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Daten und Fakten zum Nahen und Mittleren Osten

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bjk

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Ort: Berlin


New PostErstellt: 05.09.06, 15:10  Betreff:  Re: Daten und Fakten zum Nahen und Mittleren Osten  drucken  weiterempfehlen




kopiert aus: http://www.jungewelt.de/2006/09-05/001.php



Ziel Groß-Israel

Seit über 100 Jahren betreiben konservative jüdische Kreise die Gründung eines rein jüdischen Staates auf arabischem Gebiet (Teil I)

Jürgen Aust



Mit dem in den letzten Wochen geführten Libanon-Krieg und der erneuten militärischen Offensive im Gazastreifen geht es Israel nicht um die Sicherung seiner Grenzen, sondern um die seit Jahrzehnten verfolgte Realisierung der zionistischen Vision eines Groß-Israel. Im Jahr 1919, am Rande der Pariser Friedenskonferenz, auf dem die Bedingungen für den Frieden nach dem Ersten Weltkrieg festgelegt wurden, legte die zionistische Bewegung einen Plan für einen zukünftigen jüdischen Staat vor, nach dem sie Palästina für sich beanspruchten. Danach sollten die Grenzen dieses Staates im Norden Teile des heutigen Libanon, im Osten Teile des heutigen Jordanien und im Süden das Gebiet des Sinai umfassen. Im Gegensatz zu den jüdischen Einwanderern der ersten »Alija« (Einwanderungswelle), die in erster Linie aufgrund ihrer jüdischen Religion ins »gelobte Land« heimkehren wollten, beriefen sich die weiteren jüdischen Einwanderer auf die von Theodor Herzl (1860-1904) verfaßte programmatische Schrift »Der Judenstaat« und die Forderung des von ihm erstmals einberufenen Kongresses aus dem Jahr 1897 in Basel, wonach der »Zionismus (...) für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina« anstrebte.

Der Einfluß zahlreicher Zionisten auf die englische Regierung führte schließlich dazu, daß diese 1917 in der sogenannten »Balfour-Deklaration« ihre Bereitschaft erklärte, in Palästina eine »nationale Heimstätte« für das jüdische Volk zu unterstützen. Die jüdischen Einwanderungswellen, die seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf zahlreichen antisemitischen Pogromen in Polen und Rußland beruhten, führten dazu, daß zwischen 1880 und 1914 60000 Juden nach Palästina kamen, während zur gleichen Zeit an die zwei Millionen Juden in die USA und 200000 Juden in Großbritannien einwanderten. Diese Zahlen sind ein Indiz dafür, daß das »Land Zion« nur für einen geringen Teil der osteuropäischen Juden Anziehungskraft besaß. Dies änderte sich erst, als England in einem weiteren blutigen Kolonialkrieg gegen das Osmanische Reich 1918/19 Palästina unterwarf und in den Folgejahren das vom Zionistischen Weltkongreß und insbesondere das vom Jüdischen Nationalfonds mit millionenschweren Geldtransfers finanzierte Projekt der Besiedelung Palästinas unterstützte. Als sich 1921 der erste arabische Widerstand gegen die jüdische Kolonisierung Palästinas regte, wurde dieser vom englischen Militär mit Unterstützung zionistischer Militärverbände, Hagana (Verteidigung) genannt, bereits blutig niedergeschlagen.

In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte sich eine zionistische Bewegung, die immer radikaler ihre Ansprüche auf arabischen Boden erhob und die Konflikte mit der arabischen Bevölkerung verschärfte. Einer der zionistischen Wortführer war Wladimir Zeev Jabotinsky (1880–1940), der zum geistigen Wegbereiter der späteren Ministerpräsidenten Menachem Begin (1913–1992), Ariel Scharon und Ehud Olmert wurde. Er gründete 1925 die Revisionistische Partei, um seine politischen Ziele zu realisieren: die Grenzen von Groß-Israel noch weiter nach Jordanien ausdehnen und dabei jegliche Verhandlungslösung ablehnen. Außerdem gründete er den militärisch organisierten Jugendverband namens »Betar«, dem Olmert später beitrat. Bereits damals forderte der junge David Ben Gurion (1886–1973), der 1948 den Staat Israel proklamieren sollte: »Die politische Idee des Zionismus stellt an uns eine Forderung: eine jüdische Majorität in Palästina zu schaffen« (Meier-Cronemeyer, S. 72).



Holocaust Nebensache

Die Kolonisierungspläne waren untrennbar mit der Besiedlung Palästinas verbunden, die jedoch zu keiner Zeit von der arabischen Bevölkerung freiwillig akzeptiert wurde, wie es die zionistische Geschichtsschreibung zur Rechtfertigung ihres Projektes unermüdlich behauptet. Die Kolonisierung palästinensischen Bodens war unvermeidbar mit der Vertreibung und Enteignung arabischer Bauern und Landbesitzer verbunden, wie Haim Kalvarisky, der Verwalter der Jewish Colonization Association in Palästina, freimütig erklärte. Er enteigne seit 25 Jahren Araber, was keine leichte Aufgabe sei. Er müsse sie von ihrem Land vertreiben, weil die jüdische Öffentlichkeit dies von ihm verlange (Segev, S. 127ff.).

Zwischen 1922 und 1936 wuchs die Zahl der jüdischen Siedler in Palästina von 86000 (elf Prozent der Gesamtbevölkerung) auf zirka 400000 (30 Prozent) an. Sie nahm vor allem zwischen 1933 und 1936 infolge der Machtergreifung Hitlers in wesentlich stärkerem Maße als in den Jahren davor zu. Die arabischen Organisationen entwickelten gegen diesen schleichenden Ausverkauf ihrer Heimat einen immer stärkeren Widerstand und forderten die englische Kolonialmacht immer wieder auf, diesem Ausverkauf Einhalt zu gebieten und eine Regierung einzusetzen, in der beide Volksgruppen entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sein würden. Als die arabische Seite feststellen mußte, daß sowohl die britische als auch die zionistische Seite alle Bemühungen um einen Ausgleich kategorisch ablehnten, leitete im Mai 1936 ein Generalstreik einen dreijährigen arabischen Aufstand ein. Als daraufhin die von England eingesetzte Peel-Kommission die Dreiteilung Palästinas vorschlug, wurde dieser Vorschlag vom 20. Zionistischen Weltkongreß im August 1937 entschieden zurückgewiesen, da Juden das unveräußerliche Recht besäßen, in allen Teilen Palästinas zu siedeln.

Der Taktiker Ben Gurion erklärte allerdings, daß der Peel-Plan der »denkbar mächtigste Hebel für die allmähliche Eroberung ganz Palästinas« sei (Flapan, S. 34), da er in dem Plan einen ersten politischen Schritt sah, seiner Vision von »Eretz Israel« näherzukommen. Vor der zionistischen Exekutive unterstrich er noch einmal die rein taktische Natur seines Eintretens für den Teilungsplan, weil »wir nach dem Aufbau einer großen Armee im Anschluß an die Errichtung des Staates die Teilung aufheben und uns über ganz Palästina ausdehnen können« (Flapan, S. 34). Der arabische Aufstand wurde jedoch von britischen Soldaten blutig niedergeschlagen, weil die Aufständischen militärisch hoffnungslos unterlegen waren. Die zionistische Exekutive war bereits zu Beginn des arabischen Protestes darum bemüht, die britische Regierung davon zu überzeugen, daß die Juden in Palästina und das britische Empire Schulter an Schulter gegen einen gemeinsamen Feind und für gemeinsame Ziele kämpfen, was dazu führte, daß die jüdischen Streitkräfte an der Seite der britischen Armee einen nicht unerheblichen Anteil an der Niederschlagung des Aufstandes hatten. Es ging sogar so weit, daß Tausende jüdische Polizisten von der Mandatsmacht eingestellt wurden, die die weitgehende Kontrolle über arabische Dörfer und Städte ausübten. Den überaus größten »Blutzoll« hatte die arabische Seite zu zahlen. Neben Tausenden Toten wurden infolge des verhängten Kriegsrechts Hunderte Araber zum Tode verurteilt und aufgehängt sowie zwischen 1936 und 1940 um die 2000 arabische Häuser zerstört (Segev, S. 457).

Auf der von Ben Gurion im Mai 1942 in New York einberufenen »Biltmore-Konferenz« wurde unmißverständlich die Forderung nach einem jüdischen Staat in ganz Palästina erhoben und jeglicher Verhandlungslösung mit der arabischen Seite eine Absage erteilt. Das Biltmore-Programm wurde zukünftig zur offiziellen Plattform der zionistischen Weltbewegung und war die Basis für den Aufstieg von Ben Gurion zum »unangefochtenen Führer des Weltzionismus« (Flapan, S. 37). Ihm gelang es insbesondere, sich gegen die zionistische Linke durchzusetzen, die sich gegen eine einseitige Staatsgründung aussprach und nach wie vor auf den Dialog mit der arabischen Seite setzte.

Die Nachrichten über den Holocaust erreichten erst allmählich die zionistische Exekutive in Palästina. »Was die Rettung von Juden aus dem nationalsozialistisch besetzten Europa betrifft, so hatte ich davon wenig Kenntnis, obwohl ich Vorsitzender der Jewish Agency war. Meine Tätigkeit bestand im wesentlichen darin, das Judentum dafür zu gewinnen, sich für die Gründung eines jüdischen Staates einzusetzen«, schrieb Ben Gurion einige Jahre später in seinem Tagebuch (Segev, S. 504). Die zionistische Führung in Palästina hatte also nahezu keine politischen Initiativen zur Rettung der in Europa verfolgten Juden unternommen. Während die westliche Propaganda in der Regel die Gründung Israels in einen untrennbaren Zusammenhang mit dem Holocaust stellt, führt Segev (S. 539) aus, daß »die Behauptung, die Staatsgründung sei eine Folge des Holocaust gewesen, jeglicher Grundlage entbehre«. Der Holocaust bestimmt jedoch bis zum heutigen Zeitpunkt jede Auseinandersetzung über die israelische Kriegspolitik. Ihre zahlreichen Kritiker aus den Reihen der zionistischen Bewegung haben immer wieder davor gewarnt, den Holocaust als Rechtfertigung für die Vertreibung der arabischen Bevölkerung zu instrumentalisieren. Es war kein Geringerer als der Präsident der Jüdischen Weltorganisation, Nahum Goldmann (1894–1982), der im Oktober 1981 erklärte: »Wir müssen begreifen, daß das Leid der Juden, das sie durch den Holocaust erlitten, nicht mehr als Schutzschild dienen kann, und wir müssen ganz sicher davon Abstand nehmen, den Holocaust zur Rechtfertigung unseres Tuns heranzuziehen. Wenn Menachem Begin die Bombardierung des Libanon unter Verweis auf den Holocaust rechtfertigt, begeht er eine Art ›Hillul Haschem‹ [ein Sakrileg – J. A.], eine Banalisierung der heiligen Tragödie der Shoa, die nicht als Begründung für eine politisch zweifelhafte und moralisch verwerfliche Politik mißbraucht werden darf« (Chomsky, S. 38).Staatsgründung durch Terror

Die palästinensische Tragödie begann im eigentlichen Sinne nach Verabschiedung des Teilungsplanes der UN am 29. November 1947, der die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen palästinensischen Staat vorsah. Die während des Zweiten Weltkrieges gegründete Arabische Liga lehnte den Teilungsplan zunächst ab, weil er nicht nur eine Zweiteilung Palästinas empfahl, sondern der jüdische Staat 56,47 Prozent Palästinas erhalten sollte, obwohl 1415000 Arabern (69 Prozent) lediglich 650000 Juden (31 Prozent) gegenüberstanden, denen bisher nur 5,67 Prozent des Bodens gehörte (Meier-Cronemeyer, S. 29). Allerdings veränderte sie wenige Wochen später ihre Position und bekräftigte noch im Dezember 1947 ihr Einverständnis mit dem Teilungsplan und bezeichnete es als ihre Hauptaufgabe, einen jüdisch-arabischen Krieg zu verhindern. Doch bereits zu dieser Zeit begannen zionistische Terrorgruppen in zahlreichen Landesteilen damit, gezielte Anschläge zu verüben, weil sie davon überzeugt waren, daß die Araber nur durch kriegerische Mittel zur Aufgabe ihrer Heimat gezwungen werden könnten. Diese Terrorgruppen rekrutierten sich im wesentlichen aus den militärischen Verbänden, die an der Niederschlagung des arabischen Aufstandes beteiligt waren und trugen Namen wie Irgun, Etzel, Palmach, LEHI sowie Stern. Diese Gruppen wurden u.a. von den späteren israelischen Ministerpräsidenten wie Begin und Yitzhak Schamir befehligt. Bereits im Dezember 1947 warf ein Irgun-Kommando in einer Raffinerie in Haifa eine Handgranate in eine Gruppe arabischer Arbeiter, von denen sechs getötet und 42 schwer verletzt wurden. Am 4.Januar 1948 verübte die Irgun mit einer Autobombe einen Sprengstoffanschlag auf das Verwaltungszentrum von Jaffa; 26 arabische Zivilisten fanden dabei den Tod. Drei Tage später starben bei der Explosion einer Irgun-Bombe am Jaffator in Jerusalem 25 arabische Zivilisten. Am 9. April 1948 überfielen Irgun und LEHI-Kommandos das Dorf Deir Jassin und richteten vorsätzlich ein Blutbad unter der arabischen Bevölkerung an, bei dem 250 Einwohner, darunter viele Kinder, kaltblütig umgebracht wurden. Dieses Massaker führte dazu, daß zwischen dem 21. April und dem 4. Mai 1948 eine Massenflucht der arabischen Bevölkerung aus Haifa und Jaffa einsetzte. Im März 1948 hatte die israelische »Verteidigung« Hagana den »Plan Dalet« verabschiedet, der die »Eroberung und Zerstörung ländlicher Gebiete« vorsah. Ben Gurion schrieb am 11. Mai 1948 in sein Tagebuch, er habe Anweisung erteilt, »arabische Inseln in jüdisch besiedelten Gebieten zu zerstören« (Flapan, S.146). Die schlimmste Vernichtung »arabischer Inseln« geschah zwei Monate nach der israelischen Staatsgründung am 15. Mai 1948, als in Lydda und Ramla am 12. und 13. Juli 1948 mehr als 50000 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben wurden. Bis zum Ende des nach der Gründung des israelischen Staates einsetzenden Krieges hatte die israelische Armee zirka 350 arabische Dörfer und Städte entvölkert und eingeebnet (Flapan, S. 140).

Der palästinensische Widerstand hatte diesem Exodus nichts entgegenzusetzen. Die Palästinenser verfügten über keine Armee, und ihr Kampf wurde von verstreut operierenden Freiwilligenverbänden geführt, deren militärische Kampfkraft nicht annähernd der der israelischen Seite entsprach. Während bei einer systematischen Vertreibungsaktion bis Juli 1948 330000 Palästinenser flüchteten, verließen während des Krieges zwischen Israel und den arabischen Staaten insgesamt 770000 Araber ihre Heimat, deren Rückkehrrecht Israel bereits damals trotz eindeutiger UN-Resolutionen kategorisch ablehnte. Während die offizielle israelische Darstellung des Flüchtlingsproblems lautete, die arabische Bevölkerung habe weitgehend freiwillig ihre Häuser und Dörfer verlassen, ist die israelische Linke bereits in den Jahren 1948/49 dieser Propaganda scharf entgegengetreten. Der Mythos vom freiwilligen Exodus der Araber diente jedoch bisher jeder israelischen Regierung als probates Argument für die Weigerung, auch nur eine Teilverantwortung für das Flüchtlingsproblem zu übernehmen (Flapan, S. 174). Israel lehnte in den folgenden Monaten und Jahren auf sämtlichen Konferenzen jegliche Vorschläge der arabischen Staaten ab, das Flüchtlingsproblem zu lösen, wobei die arabischen Staaten bereits damals bereit waren, Israel in den vom UN-Teilungsplan vorgesehenen Grenzen anzuerkennen. Auf der Konferenz in Lausanne im April 1949 scheiterte jedoch endgültig ein Kompromiß an dem unbeugsamen Nein der israelischen Delegation (Flapan, S. 331ff.).



Die israelische Eroberungsstrategie

Diese Strategie, sich Verhandlungslösungen zu verweigern und die »Eroberung« Palästinas in erster Linie mit kriegerischen Mitteln durchzusetzen, hat Israels Politik in den folgenden Jahrzehnten bis zum aktuellen Libanon-Krieg bestimmt. Bereits 1956 beteiligte sich Israel erneut an einer militärischen Intervention, als es zusammen mit den ehemaligen Kolonialmächten England und Frankreich einen Angriffskrieg gegen Ägypten führte. Unter Präsident Gamal Abdel Nasser (1918–1970) war der im Besitz einer englisch-französischen Gesellschaft befindliche Suezkanal verstaatlicht worden. Israel besetzte in kurzer Zeit den gesamten Sinai. Da jedoch die UNO sofort intervenierte und insbesondere die Sowjet­union Konsequenzen androhte, konnte ein weiterer »Nahost-Krieg« verhindert und Israel zum Abzug seiner Truppen gezwungen werden. Mehr »Erfolg« war dem Sechs-Tage-Krieg 1967 beschieden, als Israel weitere palästinensische Gebiete besetzte, um damit seiner Vision von Groß-Israel erneut Nachdruck zu verleihen. Diese Kriegsstrategie war von Anfang an damit verbunden, die nunmehr besetzten Gebiete gegen alle Regeln des Völkerrechts zu besiedeln, so wie es die zionistische Bewegung vor 1948 in dem heutigen israelischen Staatsgebiet praktiziert hat.


Theodor Herzl (1860-1904), der Begründer der Groß-Israel-Idee
Foto: jW-Archiv


In der letzten Phase des »Unabhängigkeitskrieges« legte Jigal Allon (1918–1980), Oberbefehlshaber der Hagana, Ben Gurion einen fertig ausgearbeiteten Plan für die Besetzung der Westbank vor, mit der Begründung, der Jordan sei unter strategischen Gesichtspunkten die bestmöglich Grenze (Flapan, S. 168). Bereits damals, wie Flapan (S. 216) dazu bemerkt, »blieb es ein zentrales Anliegen der israelischen Politik, die Entstehung eines Palästinenserstaates auf dem Territorium der Westbank zu verhindern und eine territoriale Expansion Israels weiter im Auge zu behalten.« Deshalb weigerte sich Israel auch in den Folgejahren, trotz zahlreicher Resolutionen des UN-Sicherheitsrates die Besetzung nicht nur nicht zu beenden, sondern begann 1977 unter Begin ein breit angelegtes Siedlungsprogramm in der Westbank, um damit die seit Jahrzehnten gehegten Besitzansprüche auf dieses Gebiet zu untermauern. Während 1985 erst ungefähr 50000 Juden in der Westbank lebten, waren es 1994 bereits 300000. Begins Traum war es, eine Million seiner Landsleute in »Judäa« und »Samaria« anzusiedeln, wie nach historischer Lesart dieses Gebiet von ultrarechten und religiösen Juden genannt wird.

Mit Begin kam erstmalig nach der israelischen Staatsgründung ein Vertreter des Likud-Blocks an die Macht, der in den Folgejahren die alte Gewalt- und Kriegspolitik fortsetzen sollte. Er gehörte, nachdem er 1942 nach Palästina einwanderte und nach kurzer Zeit die Führung der Terrorgruppe Irgun übernahm, zu den schärfsten Kriegstreibern. Sein politischer Gesinnungsgenosse Ariel Scharon gelangte bereits 1952 zu einer zweifelhaften Berühmtheit, als er als junger Oberbefehlshaber der Israel Defense Forces (IDF, israelische Armee) für ein Massaker in einem palästinensischen Dorf verantwortlich war, 70 Menschen umbrachte und 41 Häuser sowie eine Schule zerstörte, weil in diesem Dorf angeblich palästinensischen Freischärlern Unterschlupf gewährt worden war. Unter solchen Vorwänden wird die massenhafte Zerstörung palästinensischer Häuser und Dörfer bis zum heutigen Tage gerechtfertigt. Er war es auch, der als Oberbefehlshaber der IDF 1982 einen grausamen Krieg gegen den Libanon führte– der nicht zufällig starke Parallelen zum jüngsten Krieg gegen den Libanon aufweist. Wie aktuell die Entführung von zwei israelischen Soldaten als Kriegsvorwand gegen den Libanon diente, war 1982 ein Anschlag auf den israelischen Botschafter in London für Israel der Anlaß, einen von langer Hand vorbereiteten Angriffskrieg gegen den Libanon zu führen. Der erste »Teilakt« bestand darin, daß ein Palästinenserlager im Libanon bombardiert wurde, wobei 50 Bewohner umkamen. Als die Palestine Liberation Organization (PLO), die damals im südlichen Libanon ihren Sitz hatte, mit Raketenbeschuß reagierte, antwortete Israel mit einem massiven militärischen Überfall des Libanon, der unter anderem mit einem »historischen« Massaker verbunden war, als mit israelischer Absicherung libanesische Milizen der rechtsgerichteten Phalange in ein Palästinenserlager eindrangen und Hunderte Frauen, Kinder und ältere Männer niedermetzelten. Die israelische Okkupation dauerte drei Jahre und war ausschließlich mit dem Ziel verbunden, die PLO zu zerschlagen und ein israelfreundliches Regime im Libanon zu installieren.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg kostete damals erstaunlicherweise den »Kopf« Scharons, da ein israelisches Militärgericht die Massaker untersucht und seine maßgebliche Verantwortung daran festgestellt hatte. Scharon mußte daraufhin als Verteidigungsminister abdanken, was ihn bekanntlich nicht davon abhielt, gewissermaßen wie ein Phönix aus der Asche im Jahre 2001 zum Regierungschef gewählt zu werden, um seine alte Gewalt- und Kriegspolitik fortzusetzen.


* Literatur


– Noam Chomsky, Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US-Politik, Hamburg: Europa Verlag 2003

– Simcha Flapan, Die Geburt Israels. Mythos und Wirklichkeit, München: Knesebeck & Schuler 1988

– Hermann Meier-Cronemeyer, Geschichte des Staates Israel. Teil 1: Entstehungsgeschichte: Die zionistische Bewegung, Schalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag 1997

– Tom Segev, Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München: Siedler Verlag 2005

* Jürgen Aust ist Jurist und Pressesprecher der WASG in Duisburg


* Teil 2 und Schluß in der morgigen Ausgabe




Mensch bleiben muß der Mensch ...
von Tegtmeier


[editiert: 05.09.06, 15:13 von bjk]
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bjk

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New PostErstellt: 17.11.03, 19:00  Betreff:  Re: Daten und Fakten zum Nahen und Mittleren Osten  drucken  weiterempfehlen

kopiert aus: http://de.indymedia.org/2003/11/66391.shtml

übrigens ist unten nicht nur die US-Rüstungsindustrie gemeint

bjk

Reife ist
schärfer zu trennen
und inniger zu verbinden


nanu, nicht mal 48 kB kleine Bilder werden mehr gezeigt?
Also muß man eben auf den Button "anzeigen" drücken


[editiert: 17.11.03, 19:01 von bjk]



Dateianlagen:

Rüstungsindustrie.png (48 kByte, 500 x 347 Pixel)
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Watcher
New PostErstellt: 15.11.03, 11:05  Betreff: israelische Ex-Geheimdienstchefs warnen  drucken  weiterempfehlen

Ex-Geheimdienstchefs warnen
Israel vor dem "Abgrund"


Vier ehemalige israelische Geheimdienstchefs haben die Regierung in Jerusalem in ungewöhnlich scharfer Form angegriffen und einen sofortigen Teilrückzug aus den besetzten Gebieten gefordert. Wenn Israel die bisherige Politik fortsetze, drohe es selbst in einen "Abgrund" zu stürzen.

Die früheren Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet - Jaakov Perry, Ami Ajalon, Avraham Schalom und Carmi Gillon - sagten der Tageszeitung "Jediot Achronot", sie stimmten darin überein, dass nur ein weit gehender Rückzug aus dem Westjordanland und ein sofortiger Abzug aus dem Gazastreifen zur Beendigung des Konflikts führten.

In ihrem Aufsehen erregenden Interview gaben sich die vier Geheimdienstchefs, die den Schin Bet zwischen 1980 und dem Jahr 2000 führten, äußerst pessimistisch über die Zukunft Israels. "Wir sind auf dem Weg (in den Abgrund), da alle Schritte, die wir bisher unternommen haben, Schritte sind, die sich gegen den Frieden richten", sagte Ex-Geheimdienstchef Avraham Schalom nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen.

Die vollständige Meldung unter: http://www.n-tv.de/5194554.html
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bjk

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New PostErstellt: 08.10.03, 17:23  Betreff: Re: Daten und Fakten zum Nahen und Mittleren Osten  drucken  weiterempfehlen

Kopiert aus: "Freies Politikforum für Demokraten -> Dies und Das - querbeet"

Watcher
Erstellt: heute, 16:57 Betreff: Israel und Palästina: 80 Thesen für ein neues Friedenslager

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Israel und Palästina: 80 Thesen für ein neues Friedenslager
Ein Entwurf der israelischen Friedensorganisation Gush Shalom


Die hier erstmals auf deutsch vorgelegten, von Uri Avnery formulierten 80 Thesen wurden am 13. April 2001 als Anzeige der Friedensgruppe "Gush Shalom" in der hebräischen Ausgabe der - auch auf englisch erscheinenden - israelischen Tageszeitung "Ha’aretz" veröffentlicht. Gedacht als Einstieg in eine öffentliche Debatte innerhalb und außerhalb Israels, dokumentieren sie das Bemühen der konsequenten jüdisch-israelischen Friedenskräfte, in einer extrem schwierigen Situation die Wahrheit über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu verbreiten. Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge werden erbeten an Gush Shalom: - P.O. Box 3322,
Tel-Aviv 61033.

www.friedensratschlag.de


1. Der Friedensprozess ist zusammengebrochen - und hat einen großen Teil des israelischen Friedenslagers mit sich gerissen.

2. Vorübergehende zufällige Umstände wie persönliche oder parteipolitische Querelen, Versäumnisse der Führung, politischer Egoismus, interne und globale politische Entwicklungen sind nur wie Schaum auf den Wellen. So wichtig sie sein mögen, sie können den totalen Zusammenbruch nicht hinreichend erklären.

3. Die wahre Erklärung kann nur unter der Oberfläche gefunden werden, an den Wurzeln des historischen Konflikts zwischen den beiden Völkern.

4. Der Madrid-Oslo-Prozess scheiterte, weil beide Seiten Ziele zu erreichen versuchten, die nicht miteinander in Einklang gebracht werden können.

5. Die Ziele jeder der beiden Seiten werden von ihren nationalen Grundinteressen her bestimmt, die von ihrer Geschichtsdeutung, von ihren
verschiedenen Ansichten über den 120 Jahre andauernden Konflikt geformt sind. Die nationalisraelische Geschichtsversion und die nationalpal
ästinensische Version derselben Geschichte sind im Ganzen wie im Detail gesehen völlig gegensätzlich.

6. Die Unterhändler und die Führung auf israelischer Seite verhandelten in völliger Unkenntnis der national-palästinensischen Geschichtsdeutung. Selbst wenn sie ernsthaft guten Willens waren, eine Lösung zu erreichen, waren ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt, da sie die nationalen Wünsche, Traumata, Befürchtungen und Hoffnungen des palästinensischen Volkes nicht verstehen konnten. Und obwohl es keine Symmetrie zwischen beiden Seiten gibt, war die palästinensische Haltung ähnlich.

7. Die Lösung eines so lange währenden historischen Konfliktes ist nur dann möglich, wenn jede Seite in der Lage ist, die nationale geistige
Welt der andern Seite zu verstehen und wenn sie bereit ist, ihr als gleichberechtigter zu begegnen. Eine unsensible, herablassende, anmaßende Haltung schließt jede Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung aus.

8. Die Regierung von Barak, in die so viel Hoffnung gesetzt worden war, war genau von dieser Haltung geprägt. Daher kam es zu der enormen Kluft zwischen anfänglichen Versprechen und den verhängnisvollen Ergebnissen.

9. Ein wichtiger Teil des alten Friedenslagers (auch "Zionistische Linke" genannt oder "vernünftige Öffentlichkeit") ist ähnlich geprägt und ist darum mit der Regierung, die sie unterstützte, zusammengebrochen.

10. Deshalb wäre die wichtigste Aufgabe eines neuen Friedenslagers, die falschen Mythen und die einseitige Sicht des Konflikts aufzugeben. Das bedeutet nicht, dass die israelische Geschichtsdeutung automatisch zu verwerfen und die palästinensische unhinterfragt zu akzeptieren wäre. Doch es erfordert, die Position des anderen im historischen Konflikt mit offenem Sinn anzuhören und zu verstehen, um die Kluft zwischen beiden nationalen Geschichtsauffassungen zu überbrücken.

11. Jeder andere Weg würde zu einer endlosen Fortsetzung des Konflikts mit Perioden scheinbarer Ruhe und scheinbarer Versöhnung führen, doch häufig unterbrochen von Ausbrüchen gewalttätiger, feindseliger Aktionen zwischen den beiden Völkern und zwischen Israel und der arabischen Welt. Wenn man das Tempo der Entwicklung von
Massenvernichtungswaffen in Betracht zieht, können weitere Runden der Auseinandersetzungen zur Zerstörung aller Konfliktparteien führen.


Die Wurzeln des Konflikts

12. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist die Fortsetzung des historischen Zusammenpralls zwischen der zionistischen Bewegung und dem palästinensisch-arabischen Volk, ein Zusammenprall, der am Ende des 19. Jahrhundert begann und noch immer kein Ende gefunden hat.

13. Die zionistische Bewegung war im Wesentlichen eine jüdische Reaktion auf die nationalen Bewegungen in Europa, die alle den Juden gegenüber feindlich gesinnt waren. Nachdem sie von den europäischen Nationen abgelehnt worden waren, entschieden einige Juden, sich selbst als Nation zu konstituieren und, nach dem neuen europäischen Modell, ihren eigenen Nationalstaat zu gründen, in dem sie Herr über ihr eigenes Schicksal sein könnten. Das Prinzip der Trennung, das die Basis der zionistischen Idee bildet, hatte später weitreichende Folgen. Das grundlegende zionistische Dogma, wonach eine Minorität, nach europäischem Modell, nicht in einem national homogenen Staat existieren könne, führte zur praktischen Ausgrenzung der nationalen Minderheit im zionistischen Staat, der 50 Jahre später Wirklichkeit wurde.

14. Traditionelle und religiöse Gründe brachten die zionistische Bewegung nach Palästina (hebräisch: Erez Israel) und es wurde entschieden, in diesem Land einen jüdischen Staat zu gründen. Die Losung
lautete: "Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land". Diese Losung wurde nicht nur aus Unkenntnis geprägt, sondern auch auf Grund der allgemeinen Arroganz gegenüber nichteuropäischen Völkern, die zu jener Zeit in Europa vorherrschte.

15. Palästina war nicht leer - weder Ende des 19. Jahrhunderts noch zu irgend einer anderen Zeit. Zu jener Zeit lebte eine halbe Million Menschen in Palästina, 90 Prozent davon waren Araber. Diese Bevölkerung war natürlich gegen das Eindringen eines anderen Volkes in ihr Land.

16. Die arabische Nationalbewegung entstand fast gleichzeitig wie die zionistische Bewegung, anfänglich um gegen das türkisch-osmanische
Reich, und nach dessen Zerstörung am Ende des 1. Weltkrieges um gegen die Kolonialmächte zu kämpfen. Eine eigene arabisch-palästinensische Nationalbewegung entwickelte sich im Land, nachdem die Briten einen separaten Staat gegründet hatten, den sie Palästina nannten, und infolge des Kampfes gegen das Eindringen der Zionisten.

17. Seit Ende des 1. Weltkrieges gab es eine zunehmende Auseinandersetzung zwischen den beiden Nationalbewegungen, der jüdischzionistischen und der palästinensisch-arabischen, und beide trachteten danach, im selben Land ihr Ziel zu verfolgen - das den andern völlig außer Acht ließ. Diese Situation blieb unverändert bis zum heutigen Tag.

18. Als in Europa sich die Verfolgung der Juden intensivierte und die Länder der Welt ihre Tore für jüdische Einwanderer, die dem Inferno zu entkommen versuchten, schlossen, gewann die zionistische Bewegung an Stärke. Der Holocaust, dem sechs Millionen Juden zum Opfer fielen,
verlieh der zionistischen Forderung nach Errichtung des Staates Israel moralische und politische Macht.

19. Das palästinensische Volk, das die Zunahme der jüdischen Bevölkerung in seinem Land beobachtete, konnte nicht einsehen, warum von ihm der Preis für die von Europäern an Juden begangenen Verbrechen gefordert wurde. Heftig wehrte es sich gegen weitere jüdische
Einwanderung und gegen weiteren Landerwerb durch Juden.

20. Die totale Leugnung, durch beide Völker, der nationalen Existenz des jeweils anderen führte unvermeidlich zu einer falschen und verzerrten Wahrnehmung, die im kollektiven Bewusstsein beider tiefe Wurzeln schlug. Diese Wahrnehmung beeinflusst ihre Haltung zueinander bis heute.

21. Die Araber glaubten, dass die Juden vom westlichen Imperialismus in dies Land verpflanzt worden seien, um die arabische Welt zu unterwerfen und ihre Reichtümer zu kontrollieren. Diese Überzeugung wurde durch die Tatsache bestärkt, dass die zionistische Bewegung von Anfang an eine Allianz mit wenigstens einer westlichen Macht angestrebt hatte (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, die USA), um den Widerstand der Araber zu brechen. Das Ergebnis war eine praktische Zusammenarbeit und Interessengemeinschaft zwischen dem
zionistischen Projekt und imperialistischen und kolonialen Kräften, die sich gegen die arabische Nationalbewegung richteten.

22. Die Juden dagegen waren davon überzeugt, der arabische Widerstand gegenüber dem zionistischen Unternehmen - um die Juden aus den Flammen Europas zu retten - wäre die Folge der mörderischen Natur der Araber und des Islam. In ihren Augen waren die arabischen Kämpfer "Banditen", und die Aufstände jener Zeit wurden Ausschreitungen genannt. (Tatsächlich stand der extremste zionistische Führer, Vladimir Zeev Jabotinsky, in den 20er Jahren mit seiner Erkenntnis fast allein, dass der arabische Widerstand gegen das zionistische Vorhaben unvermeidbar und normal und so gesehen sogar
eine rechtmäßige Reaktion der "Eingeborenen" war, die ihr Land gegen fremde Eindringlinge verteidigten. Jabotinsky erkannte auch die Tatsache
an, dass die Araber im Land eine eigene nationale Entität waren, und verspottete Versuche, die Führer anderer arabischer Länder zu bestechen, um dem palästinensisch-arabischen Widerstand ein Ende zu
setzen. Jabotinskys Schlussfolgerung war dann aber, eine "Eiserne Wand" gegen die Araber zu errichten und ihren Widerstand mit Gewalt zu brechen.)

23. Dieser totale Widerspruch in der Auffassung der Tatsachen hatte seine Wirkung auf alle Aspekte dieses Konfliktes. Zum Beispiel interpretierten die Juden ihren Kampf für "Jüdische Arbeit" als einen fortschrittlichen sozialen Versuch, aus einem Volk von Händlern und Spekulanten eines von Arbeitern und Bauern zu machen. Die Araber dagegen sahen darin einen verbrecherischen Versuch der Zionisten, sie zu enteignen, sie vom Arbeitsmarkt zu verdrängen und auf ihrem Land eine araberfreie separate jüdische Wirtschaft zu schaffen.

24. Die Zionisten waren stolz auf die "Erlösung des Landes". Sie hatten es zum vollen Wert erworben mit dem Geld, das Juden aus aller Welt gesammelt hatten. Die "Olim" (die neuen Einwanderer, wörtlich Pilger), die in ihrem früheren Leben Intellektuelle und Kaufleute waren, verdienten jetzt ihren Lebensunterhalt "im Schweiße ihres Angesichtes".
Sie glaubten, dass sie all das mit friedlichen Mitteln erreicht hätten und ohne einen einzigen Araber zu enteignen. Für die Araber jedoch war es eine grausame Geschichte von Enteignung und Vertreibung: Die Juden erwarben Land von abwesenden arabischen Großgrundbesitzern und vertrieben gewaltsam dann die Fellachen, die seit Generationen auf und von diesem Land gelebt hatten. Zunächst ließen sich die Zionisten bei diesem Tun von der türkischen, dann von der britischen Polizei unterstützen. Die Araber mussten verzweifelt zusehen, wie ihnen ihr Land
weggenommen wurde.

25. Gegen die zionistische Behauptung, erfolgreich "die Wüste in einen Garten verwandelt" zu haben, zitierten die Araber Zeugnisse europäischer Reisender aus mehreren Jahrhunderten. Sie berichteten von einem Palästina, das besiedelt war und ein blühendes Land wie seine Nachbarländer.


Unabhängigkeit und Katastrophe

26. Der Kontrast der beiden nationalen Geschichtsdeutungen gipfelte im Krieg von 1948. Von den Juden wurde dieser "Unabhängigkeitskrieg" oder gar "Befreiungskrieg" genannt, von den Arabern "al-Nakba", die Katastrophe.

27. Mit der Zunahme des Konflikts in der Region und unter der Nachwirkung des Holocaust entschieden die Vereinten Nationen, das Land in zwei Staaten zu teilen, einen jüdischen und einen arabischen. Jerusalem und seine Umgebung sollten einen Sonderstatus unter internationaler Aufsicht erhalten. Den Juden waren 55 Prozent des Landes
einschließlich des unbesiedelten Negev zugeteilt.

28. Die zionistische Bewegung akzeptierte den Teilungsplan, davon überzeugt, dass es das Wichtigste war, eine feste Basis für jüdische
Souveränität zu schaffen. In geschlossenen Sitzungen hat David Ben Gurion nie seine Absicht verhehlt, bei der nächsten Gelegenheit das den
Juden gegebene Land zu erweitern. Deshalb definiert Israels Unabhängigkeitserklärung nicht Israels Grenzen, und der Staat hat bis heute keine festgelegten Grenzen.

29. Die arabische Welt lehnte den Teilungsplan ab und betrachtete ihn als einen nichtswürdigen Versuch der Vereinten Nationen (die damals ein Klub von westlichen und kommunistischen Staaten waren), ein Land zu teilen, das ihnen nicht gehörte. Dass man den größten Teil des Landes der jüdischen Minderheit übergab, die nur ein Drittel der Bevölkerung ausmachte, machte die Sache in arabischen Augen noch weniger entschuldbar.

30. Der Krieg, der nach dem Teilungsplan von den Arabern begonnen wurde, war zwangsläufig ein "ethnischer" Krieg, eine Art von Krieg, in dem jede Seite versucht, so viel Land wie möglich zu erobern und die Bevölkerung der Gegenseite zu vertreiben. Eine solche Kampagne (die man heute "ethnische Säuberung" nennt) ist immer mit Vertreibung und Gräueltaten verbunden.

31. Der Krieg von 1948 war eine unmittelbare Fortsetzung des zionistisch-arabischen Konflikts, bei der jede Seite versuchte, ihre Ziele zu
erreichen. Die Juden wollten einen homogenen Nationalstaat errichten, der so groß wie möglich sein sollte. Die Araber wollten die zionistischj
üdische Gemeinschaft vernichten, die sich in Palästina festgesetzt hatte.

32. Beide Seiten praktizierten ethnische Säuberung als integralen Bestandteil ihres Kampfes. Da blieben nicht viele Araber in den von Juden
eroberten Gebieten, und kein Jude blieb in den von Arabern eroberten Gebieten. Da jedoch die von Juden eroberten Gebiete bei weitem größer waren als die von Arabern eroberten, war das Ergebnis keineswegs ausgeglichen. (Die Idee eines Bevölkerungsaustausches und "Transfers" war in den zionistischen Organisationen schon in den 30er Jahren aufgekommen. Tatsächlich bedeutete sie die Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus dem Land. Auf der andern Seite waren viele Araber
der Meinung, dass die Zionisten dorthin zurückgehen sollten, wo sie hergekommen waren.)

33. Der Mythos von "den Wenigen gegen die Vielen" wurde von den Juden gepflegt, um die Lage der jüdischen Gemeinschaft mit 650.000 Menschen gegen die gesamte arabische Welt von über hundert Millionen zu beschreiben. Die jüdische Gemeinschaft verlor im Krieg ein Prozent ihrer Mitglieder. Die Araber malten ein völlig anderes Bild: Eine gespaltene arabische Bevölkerung ohne nennenswerte nationale Führung, ohne einheitliches Kommando über ihre schwachen Streitkräfte, mit wenigen armseligen, meistens veralteten Waffen stand einer außerordentlich gut organisierten jüdischen Gemeinschaft gegenüber, die im Gebrauch ihrer Waffen bestens ausgebildet war. Die benachbarten arabischen Staaten verrieten die Palästinenser, und als sie schließlich ihre Armeen entsandten, operierten sie in Konkurrenz miteinander, unkoordiniert und ohne einen gemeinsamen Plan. Vom gesellschaftlichen
und militärischen Standpunkt aus war die Kampfkraft der Israelis der der arabischen Staaten, die sich gerade erst von der kolonialen Epoche erholten, weit überlegen.

34. Entsprechend dem Plan der Vereinten Nationen sollte der Anteil der arabischen Bevölkerung im jüdischen Staat etwa 40 Prozent betragen.
Während des Krieges dehnte der jüdische Staat seine Grenzen aus, bis er 78 Prozent des Landes umfasste. Dieses Gebiet war von fast allen Arabern
verlassen worden. Die arabische Bevölkerung von Nazareth und ein paar Dörfern in Galiläa blieben eher zufällig zurück. Die Dörfer im so genannten Dreieck waren von König Abdullah Israel als Teil eines Deals vermacht worden und konnten deshalb nicht evakuiert werden.

35. Im Krieg wurden etwa 750.000 Palästinenser entwurzelt. Einige flohen aus Angst vor den Kämpfen, wie es Zivilbevölkerung in jedem Krieg tut. Einige wurden durch Terrorakte wie das Massaker von Deir Yassin verjagt. Andere wurden im Laufe der ethnischen Säuberung systematisch vertrieben.

36. Nicht weniger bedeutsam als die Vertreibung ist die Tatsache, dass es den Flüchtlingen nicht erlaubt war, nach den Kämpfen in ihre Häuser zurückzukehren, anders als es nach einem konventionellen Krieg üblich ist. Im Gegenteil, das neue Israel sah im Verschwinden der Araber einen großen Segen und beeilte sich, 450 arabische Dörfer völlig zu zerstören. Auf den Ruinen wurden neue jüdische Ortschaften gebaut, denen neue hebräische Namen gegeben wurden. Die verlassenen Häuser in den Städten wurden neuen Immigranten überlassen.


"Ein jüdischer Staat"

37. Die Unterzeichnung der Waffenstillstandsvereinbarungen am Ende des Kriegs von 1948 brachte kein Ende des historischen Konflikts. Im Gegenteil, dieser wurde auf eine neue und intensivere Ebene gehoben.
38. Der neue Staat Israel widmete seine frühen Jahre der Konsolidierung seines homogenen nationalen Charakters als "jüdischer Staat". Große
Teile des Bodens wurden enteignet - von den "Abwesenden" (den Flüchtlingen) und von denen, die offiziell als "abwesend Anwesende" bezeichnet wurden (Araber, die zwar physisch in Israel geblieben waren, aber nicht Bürger des Landes werden durften). Enteignet wurde sogar der größte Teil des Bodens der arabischen Bürger Israels. Auf diesen Ländereien wurde ein dichtes Netzwerk jüdischer Siedlungen geschaffen. Jüdische "Immigranten" wurden eingeladen oder sogar veranlasst, in Massen zu kommen. Dieser große Aufwand vergrößerte die Macht des Staates in nur wenigen Jahren um ein Mehrfaches.

39. Zur selben Zeit führte der Staat nachdrücklich eine Politik zur Auslöschung der palästinensischen Gemeinschaft als eine nationale Entität. Mit israelischer Hilfe übernahm der transjordanische König Abdullah die Kontrolle über das Westjordanland, und seitdem gibt es praktisch eine israelische militärische Garantie für die Existenz
des Königreichs Jordanien.

40. Der Hauptgrund für die Zusammenarbeit zwischen Israel und dem haschemitischen Königreich, die seit drei Generationen andauert, war die Verhinderung des Entstehens eines unabhängigen arabisch-palästinensischen Staates, der - damals wie heute - als ein wesentliches
Hindernis für die Realisierung der zionistischen Ziele betrachtet wurde bzw. wird.

41. Gegen Ende der fünfziger Jahre ereignete sich auf palästinensischer Seite ein historischer Wandel, als Yasser Arafat und seine Mitstreiter die Fatah-Bewegung gründeten, die die palästinensische
Befreiungsbewegung aus der Vormundschaft der arabischen Regierungen führen sollte. Es war kein Zufall, dass diese Bewegung nach dem Scheitern des großen panarabischen Konzepts entstand, dessen bekanntester Vertreter Gamal Abd-el-Nasser war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten viele Palästinenser gehofft, in eine vereinigte allarabische
Nation aufgenommen zu werden. Als diese Hoffnung dahinschwand, erwachte die eigene palästinensische Nationalidentität aufs Neue.

42. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) wurde von Gamal Abd-el Nasser geschaffen, um selbständige palästinensische Aktionen zu verhindern, die ihn in einen unerwünschten Krieg mit Israel hätte hineinziehen können. Die Organisation sollte die ägyptische Herrschaft über die Palästinenser sichern. Doch nach der arabischen Niederlage im Krieg von 1967 übernahm die von Yasser Arafat geführte Fatah die Kontrolle über die PLO, die seither die einzige Vertreterin des palästinensischen Volkes ist.


Der "Sechs-Tage-Krieg"

43. Der Juni-Krieg 1967 wird - wie jedes Ereignis der vergangenen 120 Jahre - von beiden Seiten in sehr verschiedener Weise gesehen. Nach
israelischem Mythos war er ein verzweifelter Verteidigungskrieg, der dem Staat Israel wunderbarerweise eine Menge Land bescherte. Nach palästinensischem Mythos tappten die Ägypter, Syrer und Jordanier in eine von Israel gestellte Falle, um all das zu erbeuten, was von Palästina noch übrig war.

44. Viele Israelis glauben, dass der "Sechs-Tage-Krieg" die Wurzel allen Übels ist und dass erst zu diesem Zeitpunkt das friedliebende und
fortschrittliche Israel sich in einen Eroberer und Besatzer verwandelte. Diese Überzeugung erlaubt den Israelis, die Idee der absoluten Unschuld des Zionismus und des Staates Israel bis zu diesem Zeitpunkt aufrecht zu erhalten und ihre alten Mythen zu bewahren. Diese Legende entspricht
aber nicht den Tatsachen.

45. Der Krieg von 1967 war eine neue Phase des alten Kampfes zwischen den beiden Nationalbewegungen. Er änderte nichts am Wesentlichen. Er änderte nur die Umstände. Die wesentlichen Ziele der zionistischen Bewegung, ein jüdischer Staat, Expansion und Besiedelung
machten große Fortschritte. Die besonderen Umstände dieses Krieges machten eine umfassende "ethnische Säuberung" unmöglich. Aber mehrere Hunderttausende Palästinenser wurden trotzdem vertrieben.

46. Israel waren im Teilungsplan 1947 55 Prozent des Landes (Palästina) zugesprochen worden; zusätzliche 23 Prozent wurden im 1948er-Krieg erobert und nun noch die verbliebenen 22 Prozent -
jenseits der "Grünen Linie" (der Waffenstillstandslinie von vor 1967). So wurde 1967, unbeabsichtigt, das palästinensische Volk unter Israels Herrschaft wieder vereinigt - einschließlich eines Teils der Flüchtlinge.

47. Kaum war der Krieg beendet, begann die Siedlungsbewegung. Fast jede politische Gruppe des Staates beteiligte sich daran - von der
messianisch-nationalistischen "Gush Emunin" bis zu den "Linken" der Vereinigten Kibbuz-Bewegung. Die ersten Siedler erhielten breite Unterstützung von Seiten der meisten Politiker, von linken und rechten, von Yigal Alon (jüdische Siedlung in Hebron) bis Shimon Peres (Kdumin Siedlung).

48. Die Tatsache, dass alle Regierungen Israels - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - die Siedlungen hegten und pflegten, beweist, dass das Siedeln auf kein besonderes ideologisches Lager beschränkt ist und zur gesamten zionistischen Bewegung gehört. Der Eindruck, die
Siedlungsbewegung sei von einer kleinen Minderheit geschaffen worden, ist illusorisch. Nur die ständige Unterstützung seitens aller Regierungsbehörden von 1967 bis heute konnte die gesetzgeberischen, die strategischen und die Haushalts-Infrastrukturen schaffen, die für so ein lange dauerndes und ausgedehntes Unternehmen erforderlich sind.

49. Die gesetzgeberische Infrastruktur enthält die irreführende Unterstellung, dass die Besatzungsmacht Eigentümerin des "regierungseigenen Bodens" sei, obwohl es um die lebenswichtigen Landreserven der palästinensischen Bevölkerung geht. Es versteht sich von selbst, dass die Siedlungsbewegung gegen internationales Recht verstößt.

50. Der Streit zwischen den Anhängern von "Groß-Israel" und denen des "Territorialen Kompromisses" ist seinem Wesen nach ein Streit über den Weg, auf dem das grundlegende zionistische Anliegen - ein homogener jüdischer Staat auf dem größtmöglichen Territorium - zu erreichen ist: Die Anhänger des "Kompromisses" betonen den demographischen Aspekt und wollen die Einbeziehung der palästinensischen Bevölkerung in den Staat verhindern. Die Anhänger eines "Groß-Israel" betonen den geographischen Aspekt und meinen
(öffentlich oder privat), es sei möglich, die nichtjüdische Bevölkerung aus dem Land zu vertreiben (das Schlüsselwort: "Transfer").

51. Der Generalstab der israelischen Armee spielte bei der Planung und beim Bau der Siedlungen eine bedeutende Rolle. Er zeichnete die Karte der Siedlungen (Ariel Sharon): Blöcke von Siedlungen
und Umgehungsstraßen, der Länge und der Breite nach, so dass das Westjordanland und der Gaza-Streifen zerstückelt sind und die Palästinenser in isolierten Enklaven eingesperrt werden, deren jede von Siedlungen und der Besatzungsarmee umzingelt ist.

52. Die Palästinenser nutzten verschiedene Methoden des Widerstandes, hauptsächlich Überfälle von Jordanien und dem Libanon aus und Angriffe innerhalb Israels und überall in der Welt. Diese Aktionen werden von den Israelis als "terroristisch" bezeichnet, während die Palästinenser in ihnen den legitimen Widerstand einer Nation unter Besatzung sehen. Die Führung der PLO, geleitet von Yasser Arafat, wurde von den Israelis lange Zeit als eine terroristische Führung angesehen, aber nach und nach wurde sie international als die "einzig legitime Vertretung" des palästinensischen Volkes anerkannt.

53. Als den Palästinensern klar wurde, dass diese Aktionen die Siedlungsbewegung nicht beenden konnten, die ihnen allmählich das Land unter den Füßen wegzog, begannen sie Ende 1987 die Intifada - einen Volksaufstand aller Bevölkerungsgruppen. In dieser Intifada wurden 1.500 Palästinenser getötet, unter ihnen Hunderte von Kindern, das Mehrfache der israelischen Verluste.


Der Friedensprozess

54. Der Oktoberkrieg 1973 begann mit dem Überraschungssieg der ägyptischen und syrischen Truppen und endete in ihrer Niederlage. Er
überzeugte Yasser Arafat und seine engen Mitarbeiter, dass es keinen militärischen Weg gibt, die palästinensischen Ziele zu erreichen. Er beschloss, den politischen Weg zu einem Abkommen mit Israel zu beschreiten, um wenigstens einen Teil der nationalen Ziele durch Verhandlungen zu verwirklichen.

55. Um dafür eine Grundlage zu schaffen, stellte Arafat zunächst Verbindungen mit israelischen Persönlichkeiten her, die Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf die Regierungspolitik in Israel hatten. Seine Vertreter (Said Hamami und Issam Sartawi) trafen sich mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Israels, jenen Pionieren des
Friedens, die 1975 den "Israelischen Rat für einen israelisch-palästinensischen Frieden" gründeten.

56. Diese Verbindungen und die wachsende Erschöpfung der Israelis durch die Intifada, der Rückzug Jordaniens aus dem Westjordanland, die Veränderung der internationalen Bedingungen (der
Zusammenbruch des kommunistischen Blocks, der Golfkrieg) führten zur Madrider Konferenz und später zum Oslo-Abkommen.


Das Oslo-Abkommen

57. Das Oslo-Abkommen weist positive und negative Merkmale auf.

58. Positiv war, dass das Abkommen Israel erstmals dazu brachte, das palästinensische Volk und seine Führung offiziell anzuerkennen, und die palästinensische Nationalbewegung zur Anerkennung der Existenz Israels führte. In dieser Hinsicht war das Abkommen (und der Briefwechsel, der ihm vorausging) von größter historischer Bedeutung.

59. Das Abkommen gab der palästinensischen Nationalbewegung eine territoriale Basis auf palästinensischem Boden, die Struktur eines
"Staates im Werden" und bewaffnete Kräfte - Tatsachen, die eine bedeutende Rolle im palästinensischen Kampfe spielen sollten. Für die Israelis öffnete das Abkommen die Tore zur arabischen Welt und beendete die palästinensischen Angriffe - solange es wirksam war.

60. Der hauptsächliche Mangel des Abkommens war, dass beide Seiten hofften, ihre vollkommen gegensätzlichen Ziele zu erreichen. Die
Palästinenser sahen es als ein zeitweiliges Abkommen an, das den Weg zur Beendigung der Besatzung und zur Gründung eines Palästina-Staates in allen besetzten Gebieten bereitete. Die jeweiligen israelischen Regierungen sahen in ihm den Weg, die Besatzung in großen Teilen des
Westjordanlandes und des Gaza-Streifens aufrecht zu erhalten, wobei der palästinensischen Selbstregierung (self-government) die Rolle einer Hilfsagentur für die Sicherheit Israels und der Siedlungen zufallen sollte.

61. Darum stellt Oslo nicht den Beginn eines Prozesses zur Beendigung des Konflikts dar, sondern eher eine neue Phase des Konflikts.

62. Da die Erwartungen beider Seiten so sehr von einander abwichen und jede völlig an die eigene nationale Geschichtsdeutung gebunden blieb, wurde jeder Abschnitt des Abkommens verschieden
interpretiert. Letzten Endes wurden viele Teile des Abkommens vor allem von Seiten Israels nicht umgesetzt. (Der dritte Rückzug, die vier sicheren
Passagen zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland, u.a.)

63. Während der ganzen Periode des Oslo-Prozesses fuhr Israel mit der Ausdehnung der Siedlungen fort, indem es hauptsächlich unter
verschiedenen Vorwänden neue gründete, die bestehenden vergrößerte, ein sorgfältig ausgearbeitetes Netz von Umgehungsstraßen baute, Land enteignete, Häuser zerstörte und Plantagen verwüstete. Die Palästinenser
andrerseits nutzten die Zeit, ihre Kräfte auszubauen innerhalb und außerhalb des Rahmens des Abkommens. Tatsächlich ging der historische
Konflikt unter dem Vorwand der Verhandlungen und des "Friedensprozesses" unvermindert weiter, der stellvertretend für tatsächlichen Frieden stand.

64. Im Gegensatz zu seinem Image, das sich nach seiner Ermordung noch verstärkte, hielt Yitzak Rabin den Konflikt "auf dem Boden" am Leben, während er gleichzeitig den politischen Prozess managte, Frieden zu israelischen Bedingungen zu erlangen. Da er ein Anhänger der zionistischen Geschichtsdeutung war und ihre Mythologie
akzeptierte, litt er an einer kognitiven Dissonanz, als seine Hoffnungen auf Frieden mit seiner Vorstellungswelt zusammenprallten. Er hat
anscheinend begonnen, einige Teile der palästinensischen Geschichtsdeutung wahrzunehmen - aber das war erst kurz vor seinem
Lebensende.

65. Der Fall Shimon Peres ist viel ernster. Er schuf sich selbst ein internationales Image als Friedensmacher und richtete seine Redeweise so
aus, dass sie dieses Image reflektiert ("Der Neue Nahe Osten"), während er im Wesentlichen ein traditioneller zionistischer Falke blieb. Dies wurde
während der kurzen und gewalttätigen Periode deutlich, als er nach der Ermordung Rabins als Ministerpräsident fungierte, und noch einmal, als er
kürzlich die Rolle des Sprechers und Verteidigers von Sharon annahm.

66. Am deutlichsten wurde das israelische Dilemma, als Ehud Barak zur Macht kam und vollkommen von seiner Fähigkeit überzeugt war, den Gordischen Knoten des historischen Konfliktes mit einem dramatischen Schlag lösen zu können - nach Art Alexanders des Großen. Barak näherte sich dem Problem mit völliger Ignoranz gegenüber der palästinensischen Geschichtsdeutung und ohne Achtung vor deren Bedeutung. Er präsentierte seine Vorschläge als Ultimaten und war erschrocken und wütend, dass sie zurückgewiesen wurden.

67. In seinen eigenen Augen und auch denen eines Großteils der Israelis hatte Barak "jeden Stein umgedreht" und hatte den Palästinensern
"großzügigere Angebote als jeder Ministerpräsident vor ihm" gemacht. Als Gegenleistung wollte er, dass die Palästinenser sie als "Ende des Konflikts"
akzeptieren. Die Palästinenser betrachteten dies als groteske Anmaßung, da Barak von ihnen faktisch verlangte, ihre nationalen Grundanliegen
aufzugeben, wie das Recht auf Rückkehr und die Souveränität über Ost-Jerusalem und den Tempelberg. Mehr noch, während Barak die
Ansprüche auf Annexion von Land als eine Angelegenheit von kaum erwähnenswerten Prozenten ("Siedlungsblöcke") darstellte, sollten nach Berechnungen der Palästinenser tatsächlich 20 Prozent des Lands jenseits der "Grünen Linie" annektiert werden.

68. Die Palästinenser hatten ihrer Ansicht nach schon den entscheidenden Kompromiss gemacht, indem sie bereit waren, ihren Staat jenseits der Grünen Linie aufzubauen - auf nur 22 Prozent ihrer
historischen Heimat. Deshalb konnten sie nur kleinen Grenzkorrekturen mit Land-Austausch zustimmen. Die traditionelle israelische Position
dagegen ist, dass die Errungenschaften des Krieges von 1948 feststehende Fakten sind, an denen nicht gerüttelt werden darf, und dass ein Kompromiss sich daher nur um die verbleibenden 22 Prozent drehen kann.

69. Wie die meisten Begriffe und Vorstellungen hat auch das Wort "Konzession" für beide Seiten unterschiedliche Bedeutung. Die Palästinenser sind davon überzeugt, sie hätten bereits 78 Prozent ihres Landes "konzediert", wenn sie sich mit 22 Prozent davon begnügen. Die Israelis glauben, ein "Zugeständnis" zu machen, wenn sie damit
einverstanden sind, den Palästinensern Teile dieser 22 Prozent (Westjordanland und Gaza-Streifen) zu "geben".

70. Der Camp David Gipfel im Sommer 2000, der Arafat gegen seinen Willen aufgedrängt wurde, war vorzeitig und spitzte die Probleme zu. Barak forderte - seine Forderungen wurden beim Gipfel als solche Clintons präsentiert -, die Palästinenser sollten den Konflikt einvernehmlich beenden, indem sie auf das Rückkehrrecht und die Rückkehr selbst verzichten; sie sollten komplizierte Regelungen für
Ost-Jerusalem und den Tempelberg, ohne Souveränität über beides, akzeptieren; sie sollten mit großen territorialen Annexionen im
Westjordanland und im Gaza-Streifen einverstanden sein, desgleichen mit israelischer Militärpräsenz in weiteren großen Gebieten und mit der israelischen Kontrolle über die Grenzen, die den palästinensischen Staat vom Rest der Welt trennen. Kein palästinensischer Führer könnte jemals ein solches Abkommen unterzeichnen. Und so endete der Gipfel mit einem toten Punkt, und die Karrieren Clintons und Baraks waren auch am Ende.


Die Al-Aksa-Intifada

71. Der Zusammenbruch des Gipfels, das Verschwinden jeglicher Hoffnung auf ein Abkommen zwischen den beiden Seiten und die bedingungslose Pro-Israel-Haltung der Amerikaner führten unvermeidlich zu einer neuen Runde von gewalttätigen Konfrontationen, die den Namen Al-Aksa-Intifada bekamen. Für die Palästinenser ist dies ein gerechtfertigter nationaler Aufstand gegen eine fortdauernde Besatzung, deren Ende nicht in Sicht ist und die es ermöglicht, ihnen ständig und täglich ihr Land unter den Füßen wegzuziehen. Für die Israelis ist dies ein Ausbruch mörderischen Terrors. Für die Palästinensern sind die Ausführenden dieser Akte Nationalhelden - für die Israelis gnadenlose Verbrecher, die liquidiert werden müssen.

72. Die offiziellen Medien in Israel sprechen inzwischen nicht mehr von "Siedlern", sondern von "Einwohnern"; ein Angriff auf sie ist demnach ein Verbrechen gegen Zivilisten. Die Palästinenser sehen in den Siedlern die vorderste Reihe eines gefährlichen Feindes, dessen Absicht es ist, sie
ihres Land zu berauben, und der besiegt werden muss.

73. Ein Großteil des israelischen "Friedenslagers" brach während der Al-Aksa Intifada zusammen und es stellt sich heraus, dass viele seiner
Überzeugungen auf tönernen Füßen standen. Besonders nachdem Barak "jeden Stein umgedreht" und "großzügigere Angebote als jeder
frühere Ministerpräsident" gemacht hatte, war die Reaktion der Palästinenser für den Teil des "Friedenslagers" unbegreiflich, der die zionistische Geschichtsdeutung nie gründlich revidiert und nicht zur Kenntnis genommen hatte, dass es auch eine palästinensische Deutung gibt. So blieb ihm nur die Erklärung, dass die Palästinenser das israelische
Friedenslager betrogen hätten, dass sie nie beabsichtigt hätten, Frieden zu schließen, und dass ihre wahre Absicht sei, die Juden ins Meer zu
werfen, wie die zionistische Rechte seit je behauptet.

74. Das Ergebnis war, dass die Trennlinie zwischen der zionistischen "Rechten" und "Linken" verschwand. Die Führer der Arbeiterpartei traten in die Sharon-Regierung ein und wurden ihre wirksamsten Apologeten (Shimon Peres), und sogar die formelle linke Opposition (Yossi Sarid) beteiligte sich am Konsens. Dies beweist erneut, dass die zionistische Geschichtsdeutung der entscheidende Faktor ist, der alle Facetten des politischen Establishments in Israel eint und die Unterschiede zwischen Rehavam Zeevi und Avraham Burg, Yitzak Levi und Yossi Sarid unbedeutend werden lässt.

75. Es gibt einen spürbaren Rückgang der palästinensischen Bereitschaft, den Dialog mit den israelischen Friedenskräften wieder aufzunehmen; dies ist eine Folge der großen Enttäuschung über die "linke Regierung", die nach den Netanyahu-Jahren so viele Hoffnungen geweckt hatte, wie auch eine Folge der Tatsache, dass, mit Ausnahme der kleinen radikalen Friedensgruppen, von keiner israelischen Empörung über die brutalen Reaktionen der Besatzungskräfte zu hören war. Die Tendenz, die Reihen zu schließen, typisch für jede Nation in einem Befreiungskrieg, ermöglicht es den extremen nationalistischen und religiösen Kräften
auf palästinensischer Seite, sich gegen jede israelisch-palästinensische Zusammenarbeit zu stellen.


Ein neues Friedenslager

76. Der Zusammenbruch des alten israelischen Friedenslagers erfordert die Schaffung eines neuen, das realistisch, zeitgemäß, wirksam und stark ist, das auf die israelische Öffentlichkeit Einfluss ausüben und eine umfassenden Neubewertung der alten Axiome herbeiführen kann, um einen Wechsel im israelischen politischen System zu bewirken.

77. Dazu muss das neue Friedenslager die öffentliche Meinung zu einer mutigen Neubewertung der nationalen Geschichtsdeutung und deren Befreiung von falschen Mythen bewegen. Es muss danach streben, die
Geschichtsdeutungen der beiden Völker in einer gemeinsamen Deutung zu vereinen, die frei von Fälschungen ist und von beiden Seiten akzeptiert
werden kann.

78. Dabei muss sie der israelischen Öffentlichkeit auch vermitteln, dass, bei all den schönen und positiven Seiten des zionistischen Unternehmens, dem palästinensischen Volk furchtbares Unrecht angetan wurde. Dieses Unrecht, das seinen Höhepunkt während der "Nakba" erreichte, verpflichtet uns, Verantwortung zu übernehmen und den Schaden wieder gutzumachen, so weit dies möglich ist.

79. Mit einem neuen Verständnis der Vergangenheit und der Gegenwart muss das neue Friedenslager einen Friedensplan erarbeiten, der auf folgenden Grundlagen beruht:

Neben Israel wird ein unabhängiger und freier Palästinastaat gegründet.

Die "Grüne Linie" wird die Grenze zwischen den beiden Staaten. Mit Zustimmung beider Seiten ist ein begrenzter Gebietsaustausch möglich.

Die israelischen Siedlungen auf dem Territorium des Palästinastaates werden geräumt.

Die Grenze zwischen den beiden Staaten wird nach einer zwischen beiden Seiten vereinbarten Regelung für die Bewegung von Personen und Gütern offen sein.

Jerusalem wird die Hauptstadt beider Staaten - West-Jerusalem die Hauptstadt Israels und Ost-Jerusalem die Hauptstadt Palästinas. Der Staat
Palästina wird die vollständige Souveränität in Ost-Jerusalem besitzen, einschließlich des Haram al-Sharif (Tempelberg). Der Staat Israel wird die volle Souveränität in West-Jerusalem besitzen, einschließlich der West-Mauer ("Klagemauer") und des jüdischen Viertels. Beide Staaten werden ein Abkommen über die physische Einheit der Stadt auf Verwaltungsebene schließen.

Israel wird prinzipiell das Recht der Palästinenser auf Rückkehr als ein unveräußerliches Menschenrecht anerkennen. Die praktische Lösung des Problems wird durch ein Abkommen erreicht, das auf gerechten, fairen und praktischen Erwägungen beruht und die Rückkehr auf das Gebiet des Staates Palästina, auf das Gebiet des Staates Israel und Entschädigungen einschließt.

Die Wasservorkommen werden gemeinsam kontrolliert und in einem gleichberechtigten und fairen Abkommen zugeteilt.

Die Sicherheit beider Staaten wird in einem zweiseitigen Abkommen garantiert, das die spezifischen Sicherheitsinteressen Israels wie
Palästinas berücksichtigt.

Israel und Palästina werden mit andern Staaten der Region zusammenarbeiten, um eine Nahost-Gemeinschaft nach dem Modell der Europäischen Union zu errichten.


80. Die Unterzeichnung eines Friedensabkommens und dessen ehrliche Umsetzung wird zur historischen Versöhnung zwischen den beiden
Nationen führen, die auf Gleichheit, Zusammenarbeit und gegenseitiger Achtung beruht.

Aus dem Englischen übersetzt von Ernst Herbst
und Ellen Rohlfs; von Uri Avnery autorisiert.
Aus: Marxistische Blätter, Heft 3/2001 (erscheint
Anfang/Mitte Mai). Bezug über:
Marxistische Blätter, Hoffnungstr. 18, 45127 Essen.
Per e-mail:[email protected]


[editiert: 08.10.03, 17:29 von bjk]
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New PostErstellt: 08.10.03, 17:21  Betreff:  Daten und Fakten zum Nahen und Mittleren Osten  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Nachdem ich Watchers Beitrag "Israel und Palästina: 80 Thesen für ein neues Friedenslager" gelesen habe, kam mir der Gedanke, diesen Thread zu eröffnen, um hier keine persönlichen Meinungen sondern möglichst nur sachliche Daten und Abläufe zu den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten zu sammeln, um wabernden Spekulationen und tendenziöser Hetze durch möglichst klare Fakten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sozusagen einen Pool zu schaffen, aus dessen Informations-Grundlage hier im Forum engagiert diskutiert und persönlich Stellung bezogen werden kann.

Aus diesem Grund werde ich auch Watchers Beitrag aus dem "Dies und Das"-Subforum in diesen Thread kopieren.

bjk

Reife ist
schärfer zu trennen
und inniger zu verbinden


[editiert: 07.09.06, 14:51 von bjk]
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