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Kreuzbergs Autonome und ihre anarchistischen Gedanken

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 12.08.04, 16:55  Betreff:  Kreuzbergs Autonome und ihre anarchistischen Gedanken  drucken  weiterempfehlen




kopiert aus: http://de.indymedia.org/2004/08/89057.shtml


Notizen zum Umbau des Sozialstaats

von Autonome aus X-Berg - 11.08.2004 14:54

Nicht zu retten!

Notizen zum Umbau des Sozialstaats

Auf zum Hermannplatz! rief die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich den protestierenden Studierenden zu - auf zu den zahllosen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern Neuköllns, um sie zum Arbeiten zu drängen. Denn indem sie lieber faul auf der Haut und dem Staat auf der Tasche liegen, verbraten sie das Geld, das der Bildung fehlt.

Darin, erklärte die FAZ, bestehe der Neuköllner Lebensstil, der bedrohlicherweise auch längst in anderen Armutsbezirken gängig sei. Und damit muß nun Schluß sein, soll Deutschland eine Zukunft haben. Und um die ging es ja erklärtermaßen auch beim Uni-Streik, der die Nation warnte, sie verspiele ihre Zukunft, wenn sie irgendwelche Institute dichtmache. Wenigstens die Gegenseite hat noch Klassenbewußtsein, möchte man der FAZ gratulieren, zumindest einen gewissen Realitätssinn: Berlin ist bankrott, und eine Viertelmillion Sozialhilfeempfänger ist eine stolze Zahl. Wer soll das bezahlen? Und vor allem: Warum sollte man, wenn viele gar nicht arbeiten wollen?

Dieser Verdacht der FAZ ist nicht weit hergeholt: Warum sollte man für einen lächerlichen Lohn 40 Stunden schuften, wenn man mit Sozialhilfe, Wohngeld und ein bißchen Schwarzarbeit auch halbwegs über die Runden kommt? Warum die Zeit mit der Produktion von irgendwelchem Schund verschwenden, wenn man einfach im Bett bleiben kann?

Instinktiv hat die FAZ mehr vom Sozialstaat begriffen als Gewerkschaften und Linke zusammen. Geld ist nicht genug da und schon gar nicht dafür, einfach in Lebensmittel umgesetzt zu werden. Deshalb geht es den Habenichtsen an den Kragen. Wo noch vor einigen Jahren den Arbeitslosen mit der Bezeichnung Faulenzer ideologisch die gelbe Karte gezeigt wurde, steht heute ganz materiell der Platzverweis auf der Tagesordnung. Der Berliner Doppel-haushalt 2004/05 kürzt das Kleidergeld und streicht das BVG-Sozialticket, gleichzeitig steigen Kita-Beiträge und Mieten in Sozialwohnungen. Gekürzt und gestrichen wird nicht nur hier, doch die Hauptstadt des wiedervereinigten Reiches hat besonders viel nachzuholen. Wurde Berlin während des Kalten Krieges aus politischen Gründen ökonomisch subventioniert, wird die Stadt jetzt mehr und mehr den allgemein geltenden Prinzipien unterworfen. Das heißt: Unproduktive Staatsausgaben drastisch absenken und damit gleichzeitig den Arbeitszwang verschärfen.

Daß es SPD und PDS sind, die diesen Kurs unbeirrbar durchziehen, deutet schon darauf hin, wie wenig es um willkürliche Entscheidungen des politischen Personals und wie sehr es um objektive Zwänge der Marktwirtschaft geht.


Terror der Rentabilität

Praktisch umfaßt dies auch die Privatisierung von Krankenhäusern, Schwimmbädern, Verkehr oder auch Wohnungsbaugesellschaften. Auch diese sozialstaatlichen Einrichtungen sollen profitabel werden, anstatt den Staatshaushalt zu belasten. Ob etwa die Mieter der Wohnungsgesellschaft Bewoge wegen der Umwandlung in Eigentumswohnungen ausziehen oder sich auf höhere Mieten einrichten müssen, bleibt der Willkür der künftigen Besitzer überlassen - das Land ist einen Kostenpunkt los.

Mit der Umwandlung von Teilen des öffentlichen Sektors in GmbHs wurden miesere Arbeitsverträge im großen Stil durchgesetzt. Outsourcing ist der andere große Renner. Verkleinerung in verschiedene Gesellschaften soll mehr Konkurrenz ermöglichen, die die einzelnen Bereiche zu den europaweit billigsten Konditionen anbietet. Wenn sich dann ohne große Überraschung herausstellt, daß die frischgebackenen Sozialdienstleister trotzdem Verluste machen, stehen Entlassungen, Lohnsenkung und Arbeitsverdichtung auf dem Programm, wie jetzt bei der BVG. Gleiches gilt für die Vivantes GmbH, mit neun Berliner Krankenhäusern das bundesweit größte Krankenhausunternehmen, dessen einziger Gesellschafter das Land Berlin ist. Vivantes steht vor der Zahlungsunfähigkeit und die Beschäftigten vor einer attraktiven Wahl: Durch Lohnverzicht den Laden erst mal zu retten oder sich künftig von einem Insolvenzverwalter einmachen zu lassen, um mittelfristig schließlich unter richtigen Privatkapitalisten zu arbeiten. Egal wer künftig der Eigentümer der GmbH sein wird, den Schaden tragen die Beschäftigten bereits jetzt, und natürlich auch die PatientInnen.


Sozialkürzungen als Angriff auf den Lohn

Durch den Abbau von Sozialleistungen soll das Einkommensniveau der Lohnabhängigen insgesamt gesenkt werden. Die Propaganda, den Arbeitenden käme der Terror gegen die Unproduktiven zugute, blamiert sich bereits daran, daß längst alle Lohnabhängigen im Zentrum des Angriffs stehen. Es soll länger und flexibler gearbeitet werden - im öffentlichen Dienst demnächst bis zu 42 Stunden. Das Gebot der Stunde heißt ansonsten Lohnnebenkosten senken. Nicht nur die Lohnbestandteile für Sozialversicherungen, sondern alle Einrichtungen des Sozialstaates sind letztlich Lohnnebenkosten, wenn man es aus der Sicht des Wirtschaftsstandorts Deutschland betrachtet. Für die Lohnabhängigen hat die Unterscheidung in Lohn und Lohnnebenkosten etwas Unsinniges. Schließlich zählen am Ende Lohn wie Kranken- und Rentenversicherung gleichermaßen für den Lebensstandard.

Mit den gegenwärtigen Sozialkürzungen ergänzt die Politik die tarifhoheitliche Aushandlung zwischen Unternehmen und Gewerkschaften um den nötigen Druck, jeden Job besser als keinen finden zu müssen. Deshalb spricht die Neue Mitte am liebsten von ?aktivierender Sozial- und Arbeitsmarktpolitik?. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und den Arbeitsdiensten des zweiten Arbeitsmarkts setzt der Staat den Zwang zur Arbeit unter verschlechterten Bedingungen neu durch, der sich in anderen Ländern quasi als stummer Zwang der Verhältnisse herstellt. Die Schikanen gegen Sozialhilfeempfänger führen zu einer Indi-vidualisierung des Lebensrisikos, die an den meisten anderen Orten der Welt gar nicht erst hergestellt werden muß. Dort ist es nicht der Staat, sondern die Zwangsgemeinschaft Familie, an die sich die vereinzelten Einzelnen klammern müssen.

Auch hier wird Hand in Hand mit der Schaffung einer breiten Schicht von working poor der Muff von Heim und Herd wieder mit ideologischen Weihen versehen. Die Blutsgemeinschaft der Familie soll die totale Durchsetzung von Tauschbeziehungen flankieren, während sie ökonomisch längst ausgehöhlt ist. Denn gleichzeitig wird mit den Ich-AGs und ähnlichen Arbeitsformen ein neues Verhältnis zwischen Lohn und Reproduktion durchgesetzt. An die Stelle des männlichen Familienernährers mit Normalarbeitstag treten Putzfrauen, Sicherheitsbedienstete und andere Lohnabhängige am unteren Rand der Lohnhierarchie, die aufgrund der miesen Bezahlung auf mehrere Jobs gleichzeitig angewiesen sind. Wer die sozialstaatlichen Einrichtungen bisher für den Schutz vor dem totalen sozialen Absturz gehalten hat, wird mit der Agenda 2010 und den beschriebenen Privatisierungsstrategien auf den aktuellen Stand des kapitalistischen Realitätsprinzips befördert.


Modell Deutschland in der Krise

Der deutsche Staat verabschiedet sich von der Auffassung, sein Sozialsystem sei wesentlich für den Erfolg des "Modell Deutschland". Während Gewerkschaften und Linke den Sozialstaat als Ergebnis von Kämpfen verklären, war er seit seinen Anfängen im Kaiserreich immer auch ein Projekt der Herrschenden, das die Arbeitskräfte fit halten und politisch einbinden sollte. Unmittelbare Interessen der Lohnabhängigen fielen mit dem Interesse des Kapitals zusammen, die Arbeitskräfte bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit nicht in die totale Verelendung absacken zu lassen. Ideologisch diente die deutsche Sozialpolitik der Abgrenzung vom liberalen Kapitalismus des Westens: Die Klassengesellschaft war anderswo, in Deutschland sollte der Staat des ganzen Volkes den patriarchalischen Betriebsfrieden ergänzen. Seine Sternstunde erlebte dieses Modell im Ersten Weltkrieg: Gewerkschaften und Sozialdemokratie erwiesen ihren Internationalismus als hohle Phrase, sicherten den sozialen Frieden während des imperialistischen Krieges und beteiligten sich nach Kräften an der Niederschlagung der revolutionären Bewegung nach 1918. Der Burgfrieden des Krieges verlängerte sich in den zwanziger Jahren in der verstärkten Integration der Gewerkschaften und staatlicher Sozialpolitik. Nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 war dieses Arrangement nicht mehr aufrechtzuerhalten. Es rettete die Gewerkschaften nicht vor der Zerschlagung, daß sie sich bei den Nazis ohne Hemmungen anbiederten.

Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft war die Grundlage für das Modell Deutschland nach 1945. Auf nun mehr demokratische Weise erstickte die Sozialpartnerschaft in Form von Mitbestimmung, Einheitsgewerkschaft und staatlicher Sozialpolitik jeglichen Klassenkampf. Politische Streiks wurden ebenso verboten wie die KPD, im Zusammenspiel von Staat und Gewerkschaften wurde das Streikrecht zu einer berechenbaren Form der Konfliktaustragung zwischen Sozialpartnern, die sich grundsätzlich respektieren. Kaum irgendwo wurde und wird so selten gestreikt wie in Deutschland - von wilden Streiks ganz zu schweigen. Krisen und soziale Unruhen schienen zu einem Kapitalismus zu gehören, den man durch Staatseingriffe längst hinter sich gelassen hatte.

Seit geraumer Zeit hat dieses Modell Risse bekommen, allerdings nicht durch Kämpfe von unten, sondern aufgrund der ökonomischen Krise. Ausgebaut wurden die sozialen Garantien zu Zeiten von Wirtschaftsboom und Vollbeschäftigung, als der Staat ohne weiteres einen Teil des Mehrwerts abzweigen konnte und die Arbeitslosenversicherung nur selten in Anspruch genommen wurde. Seit den siebziger Jahren schwächelt die Profitabilität des Kapitals in den entwickelten Zentren trotz steigender Produktivität. Die Produktion wird kaum mehr ausgeweitet, Arbeitskräfte werden allerorten ausgespuckt. In dieser Situation wird die gewohnte Reproduktion der Arbeitskraft zu kostspielig. Die Staatstätigkeit gilt inzwischen nicht mehr als krisenvermeidender Segen, sondern als Belastung des Profits. Schien der Staat lange Zeit als Gesellschaftsplaner souverän über den Verhältnissen zu stehen, erweist er sich nun als durch und durch abhängig von der Produktion, die er flankieren will.


Elend der Gewerkschaften

Vom Modell Deutschland faseln heute nur noch die Gewerkschaften, die um ihre Rolle zittern. Sie dienen sich weiter als Stützen des sozialen Friedens an, um verschont zu werden und nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dem Angriff auf die Lohnabhängigen haben sie nichts entgegenzusetzen und einige Maßnahmen gegen die Arbeitslosen sogar offen begrüßt. Kooperativ gestimmt, finden sie diese Maßnahme notwendig und jene ein wenig übertrieben. Vor allem soll es bei der Standortsanierung gerecht zugehen - die Kapitalistenklasse hat dieses Ablenkungsmanöver bereits aufgegriffen und erörtert mit selbstkritischer Miene die Höhe der Vorstandsgehälter. Immer geht es den Gewerkschaften ums Gemeinwohl, um den Standort, um Deutschland. Sie appellieren an eine gesamtwirtschaftliche Vernunft, die nichts anderes als die Logik des Kapitals ist, deren Konsequenzen ihnen dann wieder nicht so recht passen, weshalb sie etwas jammern und leere Drohungen aussprechen.

Ihr lustiger Vorschlag an den Staat besteht darin, mit genau der Politik von vorne anzufangen, die er sich nicht mehr leisten kann und deshalb aufgegeben hat: Mehr Schulden aufzunehmen, um mehr zu investieren. Und schon ist die Krise Vergangenheit, die Arbeitslosen haben Lohn und Brot und der Kanzler muß nicht mehr so grimmig dreinblicken. Denn: "Modell Deutschland heißt: Zuerst der Mensch!" (IG BCE)


Für die Krise der Gesellschaft

Es ist merkwürdig: In der gegenwärtigen Krise betätigen sich die Verfechter der Sozialstaatsidee, von Gewerkschaften bis PDS, praktisch als Handlanger bei der Durchsetzung des Verzichts auf Seiten der Lohnabhängigen. Umgekehrt setzt offenbar die Verteidigung unserer materiellen Interessen gerade voraus, mit der ganzen Grundlage des Sozialstaats zu brechen. Wer der Verschlechterung seiner Lebensverhältnisse unter der Flagge der "Verteidigung des Sozialstaats" entgegentritt, hat damit bereits die weiße Fahne gegenüber den Verhältnissen gehißt, die unweigerlich Verzicht auf die Tagesordnung setzen. Dieser Widerspruch läßt die staatstragende Linke gegenwärtig dümmer aussehen als die Polizei erlaubt. Es käme vielmehr darauf an, die herrschende Logik umzudrehen: Wenn die berühmt-berüchtigten Sachzwänge allerorten Opfer verlangen - und anderswo ganz andere als hierzulande - , dann müssen diese Sachzwänge der kapitalistischen Produktionsweise und ihres Staates weg.

Gegen die Erpressung der Lohnabhängigen mit der weltweiten Massenarbeitslosigkeit hilft nur die Abschaffung der Lohnarbeit. Gewerkschaften, Attac und Sozialforen zerbrechen sich statt dessen den Kopf darüber, wie man Arbeitsplätze schaffen kann und treten so das einzig Gute mit Füßen, das die Katastrophe namens Menschheitsgeschichte hervorgebracht hat: Daß nach Jahrhunderten des technischen Fortschritts mit immer weniger Arbeit ein gutes Leben für alle möglich geworden ist ? wenn auch nicht unter den bestehenden Verhältnissen. Erst der Blick auf die freie Assoziation versetzt uns in den Stand, die Sorge um die Zukunft des Standorts zurückzuweisen und im Kampf für unsere Bedürfnisse die Gesellschaft tatsächlich in die Krise zu stürzen, die eben solange keine ist, wie sie widerstandslos auf Kosten der Lohnabhängigen bewältigt werden kann.

von
Freunde und Freundinnen der Klassenlosen Gesellschaft!

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Macht Stimmzettel zu Denkzetteln!
Bei Unschlüssigkeit nicht das "kleinere Übel" oder gar nicht wählen
sondern ungültig wählen!
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