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Micha
New PostErstellt: 08.07.10, 13:29     Betreff: Re: Ist linke Gewalt Notwehr? Was können die Ursachen sein und wie ist unsere Bewertung?

Die Möchtegern-Polizei aus Kreuzberg

Harald Jähner

Harry, hol schon mal die Latte raus. Mit solchen Sprüchen, kürzlich wild plakatiert in Prenzlauer Berg, machen sich anonyme Linksradikale seelisch frisch, wenn wieder gekämpft werden soll. Der Spruch, abgewandelt dem Fernseh-Kommissar Derrick entlehnt, unterscheidet sich allenfalls noch durch seinen Witz von rechtsradikalen Auftritten. Im Kern ist er so bösartig wie die Gewaltverherrlichung der Neo-Nazis.
Auch die Methode Steckbrief, die Berliner Autonome und Stadtteilbewahrer benutzen, um unliebsame Leute einzuschüchtern, stammt aus dem Arsenal der Neo-Nazis. Zurzeit trifft es die Kunst-Kuratorin der Berlin-Biennale. Die Wienerin Kathrin Rhomberg, verantwortlich für eine der sozialkritischsten Ausstellungen seit Langem, wird auf solchen Pseudo-Fahndungsplakaten als Gentrifiziererin gesucht, als personifizierte Bedrohung Kreuzbergs. Ihr E-Mail-Adresse wird angegeben als Aufforderung, sie möglichst effektvoll zu belästigen.
Der Steckbrief ist ein Mittel der Obrigkeit; er wurzelt historisch in der Tradition, Menschen mit Hilfe von Kopfgeldjägern zu suchen oder für vogelfrei zu erklären. Die Verwendung der Methode Steckbrief durch den linken und rechten Untergrund offenbart, wie wenig diese Gruppen tatsächlich gegen die Macht haben, gegen die sie vermeintlich anrennen. Sie wollen sie lediglich an sich reißen. Von den Rechten kennt man das, für die angeblich Linken, gar Anarchisten, ist solcher Steckbrief-Terror ein entlarvendes Zeugnis. Auch sie liebäugeln mit den Herrschaftsinstrumenten, obwohl sie doch vorgeben, diese prinzipiell zu bekämpfen. Von herrschaftsfreien Räumen reden die Berliner Autonomen gerne, ihre Praxis zeigt dagegen, wie sehnsüchtig sie von der Herrschaft träumen.
Ist es nicht bezeichnend, wie gerne Berliner Wagenburgler und Hausbesetzer mit den ausrangierten "Wannen" der Berliner Polizei herumfahren? Harry, fahr schon mal den Wagen vor. Als wilder Vogel sich gebärdend ist mancher Autonome doch nur ein Möchtegernbulle in schwarzer Kettenkutte. Wie verräterisch die Rede von der Kiezmiliz! Heute wie vor zwanzig Jahren stolziert ein Teil der Kreuzberger Autonomen als Kiezpolizei durchs Quartier und träumt von Ordnung nach Herrenmenschenart: Alles, was nicht ins liebgewonnene Milieu passt, soll mit Gewalt hinausgeworfen werden.
In Kreuzberg ist das nicht neu. Unvergessen das Fäkalienattentat auf das Edel-Restaurant Maxwell 1987, das für die Geschmacksnerven der sogenannten Kübelgruppe nicht nach Kreuzberg passte und deshalb mit ausgekippter Scheiße vertrieben wurde - auch das eine Methode, die faschistischen Ursprungs ist. In den frühen Dreißigern terrorisierten SA-Truppen auf diese Weise "undeutsche" Kinos, Kaufhäuser und Cafés. Heute ist unkreuzbergerisches Schickimicki an der Reihe. Dazu gehört in den Augen der Gentrifizierungsgegner auch die Kunst. Kunst würde ein Stadtviertel aufwerten und dazu führen, dass die Mieten steigen. Mit weniger Interesse an allem außer am Geld ist Kunst selten kritisiert worden: Sie macht ein Quartier leider interessanter und teurer. Wirklich geil dagegen ist offenbar nur noch der Geiz.
Man muss freilich einräumen, dass ohne die Militanz der Hausbesetzer in den Siebziger- und Achtzigerjahren und ohne das breite Bündnis gegen die Flächensanierung Kreuzberg nicht so liebenswert geblieben wäre, wie es der Bezirk heute trotz aller Spannungen im Kiez noch ist. Es war der Druck der Straße, der Kreuzberg vor den Abrissbaggern gerettet hat, auch das Bethanien übrigens. Ohne Druck von unten wäre die weitverbreitete Einsicht, dass man die Stadtentwicklung nicht allein dem Markt überlassen kann, folgenlos geblieben.
Auch heute sorgt nur Druck dafür, dass die Politik sich Gedanken macht, wie die Kreuzberger Mischung erhalten werden kann und Wohnraum bezahlbar bleibt - für Arme und für Künstler. Das ganze Anliegen wird aber unglaubwürdig, wenn die Kreuzberger radikale Linke sich nicht von ihren bornierten, selbsternannten Heimatschutztruppen trennt. Sie muss endlich darüber sprechen, was zu den Tugenden freiheitsliebenden Protests gehört und was nicht. Sich beispielsweise von dem Sprengsatzangriff auf Berliner Polizisten nur mit dem Argument zu distanzieren, die Tat "schade dem Anliegen der Demo auf das Heftigste", ist zynisch. Verlangt ist hier kein Nutzenkalkül, sondern die auch emotionale Distanzierung von einem widerwärtigen Anschlag, der mit den Werten linken Protestes nicht vereinbar ist. Falls es so etwas wie eine Linke, die auf sich hält, überhaupt noch gibt.
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