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Infantile Inquisitoren – Das vor und nach dem Sex

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Autor Beitrag
Isquierda

Beiträge: 279
Ort: Magdeburg

New PostErstellt: 09.02.09, 19:22  Betreff: Infantile Inquisitoren – Das vor und nach dem Sex  drucken  weiterempfehlen

In der Zeitschrift Bahamas (Ausgabe 32) im Jahr 2000 erschien unter dem Titel „Infantile Inquisition“ ein Artikel über die „Vergewaltigungsdebatten in der Szene: Verdränger werden Verfolger“ von Justus Wertmüller und Uli Krug.

(URL: http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web32-4.htm)   

Darauf möchte ich im Folgenden näher eingehen:

Nun ist es ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass unter Linken besonders zahlreich  intelligente emanzipierte Männer und intelligente emanzipierte Frauen zu finden sind und auch, dass es dennoch zu gewissen unschönen wenig tragfähigen theoretischen Konstruktionen kommen kann. Eine davon ist die Definitionsmacht für das Opfer, vor allem im Bereich des Sexuellen. Ich vermute dahinter ein schlecht verarbeitetes Patriarchatstrauma, das vermutlich jeden befallen kann. Die Reaktion darauf bricht sich durch besondere Milde gegen Frauen Bahn, der leider auch ab und an die Rationalität geopfert wird. Da auch Linke nicht vor bürgerlichen Klischees gefeit sind,  wundert mich nicht, dass die Herangehensweise der Männer - als nach bürgerlichem Verständnis Angehörige des Täterkollektivs – an das heikle Thema Vergewaltigung, oft eine andere ist als die der potenziellen Opfer, der Frauen. Die soziale Benachteiligung der Frauen, derer sich Linke im Besonderen bewusst sind, führt zu einer positiven Diskriminierung der Frauen und unschönen moralischen Verrenkungen wie zBsp. der Definitionsmacht des Opfers. Diese ist per Definition zwar nicht an das weibliche Geschlecht der Opfer gebunden, aber praktisch wird auf Grund der oft klischeehaften Schuldzuweisungen, eine Bindung das weibliche Geschlecht praktiziert. Genau das führen uns auch die Herren Wertmüller und Krug vor (wie auch ihre eigene Hysterie), wenn sie  nun einer „gänzlich bewusstlosen Jungmännerwelt“ bescheinigen müssen, dass sie als Antwort auf diese „Verlogenheit“ mit „wilder Stechermentalität“ antworten werden.

 

Gemeinhin wird unter einer Vergewaltigung sexuelle Gewalt verstanden, die Männer Frauen antun. Nun sind aber Frauen, nur weil sie Frauen sind, nicht zwanghaft Opfer und Männer, nur weil sie Männer sind, nicht auf jeden Fall Täter. Auch nicht, wenn das Schema der Verdächtigung sich nahtlos dem bürgerlichen Klischee anpasst. Nicht nur bei einer Vergewaltigung selbst, sondern auch beim Vorwurf einer solchen. Und geben wir es zu, würde ein Mann einer Frau eine Vergewaltigung vorwerfen, fiele es uns schwer, vorbehaltlos daran zu glauben. Das ist nicht schlimm, so geht es auch den Herren Wertmüller und Krug. Auch in ihrem Theoriegebäude, verläuft die Trennung zwischen Opfern und Täter nach Geschlechtern. Nun aber aus dem trivialen Umstand, dass nicht jeder Vorwurf auch korrekt formuliert ist oder der Wahrheit entspricht, zu schlussfolgern, Frauen hätten ein Problem mit dem „Furor der Überwältigung“ ist unsinnig, Frauen haben kein Problem mit „Überwältigung“, sondern mit Gewalt. Und Männer haben es eben so, begreifen sich aber leider selten als potenzielles Opfer, sondern sehen sich in der Position des potenziellen Täters und argumentieren leider auch oft aus dieser, sei versuchen zu entschuldigen und zu relativieren. Abstraktion ist ein Stilmittel, das nicht jedem liegt. Und ja, die „wilde Stechermentalität“ eines „wilden Mannes“ wird wohl vor allem eine Frau zum Objekt der Begierden und Lustmachen auswählen, denn das Verständnis von Sex ist androzentrisch, und dabei übernimmt die Frau den passiven Part und der Mann den aktiven. Insofern schützt die Heterosexualitätsnorm nachhaltig erwachsene Männer vor sexueller Gewalt von Männern. Aber nicht durch Gewalt von Frauen oder Homosexuellen. Davor kann sie nur deren Passivität schützen oder eine unterstellte besondere Moral. Dem Umstand, dass vor allem weibliche Wesen Opfer sexueller Gewalt von Männern werden, versucht man mit besonderer Beachtung Rechnung zu tragen, wird aber mit der Definitionsmachtzusprechung an das Opfer diesem Anspruch nicht gerecht. Frauen muß man nicht dafür entschädigen, dass sie Frauen sind und darum wahrscheinlicher Opfer sexueller Gewalt werden. Dieses begründet eine Pauschalverurteilung der Männer, weil sie es sind, die per Biologie zum potenziellen Täter erklärt werden. Der Vorwurf sexueller Gewalt wiegt umso schwerer, weil er auf eindringliche Art in der klischeeverhafteten Bewertung der Geschlechterverhältnisse hervorhebt, die mit emanzipatorischen Ansprüchen überwunden werden sollen. Wenn aber nun allein das Opfer bestimmen kann, was mit dem Täter geschehen soll, ist Machtmissbrauch eine Möglichkeit, der präventiv begegnet werden muss. Was findet statt, wenn der Vorwurf sich als unwahr oder überzogen herausstellt? Wie kann garantiert werden, dass das Opfer den Täter nicht zum Opfer einer Verleumdung macht? Wie schützt sich ein Mensch vor einem falschen Verdacht?

 

Das sind Fragen, die im Bahamasartikel von den Herren Krug und Wertmüller nicht gestellt werden. Sie kaprizieren sich stattdessen darauf, aus einem mehr als fragwürdigem Fallkonstrukt so bizarre Verrenkungen wie „Verführung“ (wider willen, denn die Lust muß der Frau erst gemacht werden) zu inszenieren, hantieren dabei fahrlässig mit Ich-Konstruktionen von Sigmund Freud und fabulieren vom unterbewussten Ich, dass eigentlich sowie so außer Stande sei, sich subjektiv an der Außenwelt zu beteiligen und darum „dem anderen, (..) zugeschoben (wird), was offenbar im „Ich“ entstanden ist: die Lust nämlich“. Dann frage ich mich, was in drei Teufels Namen damit entschuldigen werden soll: Als Antwort auf die Definitionsmacht des Opfer wird eine beklagte Vergewaltigung nun zur tragischen Verklemmung der Frau? Die dabei keinen Grund mehr zum Protest habe, weil ihr unterbewusstes Ich, ohnehin an der Lust des (unter-?)bewussten Mannes nicht partizipieren wird? Wirklich schlimm wird es aber, wenn es denn heißt dass der „ganze Jammer, des Geschlechter- und Liebeskrieges“ unter einer „Haltet-den-Dieb-Rhetorik“ verborgen bliebe, weil ein als Vergewaltigung rubriziertes „Lustmachen“ das Böse schlechthin sei und eine „Gemeinschaft der Unbefriedigten“ schmiede. Damit können dann aber nur die Frauen gemeint sein, weil die am Lust gemacht kriegen wohl in diesen Grenzsituationen nicht jene Freude der Männer empfinden, die gerade eine lustvolle Frau brauchen, damit es einfach besser flutscht und sich das Gewissen nicht meldet, wenn der „wilde Mann“ seine Frau nach Pornomanier überwältigt. Nun wundert es auch nicht mehr, wenn von einer „nunmehr gänzlich bewusstlosen Jungmännerwelt „-mit weiblichem Anhang-„ gegen diese „Verlogenheit“ angeblich das „gesamte Arsenal des Herrenwitzes in Anschlag gebracht wird“. Was dann wohl soviel heißt, dass wir auch zukünftig eine gepfefferte Prise Sexismus aus der Bahamas-Ecke zu ertragen haben werden, weil das kleinbürgerliche Verständnis der „Verführung“ von Frauen – auch linken - nicht unbedingt geteilt werden muss.

 

Eine Einigung darüber, was dann wohl allen Beteiligten eine subjektive Lustempfindung ermöglichen kann, wie diese entsteht und wodurch und warum nach Bahamaslogik einer Frau eben erst Lust gemacht werden muss, halte ich im Bahamas-Kontext allerdings für ausgeschlossen. Genau genommen wird nämlich in der derart konzipierten Sexualethik nach Wertmüller und Krug genau das vorbereitet, was dann endlich auf Seite 3 unter dem Kapitelabschnitt „Lust“ erklärt wird: „Die Freuden der Passivität wie der Furor der Überwältigung.“, dem „Genommenwerden“ durch einen „wilden Mann“.  Vom „Furor der Überwältigung“ und dem Genommenwerden durch eine wilde Frau, die ein Mann oder eine Frau empfinden darf, erwähnen die Herren Wertmüller und Krug nichts.

 

Aber ein Nein oder Gegenwehr ist immer zu akzeptieren und das betrifft nicht nur den Bereich des Sexuellen, Selbstbestimmung sollte gerade in linken Diskursen oberste Priorität haben. Auch wenn Akzeptanz die Gefahr einer Fehlinterpretation bedeuten kann oder man sich eine andere Deutung wünscht. Vermeintliche Missverständnisse entlasten nicht jener Verantwortung und können auch nichts entschuldigen, wenn das „Missverständnis“ keines ist. Wer ein Nein ignoriert, ist für alles Folgende verantwortlich.

Es bedarf also keiner im DinA4-Format ausgefertigten 7-seitigen Aufklärungsschrift, um darin nach Bahamaslogik festzustellen, dass „das Gerede von der Autonomie“ und der unbedingten „Selbstbestimmung“ bedenklich sei, weil eben in der ausgelebten Sexualität der Mensch (eigentlich die Frau) „sich ausliefere“ und kein „höheres Ziel“ kennt. 

Auf den Rest dieses Machwerkes gehe ich mangels konstruktiv verwertbaren Inhalts nicht ein: Es ist wenig effektiv, sich mit jemandem über die Legitimation einer Definitionsmacht streiten zu wollen, der sie jemandem abspricht, der diese nur in seinen Zusammenhängen hält.

Ein Erklärungsversuch

 

Eine Diskussion darüber, was dann wohl jedem Teilnehmer an einem Sexualakt eine subjektive Lustempfindung (unstrittig wird wohl sein, dass alle ein Interesse daran haben sollten) ermöglicht, und warum nun einer Frau im genannten Fall erst Lust gemacht werden musste, halte ich unter Wertmüllers Vorgabe für wenig erfolgreich. Es ist grundsätzlich nicht besonders klug, an Hand eines bestimmten Falls allgemeine Bewertungsmaßstäbe festlegen zu wollen. Aber genau die sind von Interesse. Um überhaupt eine greifbare Methode zu entwickeln, die allen möglichen Interessen gerecht wird, dem Täter, dem Opfer wie auch beteiligten Dritten, müsste man sich dem Thema abstrakt nähern. Dem möglichen Missbrauch durch eine Falschbeschuldigung wird bei einer exklusiven Definitionsmacht durch das Opfer keine Bedeutung beigemessen. Von daher sollte die Macht der Definition sich auf die Anzeige beschränken, d. h. die Form, den Ansprechpartner und die Darstellung des Geschehens. Geht es jedoch darum, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen, wird auch dieser befragt werden müssen, um - wenn möglich- aus beiden Darstellungen, eine übereinstimmende Erklärung zum Vorfall abzuleiten. Verweigert ein Betroffener die Klärung, wird eine Entscheidung ohne sein Dazutun getroffen und er vergibt seine Chance auf Einflussnahme im Verfahren. Bis zur Klärung des Vorfalls ist darauf zu achten, dass die Definitionsmacht beim Anzeigenden verbleibt, also weder Informationen zum Geschehen an Dritte weitergegeben werden, die dazu geeignet sind, den Angezeigten in Verruf zu bringen oder sein Ansehen zu schädigen. Die Folgen einer Verdächtigung zeitigen Folgen unabsehbaren Ausmaßes, erst recht wenn sie falsch sind und es ist gerade in Ausnahmesituationen auch vom Opfer nicht zu erwarten, dass es rational entscheidet oder die Ruhe bewahrt – von allen anderen Beteiligten durchaus. Wenn es also zu einem schweren Vorwurf in linken Zusammenhängen kommt (und eine Vergewaltigung ist ein solcher), sollten sich zuerst alle zur Verschwiegenheit verpflichtet fühlen und ihr Mitteilungsbedürfnis auf ein vertrautes Umfeld beschränken, aus dem auch konkrete Hilfe zu erwarten ist. Dies alles nur, wenn die Klärung des Vorfalls innerhalb der Szene erfolgen kann und auch soll. Hilfe zur Selbsthilfe ist zwar ein großartiger Ansatz emanzipatorischer Praxis schützt aber auch moralisch berechtigte Täter nicht vor Strafverfolgung durch Repressionsorgane. Und diese sind berechtigt zum Einsatz der geballten Staatsgewalt, wenn sie durch eine Strafanzeige legitimiert sind. Sind Täter wie Opfer in linken Zusammenhängen zu verorten und scheint eine Klärung in angemessenem Rahmen möglich, sollte sie auch konstruktiv stattfinden. Bis zur Klärung des Geschehens sind das vermeintliche Opfer sowie der potentielle Täter vor weiteren Auseinandersetzungen besonders und individuell zu schützen. Dabei sollte allen Beteiligten klar sein, dass ein Aussitzen keine tragfähigen Lösungen bieten kann. Vor allem gegen das Opfer ist Untätigkeit, eine weitere Demütigung und wird einen Täter nicht zur reuigen Erkenntnis über seine Tat antreiben. Hysterischer Aktionismus richtet aber ebenfalls einigen Schaden an, und erst recht, wenn er denn auf einer  Falschaussage beruhen sollte. Wenn eine Klärung innerhalb der Szene erfolgen soll, muss sie auf emanzipatorischen und gerechten Prinzipien basieren. Ein Ausschluss sollte von daher das absolut letzte Mittel sein und für eine festgestellte Falschbeschuldigung ebenfalls in Betracht gezogen werden. Auch wenn es auf den ersten Blick unverhältnismäßig aussieht, ein falsches Opfer so zu behandeln, wie es der Täter erfahren hätte, wären die Vorwürfe richtig gewesen, so scheint mir genau diese Idee ein gerechtes Verfahren ohne staatliches Gewaltmonopol zu sein. Die Definitionsmacht des Opfers kann so auch den Täterschutz beinhalten und schützt zumindest theoretisch vor überzogener Hysterie und irrationaler Hektik. Allerdings ist auch hier dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Täter-Opferverhältnis nur die Beziehung der beide Subjekte wiedergeben kann und für das Verhalten Dritter nicht Ausschlag gebend sein darf. Immer sind die individuellen Beziehungen und Verhältnisse zu beachten und der speziellen Verfassung des Betroffenen Rechnung zu tragen. Ebenfalls sind alle Beteiligten offen über die möglichen Folgen der weiteren Verfahrensschritte zu informieren, um einer repressiven Maßnahme durch eigenes Handeln zuvor kommen zu können. Die Würde aller Menschen zu achten, ist ein moralisches Prinzip emanzipatorischer Politik. Linke haben sich darum nicht als Moralapostel aufzuspielen oder sich über Recht und Konventionen zu erheben, aber sie sollten in der Lage sein, ein akutes Problem in ihren Zusammenhängen selbstständig und aktiv zu lösen. Konkrete Vorgaben sind hier nicht zu leisten, da jeder Fall ein Einzelfall bleiben sollte und es keine normierenden Vorlagen braucht, sondern lediglich eine skeptische Prüfung des rational Erfassbaren. Die psychosozialen, mentalen, materiellen und praktischen Hilfestellungen für das Opfer nehmen dabei einen besonderen Raum ein und sind so weit wie möglich in der Gruppe zu erledigen. Dabei kann natürlich eine klärungswillige und hilfsbereite Bezugsgruppe keine Therapie ersetzen oder langfristigen Folgeschäden (Trauma, Angstzustände etc) vorbeugen, sie kann aber für einen gerechten Ausgleich sorgen und das sollte sie auch. Vorderstes Ziel bei einer Anschuldigung zu einem behaupteten Angriff auf die Selbstbestimmung einer Person ist also eine vollständige und detaillierte Klärung des Vorfalls, eine Reaktion der Gruppe wie auch die vollständige Akzeptanz des Opfers und eine als solche erkennbare moralische Verurteilung des Täters innerhalb der Gruppe und eine Festlegung der Außendarstellung, mit dem das Opfer und der Täter einverstanden sein müssen.

 

Machen wir Selbstbestimmung zum überragenden Prinzip!

 

 


 

 



[editiert: 09.02.09, 19:24 von Isquierda]
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