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Islam, Islamismus, Dschihad - eine Gefahr für Deutschland?

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 14.11.04, 16:47  Betreff:  Islam, Islamismus, Dschihad - eine Gefahr für Deutschland?  drucken  weiterempfehlen




Müssen wir uns mit der Angst abfinden?


Statt Hysterie ist Dialog und Aufklärung nötig!

Von Heinz Knobbe
Quelle: Neues Deutschland 13./14. November 2004



Viel wird derzeit über Islam, Islamismus, Dschihad, Terrorismus geschrieben, gesprochen, ja gestritten. Der jüngste Auftritt von Osama bin Laden im arabischen Fernsehsender Al Dschasira, in dem er mit neuen Anschlägen drohte, gibt erneut Anlass, sich zu fragen: Besteht eine reale Gefahr für Deutschland? Falls ja, wie soll man ihr begegnen? Durch »dichte Netzwerke mit engen Maschen und starken Verknüpfungen«, wie Bundesinnenminister Otto Schily auf der BKA-Herbsttagung Ende vergangener Woche forderte? Und mit gewalttätigen Anti-Terror-Aktionen wie in den Niederlanden dieser Tage?


Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2004 bezeichnete der deutsche Außenminister »den Dschihad-Terrorismus mit seiner totalitären Ideologie« als die größte Bedrohung nicht nur für den Nahen und Mittleren Osten, sondern generell für die globale Sicherheit der Menschheit und damit indirekt auch für Deutschland. Diese undifferenzierte Betrachtung führt u. a. zu einem hysterischen Umgang mit dem Problem durch Medien, teilweise auch durch die Regierung, wie es sich z. B. in der spektakulären Aktion bei der Ausweisung des »Kalifen von Köln«, des so genannten Hasspredigers Metin Kaplan, gezeigt hat.

Auch das Verbot der von einigen arabischen Persönlichkeiten in Berlin geplanten Islam-Konferenz durch Innensenator Körting, der auf Geheiß von Innenminister Schily handelte, kann keine Lösung der Probleme sein, zumal die islamischen Staaten daran arbeiten, ein Islamisches Zentrum in Berlin einzurichten. Auch Schilys Initiative, in Libyen Auffanglager für Asylbewerber ein­zurichten, um potenzielle Terroristen überprüfen zu lassen, ist ein untauglicher Versuch. Er zeugt nicht nur von Arroganz gegenüber diesem arabischen Land, sondern auch von der Hilflosigkeit deutscher Organe, den bestehenden Gefahren im eigenen Land zu begegnen.

Beschäftigen wir uns zunächst mit den Begriffen.



1.

Der Islam ist eine Weltreligion wie das Christentum, das Judentum, der Buddhismus. Er ist eine Weltanschauung, die auf normativer Tradition, auf heiligen Texten des Koran (Offenbarung) und der Sunna (Prophetentradition) beruht. Die Wertvorstellungen in einer islamischen Gesellschaft unterscheiden sich von denen der westlichen Welt. Das trifft z. B. auf die Bewertung der Menschenrechte und der Demokratie zu. Im Islam wird die Verantwortung des Menschen der Freiheit vorangestellt, wird der Einzelne stärker an die Gemeinschaft gebunden, wird Individualismus als egoistisch und destruktiv verworfen. Im Vordergrund steht die Familiensolidarität, der Grundsatz: Der Stärkere hilft dem Schwächeren, der Reiche dem Armen.

Nehmen wir das letztere Prinzip, das in einer »islamischen Ordnung« nicht nur Theorie, sondern auch angestrebte Praxis ist. Welchen Platz nimmt es in der westlichen Welt ein?

Natürlich sind solche Schlüsselbegriffe des Islam wie Khalifa (Herrscher) und Sharia (göttliches Gesetz) der bürgerlichen Gesellschaft fremd. Die Bindung an die Sharia lässt einer Volkssouveränität in unserem Sinne kaum Raum, denn nach der islamischen Staatslehre ist allein Gott souverän.

Islam ist jedoch nicht gleich Islam, sowohl in der Lehre als auch in der Praxis. Die regional jeweils vorherrschenden Verhältnisse in der muslimischen Gesellschaft sind unterschiedlich. Sie bewirken, dass es keinen einheitlichen Islam, dass es gegenwärtig kein allgemein akzeptiertes Modell einer »islamischen Ordnung« gibt. Nehmen wir z. B. den Gottesstaat Iran oder den wahabitischen fundamentalistischen Islam in Saudi-Arabien oder die laizistische Türkei. Diese Staaten unterscheiden sich in der Form und Intensität, mit der die herrschende Religion auf Politik und Alltagsleben der Bevölkerung einwirkt.



2.

Was ist unter Islamismus zu verstehen? Wie die Judaisierung in der israelischen, die Christianisierung in der amerikanischen Gesellschaft unter der gegenwärtigen Regierung, so vollzieht sich auch der Prozess der Islamisierung in der arabischen Welt, eine Radikalisierung des Islam.

Den Islamismus - auch wenn einige islamische Gelehrte den Begriff ablehnen - verstehen wir als eine Bewegung, die man auch islamischer Fundamentalismus oder militanter Islam nennen kann. Urvater dieser Bewegung war der Ägypter Hassan al-Banna, der 1928 die Muslimbruderschaft mit dem Ziel gegründet hatte, die in den arabischen Ländern bestehende Staatsgewalt zu bekämpfen, die nach seiner Meinung vom wahren Islam abgewichen sei und sich dem Westen ausgeliefert habe. Als Beispiel wird das Versagen der arabischen Regierungen in den Kriegen mit Israel 1948 und 1967 genannt.

Diese Entwicklung ist natürlich auch ein Ergebnis einer muslimischen historischen und gesellschaftlichen Erfahrung der Zweitklassigkeit gegenüber »dem Westen« sowie einer massenhaft empfundenen Perspektivlosigkeit unter den bestehenden innenpolitischen Realitäten in der Region geschuldet.

Die arabischen Regierungen sind mit dem politischen Islamismus, dem »Dschihad im Islam«, dem nach innen gerichteten Aufruf, einen islamischen Gottesstaat zu errichten, unterschiedlich umgegangen. Während dessen Vertreter in Jordanien in das politische System integriert wurden, fanden sich andere in Ägypten und Syrien in Gefängnissen wieder.



3.

Der Begriff Dschihad hat in der traditionellen islamischen Kultur eine positive Bedeutung. Er verlangt vom Gläubigen, den Geltungsbereich der religiösen Gebote des Islam zu erweitern und deren Einfluss zu vertiefen. Als Motor der Ausbreitung des Glaubens drückt er sich nur im Extremfall im »Heiligen Krieg« aus, die Bekehrung der »Ungläubigen« mit dem »heiligen Buch und dem Schwert«. Mit Bezugnahme auf diese religiöse Pflicht vollzogen sich in den letzten Jahrzehnten, besonders nach dem Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und den arabischen Staaten - nicht erst nach dem 11. September 2001 - Entwicklungen zum Terrorismus.

Es entstanden Organisationen wie »Dschihad-Islami«, deren Vertreter wie Mohammed Rabi al-Zawahiri nicht nur gegen ihre eigenen Regierungen den militärischen Kampf führten, u. a. am Attentat auf Sadat beteiligt waren, sondern auch in Afghanistan gegen den Einmarsch der Sowjetarmee kämpften und sich später mit Osama bin Laden im Kampf gegen die USA verbündeten. Andere wie »Gamaa Islamiya« verübten Attentate auf ausländische Touristen. Ihre Aktivisten sind heute fanatische Kämpfer, die mit der modernen Technik umgehen, Flugzeuge steuern können.



4.

Der Terrorismus ist kein neues Problem. Die Menschheitsbedrohung kündigte sich lange vor der Vernichtung des World Trade Centers an. Selbst in den USA war der Terrorismus stets beheimatet. Denken wir an die Morde an Lincoln und an den Kennedys, an das Sek­tenmassaker von Waco in Texas. Der 11. September ist deshalb für die Amerikaner keine Zeitenwende, auch wenn er so dargestellt wird.

Was verbirgt sich hinter der von der Bush-Regierung verkündeten »Weltweiten Allianz gegen den Terrorismus«? Welche Rolle wird dem Islam im Anti-Terrorismus-Krieg zugewiesen?

Zur Zeit des Kalten Krieges nahmen die westlichen Regierungen den Islam eher als harmlos wahr oder benutzten die religiösen Extremisten aktiv als Partner im Kampf gegen Moskau. Einer der Organisatoren des antisowjetischen Kampfes in Afghanistan war Osama bin Laden, ein Sprössling des saudiarabischen Fundamentalismus. Dennoch zeigen die Regierungen des Westens bis heute eine auffallende Flexibilität im Umgang mit dem totalitären Herrschaftssystem dieses Wüstenstaates. Auch Israel zog sich mit der Hamas einen erbitterten Gegner selbst groß. In den 70er Jahren förderte es in den besetzten palästinensischen Gebieten die Muslimbruderschaft und deren militanten Arm, die Hamas. Diese sollte für Tel-Aviv als probates Mittel im Kampf gegen die PLO dienen.

Die von der USA-Administration nach dem 11. September mit viel Getöse ins Leben gerufene »Allianz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus« ist der Versuch, die Weltpolitik neu zu ordnen, die amerikanischen Positionen im »erweiterten Nahen Osten« und in Zentralasien auszubauen. Die Theorien von der »Achse des Bösen« sowie von den »Schurkenstaaten«, die von den christlichen Fundamentalisten der USA ausgearbeitet und vertreten wurden, lassen in den arabischen Ländern berechtigt den Verdacht aufkommen, die USA führten unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung einen Krieg gegen den Islam. Wir kommen an der Feststellung nicht vorbei, dass nur dort, wo islamische Religiosität das US-amerikanische Vormachtstreben berührt, das Feindbild »Islam-Islamismus« gepflegt wird. Für Washington ist islamischer Fundamentalismus als politische Komponente offenkundig zweck-, zeit- und regionsabhängig.



5.

Was hindert die deutsche Regierung daran, aus dieser Strategie der USA herauszutreten und eigene Interessen zu vertreten, auch im Nahen Osten?

Außenminister Joschka Fischer hat in seiner auf der Münchner Sicherheitskonferenz unterbreiteten »Transatlantischen Initiative für den Nahen Osten« eine enge Partnerschaft Europas und Amerikas mit den Staaten dieser Region in Sachen Sicherheit, Politik, Wirtschaft, Recht, Kultur und Zivilgesellschaft gefordert. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die deutsche Regierung im Fahrwasser der US-Politik verblieben ist.

Wie ist es z. B. sonst zu rechtfertigen, dass sie im UNO-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über eine Resolution der arabischen Staaten, in der das gewaltsame Vorgehen der Scharon-Regierung im Gaza-Streifen gegenüber unschuldigen Frauen und Kindern verurteilt werden sollte, sich der Stimme enthalten hat?

Warum erhebt sie ihre Stimme nur gegen die Aktionen der palästinensischen Selbstmordattentäter in Israel, aber kaum gegen die Tötungsaktionen der israelischen Armee in den palästinensischen Gebieten, die man als Staatsterrorismus bezeichnen könnte?

Müssen wir uns wundern, wenn arabische Extremisten, die sich im Befreiungskampf gegen die Besatzer wähnen, die Bundesrepublik als Helfer der USA und Israels im Nahen Osten betrachten, wenn Deutschland in den Augen von Islamisten zum Lager der so genannten Kreuzzügler gezählt wird? Auch in auflagenstärksten Blättern dieses Landes anzutreffende rassistische Hetze gegen Muslime trägt nicht dazu bei, Deutschland von der Liste legitim betrachteter Anschlagsziele zu streichen.

Es wird höchste Zeit, dass die deutsche Regierung im Rahmen der EU Initiativen unterbreitet, die die arabischen Staaten bei der gemeinsamen Überwindung des Terrorismus als gleichwertige Partner behandeln. Die europäischen Staaten mit ihrem Demokratieverständnis müssen besser früher als später die hohe Hürde nehmen, auch den Verhandlungsweg als zwingendes Konfliktlösungs- und Terrorpräventionsinstrument zu akzeptieren.

»Wir müssen effektiver Hand in Hand arbeiten. Der Westen sollte einen wirklichen Dialog mit der arabischen Welt eingehen. Dies ist der einzige Weg«, forderte unlängst der ägyptische Botschafter in der Bundesrepublik, Mohammed Al-Orabi.

Natürlich ist die Zusammenarbeit mit anderen Staaten bei der Terrorismus-Bekämpfung sinnvoll und notwendig, jedoch nur ein Weg. Im eigenen Land müssen zudem eigene effektive Maßnahmen unternommen werden, um die bestehende Gefahr des islamischen Extremismus und Terrorismus in Deutschland zu minimieren. Nach den Anschlägen in Madrid ist dies ein Gebot der Stunde.

In seinem gerade erschienenen Buch »Terrorbasis Deutschland« (Diederichs, 320 S., geb., 19,95 €) beschreibt Berndt Georg Thamm ausführlich die islamistische Gefahr in unserer Mitte, wie sich über ein Jahrzehnt Terroristen ungestört in Deutschland einrichten und von hier aus brutale Aktionen planen konnten, Anschläge nach wie vor verüben können. Es könnte sich die Frage stellen: Was ist das für ein Rechtsstaat, bei dem bei der Bekämpfung von Ausländern, die in Deutschland zum Mord aufrufen, nicht die Sicherung des Lebens potenzieller Opfer als erstrangiges Menschenrecht Priorität hat, sondern das Durchspielen aller Ebenen der Drei-Gewaltenteilung?



6.

An dem »Fall Kaplan« wird deutlich, wie schwer sich der Staat mit einem islamischen Gotteskrieger tut, der nach seiner Abschiebung in die Türkei von den dortigen Organen sofort hinter Gitter gesetzt wurde. »Wie ist es möglich«, fragt Thamm in seinem Buch, dass der Staat und seine Organe von einem Extremisten derart an der Nase herum- und vorgeführt werden können« und zitiert den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei Freiberg: »Wir werden erst aufwachen, wenn auch bei uns etwas Schreckliches passiert ist.«

Was also tun? Terrorismusexperten betonen, dass es keine absolute Sicherheit gäbe und auch in absehbarer Zukunft nicht geben wird, dass wir uns darauf einstellen müssen, mit der Bedrohung durch den islamistischen Terror zu leben. Mit diesem Ausblick sollten wir, die Bürger dieses Staates, uns nicht abfinden. Die Auseinandersetzung mit dem Islamismus ist nicht nur ein weltpolitisches Problem, sie muss in Deutschland vor allem ein gesamtgesellschaftliches Anliegen werden. Über die von den staatlichen Organen wahrzunehmenden Sicherheitsaufgaben hinaus gilt es, die Bildungs- und Aufklärungsarbeit über den Islam als kulturelle Auseinandersetzung zu entwickeln, die Kenntnisse über diese Weltreligion zu vertiefen und dabei Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden üben zu lernen. Das wäre ein Feld, auf dem sich Medien sowie bildungs- und kulturpolitische Organisationen verdient machen können.


Heinz Knobbe, Botschafter a.D., ist Vorstandsvorsitzender des Nahost-Forums e. V.

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Macht Stimmzettel zu Denkzetteln!
Bei Unschlüssigkeit nicht das "kleinere Übel" oder gar nicht wählen
sondern ungültig wählen!


[editiert: 14.11.04, 16:47 von bjk]



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