Sie sind nicht eingeloggt.
LoginLogin Kostenlos anmeldenKostenlos anmelden
BeiträgeBeiträge SucheSuche HilfeHilfe StatStatistik
VotesUmfragen FilesDateien CalendarKalender
Freies Politikforum für Demokraten und Anarchisten

PLATTFORM FÜR LINKE GEGENÖFFENTLICHKEITEN

Beiträge können nicht (mehr) eingestellt oder kommentiert werden!

 
Bundesverfassungsrichter verfassungswidrig gewählt?

Anfang   zurück   weiter   Ende
Autor Beitrag
bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 14.03.06, 11:22  Betreff:  Bundesverfassungsrichter verfassungswidrig gewählt?  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen




kopiert aus: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/meinung/531694.html



Ein guter schlechter Brauch

Christian Bommarius



Lügen haben kurze Beine - doch die Wahrheit hat gar keine. Seit 1957 beispielsweise hat sich die Wahrheit des Bonner Staatsrechtlers Richard Thoma nicht von der Stelle gerührt. Einmal von ihm ausgesprochen, wurde sie seitdem zwar alle Jahre von etlichen seiner Kollegen wiederholt, mal scharf, mal verbindlich, aber seit fast einem halben Jahrhundert ist es niemandem gelungen, die Wahrheit Richard Thomas in Bewegung zu setzen. Als wäre die Zeit über sie hinweggegangen, ruht sie im Abseits der öffentlichen Diskussion. Doch hat sie mit den Jahrzehnten von ihrer Brisanz nichts eingebüßt, vielmehr wird sie von der politischen Praxis unentwegt beglaubigt. Denn seit Thoma befand, die Wahl der Bundesverfassungsrichter durch den Bundestag sei "von Hause aus verfassungswidrig", hat sich an der Praxis der Richterwahl nicht das Geringste verändert - allenfalls ist sie seitdem noch unappetitlicher, noch intransparenter und noch obskurer geworden.

Das Grundgesetz behauptet, die sechzehn Richter der beiden Senate würden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Aber nicht die 614 Abgeordneten des Bundestags wählen die Verfassungsrichter, sondern die zwölf Mitglieder des Wahlausschusses. Zwei Prozent der Parlamentarier bestimmen also - zur Hälfte - über die Besetzung des höchsten deutschen Gerichts. So will es das einfache Gesetz - § 6 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz -, aber aus guten Gründen nicht das Grundgesetz. Und auch die Wahl der anderen Hälfte durch den Bundesrat wird nur der als Wahl betrachten, dem dafür die Einhaltung gewisser Formalien genügt. Zwar werden hier tatsächlich die Richter mit den Stimmen der 16 Länder gewählt. Aber werden sie tatsächlich gewählt? Eine Wahl setzt konkurrierende Angebote voraus, zumindest jedoch die Möglichkeit, zum Vorschlag nein zu sagen.

Die Wahrheit ist, dass selbst Richard Thomas deprimierende Wahrheit noch zu euphorisch war. Weder der Wahlausschuss des Bundestages noch das Plenum des Bundesrates hat die Bundesverfassungsrichter tatsächlich zu wählen, weder hier noch dort wird entschieden, wer in Karlsruhe als so genannter Hüter der Verfassung agiert. Der Ort der Entscheidung sind die Zentralen der beiden Volksparteien, die Strippenzieher der CDU/CSU und SPD verhandeln im Verborgenen die Zusammensetzung des Gerichts. Hier, nur hier wird bestimmt, wer über die nötige Qualifikation als Verfassungsrichter im Sinne der Parteien verfügt. Weil es der Zweidrittelmehrheit zur Richterwahl bedarf, wird so lange unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt, bis ein Paket geschnürt ist. Seine Adressaten haben das Paket dann nur noch dankend im Empfang zu nehmen.

So ist es guter schlechter Brauch. Und so ist es auch in diesem Jahr. In den nächsten Monaten werden am Bundesverfassungsgericht drei Stellen frei, die erste Ende März. Dieter Hönig, 1995 in den Ersten Senat gewählt, geht in den Ruhestand. Er war auf Vorschlag der FDP nach Karlsruhe gelangt - die CDU hatte, auch das ist Brauch, ihrem kleineren Regierungspartner eine der ihr "zustehenden" (Parteien-O-Ton) Richterstellen überlassen. Klug wäre es, für den renommierten Liberalen einen entsprechenden Nachfolger zu wählen, denn gerade der vor allem für die Grundrechte zuständige Erste Senat kann Liberalität sehr gut vertragen. Aber wäre es auch nützlich? Nützlicher ist Linientreue im Sinne der Union. Also muss, so ist zu hören, nun ein Konservativer her, der als Richter hält, was sich die Politiker von ihm versprechen. Am Ende wird so oder so die Paketlösung stehen - zusammengeschnürt sind dann nicht nur die drei neuen Verfassungsrichter, sondern vermutlich auch der neue Generalbundesanwalt und der Nachfolger für Ninon Colneric, die deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof. Zumindest in Personalfragen geht in der deutschen Politik die Post ab. Und sei es nur als Paket.

Niemand wird den Parteien und den von ihnen besetzten Institutionen das Recht bestreiten, die Führungspositionen des Staates zu besetzen. Aber erwartet werden darf, dass die Qualifikation der Kandidaten öffentlich bekannt und diskutiert wird. Und selbstverständlich sollte sein, dass die Entscheidung an dem Ort getroffen wird, den das Grundgesetz bestimmt - das kann neben dem Bundesrat nicht der Wahlausschuss, dass muss das Plenum des Bundestages sein. Aber, wie gesagt, selbst diese schlichte Wahrheit ist seit 49 Jahren nicht von der Stelle gekommen.



weiterführende Links:
http://www.cenjur.de/indexbverfgma.htm
http://www.betrifftjustiz.de/Texte/Neumann.htm



Mensch bleiben muß der Mensch ...
von Tegtmeier


[editiert: 08.08.11, 12:21 von bjk]
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden Website dieses Mitglieds aufrufen
Horch


New PostErstellt: 14.03.06, 13:22  Betreff: Re: Bundesverfassungsrichter verfassungswidrig gewählt?  drucken  weiterempfehlen

Hi BJK,

wenn "linientreue Zeitungen" sich zum Gralshüter der Verfassung machen, werde ich immer mißtrauig und fühle mich hier wieder mal bestätigt. Ich glaube kaum, dass es diesen Herren um die Verfassung geht. Wahrscheinlich geht es ihnen um die Durchsetzung der neoliberalen Politik.

Zitat:

>Klug wäre es, für den renommierten Liberalen einen entsprechenden Nachfolger zu wählen, denn gerade der vor >allem für die Grundrechte zuständige Erste Senat kann Liberalität sehr gut vertragen.

Was klug ist entscheidet also der Verfasser dieses Artikels. Wirklich sehr demokratisch!

Natürlich: An der Richterauswahl gibt es einiges zu kritisieren, z.B. die viel zu lange Amtsperiode von 12 Jahren. Aber ausgerechnet unsere Medien sind es, die immer wieder mit ihrer Hetze gegen den Sozialstaat die Axt am Grundgesetz angelegt haben. Und würden sich wahrscheinlich wünschen, dass ähnlich wie in den USA die Gerichte einseitig besetzt werden können.

nach oben
bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 14.03.06, 16:58  Betreff: Re: Bundesverfassungsrichter verfassungswidrig gewählt?  drucken  weiterempfehlen



Hi Horch,

mit Deinem Mißtrauen haste doch völlig recht und wir sind einer Meinung! Denn die "Berliner Zeitung" ist um keinen Deut seriöser als Springers "BZ".

Mit dem Kopieren des Kommentars von Christian Bommarius wollte ich die "Berliner Zeitung" ja auch nicht etwa aufwerten sondern vor allem den "eingespielten" BRD-Justizapparat samt Politklüngel bloßstellen und anprangern. Daß da vieles faul ist, hat ja nicht nur das gestern bestätigte Berufsverbot des Heidelberger Lehrers bewiesen, dessen Antifa-Zugehörigkeit kriminalisiert wurde. - Was Wunder, wenn die bundesdeutsche Justiz von Nazi-Richtern "aufgebaut" wurde, egal, was diese zuvor verbrochen hatten! Auch Nazi-Gehlen "durfte" den BND "aufbauen" und Nazi-Feldmarschall Manstein war maßgeblich am Aufbau der Bundeswehr beteiligt.

Wen wundert deshalb das neue "Nationalgefühl" und das "Wertegesabber" von Union und SPD, wenn mensch weiß, daß das Nazi-Gewinnler-Unternehmen Bertelsmann den ganzen nationalistischen Spuk sponsert. Darauf ist siehe Hund


Hast Du übrigens auch mal in diesen Link reingeschaut? Da befaßt sich Dr. Volker Neumann, Professor an der Berliner HU für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Staatstheorie, wesentlich fundierter mit den Vorwürfen zur Verfassungswidrigkeit der Wahl von Bundesverfassungsrichtern. Und daß das Wahlprocedere verfassungswidrig ist, daran läßt auch er keinen Zweifel. Abschließend mal einige diesbezügliche Zitate von ihm:

"Zur Verfassungsmäßigkeit ihrer eigenen Wahl halten sich die Karlsruher Richter aber bis heute bedeckt, obwohl sie mehrfach Gelegenheit hatten, sich zu äußern."

"Der Kreis der Personen, die über die Auswahl tatsächlich entscheiden, ist häufig erheblich kleiner als der Wahlausschuß. Es kann vorkommen, daß die Entscheidung je einer Person pro Seite zufällt. Dabei haben die Auswähler wegen der oft gegenläufigen politischen Interessen und dem Zwang zur Koordination zwischen Ausschuß und Bundesrat einen weiten Entscheidungsspielraum7). In der Literatur wird von einer Situation berichtet, bei der die Wahl eines Richters davon abhing, daß ihm der maßgebliche Wahlmann sein Wort gegeben hatte."

"Wer wollte bestreiten, daß das Bundesverfassungsgericht zunächst einmal ein Gericht ist, das nur auf Anrufung und nachträglich kontrollierend tätig wird. Jedoch ist es nach ganz überwiegender Ansicht mehr, nämlich ein Verfassungsorgan 14), das sich grundlegend von den Obersten Bundesgerichtshöfen unterscheidet, deren Errichtung und Besetzung in Art. 95 GG geregelt ist. Es prüft nicht nur wie alle anderen Gerichte Parlamentsgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit, sondern verfügt darüber hinaus über die Verwerfungskompetenz. Es greift also in die Kompetenz der Legislative und – wie die Präsidentenanklage (Art. 61 GG) und die Anklage gegen Bundesrichter (Art. 98 Abs. 2 GG) zeigen – in die Kompetenzen der anderen Gewalten ein."

"Dieses Ergebnis läßt sich mit Art. 38 Abs. 1 GG untermauern. Aus dieser Bestimmung folgt der allgemeine Grundsatz, daß die demokratische Legitimation gewählter Organe um so stärker sein muß, je geringer die demokratische Kontrolle des Organs ist. Da das BVerfG weitgehend unabhängig von demokratischer Kontrolle ist und über eine erhebliche Kompetenzfülle verfügt, bedarf es einer besonderen demokratischen Legitimation."

"Die Regelung begünstigt das faktische "Oligopol der beiden großen Parteien" zu Lasten der kleinen 48). Eine Fraktion, die keine Sperrminorität hat, kann die Wahl eines Richters nur durchsetzen, wenn der große Koalitionspartner ihr eine Präferenzbesetzung überläßt. Da es in der Opposition keine Koalition gibt, geht eine kleine Oppositionsfraktion leer aus."

"Es wurde errechnet, daß Fraktionen, die weniger als 8 % der Abgeordneten stellen, regelmäßig nicht im Wahlausschuß vertreten sind 49). Dieser faktische Ausschluß der kleinen Fraktionen von der Wahl gerät mit dem im demokratischen Prinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) wurzelnden parlamentarischen Minderheitenschutz in Konflikt 50). Dieser Schutz soll der Minderheit ermöglichen, ihren Standpunkt in den Willensbildungsprozeß einzubringen."

"Ein sachlicher Grund, warum § 6 Abs. 2 BVerfGG statt dessen nur 12 Mitglieder vorsieht, ist nicht zu erkennen."

"Aus der Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Wahlausschusses (§ 6 Abs. 4 BVerfGG) folgt die Nichtöffentlichkeit seiner Tätigkeit. Zwar soll das in Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG statuierte Öffentlichkeitsgebot, was sich aus einem systematischen Vergleich mit Abs. 3 ergebe, nur für Plenarsitzungen und eben nicht für die Ausschüsse gelten 54). Das mag angehen, wenn die Ausschüsse Plenarsitzungen vorbereiten, da der Bürger sich dann informieren kann. Wenn Ausschüsse wie der Wahlausschuß eine endgültige Entscheidung treffen, also stellvertretend für das Plenum handeln, ist das Öffentlichkeitsgebot auf die Ausschußarbeit auszudehnen 55). Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgebot sind dann nur zulässig, wenn die Funktionstüchtigkeit des Staatsorgans gefährdet ist. Das ist für den Wahlausschuß nicht anzunehmen, da der Bundesrat seit Jahrzehnten die Richter in öffentlicher Sitzung wählt 56). Also ist die Nichtöffentlichkeit der Ausschußarbeit ebenfalls verfassungswidrig."

"Jedenfalls gibt es sehr gute Argumente dafür, daß die indirekte Wahl, der faktische Ausschluß der kleinen Fraktionen aus dem Wahlausschuß und die Nichtöffentlichkeit der Wahl verfassungswidrig sind. Ein verfassungsgemäßer Zustand läßt sich leicht wiederherstellen. Der Bundestag braucht nur mit einfacher Mehrheit die §§ 6, 7 BVerfGG aufzuheben und dann in seiner Geschäftsordnung die Wahl der Richter durch das Plenum zu regeln."


Ansonsten wiederhole ich, was ich oben schon gesagt habe, nämlich ... den "eingespielten" BRD-Justizapparat samt Politklüngel bloßstellen und anprangern.

Gruß
bjk
nach Diktat ausgeritten - auf Schusters Rappen



Mensch bleiben muß der Mensch ...
von Tegtmeier


[editiert: 08.08.11, 12:21 von bjk]
nach oben
Benutzerprofil anzeigen Private Nachricht an dieses Mitglied senden Website dieses Mitglieds aufrufen
Horch


New PostErstellt: 14.03.06, 17:14  Betreff: Re: Bundesverfassungsrichter verfassungswidrig gewählt?  drucken  weiterempfehlen

Hallo BJK,

nun, ich habe auch keine Kritik daran geübt, dass Du den Link eingestellt hast.

Nur eine Nachbemerkung: Dass der Justizapparat einst von Nazis mitaufgebaut wurde ist richtig. Heute sind dort vor allem Neoliberale vertreten (di Fabio, Papier...) Kapitalismus bzw. seine neoliberale Form sind jedoch nicht klar vom Faschismus zu trennen (das Prinzip des Konkurenzkampfes ist im beiden enthalten). Dennoch trete ich vor allem für eine soziale Kritik an den Verhältnissen ein. Es gibt leider viel zu viele die mit dem Nazivorwurf allzu inflationär umgehen (ich meine jetzt niemanden in diesem Forum). Das halte ich für gefährlich und kontraproduktiv. Den das kann beim Beobachter dazu führen, dass er glaubt der Kapitalismus müsse mit dem Faschismus gleich gesetzt werden, um ihn zu kritisieren. Dabei ist der Kapitalismus auch so zynisch und grausam genug.

nach oben
Sortierung ndern:  
Anfang   zurück   weiter   Ende
Seite 1 von 1
Gehe zu:   
Search

powered by carookee.com - eigenes profi-forum kostenlos

Layout © subBlue design
. . . zum Politikmagazin auf diesen Button klicken >> bjk's Politikmagazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .