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ND-Interview mit Oskar Lafontaine

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 14.02.10, 08:50  Betreff:  ND-Interview mit Oskar Lafontaine  drucken  weiterempfehlen

kopiert aus: http://www.neues-deutschland.de/artikel/165005.man-muss-die-linke-an-dem-erkennen-was-sie-in-keinem-fall-machen-wird.html


Man muss DIE LINKE an dem erkennen, was sie in keinem Fall machen wird

ND-Gespräch mit OSKAR LAFONTAINE


Gemeinsam mit Gregor Gysi war er vier Jahre lang Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, gemeinsam mit Lothar Bisky führt er die LINKE seit zweieinhalb Jahren. Wegen einer Erkrankung verzichtete er auf das Fraktionsamt bereits im Oktober, sein Bundestagsmandat legte er im Februar nieder. Für das Parteiamt wird er im Mai nicht erneut kandidieren. Doch als Vorsitzender der Landtagsfraktion im Saarland will er sich gelegentlich auch weiter bundespolitisch einmischen. Mit OSKAR LAFONTAINE sprach JÜRGEN REENTS über den Streit in der LINKEN und ihre Programmdebatte.

ND: Schwarz-Gelb ist im vierten Monat und überall wird schon geklagt. Was sehen Sie auf uns zukommen?
Lafontaine: Merkel und Westerwelle wollen mehr Soldaten nach Afghanistan schicken. Damit wird das Land am Hindukusch nicht befriedet, stattdessen steigt die Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland.

ND:
Und innenpolitisch?
Lafontaine:
Die Umverteilung von Unten nach Oben wird fortgesetzt. Die Wohlhabenden werden steuerlich entlastet. Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen werden die vorbereiteten Sozialkürzungen in Angriff genommen. Die schwarz-gelbe Koalition tut alles, damit die Partei der Nichtwähler weiter zunimmt. Der absehbare Wahlbetrug wird die Politikverdrossenheit steigern.

ND:
Bedeutet Schwarz-Gelb eine größere soziale Zumutung als zuvor die große Koalition?
Lafontaine:
Wir beobachten seit Jahren, dass CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne die neoliberalen Grundsätze verinnerlicht haben. Alle waren sie für die Agenda 2010, für Hartz IV und den Krieg in Afghanistan. Insofern sind die Unterschiede nicht sehr gravierend.

ND:
»Je stärker die LINKE, desto sozialer das Land«, war der Slogan Ihrer Partei zur Bundestagswahl. Nun ist die LINKE deutlich stärker geworden, das Land aber nicht spürbar sozialer – was stimmt da nicht? War die Ankündigung zu simpel?
Lafontaine:
Wenn die LINKE stärker wird, korrigiert sie die Politik der anderen Parteien. Allerdings, und insofern ist der kritische Einwand berechtigt, in unzureichender Weise. Aufgrund des Drucks der LINKEN wird das Schonvermögen bei Hartz IV angehoben. Aufgrund des Drucks der LINKEN löst sich die SPD wie schon vorher die Grünen langsam von der Agenda 2010 und den schlimmsten Fehlern von Hartz IV. Aufgrund des Drucks der LINKEN suchen jetzt auch die anderen Parteien eine Exit-Strategie für Afghanistan. In ihrer Schwäche kopieren sie dabei jedoch nur die Politik von Obama und schicken zur Gesichtswahrung mehr Soldaten in einen aussichtslosen Krieg, um angeblich dann in einem Jahr mit dem Abzug zu beginnen.

ND:
Nicht nur über die Arbeit einer Regierung, auch über die der Opposition kann man nach hundert Tagen Bilanz ziehen. Wie sieht die aus?
Lafontaine:
Die SPD als stärkste Oppositionspartei weiß noch nicht, was sie will. In Nordrhein-Westfalen gibt es ein Hü und Hott, Parteichef Gabriel setzt die lächerliche Strategie der Ausgrenzung der LINKEN fort und gefährdet damit einen Regierungswechsel im größten Bundesland. Steinmeier sieht das erstaunlicherweise anders. Die SPD hat sich bisher noch nicht wirklich von der Agenda 2010 und Hartz IV verabschiedet. Die Grünen sind auf dem Abmarsch ins bürgerliche Lager. In Nordrhein-Westfalen suchen sie erkennbar eine Koalition mit der CDU. Jede Stimme für die Grünen wird dort eine Stimme für eine schwarz-grüne Koalition sein.

Nur wenn die Grünen schwach bleiben und die LINKE in den nordrhein-westfälischen Landtag kommt, ergibt sich die Möglichkeit eines wirklichen Regierungswechsels in Nordrhein-Westfalen. Die LINKE hat nach ihrem großen Wahlerfolg noch keinen Tritt gefasst. Aufgrund von Personalquerelen wurde die eigentliche Aufgabe, an unsere politischen Ziele anzuknüpfen und nach der Bundestagswahl weiter für sie zu werben, vernachlässigt.

ND:
Zu »Personalquerelen« haben Sie bislang immer nur auf Gregor Gysi und Klaus Ernst verwiesen, die hätten das Nötige gesagt. Direkt gefragt: Werfen Sie Dietmar Bartsch vor, dass er Ihnen gegenüber illoyal war?
Lafontaine:
Der Ausgangspunkt – darauf haben die Landesvorsitzenden hingewiesen, die eine Änderung der Bundesgeschäftsführung verlangten – war, dass eine Partei, die erfolgreich sein will, sich an Regeln halten muss.

Regel Nr. 1: Der Bundesgeschäftsführer muss Landesverbände, die schwierige Wahlen vor sich haben, unterstützen. Dietmar Bartsch teilte jedoch der »Bild« mit, er sei gegen eine Regierungsbeteiligung der LINKEN in Nordrhein-Westfalen, weil den Genossen dort der Pragmatismus fehle. Und im »Spiegel« erklärte er, einige Ideen der NRW-Linken seien außerhalb der Welt. Das ist mit den Aufgaben des Bundesgeschäftsführers unvereinbar.

Regel Nr. 2: Der Bundesgeschäftsführer darf nicht Stichwortgeber für den gegen die LINKEN gerichteten Kampagnenjournalismus sein. Er soll vor allem keine Interna aus der engsten Führung ausplaudern. Hierzu hat Dietmar Bartsch in der letzten Parteivorstandssitzung Fehler eingeräumt.

Und Regel Nr. 3: Der Bundesgeschäftsführer darf einem Parteivorsitzenden nicht in den Rücken fallen. Im November warf mir der »Spiegel« Wählertäuschung vor, weil ich den Vorsitz der Bundestagsfraktion abgegeben hatte. Um weiteren Vorwürfen und Verdächtigungen vorzubeugen, war ich gezwungen, meine Krebserkrankung öffentlich zu machen. Am selben Tag schloss Dietmar Bartsch in der »Ostseezeitung« einen Zusammenhang zwischen meinem Verzicht auf den Fraktionsvorsitz und meiner Krebserkrankung aus. Wie die Medien mittlerweile korrekt berichteten, habe ich dieses Verhalten in der letzten Parteivorstandssitzung als niederträchtig bezeichnet. Es gab auch keinen Widerspruch. Nach diesen Klarstellungen sollten wir die Debatte beenden.

ND:
Anfang Oktober waren alle überrascht, als Sie zunächst ankündigten, nicht mehr für den Fraktionsvorsitz kandidieren, sondern sich auf den Parteivorsitz konzentrieren zu wollen. Ahnten Sie damals schon, dass Ihre gesundheitliche Situation Ihnen auch eine erneute Kandidatur für den Parteivorsitz nicht erlauben würde?
Lafontaine:
Ich hatte im letzten Jahr mehrere gesundheitliche Attacken zu überwinden, die ich mittlerweile, auch aufgrund der Diskussion, öffentlich gemacht habe – Herzprobleme, eine Bronchitis, dann der Prostata-Krebs. Das musste ich verarbeiten und brauchte Zeit, endgültig zu entscheiden, welche Belastungen ich in Zukunft auf mich nehmen kann. Der Verzicht auf den Fraktionsvorsitz war der Anfang.

ND:
Da Sie den Rückzug vom Fraktionsvorsitz damals nicht mit Ihrer Erkrankung begründet haben, konnte das niemand wissen.
Lafontaine:
Ich rede nicht gerne über Krankheiten in der Öffentlichkeit.

ND:
Sahen Sie Ihren damaligen Vorschlag einer Doppelspitze sowohl für den Fraktions- wie den Parteivorsitz als eine Notlösung in dieser Situation?
Lafontaine:
Ich habe damit Diskussionen aus der Partei aufgegriffen. Es gab insbesondere von den Frauen immer wieder den Vorschlag, auch eine Frau an die Spitze von Partei und Fraktion zu wählen. Gerade in den östlichen Landesverbänden gab es Bedenken, dass der Parteivorsitz allein von mir wahrgenommen werden sollte.

ND:
Wie es jetzt aussieht, reicht für die Fraktion ein Vorsitzender. Der Partei werden demgegenüber nicht nur zwei Vorsitzende, sondern auch zwei Geschäftsführer und zwei Beauftragte für den Parteiaufbau vorgeschlagen. Das sind reichlich wackelige Verhältnisse.
Lafontaine:
Ich war an diesem Kompromiss, der unter der Moderation von Gregor Gysi mit den Landesvorsitzenden ausgehandelt wurde, nicht beteiligt. Ich halte ihn aber für vertretbar und werbe dafür, dass er eine Mehrheit findet.

ND:
Hätten Sie Gregor Gysi gerne an der Parteispitze gesehen?
Lafontaine:
Wir beide halten es für richtig, die Führungsaufgaben der LINKEN auf mehrere Schultern zu verteilen.

ND:
Sie haben nach Ihrer Operation lange überlegt, ob Sie sich den Parteivorsitz weiter zumuten können. Das wurde überall in der Partei verstanden und respektiert. Weniger verstanden wurde jedoch, dass Sie sich zu den Streitereien, die die LINKE so durchgeschüttelt haben, auch nicht zu Wort meldeten. Können Sie nachvollziehen, dass das vermisst wurde?
Lafontaine:
Ich kann das nachvollziehen. Aber ich glaube, dass man jemandem, der mit einer schweren Krankheit konfrontiert ist, zubilligen muss, dass er zunächst einmal mit dieser Krankheit klarkommen möchte. Wir haben einen Parteivorstand. Ich hielt es für möglich, dass die Angelegenheit ohne öffentliche Äußerung von mir geregelt werden könnte. Und das geschah ja auch.

ND:
Wie würden Sie den jetzigen Zustand der LINKEN beschreiben?
Lafontaine:
Er ist sicher nicht der bestmögliche. Wir müssen lernen, uns an Regeln zu halten. Ergänzend zu den schon genannten gehört dazu, dass ein Vorstandsbeschluss von allen Beteiligten beachtet wird, nach dem Kritik an der Partei und einzelnen Personen in den dafür zuständigen Gremien geübt werden sollte. Sachdebatten können plural und demokratisch öffentlich geführt werden. Wer aber in Interviews die LINKE schlecht macht und ihr Führungspersonal kritisiert, opfert die Interessen der Partei seiner eigenen Eitelkeit.

ND:
Hat der faktisch erzwungene Verzicht von Dietmar Bartsch auf das Amt des Bundesgeschäftsführers die missliche Situation, auch die Suche nach einem überzeugenden Personaltableau, zusätzlich erschwert?
Lafontaine:
Ja, denn der Wechsel in der Bundesgeschäftsführung ist für jede Partei eine besondere Herausforderung. Aber wenn ein Bundesgeschäftsführer Fehler macht, sind nicht andere dafür verantwortlich.

ND:
Steckt aus Ihrer Sicht ein anderer Kern hinter dem, was Sie Personalquerelen nennen? Ist es ein Ost-West-Konflikt? Sind es Flügelkämpfe? Geht es um unterschiedliche Vorstellungen für Regierungsoptionen?
Lafontaine:
Es ist von allem etwas. Dennoch gibt es keine wirklich tiefgreifenden Konflikte in der Partei über unsere politischen Inhalte und die einzuschlagende Strategie. Die Politik der LINKEN wird von den Wählerinnen und Wählern beurteilt, und die bisherige Strategie wurde bei der Bundestagswahl bestätigt. Wir waren die einzige Partei, die auch in ihrer Plakatwerbung auf politische Inhalte gesetzt hat. Wir haben für eine armutsfeste Rente geworben und für eine Arbeitslosenversicherung, die diesen Namen verdient. Wir haben für eine Außenpolitik, die das Völkerrecht beachtet, für den Mindestlohn und in vielen Ländern für eine gebührenfreie Bildung geworben. Das sind nur einige wichtige Beispiele. Wenn wir diesen Weg fortsetzen, wird die LINKE weiter an Zustimmung gewinnen.

ND:
In ihrer Neujahrsansprache am 19. Januar in Saarbrücken haben Sie länger über Auseinandersetzungen um die Frage der Regierungsbeteiligung gesprochen. Sie wandten sich dort gegen Behauptungen, dass eine Partei nur durch eine Regierungsbeteiligung Politik und Gesellschaft verändern könne. Wer vertritt das in der LINKEN?
Lafontaine:
Das richtete sich nicht in erster Linie gegen die eigene Partei, sondern gegen den Kampagnenjournalismus, der allerdings teilweise auch Stichwortgeber aus den eigenen Reihen hat. Dieser Kampagnenjournalismus hat in letzter Zeit versucht, die Erfolge der LINKEN mit dem Hinweis kleinzureden, wir seien ja nicht an einer Bundesregierung oder in einzelnen Bundesländern nicht an der Regierung beteiligt. Deshalb habe ich gesagt, dass Regierung auch Mist sein kann, was die SPD dramatisch erfahren hat.

ND:
Wen meinen Sie mit dem Kampagnenjournalismus, sehen Sie ihn quer durch die Medienlandschaft?
Lafontaine:
Das ist flächendeckend, wenn man von einigen Ausnahmen absieht. Die Masche ist, die LINKE in Chaoten, Spinner und Fundamentalisten einerseits und Realos und Pragmatiker andererseits zu spalten und zu behaupten, die politischen Inhalte, die eine große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für richtig hält und die unsere Wahlerfolge begründen, seien nicht vertretbarer Fundamentalismus oder Populismus.

ND:
Den Vorwurf, Sie würden die LINKE in eine Regierungsverweigerung treiben, haben Sie immer mit einem Hinweis auf Ihre langjährigen Regierungszeiten gekontert. Umgekehrt gefragt: Was macht die von Ihnen zum Teil kritisierten Koalitionen in Berlin und Brandenburg für Sie schwerer erträglich als die von Ihnen geführten Landesregierungen 1985 bis 1998 an der Saar?
Lafontaine:
Man muss differenzieren. Unsere Debatte um die Regierungsbeteiligung in Berlin führte beispielsweise zum Ergebnis, dass die Sparkasse nicht privatisiert wurde. Darauf sind wir alle stolz. Sie führte auch zum Ergebnis, dass das Land Berlin dem Lissabon-Vertrag im Bundesrat nicht zugestimmt hat, weil dort Militarisierung, Sozialabbau und ein Verbot der Regulierung der Finanzmärkte festgeschrieben sind. Auch darauf kann die LINKE stolz sein.

Die Regierungsbeteiligung in Brandenburg war im Grundsatz ebenfalls nicht umstritten. Ich gehöre allerdings zu denen, die sagen, der vereinbarte Arbeitsplatzabbau ist angesichts der Tatsache, dass wir heute in Deutschland im öffentlichen Dienst weniger Arbeitsplätze haben als noch in der alten Westrepublik, nicht vertretbar. Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Arbeitslosigkeit noch zusätzlich zu vergrößern.

Und im Saarland waren damals Kompromisse mit Koalitionspartnern deshalb nicht nötig, weil wir die absolute Mehrheit hatten.

ND:
In Ihrer erwähnten Neujahrsansprache heißt es zu Brandenburg: »Ich hätte den Koalitionsvertrag so nicht unterschrieben«, was ja meint, die LINKE dort habe sich zu billig verkauft.
Lafontaine:
Schauen wir doch mal auf andere Parteien. Die FDP hätte, um mit Merkel eine Regierung zu bilden, keine Steuererhöhung akzeptiert, obwohl sie nach unserer Auffassung unvermeidbar ist. Sie behauptet im Gegensatz dazu, auch dann die Notwendigkeit von Steuersenkungen, wenn die ganze Welt darüber den Kopf schüttelt. Soweit muss die LINKE ja nicht gehen. Aber sie kann durchaus den Mut haben, Haltelinien oder Grundbedingungen für eine Regierungsbeteiligung zu formulieren, auf die wir uns auch verständigt haben: keine weitere Sozialkürzung, keine weitere Privatisierung, kein weiterer Arbeitsplatzabbau.

Das war auch die Bedingung für die Gespräche hier an der Saar. In der Stadt Saarbrücken, wo wir eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit vereinbart haben, steht dies im Koalitionsvertrag. Auf Landesebene ist der Koalitionsvertrag nicht zustande gekommen, weil die Grünen von einem der FDP angehörenden Unternehmer gekauft waren.

Max Weber hat einmal gesagt, einen Staatsmann erkenne man daran, dass man zwar nicht wisse, was er in Zukunft machen wird, aber dass man immer wisse, was er in keinem Fall machen wird. Und ich möchte, dass man die LINKE an dem erkennt, was sie in keinem Fall machen wird. Dazu gehören Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst, Privatisierung von Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge und weitere soziale Kürzungen.

ND:
Sind Ihre Ansprüche an Regierungsbeteiligungen heute größer als zu der Zeit, als Sie selbst regierten? Als Ministerpräsident im Saarland haben Sie z. B. einen Streit in der SPD und mit den Gewerkschaften vom Zaun gebrochen, weil Sie für eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich eingetreten sind, Sie haben sich mit Bürgerrechtsgruppen wegen Ihrer Zustimmung zum sogenannten »Asylkompromiss« konfrontiert.
Lafontaine:
Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich, gestaffelt nach Einkommen, um Arbeitsplatzabbau zu vermeiden, gab es in den letzten Jahren in Berlin mit Zustimmung von ver.di. Diese Politik halte ich auch heute noch für richtig. Der umstrittene Asylkompromiss wurde zu einer Zeit gefunden, in der im Jahr mehrere hunderttausend Aussiedler und mehrere hunderttausend Asylbewerber zu uns kamen. Es wurden Häuser angezündet, in denen diese Menschen wohnten. Heute sähe der Kompromiss sicherlich anders aus.

Im Übrigen gibt es ein anderes Kriterium für Regierungsbeteiligungen. Es sollte nicht sein, dass man nach einer Regierungsbeteiligung kräftige Wahlverluste in Kauf nehmen muss, weil die Wählerinnen und Wähler mit der Arbeit in der Regierung nicht zufrieden sind.

ND:
Gehört Ihre zu Brandenburg kritisch hervorgehobene Forderung, konsequent Arbeitsplatzabbau zu verhindern, zu den noch offenen Programmfragen der LINKEN?
Lafontaine:
Nein, die ist geklärt. Wir haben in mehreren Programmdokumenten festgestellt, dass ein weiterer Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst nicht vertretbar ist.

ND:
Was muss die LINKE denn programmatisch klären? Sie haben gesagt, dass der Begriff programmatische Eckpunkte den Eindruck des Unfertigen erwecke. Ist die LINKE programmatisch im Grunde doch fertig?
Lafontaine:
Es gibt immer programmatischen Klärungsbedarf, aber der Vorwurf des Kampagnenjournalismus, die LINKE habe kein Programm, trifft nicht zu. Wir haben, obwohl wir erst zweieinhalb Jahre alt sind, den Gründungsaufruf, die programmatischen Eckpunkte, das Europawahlprogramm und das Bundestagswahlprogramm. Was wir noch nicht beschlossen haben, ist ein Grundsatzprogramm. Daran arbeiten wir und die bisherigen Entwürfe zeigen, dass es in allen wichtigen Fragen eine große Übereinstimmung gibt. Leider versäumen diejenigen, die von notwendiger programmatischer Klärung sprechen, es zumeist, konkret zu sagen, was wo zu klären ist.

In den programmatischen Eckpunkten sind am Schluss noch zu klärende Fragen genannt, die man als wichtig ansehen kann. Zum Beispiel die Frage, inwieweit zum Erreichen der politischen Ziele der LINKEN kapitalistische Eigentumsverhältnisse aufgehoben werden müssen. Auch die Frage, wie mit Konflikten umzugehen sei, mit denen man beim Erhalt und Ausbau öffentlichen Eigentums konfrontiert ist.

In der Eigentumsfrage haben wir uns nach den Privatisierungen in Berlin und Dresden darauf verständigt, dass die öffentliche Daseinsvorsorge in öffentlichem Eigentum bleiben muss. Dazu gehört auch der Energiesektor. Wir sind für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung. Wir sind ebenso dafür, nach den Erfahrungen der Finanzmarktkrise den Bankensektor zu vergesellschaften, um zukünftig die Veruntreuung von Hunderten von Milliarden zu verhindern. Ferner werben wir dafür, das Eigentum in den großen Produktionsbetrieben und die Verfügung darüber denen zu geben, die es erarbeitet haben. Das heißt, wir brauchen dort Belegschaftsbeteiligungen. Auch dieser Ansatz ist nicht umstritten.

ND:
Als Sie 2005 nach 39 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD austraten, haben Sie gesagt, nicht Sie hätten sich vom sozialdemokratischen Programm verabschiedet, sondern die SPD-Führung habe dem eigenen Programm den Rücken gekehrt. Würden Sie das heute auch noch so formulieren?
Lafontaine:
Krieg, Hartz IV und Agenda 2010 waren mit dem SPD-Programm unvereinbar. Auch die Aufgabe, die Gesellschaft zu demokratisieren und damit zu einer Neuverteilung des Eigentums, insbesondere des Eigentums in den Betrieben zu kommen, ist in den Programmdokumenten der Sozialdemokraten und Sozialisten formuliert.

Selbst die FDP wollte in ihrem Freiburger Programm den Zuwachs des Betriebsvermögens den Belegschaften geben. Die CDU wollte bekanntlich nach dem Krieg große Betriebe verstaatlichen. Diese Einsichten, die auch ein Ergebnis des Nachdenkens über die Ursachen des Faschismus waren, sind weitgehend verloren gegangen. Die LINKE hat sie wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Eine wirklich demokratische Gesellschaft ist nur dann möglich, wenn es eine gerechtere Vermögens- und Eigentumsverteilung gibt, weil Eigentum Macht bedeutet. Links sein heißt deswegen für mich, das Eigentum und die Verfügung darüber denen zu geben, die es erarbeitet haben. Für die LINKE gilt: Eigentum entsteht durch Arbeit.

ND:
Heißt links sein für Sie dann nicht mehr, dass eine Rückbesinnung auf das Berliner Programm der SPD, das unter Ihrer Leitung in der Programmkommission erarbeitet und 1989 verabschiedet wurde, wie auch auf das Regierungsprogramm der SPD von 1998, ausreichend sind?
Lafontaine:
Die LINKE ist weiter. Ich werbe dafür, dass wir in unserem Grundsatzprogramm das aufschreiben, wodurch wir uns von anderen Parteien unterscheiden. Im Berliner Programm der SPD und in ihrem neuen Grundsatzprogramm steht vieles nicht drin, worauf wir uns in den letzten Jahren verständigt haben.

Wir wollen keine käufliche Politik: Es dürfen keine Spenden von größeren Wirtschaftsunternehmen und Wirtschaftsverbänden an Mandatsträger und Parteien gegeben werden. Mandatsträger dürfen nicht auf der Lohnliste von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden stehen. Bei Richtungsentscheidungen muss ein Mitgliederentscheid in der Partei möglich sein. Das parlamentarische System muss durch Volksentscheide und durch den politischen Streik ergänzt werden. Wir brauchen einen Rechtsstaat, bei dem wirklich alle vor dem Gesetz gleich sind.

Die Bundestagsfraktion hat jetzt einen Gesetzentwurf eingebracht, dass bei Bagatelldelikten nicht mehr gekündigt werden darf. Die Menschen verstehen nicht, dass Banker, die Milliarden veruntreuen, einen goldenen Fallschirm aufgespannt bekommen, während Arbeitnehmer, die übrig gebliebene Brötchen essen oder Maultaschen entwenden, mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bestraft werden.

Und vor allem: Krieg ist kein Mittel der Politik. An imperialistischen Kriegen zur Sicherung von Rohstoff- und Absatzmärkten darf sich Deutschland nicht beteiligen. Das sind Alleinstellungsmerkmale der LINKEN, die sich in den Programmen der anderen Parteien nicht finden.

ND:
Vertreten Sie heute radikalere Ansichten als zu jener Zeit, da Sie SPD-Vorsitzender waren, hat die Erfahrung mit der LINKEN Ihre politischen Auffassungen verändert?
Lafontaine:
Ja. Ich habe mich ein Leben lang und vor allem in den letzten Jahren mit der Politik der Parteien der Arbeiterbewegung, ihren Fehlern und ihren Erfolgen auseinandergesetzt und immer wieder versucht, zu den Wurzeln, das heißt für mich radikal, zurückzukehren. Dazu gehören die Maximen Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs »Nieder mit dem Krieg« und »Ohne Sozialismus keine Demokratie«. Übersetzt heißt das, ohne eine Wirtschaftsordnung, die das Eigentum und die Verfügung darüber denen gibt, die es erarbeitet haben und ohne eine breite Streuung des Eigentums und des Vermögens gibt es keine demokratische Gesellschaft.

ND:
Aus dem gewöhnlichen Strom herausragende Politiker werden häufig nicht nur sehr geschätzt. Sie müssen sich auch viel gefallen lassen, vom politischen Gegner, von Medien, in der eigenen Partei. Ist die Öffentlichkeit zu rücksichtslos, nehmen wir den Menschen hinter dem Amt zu wenig wahr?
Lafontaine:
Ja. Aber in der Mediengesellschaft ist das wohl nicht zu ändern. Und zum gewöhnlichem Strom – ein chinesisches Sprichwort sagt: »Nur tote Fische schwimmen immer mit dem Strom.«


°°°°°


Mein Kommentar zu diesem Artikel:


Bernd.Kudanek, 14. Feb 2010 08:13
Das ND-Interview war überfällig!

DandyD schrieb: "Man kann vor der Lebensleistung von Oskar Lafontaine nur den Hut ziehen. Was er in menschlicher wie politischer Hinsicht vollbracht ist bewundernswert."

Dem schließe ich mich gerne an! Ich kenne keine andere Persönlichkeit innerhalb der Linkspartei, die an Charakter, Kompetenz und Glaubwürdigkeit von Lafontaine heranreicht. Ein Dietmar Bartsch schon mal gar nicht.

Dem Pseudo stadtlandmensch, der gleich sechsmal hintereinander das gleiche vor Neid und Mißgunst strotzende Pamphlet postet, fehlt's augenscheinlich an allen drei oben genannten Eigenschaften. Weil es leider zu viele (vor allem antideutsche) StadtlandmenschenInnen in der Linken gibt und dort leider auch noch Funktionen bekleiden, ist (nicht nur) für mich Die Linke zur Zeit nicht mehr wählbar.

Denn "Man muss DIE LINKE an dem erkennen, was sie in keinem Fall machen wird". Bei Oskar weiß ich's, bei StadtlandmenschenInnen auch - allerdings bei Letzteren im negativen Sinne.


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