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bjk
Beiträge: 7353
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Erstellt: 11.04.05, 07:49 Betreff: Re: Gedanken zum Mummenschanz um den toten Papst Wojtyla |
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kopiert aus: http://www.jungewelt.de/2005/04-11/024.php
11.04.05
Klaus Bittermann Kaputte Katholen Der Papst, die Medien und der Tod
Es war ein langes Gewürge, und die öffentliche Zurschaustellung des Siechtums hatte nicht mal der Papst verdient, auch wenn er sich selbst keine Schonung gewährte. Kurz bevor er den Löffel abgab, lehnte er sich noch einmal krächzend aus dem Fenster, um seine Schäflein zu segnen, was ein bißchen nach Muppetshow aussah. Früher kippte man dem Papst einfach ein bißchen Gift in den Becher und die Sache war geritzt. Aber die Kirche ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Zehntausende weideten sich auf dem Petersplatz am schmerzverzerrten Gesicht von Paul II. und gerieten darüber in religiöse Verzückung. Kein schöner Anblick, aber es wurde einem nichts erspart, und daran sieht man, daß die Verurteilung von Gewaltvideos in den Medien nur geheuchelt ist, denn schlimmer, als jemandem öffentlich beim Abkratzen zuzusehen, sind diese Dokumente auch nicht. Der religiös verbrämte Voyeurismus will dabei ebenso auf seine Kosten kommen wie jeder andere eben auch. Das Leid und die Qual üben vor allem auf die Religiösen eine große Faszination aus, und auch wenn man sie offiziell verdammt, verabscheut, verurteilt, verteufelt und ganz entschieden ablehnt, würde man ohne sie gar nicht auskommen. Die Affinität der Gläubischen zu den Bildern und Darstellungen des Grauens ist Tradition, die Wundmale ihres Chefs und die ausgesuchten, ja exquisiten Qualen der Märtyrer waren immer auch die Quelle großer Befriedigung. Oder, wie man im Ruhrgebiet sagen würde: »Da gehen die Katholen kaputt drauf!«
Vielleicht aus diesem Grund wurde die Nachricht vom Tod des Papstes wie ein glückliches Ereignis gefeiert. Sein Tod wurde beklatscht und bejubelt, Menschen umarmten und beglückwünschten sich, als sei man froh darüber, daß der durch sein Verbot von Verhütungsmitteln für AIDS maßgeblich verantwortliche Massenmörder endlich weg vom Fenster ist. Aber es war nicht plötzlich der Weltfriede ausgebrochen, sondern man feierte den Papsttod und sich selbst als mediales Ereignis, weil man dabeigewesen ist. Die Menschen zückten Foto-Handys und Cam-Corder, um genau das zu dokumentieren und mitzuteilen. Man imitierte damit, was Prominente vormachen. Wichtig ist nicht, warum man da ist, sondern daß man da ist. Nun war man deshalb zwar noch kein Promi, aber immerhin schon mal ein Adabei, also dort, wo Medien und Massen sich ein Stelldichein gaben und sich selbst inszenierten. Auf einen Betenden kamen zwei Kameras, die ihn filmten. Und deshalb klatschten sie. Sie beklatschten sich selbst, weil man wußte, daß man als bloße, sich zusammenballende Masse aus dem Papsttod ein »Mega-Event« machen konnte. Es herrschte eine geradezu symbiotische Beziehung zwischen Massen und Medien, denn je mehr Menschen nach Rom strömten und eine ganze Stadt lahmlegten, desto weniger konnte man dem Terror der medialen Berichterstattung entgehen, und je mehr darüber berichtet wurde, desto mehr Menschen wollten dabei sein.
In den Nachrichten der TV-Anstalten bekam man nichts anderes mehr serviert als fundamentalistische Eiferer, die nicht, wie in einer von Vernunft regierten Welt, ob ihres Geisteszustandes bemitleidet und ansonsten ignoriert werden, sondern denen man den gesamten Nachrichtenplatz einräumte, obwohl oder vielleicht auch gerade weil die Christen nichts als entrücktes und befremdliches Betroffenheitsgequackel und ein paar Tränen zu bieten hatten. Und wenn das aktuelle Befinden des Papstes bis ins Kleinste durchgekaut war, ging eine andere religiöse Sekte auf Sendung, die für das unwürdige Dahinvegetieren der im Wachkoma liegenden Terri Schiavo mit Gebet und Gewalt eintraten und ihr kurz vor dem Tod sogar noch einen Pfaffen auf den Hals hetzten. Da hatte selbst Harald Juhnke, der sonst immer für eine Schlagzeile gut war, keine Chance. Er hatte Glück: Im Schatten des Papstes konnte er sich fast unbemerkt davonmachen. Ihm blieb das unwürdige Ende des Papstes erspart, von Hunderttausenden angegafft und fotografiert zu werden.
Der Papst-Biograph Andreas Englisch schrieb: »Ich bin froh, daß sie dem Marathonmann Gottes für die letzte Reise die Lederslipper angezogen haben, die er so gerne mochte. Ich weiß noch, wie er sie nach der Hüftoperation 1994 zum ersten Mal trug. Sie waren bequemer als die Lederschnürschuhe.« Und damit wußte man, woraus das Mega-Event wirklich bestand: Aus aufgeblasener Nichtigkeit.
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[editiert: 11.04.05, 07:53 von bjk]
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