieht. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Wolfgang Jüttner, sprach am Sonntag traurig von einem Mobilisierungsproblem. Das ist allerdings das Vokabular der siebziger und achtziger Jahre. Ganze Wählerschichten, die lange Jahrzehnte der SPD anhingen, sind keineswegs mangelhaft mobilisiert - sie haben sich vielmehr dauerhaft abgetrennt von der Welt der Parteien und ihrer Politik.

Gleichgültig gelebte Verweigerung

Dass am Sonntag in einem Göttinger Wahlkreis, in dem sich die sozialen Probleme bündeln, von 1215 Wahlberechtigten nur 195 Bürger den Weg ins Wahllokal für wichtig hielten - das ist kein Zufall. Ähnliches wird aus dem Hildesheimer Brennpunktviertel Fahrenheit gemeldet. In den gutbürgerlichen Quartieren von Göttingen mit ihren Studienräten, Professoren und Kinderpsychologen macht dagegen immer noch ungefähr jeder zweite Bewohner vom kommunalen Wahlrecht Gebrauch.

Es ist nicht zuletzt diese Wahlkultur der arrivierten bürgerlichen Schichten, welche die CDU auch am Sonntag über die 40-Prozent-Grenze in Niedersachsen getragen hat - obwohl sie politisch zuletzt in Berlin und in Hannover keineswegs glänzt.

In den USA ist schon länger zu beobachten, wie sich ganze Stadtteile vom demokratischen Wahlvorgang abkoppeln. Und wie die stille, gleichgültig gelebte Verweigerung sich mit sozialer Hoffnungslosigkeit verfestigt und vererbt. Allem Anschein nach ist sie auch kaum mehr zurückzuführen. Man kann das als Ent-Bindung charakterisieren. Sie mündet bei Personen ohne gesellschaftliche Netze und ohne berufliche Erfolgserlebnisse rasant in Isolation und Resignation, in Teilnahmslosigkeit.

Hier äußert sich soziale Armut nicht nur materiell (und vielleicht nicht einmal in erster Linie), sondern durch den Verlust an Kontakten, den Mangel an Eingebundenheit. Hier fehlt es oft an Integration - sei es in harmonischen Familien, sei es in funktionierenden Nachbarschaften, sei es in einer lebendigen Vereinskultur. Desintegration führt zum Aus- und Rückzug, zur Enthaltung bei den öffentlichen Angelegenheiten. Man glaubt nicht mehr, dass sich Einsatz lohnt. Man hofft nicht mehr, dass Parteien und Politik das Schicksal wenden.

Die politische Spannung fehlt

Nun hat Wahlverdrossenheit vor allem auch damit zu tun, dass die politische Spannung fehlt. Die Parteien sind nicht mehr deutlich unterscheidbar, alle sind für die "Zukunft" und diie "Innovationen" unisono "gut aufgestellt". Und kein Mensch weiß, was um Himmels willen sich hinter diesen Phrasen präzise verbirgt. Insofern nutzt es wenig, die Nichtwähler zu beschimpfen, was der Landtagspräsident Gansäuer getan hat. Oder die Schuld auf die Große Koalition in Berlin abzuschieben - so leicht machten es sich die Anführer von FDP und Grünen, die Herren Rösler und Wenzel. Sie selbst sind nicht mehr in der Lage, das Feuer mit zündenden Alternativen zu entfachen, Differenzen deutlich und plausibel werden zu lassen, kurz: Wahlen auf diese Weise wichtig zu machen.

Das gilt im Übrigen auch für Ministerpräsident Wulff selbst. Er fiel als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender in allen elementaren Debatten der vergangenen Monate über politische Orientierungen, Wertebegründungen und programmatische Erneuerungen allein durch hartnäckiges Schweigen und taktische Hellhörigkeit auf. Dabei hat die Debatte die kriselnde Christdemokratische Partei zwischen Kiel und Stuttgart mächtig umgetrieben.

Solche politische Leere hat mittlerweile auch bei Teilen vor allem der jungen Generation Folgen - obwohl sie gut ausgebildet und einkommensstark sind und zu Fragen der Zeit keineswegs schlecht informiert. Wahlenthaltung findet mittlerweile nicht ausschließlich unten statt - wenngleich immer noch mit weitem Abstand am meisten -, sondern auch als bewusst begründeter Akt in den arrivierten Schichten.

Auch der neue Typus des bürgerlich gehobenen Wahlenthalters traut der Politik und der Handlungsfähigkeit des Staates nicht mehr sonderlich viel zu. Auch ihm fehlt inzwischen die positive Erfahrung von gesellschaftlich honorierter Solidarität. Auch ihm mangelt es an Vertrauen in den Ethos von Parteien und in die Verlässlichkeit öffentlicher Institution.

Also fährt er an sonnigen Wahlsonntagen lieber ins Grüne. Das Göttinger Beispiel zeigte auch das: In studentischen Quartieren lag die Wahlbeteiligung kaum höher als an sozialen Brennpunkten.

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,436422,00.html

Ob das allerdings mit der "fehlenden politischen Spannung" so stimmt?

und noch einmal und wie schon mehrfach geäußert:
...Die Probleme einer teilnahmslosen, indirekten "Demokratie" mit bezahlten Funktionären... --
Mein Vorschlag seit 20 Jahren: Jobber und Joblose müssen sich eine eigene Lobby schaffen und die Gewerkschaft sozusagen neuerfinden.


[editiert: 14.09.06, 22:15 von zystein]
nach oben
Private Nachricht an dieses Mitglied senden
Sortierung ändern:  
Anfang   zurück   weiter   Ende
Seite 1.771 von 3.492
Gehe zu:   
Search

powered by carookee.com - eigenes profi-forum kostenlos

Layout © subBlue design
. . . zum Politikmagazin auf diesen Button klicken >> bjk's Politikmagazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .