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Sozialschmarotzer

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Torsten

Beiträge: 163
Ort: Dresden


New PostErstellt: 29.11.05, 21:39  Betreff: Sozialschmarotzer  drucken  weiterempfehlen

Sozialschmarotzer Teil 1: Die Version der Herrschenden

Was ist ein Sozialschmarotzer? Nun, „Langenscheidts Fremdwörterbuch“ schweigt sich dazu aus. Zwei philosophische Wörterbücher und „Wilhelm Liebknechts Volks-Fremdwörterbuch“ helfen auch nicht weiter. Dafür aber die Leute vom „Stern“, nachlesbar z.B. auf der Internetseite http://stern.de/wirtschaft/arbeit-karriere/:Sozialschmarotzer-Haftstrafen-Schwarzarbeiter/547356.html . Also existiert der Begriff und wird versucht, durch ausreichend häufige Wiederholung in den kapitalistischen Medien in das Bewußtsein ihrer Konsumenten zu hämmern. Gerade in letzter Zeit, oft mit Bezugnahme auf eine Brandschrift des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit „Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, 'Abzocke' und Selbstbedienung im Sozialstaat“ vom August 2005.
Liest man aber diesen Bericht, kommt das Wort darin gar nicht vor! Nur eine ähnliche Formulierung: „Das können wir uns aber nur leisten, wenn wir die Schmarotzer und Trittbrettfahrer aus dem System ausschalten" sagt auf Seite 24 der Mannheimer Sozialamtsleiter Hermann Genz nicht nur, sondern er sagt es „zu Recht“ (die Autoren, ebenda). Soso, „ausschalten“ will der freundliche Herr die Schmarotzer also.
Schon vorher, auf Seite 10, wird eine synonyme Formulierung „nicht“ verwendet: „Biologen verwenden für 'Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedi­gung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen - ihren Wirten - leben', übereinstimmend die Bezeichnung 'Parasiten'. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzel­nen gesteuert.“ Soso, Begriffe aus der Biologie sind also nicht übertragbar (was ich anzweifle, da der Mensch ebenso biologisches Wesen ist). Aber warum das so sein soll, offenbart die Denkweise der Autoren des Berichts: Weil die Sozialbetrüger SCHLIMMER sind als jeder Schmarotzer, ääh, Parasit aus dem Tierreich.
Was aber enthält dieser Bericht? Zunächst ein Vorwort vom damaligen Bundesminister Wolfgang Clement. Zuerst beteuert er: „Bei der umfassenden Reform des Arbeitsmarktes kommen wir mit großen Schrit­ten voran.“ Nun, vielleicht hat er nur vergessen, zu erwähnen, in welche Richtung. Eine weitere Aussage ist unzweifelhaft: „die Betreuung und Vermittlung von Arbeitslosen wird stetig in­tensiver“. Wer davon betroffen ist, weiß, daß das stimmt. Nur die Wortwahl „intensiver“ sollte treffender „aggressiver und repressiver“ lauten. Auf die faustdicke Lüge: „Die Arbeitsmarktreform ist alles andere als 'sozialer Kahlschlag' oder 'Armut per Gesetz'.“ werde ich später zurückkommen.
Der übrige Bericht enthält eine Auflistung von Einzelfällen des „Mißbrauchs“ von Sozialleistungen seitens Empfängern, aber auch Firmen, welche die gesetzlich verordnete Zwangsarbeit und die „Vermittlungsgutscheine“ der Arbeitsagenturen im Wert von bis zu 2000€ egoistisch und – oh Entsetzen – ohne die Absicht der wirklichen Schaffung von Arbeitsplätzen ausnutzen. Dann wird noch ein wenig gegen Jene gehetzt, welche den ALG-II-Opfern juristische Hilfe anbieten, z.B. in Form von Musterwidersprüchen seitens der PDS. Die Autoren des Berichts entblöden sich nicht, hier den Boden juristischer Argumente zu verlassen: „Der oben beschriebene 'Musterwi­derspruch' ist also nicht rechtlich, wohl aber politisch zu beanstanden.“ Dann folgen noch Abschnitte, warum die verschärften Kontrollmaßnahmen „gerecht“ und wirksam sind. Hoppla, hier ist also plötzlich nicht mehr von „Recht“ (also bürgerlichem Klassenrecht) sondern sogar „Gerechtigkeit“ die Rede. Allerdings wird im Text dann wieder von „Recht“ geschrieben. Hier haben scheinbar die „Experten“ des Bundesministeriums noch etwas Nachholebedarf in Sachen Bedeutung von Begriffen. Zum Schluß folgt noch die Ankündigung, die Kontrollen würden strenger und auch der Hinweis auf „Harte Strafen für Abzocker“ darf nicht fehlen.
Entsprechend, wie es sich für eine Brandschrift gehört, fällt die Wortwahl aus, einmal in Form der Charakterisierung der „Sozialschmarotzer“: „Missbrauch ... Abzocke ... Selbstbedienung ... beispiellose[r] Dreistigkeit und Ignoranz ... geahndet und geächtet ... Sozialbetrug ... Mitnahme-Mentalität ... Melkkuh Sozialstaat ... Sozialmissbrauch ... fadenscheinige Angabe oder Ausrede ...“. Und selbstverständlich fehlte auch die Einschüchterung nicht: “Strafanzeige ... unnachgiebige Konsequenz ... ohne falsche Rücksichten ... Nun ermittelt die Justiz ... Post vom Staatsanwalt ... setzt ihn auf die Liste der gesuchten Betrüger ...“ Irgendwann hörte ich mit der Sammlung auf, weil mir übel wurde. Woher kam gleich der Report? Aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit oder aus dem Bundespropagandaministerium?

Sozialschmarotzer Teil 2: Die Wahrheit

Einen Hinweis darauf, wer die Sozialschmarotzer (diesmal nicht in Anführungszeichen) sind, die für leere Kassen bei sowohl den unteren sozialen Schichten als auch dem Staat sorgen, findet sich in einem anderen Bericht der Bundesregierung: „Lebenslagen in Deutschland: Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“.
Das Bruttosozialprodukt ist in den vergangenen Jahren – bis auf einen kurzen Knick 2003 – kontinuierlich gestiegen, wenn auch langsam. Davon kommt in den unteren Einkommensschichten immer weniger an – und auch seitens des Staates ist das Geheule über „leere Kassen“ zur Rechtfertigung weiterer „Reformen“ kaum noch auszuhalten. Nun, wo isses denn hin?
Die wachsende Armut in der BRD ist nicht nur Gegenstand der Untersuchungen von Wohlfahrtsverbänden, sondern auch des genannten Berichtes. Auf verschlungenen Wegen wird ein sogenanntes „Armutsrisiko“ ermittelt (wer mag, kann sich diese mathematisch-statistische Meisterleistung an Verwirrung im Report selbst ansehen). Aber welch abenteuerlich Ergebnis liefert das? „Insgesamt hat das Armutsrisiko von 1998 bis 2003 von 12,1 % auf 13,5 % leicht zugenommen“ steht „Öffentliche Transfers der Sozialversicherungen und der Gebietskörperschaften (z. B. Renten, Kindergeld, BAFöG, Sozialhilfe) senken das Armutsrisiko im Jahr 2003 um rund zwei Drittel“ gegenüber. Also geringfügige Zunahme oder sprunghafte Senkung trotz geringfügiger Zunahme oder was nun?
Aber nicht nur laut diesem Bericht steigt das Risiko. Die Armut – auch die von Kindern – nimmt ganz konkret zu: „Rund eine Million Kinder unter 15 Jahren leben in Deutschland von Sozialhilfe. 965.000 waren es im Jahr 2004, das sind gut drei Prozent mehr als im Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden bekannt gab. Seit dem Inkrafttreten von Hartz IV am Jahresanfang sind nach Schätzungen von Sozialverbänden deutlich mehr Kinder betroffen. Von mehr als 1,5 Millionen geht der Deutsche Kinderschutzbund aus, wie Bundesgeschäftsführerin Gabriele Wichert sagt.“ (FAZ.NET, 19. August 2005).
Also nochmal: wo isses denn hin? Auch darüber weiß der „ Armuts- und Reichtumsbericht“ Auskunft zu geben: „Allerdings sind die Privatvermögen in Deutschland sehr ungleichmäßig verteilt. Während die unteren 50 % der Haushalte nur über etwas weniger als 4% des gesamten Nettovermögens (ohne Betriebsvermögen) verfügen, entfallen auf die vermögendsten 10 % der Haushalte knapp 47 %. Der Anteil des obersten Zehntels ist bis 2003 gegenüber 1998 um gut 2 Prozentpunkte gestiegen. Diese Entwicklung ist zum größten Teil auf eine Steigerung der von den Haushalten selbst eingeschätzten Höhe ihrer Immobilienvermögen zurückzuführen, was vor allem die Vermögen der reicheren Haushalte beeinflusst, da sie sehr viel häufiger als die übrigen Haushalte über Immobilien verfügen; im obersten Zehntel besitzt praktisch jeder Haushalt Grundvermögen, im untersten Zehntel nur rund 6 %. Auch sind die geschätzten Immobilienwerte bei den Haushalten im obersten Zehntel durchschnittlich über zehnmal so hoch wie bei denen im untersten Zehntel.“
Leider existiert kein Bericht darüber, inwieweit Diejenigen, auf welche der Reichtum konzentriert ist, zum gesellschaftlichen Reichtum beitragen. Aber das kann sich Jeder selbst fragen: stehen die Brüder Albrecht an den ALDI-Kassen? Kann Jemand, der ja als Reicher und Schöner ständig – schon für die Boulevard-Presse (die Seinesgleichen gehört) – mit Luxusleben beschäftigt ist, so viel arbeiten wie ein Arbeiter im Schichtbetrieb? Kann Jemand so viel mehr arbeiten, daß - gegenüber Vollbeschäftigten an der unteren Einkommensgrenze - Millionengehälter gerechtfertigt sind? Ist „Verantwortungtragen“ wirklich eine Arbeit, die zudem überproportional entlohnt wird?
Für jeden denkenden Menschen ist klar: Sozialschmarotzer existieren. Nur nicht dort, wo ihre eigenen Zeigefinger hinzeigen. Oder wo sie von ihren Lakaien in Staat, Management und Medien hinzeigen lassen.



Friede sei mit Euch

Torsten
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