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Berlin reagiert mit Boykottdrohungen wegen Julia Timoschenkos Inhaftierung

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 30.04.12, 20:11  Betreff:  Berlin reagiert mit Boykottdrohungen wegen Julia Timoschenkos Inhaftierung  drucken  weiterempfehlen

entnommen aus: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58316



Zwischen Moskau und Berlin


KIEW/BERLIN
(Eigener Bericht) - Mit Boykottdrohungen reagiert Berlin auf die fortdauernde Inhaftierung der einstigen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko in der Ukraine. Timoschenko, eine langjährige Verbündete des Westens, ist wegen Amtsmissbrauchs verurteilt worden und wird auch wegen weiterer Vorwürfe gerichtlich verfolgt. Sie beklagt zudem Folter sowie unzulängliche medizinische Versorgung in der Haft. Die Bundesregierung, die zu Vorwürfen wegen Folter sowie Medikamentenentzug bei Gefangenen schwieg, als Timoschenko noch als Ministerpräsidentin der Ukraine amtierte, erklärt nun, "das Strafrecht" dürfe "nicht dazu missbraucht werden, Demokratie zu beschneiden und Opposition zu verhindern". Hintergrund sind Machtkämpfe in Kiew, in denen die künftige außenpolitische Orientierung des Landes im Mittelpunkt steht. Berlin befürchtet, die Ukraine könne sich allzu eng an Moskau binden, sollten bedeutende prowestliche Kräfte, darunter etwa Timoschenko, ausfallen. Als Druckmittel dient jetzt auch die bevorstehende Fußball-EM. Es könne zu Besuchsboykotten kommen, sollte Kiew nicht einlenken, heißt es in Berlin.

Besuchsboykott

Konkret ziehe die Bundesregierung in Betracht, Besuche der Kanzlerin oder von Bundesministern bei EM-Spielen abzusagen, berichten Medien.[1] Damit entfiele nicht nur eine Chance zur PR, wie sie mit Auftritten hochrangiger Politiker bei sportlichen Großevents verbunden ist. Es wäre darüber hinaus mit einer Welle von Negativberichterstattung und neuen politischen Spannungen zu rechnen. Bundespräsident Joachim Gauck hat bereits angekündigt, einer für Mai geplanten Zusammenkunft in der Ukraine fernzubleiben. Diesem Entschluss hätten sich mittlerweile, heißt es, die Präsidenten Österreichs und Sloweniens angeschlossen. Berlin setzt sich dafür ein, Timoschenko unverzüglich nach Deutschland zu überstellen. Hier könne sie angemessen medizinisch behandelt werden, heißt es. Zudem blieben ihr die miserablen Haftbedingungen in der Ukraine - Medikamentenentzug und Misshandlungen inklusive - erspart.

Ukrainische Schaukelpolitik

Hintergrund der ungewohnten Aufmerksamkeit, die Berlin der Einhaltung von Menschenrechten in ukrainischen Haftanstalten widmet, sind übergreifende außenpolitische Zusammenhänge. Kiew ist, seit die Ukraine 1991 aus der Konkursmasse der Sowjetunion hervorging, bestrebt, sich mit einer - wie Experten es ausdrücken - "Schaukelpolitik zwischen Ost und West" [2] Handlungsoptionen in alle Richtungen zu eröffnen: Sie will mit der EU zusammenarbeiten, ohne die Chance zu verlieren, mit Russland zu kooperieren. Die Regierungen der letzten 20 Jahre haben zwar, abhängig von den sie tragenden Interessengruppen, immer wieder die eine oder die andere Richtung bevorzugt, sind dabei aber nie vollständig von der "Schaukelpolitik" abgewichen. Dies trägt dem Gesamtinteresse der ukrainischen Wirtschaft Rechnung, die einerseits auf ihre Absatzmärkte in Europa angewiesen ist, andererseits von Energielieferungen aus Russland und von alten, aus der Zeit der Sowjetunion datierenden Netzwerken profitiert.

Am Scheidepunkt

Experten sehen die Ukraine nun allerdings "an einem Scheidepunkt".[3] Einerseits drängt Moskau sie, der Zollunion zwischen Russland, Belarus und Kasachstan beizutreten, und stellt ihr sogar den Beitritt zu einer künftigen "Eurasischen Union" in Aussicht, in der es möglichst viele der aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten zusammenschließen will. Dabei ist seine Macht gegenüber Kiew gewachsen: Seit die Ostsee-Pipeline ( "Nord Stream" ) russisches Erdgas unter Umgehung der Ukraine nach Deutschland transportiert, besitzt diese kaum noch Möglichkeiten, Einfluss auf den russischen Gasexport zu nehmen und damit Druck auszuüben. Auf der anderen Seite erstarkt auch der Einfluss der EU. Sie hat kürzlich ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine paraphiert, das das Land dicht an die EU anbinden soll. Sollte es unterzeichnet werden und in Kraft treten, könnte es zu einer zwar kaum vollständigen, doch gewiss aber weitgehenden "Loslösung der Ukraine vom postsowjetischen Wirtschaftsraum" führen, urteilt der Kiewer Osteuropa-Experte Andreas Umland.[4] Auf Dauer könne die Bindung an die EU dann die Russlandkontakte klar dominieren.

Richtungskämpfe

In dieser angespannten Situation finden in Kiew erbitterte Richtungskämpfe statt. Die gegenwärtig regierende Fraktion um Staatspräsident Wiktor Janukowitsch, die traditionell als eher prorussisch gilt, hält zwar an der Politik der Annäherung an die EU fest, geht jedoch gleichzeitig massiv gegen die traditionell prowestliche Fraktion um die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko vor. Timoschenko und einige prominente Personen aus ihrem unmittelbaren politischen Umfeld werden gerichtlich verfolgt und sind in Haft. Damit fallen sie auf lange Sicht als politische Verbündete des Westens aus. Zwar verweigert sich Kiew bislang der Forderung Moskaus, sich der Ost-Zollunion sowie der geplanten "Eurasischen Union" anzuschließen. Beobachter diskutieren jedoch Hinweise, dass die ukrainische Regierung Russland stärkeren Einfluss auf ihr Militär und ihren Geheimdienst einzuräumen beginnt. So heißt es in Berichten, der neue ukrainische Verteidigungsminister Dmitri Salamatin habe neben der ukrainischen auch die russische Staatsbürgerschaft und sei den Moskauer Machteliten daneben auch verwandtschaftlich verbunden. Seine zweifache Loyalität habe er zuletzt unter Beweis gestellt, als er - als Leiter der ukrainischen Rüstungsexportagentur - den ukrainischen Waffenhandel, der einige Jahre lang als Konkurrent der russischen Militärindustrie aufgetreten sei, dieser wieder angenähert habe. Über den neuen Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Igor Kalinin, heißt es, er unterhalte enge Beziehungen zu russischen Agentenkreisen.[5]

Strafrecht und Demokratie

Umso entschiedener protestiert der Westen dagegen, dass die Janukowitsch-Regierung die eher prowestlichen Kräfte um Timoschenko faktisch auszuschalten sucht. Selbst westliche Beobachter gehen davon aus, dass die Vorwürfe gegen Timoschenko keinesfalls unbegründet sind. Es erscheine "nicht aus der Luft gegriffen", dass "eine Geschäftsfrau in den postsowjetischen Banditenjahren der Ukraine" zum Beispiel "Steuern hinterzogen sowie Urkunden gefälscht" habe, heißt es in Berichten.[6] Wegen ähnlicher Vergehen, vor allem Geldwäsche, ist einer von Timoschenkos engsten Partnern der 1990er Jahre, Pawlo Lazarenko, in den USA zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Ein Sprecher der Bundesregierung erklärt nun dazu, "das Strafrecht" dürfe "nicht dazu missbraucht werden, Demokratie zu beschneiden und Opposition zu verhindern".[7] Insbesondere kritisiert die Bundesregierung die Haftbedingungen und die unzulängliche medizinische Versorgung ihrer engen Verbündeten Timoschenko. Menschenrechtsorganisationen prangern die Situation in Gefängnissen, insbesondere die miserable Krankenversorgung dort, in der Tat schon seit Jahren an - freilich ohne dass sich Berlin, als seine ukrainischen Kontaktleute noch in Kiew regierten, dafür auch nur im Geringsten interessiert hätte.

Gefangene ohne Medikamente

Zahlreiche Beispiele liefern die Presseabteilungen bedeutender Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch. Im Bericht von Amnesty International über das Jahr 2009 etwa heißt es, es seien binnen der vergangenen zwölf Monate insgesamt 165 Folter- und Misshandlungsvorwürfe bekannt geworden; zu beklagen sei dabei ganz besonders "die Untätigkeit der Behörden", die keine adäquaten Ermittlungen durchführten.[8] Bereits 2009 monierte Amnesty International, Häftlingen in der Ukraine würden überlebensnotwendige Medikamente vorenthalten. Hintergrund war, dass die Menschenrechtsorganisation damals gerade zur Situation in ukrainischen Gefängnissen recherchierte und sich daher mit den Kiewer Behörden im Austausch darüber befand. Ministerpräsidentin war zu diesem Zeitpunkt Julia Timoschenko. Die desolate Versorgungslage sei damit begründet worden, dass "Vollzugseinrichtungen und Gefängniskrankenhäuser wegen des engen finanziellen Spielraums nur mit den notwendigsten Medikamenten zur Behandlung gängiger Krankheiten ausgestattet" seien, teilte Amnesty später mit.[9] Die Organisation schätzt, dass allein im Jahr 2010 von den 739 Todesfällen in ukrainischer Haft "mehr als die Hälfte (...) auf mangelnde oder unsachgemäße medizinische Behandlung zurückzuführen" war. Verantwortlich war in letzter Instanz die Kiewer Regierung. Ministerpräsidentin Timoschenko, mit der Berlin zum damaligen Zeitpunkt eng und umstandslos kooperierte, war bis März 2010 im Amt.

[1] Merkel erwägt EM-Boykott; www.dw.de 29.04.2012
[2], [3], [4] Andreas Umland: Das Beziehungsdreieck Ukraine-EU-Russland im Wandel; Ukraine-Analysen Nr. 98, 13.12.2011
[5] Russia Takes Control of Ukraine's Security Forces; www.jamestown.org 19.03.2012
[6] Ukrainische Folter; www.faz.net 24.04.2012
[7] Bundespressekonferenz vom 25.04.2012
[8] Amnesty Report 2010: Ukraine; www.amnesty.de
[9] Urgent Action: Häftling schwer krank; www.amnesty.de 21.02.2011




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von Yossi Wolfson
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