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Autor Beitrag
soyfer

Beiträge: 205

New PostErstellt: 12.02.06, 00:12     Betreff: anarchistische Utopie

Es ist inzwischen eine steltsame Situation eingetreten. Hier, unter "Störenfrieden" wird derzeit über Anarchie geredet und in der Rubrik "Anarchie - was ist das?" geht es um die Art der Beweisführung, die eingehalten werden muss, um von Diskussionspartnern anerkannt zu werden.
Ich habe daher diesen Text mit "anarchistische Utopie" übertitelt.

Doch nun zur Antwort an den Gast:
Wie du an anderer Stelle festgestellt hast, bist du der Logiker und hast uns zu recht gesagt, dass wir von Dingen, von denen wir nichts verstehen, unsere Finger lassen sollten, d.h. die Logik zu interpretieren. Wenn ich recht in der Annahme gehe, bist du besonders in der Negation zu Hause.
Aber das mit der Armee verweirrt mich immer noch. Das liegt aber weniger an deinem Deutsch, als vielmehr der Tatsache, dass jeder von uns einen sehr unterschiedlichen Zugang zur Anarchie hat. Wie du gesehen hast, kann diese Tatsache auch unter deutsch-Muttersprachlern zu schlimmsten Begriffsverwirrungen führen, so dass zeitweise Diskussionen über die Akzeptanz von Beweisführungen ober das richtige Lesen von Texten geführt werden.
Kurz: ich befürchte, ich werde vielleicht gezwungen werden, deine Aussagen fragend zu interpretieren, was eben die bewußte - aber möglicherweise falsche - Verwendung von Logik nach sich zieht.
Zentral scheint mir dein Satz zu sein:
Weltweite Herrschaftslosigkeit ist nicht machbar, selbst wenn es nur eine einzige Armee (und sei sie klein) gibt.
Daraus schließe ich, dass die Existenz der Armee 1. immer gegeben ist und 2. es diese Armee ist, die der weltweiten Herrschaftslosigkeit im Wege steht. Weiters lese ich daraus aber, dass du eine nicht weltweite Anarchie trotz der Existenz von Armeen nicht ausschließt.
Wenn ich das nun zu einem Bild zusammenfügen soll, würde ich das so sagen (vieles davon klingt für dich selbstverständlich, daher hast du es weggelassen):
Staatliche Herrschaft wird nie auf seine machtausübenden Organe verzichten und das ist die Armee und die Polizei. Will die Anarchie eine weltweite Herrschaftsausübung verhindern (letztlich auch eine innerstaatliche), so wird sie notgedrungen mit diesen Machtorganen in Konflikt geraten müssen. (nun kommt ein besonders spekulativer Teil) So sind jedoch Anarchisten gezwungen, selbst Herrschaft auszuüben (möglicherweise auch mit eigener Armee), indem sie die Herrschenden daran hindern, Herrschaft auszuüben, womit sie sich selbst ad absurdum führt. Um also Anarchismus weiter zu bleiben, kann die Anarchie die staatliche Herrschaft gar nicht verhindern oder wird selbst zu ihr.
Habe ich das einigermaßen richtig beschrieben? Ich weiß, es ist viel "Phantasie" und Spekulation dabei. Aber aus diesem komme ich zum zweiten Teil deiner Beschreibung, was ist denn dann für dich Anarchie?

Da alle Bereiche, auf die der Staat (und seine vielfältigen Institutionen) Zugriff hat, Herrschaftslosigkeit unterbinden kann, muss sich die Anarchie in die Lebensbereiche zurückziehen, auf die der Staat eben keinen Zugriff hat. Und das sind für dich "als letzte Bastion" die "Freundschaft".
Du definierst Anarchie also nicht als "Lebensraum", nicht einmal als "Individuum" sondern als "Lebensbereich". In keinem Gebiet kann je "rein" herrschaftslos gelebt werden, kein Mensch kann je herrschaftslos leben, es kann nur Lebensbereichsinseln geben, in denen man herrschaftlos existieren kann.

Wenn das der Fall sein sollte, dann drehst du - in meinen Augen - den Sinn von Anarchie um:
Anarchie ist in meinen Augen eine Forderung nach genereller und kompletter Herrschaftslosigkeit, eine Forderung des Menschen, seine Ketten loszuwerden.
Bei dir ist es eher ein "Rückzug" oder "Fortschritt", je nachdem sich die staatliche Herrschaft auf mehr Lebensbereiche ausdehnt oder davon zurückzieht. Es ist keine Forderung, sondern die Aufforderung, die Lebensbereiche, auf die der Staat keinen Zugriff hat oder keinen Zugriff verlangt, anarchistisch zu leben. Es ist die Feststellung, die Beine liegen in Ketten, die Arme liegen in Ketten, aber ach, meine Ellbogen sind noch frei, und der kleine Finger auch noch, also bewege sie! Die Aufforderung ist nicht: zerreiß die Ketten.
Dieser Anarchismus ist Wehmut, ein Traum, der nicht an sich glaubt.

Freiheit, so wie ich sie verstehe, ist unteilbar, weder in staatliche und wirtschaftliche Bereiche, noch in Lebensbereiche. Wenn ich in Berührung mit dem Staat (über Gesetze etc., die ich freiwillig einhalte, also ständig), mit dem Geldverdienen die ganze Zeit der Herrschaft ausgesetzt bin, so kann ich mich zwar im Freundenkreis davon erholen, aber mein Wesen ist doch genau durch die bisherige Herrschaft geprägt. Worüber rede ich denn mit den Freunden? Wie der Chef wieder unfair war, der Waren wieder teurer wurden, das Geld noch knapper wird. Das ist doch nicht das, worüber ich mich "in der Freiheit" unterhalten will?
Nein, diese "herrschaftsfreien" Lebensbereichsinseln sind Teil des Systems, denn sie dienen, Frust abzubauen, sich in sein Schicksal zu finden, sie geben bestenfalls die Illusion der Freiheit.
Diese Inseln sind - nach meinem Verständnis - nicht Anarchie. Sie sind die Brosamen von Freiheit, die fallengelassen werden, um uns ruhig zu stellen.

Und so ist es letztlich auch mit deinem Beispiel mit den Existenzformen:
Hinter Soyfer stecken letztlich "viele" Ich's. Eines für die "Freunde", eines für die "Frauen" (wobei ich hier anschließende Fragen außen vor lasse, z.B. ob Soyfer nicht auch weibliche "Freunde" haben kann), in der Öffentlich, am Arbeitsplatz. Du "sezierst" aus dem Leben des Menschen Existenzformen heraus, um in ihnen die Herrschaftslosigkeit zu finden. Letztlich findet sich hier deine Kritik an der dualen klassischen Logik (anarchie/nicht-anarchie) und ein Bekenntnis zur Fuzzy-Logik, in der sich für Anarchie Platz in den Grauzonen findet. Je nach Betrachter ist etwas mehr herrschaftslos oder weniger herrschaftslos.
Das kann ich, wie schon gesagt, auch vom logischen Ansatz nicht so sehen. Zwar stimmt es, dass staatliche Herrschaft sich nicht auf alles erstrecken kann, sie nicht alle Bereiche des menschlichen Lebens kontrollieren kann und daher immer unkontollierte Inseln bleiben. Daher wirst du immer Bereiche finden, in denen "Anarchie" lebbar ist.
Ich definiere Anarchie letztlich nicht von seinem Wortbegriff, dem negativen Pendent, aus, nämlich Herrschaftslosigkeit, sondern durch die vom Wortbegriff gestellte Forderung. Was ist Herrschaftslos? Es ist Freiheit.
Herrschaft ist teilbar. Hier herrsche ich, da du, hier wird geherrscht, da nicht. Ja, so können Anarchieinseln in der Herrschaft entstehen.
Aber wozu fordern Anarchisten Herrschaftslosigkeit? Weil die Herrschaft eine unansehnliche Buchstabenabfolge ist oder sonst etwas? Nein, weil sie unterdrückt, weil sie einem menschlichen Verlangen im Wege steht, der Freiheit. Anarchisten wollen Herrschaftslosigkeit nicht der Herrschaftslosigkeit wegen, sondern um der Freiheit willen. Daher geht jede Definition der Anarchie, die vor lauter Betrachtung der Herrschaftslosigkeit die Freiheit übersieht, am Ziel vorbei. Und Freiheit ist nicht teilbar. Nicht die Herrschaftlosigkeit in bestimmten Lebensbereichen ist Anarchie, sondern die ganze Herrschaftslosigkeit, die die Freiheit ist.

Dennoch ist die Einteilung des Lebens von Soyfer in Existenzformen interessant. Mit dieser Einteilung hat sich schon Guy Debord in seinem Buch "Gesellschaft des Spektakels" auseinandergesetzt. Dies ist eines der fundamentalen Werke der "situationistischen Internationale" aus den 1950/60er-Jahren.Wir Menschen handeln nämlich nicht als "ein Mensch", als ein "Ich". Denn letztlich handeln wir gar nicht, wir spielen Rollen, die handeln. Wir zeigen nicht unser Gesicht, wir zeigen eine Maske, die die Rolle verkörpert, die man gerade spielt. Und so sind wir auch im privaten Bereich letztlich nicht Ich's, sondern wieder nur eine Rolle mit Maske, die spielt, dass sie jetzt ein "Ich" sein kann. Aber die Rolle "Ich-sein" spielen oder tatsächlich "Ich sein", das ist hat miteinander wieder gar nichts zu tun. Und das ist auch das, was ich dir leider sagen muss. Schön, wenn du nette Freunde hast, aber im hier und jetzt könnt ihr von Anarchie nur träumen, sie (er-)leben aber nicht.

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