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UN-Resolution 1441 - Verifizierung und Erfüllung

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Baba Yaga


New PostErstellt: 16.07.03, 17:21  Betreff: UN-Resolution 1441 - Verifizierung und Erfüllung  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Heute habe ich Phoenix zwei Sendungen gesehen, die sich mit der ominösen Resolutin 1441 gegen den Irak beschäftigten.

Es waren alte Sendungen, die ausgestrahlt wurden und die zum Nachdenken auffordern.

Zum einen ging es um eine Diskussionsrunde am 5.2.03, es herrschte damals der "Schwebezustand" darüber, ob die USA eine weitere Resolution mit Kriegserklärung zur Resolution 1441 einbringen würden, - sie war bereits im Gespräch und Bush "arbeitete" daran,

zum anderen wurde die UN-Sitzung vom 7.3.03 übertragen, als die "Beweise" für Massenvernichtungswaffen (Studentenstudie)von Powell vorgelegt wurden.

Heute wissen wir, daß der Irak nicht nur keine Massenvernichtungswaffen besessen hat, den Besitz nicht anstrebte und natürlich auch keine solchen Waffen weitergeben konnte

Es war schon interessant nochmals revuepassieren zu lassen, wie sich "Völkerrechtler", unter Berufung auf "sich ändernde Verhältnisse", sich gegenüber dem politischen Druck servil zeigten und für die Einführung des "Präventivschlages" Erklärungen und Formeln fanden.

Heute wissen wir es nicht nur, sondern bekommen es belegt, daß die USA und England, zusammen mit den anderen Willigen, die UN Resolution 1441 als Vorwand für den lange vorher geplanten Angriffskrieg nahmen.
Schon das Zustandekommen dieser Resolution war von Erpressung der USA gegenüber dem Rest der Welt getragen.
Damals hat man zwar den USA-Vorschlag mit direkter Kriegsdrohung und kriegsauslöser "abgemildert", aber dagegenstimmen und damit die USA abblitzen lassen, das wollte man damals noch nicht.

Vorige Woche meinte Vaclav Klaus zum US-Botschafter in Tschechien:

"Ich rate Bush, keine Massenvernichtungswaffen im Irak zu finden, denn heute wird jeder davon überzeugt sein, die Amerikaner hätten sie selbst dorthin getragen."

Der Botschafter, ein naher Verwandter von Bush, soll sehr pikiert gewesen sein, hat das prompt Bush gemeldet und nun ist auch hier die politisch-diplomatische Atmosphäre "getrübt"!

Aber wo er Recht hat, der Vaclav, dort hat er recht

Hier nochmals zum Nachlesen, die Originalforderungen aus der Resolution 1441 der UN vom Nov.2002:

entschlossen, die vollständige Befolgung seiner Beschlüsse sicherzustellen,

tätig werdend nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen,

1. beschließt, dass Irak seine Verpflichtungen nach den einschlägigen Resolutionen, namentlich der Resolution 687 (1991), erheblich verletzt hat und nach wie vor erheblich verletzt, indem Irak insbesondere nicht mit den Inspektoren der Vereinten Nationen und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zusammenarbeitet und die nach den Ziffern 8 bis 13 der Resolution 687 (1991) erforderlichen Maßnahmen nicht abschließt;

2. beschließt, dabei eingedenk der Ziffer 1, Irak mit dieser Resolution eine letzte Chance einzuräumen, seinen Abrüstungsverpflichtungen nach den einschlägigen Resolutionen des Rates nachzukommen; und beschließt demgemäß, ein verstärktes Inspektionsregime einzurichten, mit dem Ziel, den vollständigen und verifizierten Abschluss des mit Resolution 687 (1991) und späteren Resolutionen des Rates eingerichteten Abrüstungsprozesses herbeizuführen;

3. beschließt, dass die Regierung Iraks, um mit der Erfüllung ihrer Abrüstungsverpflichtungen zu beginnen, zusätzlich zur Vorlage der zweimal jährlich erforderlichen Erklärungen der Überwachungs-, Verifikations- und Inspektionskommission der Vereinten Nationen (UNMOVIC), der IAEO und dem Rat spätestens 30 Tage nach Verabschiedung dieser Resolution eine auf dem neuesten Stand befindliche genaue, vollständige und umfassende Erklärung aller Aspekte seiner Programme zur Entwicklung chemischer, biologischer und nuklearer Waffen, ballistischer Flugkörper und anderer Trägersysteme, wie unbemannter Luftfahrzeuge und für den Einsatz mit Luftfahrzeugen bestimmter Ausbringungssysteme, einschließlich aller Bestände sowie der exakten Standorte derartiger Waffen, Komponenten, Subkomponenten, Bestände von Agenzien sowie dazugehörigen Materials und entsprechender Ausrüstung, der Standorte und der Tätigkeit seiner Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionseinrichtungen sowie aller sonstigen chemischen, biologischen und Nuklearprogramme, einschließlich jener, bezüglich derer sie geltend macht, dass sie nicht Zwecken im Zusammenhang mit der Produktion von Waffen oder Material dienen, vorlegen wird;

4. beschließt, dass falsche Angaben oder Auslassungen in den von Irak nach dieser Resolution vorgelegten Erklärungen sowie jegliches Versäumnis Iraks, diese Resolution zu befolgen und bei ihrer Durchführung uneingeschränkt zu kooperieren, eine weitere erhebliche Verletzung der Verpflichtungen Iraks darstellen und dem Rat gemeldet werden, damit er nach den Ziffern 11 und 12 eine Bewertung trifft;

5. beschließt, dass Irak der UNMOVIC und der IAEO sofortigen, ungehinderten, bedingungslosen und uneingeschränkten Zugang zu ausnahmslos allen, auch unterirdischen, Bereichen, Einrichtungen, Gebäuden, Ausrüstungsgegenständen, Unterlagen und Transportmitteln gewährt, die diese zu inspizieren wünschen, sowie sofortigen, ungehinderten und uneingeschränkten Zugang ohne Anwesenheit Dritter zu allen Amtsträgern und anderen Personen, welche die UNMOVIC oder die IAEO in der von ihr gewählten Art und Weise oder an einem Ort ihrer Wahl auf Grund irgendeines Aspekts ihres jeweiligen Mandats zu befragen wünschen; beschließt ferner, dass die UNMOVIC und die IAEO nach ihrem Ermessen Befragungen innerhalb oder außerhalb Iraks durchführen können, dass sie die Ausreise der Befragten und ihrer Angehörigen aus Irak erleichtern können und dass diese Befragungen nach alleinigem Ermessen der UNMOVIC und der IAEO ohne Beisein von Beobachtern der Regierung Iraks stattfinden können; und weist die UNMOVIC an und ersucht die IAEO, die Inspektionen spätestens 45 Tage nach Verabschiedung dieser Resolution wiederaufzunehmen und den Rat 60 Tage danach über den neuesten Sachstand zu unterrichten;

6. macht sich das Schreiben des Exekutivvorsitzenden der UNMOVIC und des Generaldirektors der IAEO vom 8. Oktober 2002 an General Al-Saadi, Mitglied der Regierung Iraks, zu eigen, das dieser Resolution als Anlage beigefügt ist, und beschließt, dass der Inhalt dieses Schreibens für Irak bindend ist;

7. beschließt ferner, in Anbetracht der von Irak lange unterbrochenen Anwesenheit der UNMOVIC und der IAEO und zu dem Zweck, dass sie die in dieser und in allen früheren einschlägigen Resolutionen festgelegten Aufgaben wahrnehmen können, sowie ungeachtet früherer Vereinbarungen die nachstehenden abgeänderten beziehungsweise zusätzlichen Regelungen festzulegen, die für Irak bindend sind, um ihre Arbeit in Irak zu erleichtern:

– die UNMOVIC und die IAEO bestimmen die Zusammensetzung ihrer Inspektionsteams und stellen sicher, dass diese Teams aus den qualifiziertesten und erfahrensten verfügbaren Sachverständigen bestehen;
– das gesamte Personal der UNMOVIC und der IAEO genießt die in dem Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen und der Vereinbarung über die Vorrechte und Befreiungen der IAEO für Sachverständige im Auftrag der Vereinten Nationen vorgesehenen Vorrechte und Immunitäten;
– die UNMOVIC und die IAEO haben das uneingeschränkte Ein- und Ausreiserecht in und aus Irak, das Recht auf freie, uneingeschränkte und sofortige Bewegung zu und von den Inspektionsstätten sowie das Recht, alle Stätten und Gebäude zu inspizieren, einschließlich des sofortigen, ungehinderten, bedingungslosen und uneingeschränkten Zugangs zu den Präsidentenanlagen unter den gleichen Bedingungen wie zu den anderen Stätten, ungeachtet der Bestimmungen der Resolution 1154 (1998);
– die UNMOVIC und die IAEO haben das Recht, von Irak die Namen aller Mitarbeiter zu erhalten, die mit den chemischen, biologischen, nuklearen und ballistische Flugkörper betreffenden Programmen Iraks sowie mit den entsprechenden Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionseinrichtungen in Verbindung stehen oder in Verbindung standen;
– die Sicherheit der Einrichtungen der UNMOVIC und der IAEO wird durch eine ausreichende Zahl von Sicherheitskräften der Vereinten Nationen gewährleistet;
– die UNMOVIC und die IAEO haben das Recht, zum Zweck der Blockierung einer zu inspizierenden Stätte Ausschlusszonen zu erklären, die auch umliegende Gebiete und Verkehrskorridore umfassen, in denen Irak alle Bewegungen am Boden und in der Luft einstellt, sodass an der zu inspizierenden Stätte nichts verändert und nichts davon entfernt wird;
– die UNMOVIC und die IAEO können Starr- und Drehflügelluftfahrzeuge, einschließlich bemannter und unbemannter Aufklärungsflugzeuge, frei und uneingeschränkt einsetzen und landen;
– die UNMOVIC und die IAEO haben das Recht, nach ihrem alleinigen Ermessen alle verbotenen Waffen, Subsysteme, Komponenten, Unterlagen, Materialien und andere damit zusammenhängende Gegenstände verifizierbar zu entfernen, zu vernichten oder unschädlich zu machen sowie das Recht, alle Einrichtungen oder Ausrüstungen für deren Produktion zu beschlagnahmen oder zu schließen; und
– die UNMOVIC und die IAEO haben das Recht, Ausrüstung oder Material für Inspektionen frei einzuführen und zu verwenden und jede Ausrüstung, jedes Material und alle Dokumente, die sie bei Inspektionen sichergestellt haben, zu beschlagnahmen und auszuführen, ohne dass Mitarbeiter der UNMOVIC oder der IAEO oder ihr dienstliches oder persönliches Gepäck durchsucht werden;

8. beschließt ferner, dass Irak keine feindseligen Handlungen gegen Vertreter oder Personal der Vereinten Nationen oder der IAEO oder irgendeines Mitgliedstaats, der tätig wird, um einer Resolution des Rates Geltung zu verschaffen, durchführen oder androhen wird;

9. ersucht den Generalsekretär, Irak diese Resolution, die für Irak bindend ist, unverzüglich zur Kenntnis zu bringen; verlangt, dass Irak binnen sieben Tagen nach dieser Unterrichtung seine Absicht bestätigt, diese Resolution vollinhaltlich zu befolgen, und verlangt ferner, dass Irak sofort, bedingungslos und aktiv mit der UNMOVIC und der IAEO kooperiert;

10. ersucht alle Mitgliedstaaten, die UNMOVIC und die IAEO bei der Erfüllung ihres jeweiligen Mandats rückhaltlos zu unterstützen, so auch indem sie alle Informationen über verbotene Programme oder andere Aspekte ihres Mandats vorlegen, namentlich über die von Irak seit 1998 unternommenen Versuche, verbotene Gegenstände zu erwerben, und indem sie Empfehlungen zu den zu inspizierenden Stätten, den zu befragenden Personen, den Umständen solcher Befragungen und den zu sammelnden Daten abgeben, wobei die UNMOVIC und die IAEO dem Rat über die dabei erzielten Ergebnisse Bericht erstatten werden;

11. weist den Exekutivvorsitzenden der UNMOVIC und den Generaldirektor der IAEO an, dem Rat über jede Einmischung Iraks in die Inspektionstätigkeiten und über jedes Versäumnis Iraks, seinen Abrüstungsverpflichtungen, einschließlich seiner Verpflichtungen betreffend Inspektionen, nach dieser Resolution nachzukommen, sofort Bericht zu erstatten;

12. beschließt, sofort nach Eingang eines Berichts nach den Ziffern 4 oder 11 zusammenzutreten, um über die Situation und die Notwendigkeit der vollinhaltlichen Befolgung aller einschlägigen Ratsresolutionen zu beraten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu sichern;

13. erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass der Rat Irak wiederholt vor ernsthaften Konsequenzen gewarnt hat, wenn Irak weiter gegen seine Verpflichtungen verstößt;
Das ist die Passage, worauf die USA sich beriefen ihren Angriffskrieg, ohne weitere Zustimmungsresolution durch die UN, führen zu können!!!!!


14. beschließt, mit der Angelegenheit befasst zu bleiben.


Einen schönen Tag noch
Baba Yaga

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Jessi Ka

Ort: Augsburg

New PostErstellt: 16.07.03, 19:51  Betreff: Re: UN-Resolution 1441 - Verifizierung und Erfüllung  drucken  weiterempfehlen

Revue-passieren...passt zwar nicht zum Thema Irak, aber ich habe gestern in alten Plenarprotokollen von 1994 rumgestöbert, unheimlich interessant, die damaligen Aussagen mit denen von heute zu vergleichen, eigentlich einen eigenen thread wert.

Irrtümer haben ihren Wert, jedoch nur hier und da,
Nicht jeder, der nach Indien fährt, entdeckt Amerika.

(E.K.)
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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 11.09.03, 13:24  Betreff:  Schurke sein reicht nicht  drucken  weiterempfehlen

sehr lesenswerter taz-Artikel
meint bjk



Schurke sein reicht nicht
von MICHAEL BOTHE


Nach dem 11. 9. 2001 ergriff die Vereinigten Staaten ein Gefühl finsterer Entschlossenheit: Der Terrorismus muss bekämpft werden, Hindernisse für die als notwendig erachteten Maßnahmen werden nicht akzeptiert. Der Rest der Welt, ergriffen von einer Welle der Sympathie, widersprach dem nicht. Auch rechtliche Regeln wurden als Hindernisse empfunden, und die USA haben so bei dieser Gelegenheit wesentliche Bestandteile ihrer verfassungsrechtlichen Traditionen über Bord geworfen. Der Schutz der Privatsphäre und die Rechte Beschuldigter in ihrem Prozessverfahren, all das wurde eingeschränkt. Aber da der Kampf gegen den Terror weltweit stattfinden sollte, erschien auch das Völkerrecht als Hindernis.

Terroristen fangen und töten - überall auf der Welt, gefangene Terroristen nach Belieben festsetzen: das erscheint offenbar vielen in der US-Administration als das richtige Mittel des Kampfes gegen den Terrorismus. Was hat das Völkerrecht dazu zu sagen? Wenn es stimmen sollte, dass das Völkerrecht sinnvolle Maßnahmen verhindert: Sollte man es ändern? Und wie?

Zwei Grundfragen stellen sich: Die erste betrifft das staatliche Territorium, auf dessen Gebiet sich Terroristen aufhalten. Darf der Staat, der Opfer terroristischer Gewalt geworden ist, ohne Genehmigung des Aufenthaltsstaates auf eigene Faust Terroristen töten oder fangen? Wenn nein, was ist rechtspolitisch von einem solchen Verbot zu halten?

Zum Zweiten: Gibt es völkerrechtliche Regeln, die verbieten, dass Individuen (seien sie terroristische Verbrecher oder nicht) von staatlichen Organen getötet oder gefangen genommen bzw. gefangen gehalten werden? Verhindern diese Regeln sinnvolle Maßnahmen des Kampfes gegen den Terrrorismus?

Zur Beantwortung der ersten Frage muss man sich mit dem Gewaltverbot des Völkerrechts auseinander setzen. Wenn Soldaten eines Staates auf fremdem Gebiet Personen töten oder gefangen nehmen, so ist das eine grenzüberschreitende militärische Gewaltausübung. Solche "Gewalt zwischen den Staaten" ist nach der Satzung der Vereinten Nationen und nach völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht verboten. Dieses Gewaltverbot ist eine der wesentlichen kulturellen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Es hat zwar Kriege nicht verhindert. Aber es hat das gesellschaftlich-moralische Unwerturteil gegen diejenigen, die Kriege anzetteln, rechtlich untermauert.

In manchen Staaten, so im deutschen Strafgesetzbuch, gibt es auch echte rechtliche Sanktionen. Schließlich soll auch der neue Internationale Strafgerichtshof für die Bestrafung eines Angriffskrieges zuständig sein. Das Gewaltverbot gilt trotz aller Verletzungen. Es ist ernst zu nehmen.

Wo militärische Gewalt ausgeübt wird, berufen sich Staaten deshalb auf Ausnahmen, das heißt auf Situationen, in denen der Einsatz militärischer Gewalt ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann. Solche Rechtfertigungsgründe gibt es drei: die individuelle oder kollektive Selbstverteidigung, eine Ermächtigung des UN-Sicherheitsrates und, unter gewissen Umständen, das Hilfsersuchen einer Regierung. In unserer Frage geht es um einseitige Militärmaßnahmen, für die als Rechtfertigung nur die Selbstverteidigung in Frage kommt.

Was ist Selbstverteidigung? Es ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen bewaffneten Angriff abzuwehren. Gegen wen ist solche Verteidigung zulässig? Natürlich nur gegen den Angreifer. Nach dem 11. 9. war es möglich, Afghanistan als einen solchen Angreiferstaat anzusehen, da die effektive Regierung Afghanistans, das waren die Taliban, enge Verflechtungen mit der Terrorgruppe al-Quaida besaß und diese offenbar seit Jahren schon militärisch unterstützte.

Ist aber jeder Staat, auf dessen Gebiet sich zufällig in größerer Zahl zu fangende oder zu tötende Terroristen befinden, ein Angreifer? Auch die Bundesrepublik, wenn sich auf ihrem Gebiet eine Terrorgruppe eingenistet hat? Natürlich nicht, die Bundesrepublik kooperiert ja im Kampf gegen den Terror, und dies auch im eigenen Interesse.

Das Problem sind die Staaten, die nicht bereit oder nicht in der Lage sind, zu unterbinden, dass von ihrem Gebiet terroristische Aktivitäten ausgehen. Somalia und Jemen werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. An dieser Stelle setzt bei manchen die juristische Fantasie ein, mit der begründet wird, dass diese Untätigkeit eines Staates, der Terroristen "beherbergt", rechtlich genauso zu bewerten sei wie ein bewaffneter Angriff. So kann man das aber nicht sehen.

Das Völkerrecht entwickelt sich durch die Praxis der Staaten. Es gibt keine staatliche Praxis, die als Präzedenzfall für eine solche Ausweitung der Selbstverteidigung angeführt werden könnte. Aber sollte nicht auf eine solche Änderung des Rechts hingearbeitet werden? Gegenwärtig kann die Antwort auf diese Frage nur nein lauten. Es geht nicht an, dass jeder Staat, der die nötigen militärischen Mittel besitzt, mit der Behauptung, ein anderer Staat beherberge Terroristen und tue nichts dagegen, in jenen anderen Staat einmarschieren darf, um die Terroristen selbst zu fangen.

Beim Kampf gegen den Terrorismus gibt es andere sinnvolle Mittel. Wenn die Kooperation mit dem Staat, der Terroristen beherbergt, nicht erreicht werden kann, dann ist es durchaus möglich, den UN-Sicherheitsrat um eine Ermächtigung zur Gewaltausübung zu ersuchen. Dieser hat zwar mit dem Vetorecht seiner ständigen Mitglieder eine Verfahrensregel, die nicht gerade die Entscheidungsfreudigkeit fördert. Aber er hat im letzten Jahrzehnt eine Reihe sinnvoller Ermächtigungen zum Einsatz bewaffneter Gewalt ausgesprochen: Kuwait, Ruanda, Haiti, Bosnien-Herzegowina nach dem Dayton-Abkommen, Kosovo nach dem Ende der Luftangriffe der Natostaaten. Wo er es nicht tat (Kosovo-Krise vor den Natoangriffen, Irak), gab es dafür beachtliche Gründe.

Ähnliche Argumente gelten auch für eine andere, viel beschworene Bedrohung, nämlich die durch so genannte Schurkenstaaten, die nicht nur - angeblich - Terroristen beherbergen, sondern mit ihren - angeblich vorhandenen - Massenvernichtungsmitteln andere Staaten existenziell bedrohen.

Eine Bedrohung ist kein bewaffneter Angriff, es sei denn, der Angriff steht wirklich unmittelbar bevor. Einen Präzedenzfall, der eine Bedrohung einem bewaffneten Angriff gleichsetzen und damit zum Ausgangspunkt für ein Selbstverteidigungsrecht erklären würde, gibt es nicht. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben im Irak auch keinen solchen Präzedenzfall geschaffen. Denn sie haben sich zwar zur politischen Rechtfertigung auf die Bedrohung durch den Irak berufen. In ihrer rechtlichen Argumentation haben sie sich auf die alte Irak-Resolution des Sicherheitsrats aus dem Jahre 1990 berufen.

Gewiss, es gibt Staaten, die mit dem Feuer spielen und als Gefahr angesehen werden können. Aber auch die Frage der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen in den Händen unverantwortlicher Staaten ist beim Sicherheitsrat gut aufgehoben.

Das Problem dieser neuen Bedrohungen ist also durch Kooperation und letztlich über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu lösen. Darum bedarf es keiner Änderung des Völkerrechts, um einseitige Gewaltmaßnahmen sich betroffen fühlender Staaten und ihrer Verbündeten zu rechtfertigen.

Bei der genannten zweiten Frage zur Tötung oder Gefangennahme von Terroristen sind zwei Situationen zu unterscheiden: der bewaffnete Konflikt - sei es ein Konflikt zwischen Staaten, sei es ein Bürgerkrieg - auf der einen Seite, Gewaltmaßnahmen zum Schaffen von Ordnung in Friedenszeiten auf der anderen Seite.

In einem bewaffneten Konflikt ist das Töten von Kombattanten oder auch von Zivilpersonen, die sich unerlaubt an solchen Kämpfen beteiligen, völkerrechtlich gestattet.

Das Töten von Menschen außerhalb dieser Situation des bewaffneten Konflikts ist dagegen engen menschenrechtlichen Grenzen unterworfen. Es ist nur zulässig, um eine gegenwärtige Gefahr für ein hohes Rechtsgut, das anders nicht zu schützen ist, abzuwehren. So etwa bei einer Geiselbefreiung oder zur Verhinderung der Flucht eines Verbrechers.

Das Töten ist kein generell zulässiges Mittel der Verbrechensverfolgung, sondern darf nur dem Schutz anderer Rechtsgüter vor unmittelbarer Bedrohung dienen. Der so genannte Krieg gegen den Terror ist kein bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerrechts, in dem das Töten von Kämpfern ohne weiteres erlaubt wäre. Der Ausdruck ist vielmehr eine Metapher für ein Bündel von Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung.

Nach den Maßstäben des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes sind gezielte Tötungen keine Maßnahmen der Verbrechensverfolgung. Das gilt, wenn ein Staat auf seinem Gebiet handelt; es gilt auch, wenn der Staat auf dem Gebiet eines anderen mit oder ohne Zustimmung des Letzteren handelt.

Der Freiheitsentzug wirft ähnliche Fragen auf. Während eines bewaffneten Konflikts können Kombattanten zu Kriegsgefangenen gemacht, Zivilpersonen aus Sicherheitsgründen interniert werden. Dieser Status der Kriegsgefangenschaft muss bei Ende der aktiven Feindseligkeiten aufgehoben und die gefangene Person freigelassen werden.

Außerhalb des bewaffneten Konfliktes gilt völkerrechtlich ein menschenrechtlicher Standard für Freiheitsentziehungen. Es bedarf einer gesetzlichen Grundlage, das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist zu beachten. In aller Regel darf der Freiheitsentzug nur durch einen Richter genehmigt werden. "Administrativer" Freiheitsentzug ohne Richter ist nur in engen Grenzen zulässig.

Diese Beschränkungen sind von Regierungen, die mit inneren Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, immer wieder als unbequem angesehen worden. Das Problem ist alles andere als neu, auch wenn heute verstärkt die grenzüberschreitende Dimension hinzukommt. Die menschenrechtlichen Regeln schließen Töten und Freiheitsentzug nicht völlig aus. Aber die Schranken, die sie setzen, haben sich in Jahrzehnten bewährt. Sie sind immer noch ein vernünftiger Ausgleich zwischen staatlichen Sicherheitsinteressen und individueller Freiheit. Der Einzelfall mag schwierig einzuordnen sein. Die Regeln bedürfen keiner Änderung.

taz Nr. 7154 vom 11.9.2003, Seite 6, 315 TAZ-Bericht MICHAEL BOTHE

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[editiert: 11.09.03, 13:25 von bjk]
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