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Isquierda

Beiträge: 279

New PostErstellt: 26.01.06, 10:51     Betreff: Re: Anarchisten sind Demokraten!

Lieber soyfer,

das ist perfekt. Eine großartige und anspruchsvolle Diskussion, die mir so richtig Spaß macht. Recht herzlichen Dank für deine Geduld und die Bereitschaft so charmant auf die bisherigen Ausführungen einzugehen. Und vorweg: Ich verstehe dich jetzt um einiges besser.

Um der Einfachheit halber, werde ich aber deinen Text nicht kopieren, sondern stichpunktartig darauf eingehen. Ich hab ihn mir ausgedruckt, vollständig durchgelesen und mir ordentlich Notizen gemacht. Sollte ich einen wichtigen Teil vergessen, bitte ich dich darum, diesen gesondert anzusprechen.

Klassen(los)gesellschaft

Du schreibst, der Kommunismus sei allein durch seine Definition „klassenlos“ und das hieße, er sei „hierarchielos“. Ich befürchte aber, dass allein die Abschaffung der Klassen (im Sinne von Marx) nicht automatisch die Hierachie beseitigen wird, die immer in irgendeiner Form gegeben sein wird. Jedenfalls nach meinem Anarchismusverständnis. Hierarchie ist eine Organisations-Struktur, die nur durch die Macht- und Ohnmachtsverhältnisse repressiv wird. Hierchie bedingt nicht automatisch den Machtmissbrauch. Erstmal ist eine Hierarchie nichts weiter als eine Art Verzeichnis-Baum, der nicht statisch sein darf, sondern eine Art Katalog der Möglichkeiten darstellt. Innerhalb dieser Hierarchie die Kategorie zu wechseln muß möglich und machbar sein. Sobald hingegen eine Kategorie Machtbefugnisse für sich in Anspruch nimmt, die den Interessen einer anderen Kategorie entgegenstehen, steht die Wahl zwischen Legalisierung somit widersprüchlicher Handlung oder der Akzeptanz des Widerstandes und Änderung des Zustandes. Um zu erklären, was ich meine, greife ich auf Chomsky´s Legitimationsnot für bestimmte Befugnisse hin. Chomsky erklärt, dass es zum Beispiel sehr wohl gerechtfertigt werden kann, ein Kind (vor allem das eigene) am Überqueren der viel befahrenen Straße zu hindern, und zur Not eben auch mit Gewalt, selbst wenn es der ureigene und freie Willen des Kindes ist, diese justamente ruckfix zu überstürmen, weil der quietschgelbe Ball an der Leitplanke liegt. Anarchismus ist für mich die stete Frage nach Legitimation, quasi Skepsis gegen Obrigkeiten und die ständige Auseinandersetzung mit Regeln, Zwängen und Normen. Diese werden aber weiterhin vorhanden sein, denn eine Gemeinschaft kann nur normiert und reglementiert funktionieren. Repression braucht es dazu aber nicht, denn wenn alle individuellen Bedürfnisse beachtet werden (absoluter Minderheitenschutz), ist es unnötig, jemanden zur Einhaltung zwingen. Es ist auch unnötig, jemanden in eine Gemeinschaft zu pressen, der dieser nicht angehören will: Alles basiert auf Freiwilligkeit und der Akzeptanz der Gemeinschaft.
Mein Paradebeispiel ist ein Rauchverbot in U-Bahnen: Wird es damit begründet, das Kippenstummel die Schienenstränge verunreinigen, so würde ich argumentieren, dass ich auch meine ungerauchten Kippen (und allerhand anderen Müll) in den Tunnel werfen kann und ein Verbot die Glimmstengel nicht zu verqualmen unsinnig ist. Das Argument der verrauchten Glimmstengel ist nicht logisch. (Ganz davon abgesehen, dass ich Rauchverbote an „offenen“ Plätzen für ohnehin absurd halte, zur Not atmen wir halt Feinstaub ein und sterben trotzdem an Vogelgrippe oder irgendeiner anderen Seuche.) Und darum geht´s mir, um die Logik. Eine Idee ist nur so gut, so erträglich die schlimmste gedachte Version der Ausführung ist. Ich wünsche mir in meinen Tagträumen, eine Gesellschaft, in der es keine Repression gibt, in der jeder jeden fragen darf (und auch eine Antwort bekommt), warum das so ist – wenn er Zweifel hat, in der es Argumente und Diskussion gibt, statt

Zurück zu den Klassen: Weiter hebst du darauf ab, dass die Aufhebung der Klassen ein Propagandatrick sei, sie also nicht wirklich stattgefunden habe – aber anderseits, bestätigst du das Verwischen der Grenzen. Und genau das meine ich: Durch den Mangel an strikter Trennung ging aber auch leider das Klassenbewußtsein (zumindest für die benachteiligten Teile) verloren, was mE. die Basis für Klassenkampf ist. Auch führt der Mangel an Arbeit oder zumindest an entsprechendem wohlstandssichernden Einkommen nicht automatisch zur Politisierung, bzw. Entwicklung eines Klassenbewusstseins. Und noch seltener führt der Frust aus Nichtteilhabenkönnen am gesellschaftlichen Wohlstand in die richtige politische Richtung, also nach links. *g* Armut führt allgemein nicht zur Erkenntnis, benachteiligt zu sein, sondern aktiviert viel eher die individuellen Sündenbock-Schutzmechanismen und seltener die kritische Untersuchung gesamtgesellschaftlicher Zustände und die eigene politische Positionierung. Zumal diese ja auch kurzfristig keine Besserung der eigenen Situation einbringen wird, sondern alles noch akut verschlimmern kann. Und aus eigener Erfahrung weiß ich auch, dass jemand der gerade aus der Jobbörse kommt, nicht sehr zugänglich für gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge ist. Kurzum: es ist vielen einfach schnuppegal, ob sie im Kapitalismus leben oder nicht, sofern sie nur genug zu futtern haben. Linke Agit-Prop-Sprechblasen wie „Klassenkampf“ oder „Kampf dem Kapital“ interessieren da herzlich wenig und fruchten auch nicht.

Egoismus

Du schreibst von einer ständigen Verleugnung des „Ich´s“ und dies sei die Ursache für den unmenschlichen Zustand der Gesellschaft. Zuförderst halte ich den Zustand der Gesellschaft nicht für „unmenschlich“, sondern für kontraproduktiv. Sicher meinen wir aber im Grunde etwa das Gleiche: Es ist einfach Scheiße, so wie es ist und es könnte besser sein. Ich glaube aber hingegen, dass das mit dem ICH recht wenig zu tun hat, sondern viel eher mit dem Mangel am „Wir“. Und mit „wir“ meine ich nicht die Durchhalte-Frohmut-parolen der Deutschland-Sani-täter, sondern ein das richtige „Wir“. Eben nicht eines, dass die Ziele und Wünsche der Reichen feil bietet und zum Erwerb der benachteiligten Masse anbietet, sondern dem Zum Beispiel jenes „Wir“: Wir sind arbeitslos und wir sind arm, selbst wenn wir arbeiten. Wir sind Schütze Arsch an jeder Front, der Welt. Wir haben nicht am Gewinn teil, den anderen aus unserem Leben ziehen. Eine Verleugnung des ICH´s kann ich auch so nicht sehen und weiß nicht, woran sie erkennbar sein soll. Ich stelle aber fest, dass das ICH durch ein anderes ersetzt wird, zumindest aktuell: Wenn selbst arbeitslose daran glauben, sie müssten den Gürtel enger schnallen, weil das Wirtschaftswachstum nicht wie angenommen steigt, dann frage ich mich, welches ICH da wohl spricht. Das eigene ist es nicht, es ist irgendein anderes: jenes der Bosse und Eigner. Ein „Wir“ würde in meinen Augen heißen: „Wir haben ein Pro-kopf-spar-vermögen von 104.000,- Euro. Wo sind bitte meine?“
Wenn ichw eiter drüber nachdenke, komme ich zu dem Schluß, dass das wohl jene Art Egoismus ist, die du meinst, ich es nur anders formuliere: Uns beiden geht´s um die Durchsetzung individueller Bedürfnisse gegen die aktuelle gesamtheitliche Verblödung nach dem Motto: „Du bist Deutschland“ und dann grinst Günther Jauch vom Plakat. Ich bin ganz sicher nicht wie Günther Jauch und weiß das auch. Aber Günther Jauch könnte eine Menge für mich tun: Mir einen monatlichen Obolus nach meinen Wünschen überweisen, zum Beispiel.

Wirklich zusammengezuckt bin ich dem Satz, der Egoismus sei etwas, das an jedem Menschen gefördert und nicht unterdrückt werden müsse. Ich glaube nicht, dass der Egoismus aktuell unterdrückt wird, nur den benachteiligten ist es nicht möglich, ihn auszuleben: Egoismus muß man sich leisten können. Ansonsten haben die Reichen kaum Hemmungen, ihren Egoismus auszuleben und er wird auch in keiner Weise unterdrückt. Ich denke also, dass das eigentliche Problem, nicht das Ausleben des eigenen Egoismus ist, sondern die Unerträglichkeit der fremden egoistischen Anwandlungen, die Benachteiligte so zu ertragen haben. Da muss man noch mal nachdenken.

Ansonsten kann ich dir sagen, dass ich wohl der egoistischste Mensch schlechthin bin: ich möchte in einer Gemeinschaft nach meinem Geschmack leben, damit es MIR besser geht. Dass es dadurch anderen auch besser gehen wird, wünsche ich mir nur, aber ich für meinen Bekanntenkreis kann ich sagen, dass wir alle so sind und einfach die Repression und Gemeinheit so satt haben. Ich bin nicht gern allein. Meine Prioritäten sind eben andere als allgemein akzeptiert: Geld und Schnickschnack sind mir gleichgültig, wie Arbeit und Macht völlig nebensächlich. Ich möchte nur in Ruhe leben, mit hinreißenden, klugen Menschen zusammensein und meinen Spaß haben. Dass ich dafür was tun muss, ist mir klar – aber das mache ich dann auch und das sogar freiwillig.

Verstehst du?

Liebe Grüße und "Cheers"

Ines


PS (weil vergessen):
"Zunächst einmal gleich mein Veto gegen das Wort "basisdemokratisch" als Beschreibung von Anarchie."

Warum denn das? Wie sollen denn sonst Kooperation organisiert werden?


[editiert: 26.01.06, 10:54 von Isquierda]
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