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Deutscher Antikapitalismus

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a:ka
New PostErstellt: 30.09.04, 11:41  Betreff: Deutscher Antikapitalismus  drucken  weiterempfehlen

Deutscher Antikapitalismus - die Sehnsucht nach der Barbarei

Preisfrage für Linke: Mit welchem Revolutionär haben wir es hier zu tun? Er kam aus der Sozialdemokratie und war nach dem ersten Weltkrieg Funktionär der bayerischen Räterepublik. In der Weimarer Republik war er bei den Jungsozialisten politisch aktiv und saß im Vorstand einer der größten Gewerkschaften. Unter Hitler wurde er zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt und trat nach Ende der NS-Herrschaft der KPD, später der SED bei. Als Mitglied der VVN wurde er von deren Zentralorgan als antifaschistischer Märtyrer verehrt. In den 60er Jahren trat die “Sozialistische Förderergesellschaft” an ihn heran, zu deren Mitgliedern Wolfgang Abendroth, Alexander Mitscherlich und Jürgen Habermas zählten. Sie baten ihn um eine Fördermitgliedschaft, eine Bitte, der unser Revolutionär dankend nachkam. Der Mann, von dem hier die Rede ist, heißt Ernst Niekisch, ein waschechter Sozialist und Revolutionär und Hitlergegner, ein überzeugter Antikapitalist und Hasser Amerikas, ein Freund Deutschlands und der Deutschen, mit anderen Worten: ein Nazi wie er im Buche steht. Ein Nazi allerdings, der unter den Nazis im Knast saß weil er ihnen vorwarf, die Ziele der nationalen Revolution verwässert zu haben. Ein deutscher Faschist, für den Hitler nicht konsequent genug war.
Ernst Niekisch ist der radikalste, der sozialistische Vertreter der Intellektuellen um Ernst Jünger, Oswald Spengler und Edgar Jung, die unter dem Namen „Konservative Revolution“ bekannt geworden sind. Ich werde zunächst das Denken Niekischs näher darstellen, um dann einige zentrale Momente des völkischen Antikapitalismus näher herauszuarbeiten. Weiter geht es mit einem Exkurs zu Fichte, bei dem sich bereits über Hundert Jahre vor der Weimarer Republik Ideen finden, an die später die völkischen Feinde der Aufklärung und des Westens anschließen konnten. Schließlich sollen dann noch einige aktuelle antikapitalistische Ideologien auf ihre Anschlußfähigkeit zum völkischen, zum deutschen Antikapitalismus abgeklopft werden. Zunächst aber Niekisch:

„Widerstandsideologie“
– Der völkische Antikapitalismus bei Ernst Niekisch

Für Ernst Niekisch ist das „deutsche Volk“ seit Karl dem Großen fremdbestimmt und von Feinden eingekreist. Hauptfeind ist in erster Linie das mit der Aufklärung identifizierte und in die Geschichte zurückprojizierte westliche Gesellschaftsmodell: Kapitalismus und Liberalismus. Der Liberalismus habe letztlich sogar den deutschen Arbeiter zu dem gemacht, was Niekisch den „bürgerlichen Händler“ nennt: Eine Nations- und Seinsvergessene Figur, die nur an ihrem egoistischen Vorteil interessiert sei. Im Falle des Arbeiters sind damit Lohnkämpfe gemeint, die mit ihrem Kampf für ein erträgliches Auskommen letztlich doch nur der Nation schadeten.
Niekischs Sozialismuskonzeption klingt dementsprechend wie ein polit-ökonomisches Lexikon des Dritten Reichs. Das Privateigentum als Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion sei unter staatlicher Regie an die Kandare zu nehmen:
„Es ist nicht an dem, dass das Recht des Privateigentums grundsätzlich verneint werden sollte: kein Zweifel aber soll darüber bestehen, dass das Recht des Staates Turmhoch über das Recht des Privateigentums gestellt wird.“ (Niekisch, zitiert nach Pittwald 147)
Der Unterschied des Deutschen Sozialismus zum liberalen Kapitalismus besteht nach Niekisch überhaupt in erster Linie in der Rolle des Staates. Während der Liberalismus die Eigenverantwortlichkeit eines Jeden beim Streben nach persönlichem Erfolg in der Konkurrenz hochhält, ist der Einzelne im Deutschen Sozialismus nichts mehr als funktionales Anhängsel des „Staatssubjekts Kapital“ (Scheit). Dem Staat fällt die Aufgabe zu, Arbeitskraft der einen und Eigentum der anderen zu einem harmonischen Ganzen zu fügen. Seine schönste Vision der Volksgemeinschaft, den Untergang des bürgerlichen Individuums im nationalsozialistischen Alptraum, beschreibt Niekisch so:
„Würde sich das gesamte Volk in ein Heerlager von Arbeitssoldaten umformen, bei soviel ‚Löhnung’ nur, dass eben noch die primitive Notdurft bestritten werden könne, dann gäbe es freilich nur noch Diensttuende [...] Dann wäre das Arbeitslosenproblem gegenstandslos geworden. Das allerdings, das wäre die deutsche Revolution.“ (Niekisch, zit. Nach Pittwald 149)
Die Gegner dieser Deutschen Revolution vermutete unser Sozialist im zersetzenden Liberalismus und im Marxismus, hinter denen letztlich immer der Jude stehe. Dieser habe mit „internationalem Finanzkapital“ und marxistischer Arbeiterbewegung das deutsche Volk eingekreist:
„Das ‚Kapital’ von Karl Marx war das Grundbuch, durch welches die Einheit der Strategie, deren sich Judentum und arbeitende Klassen [sic!] im Kampf gegen die feudal-bürgerliche Oberschicht Mittel- und Osteuropas bediente, gewährleistet wurde [...] Als Finanzkapitalist schickte der Jude seine Gelder, als Revolutionär die ausgebeutete Klasse vor.“ (Niekisch, zit. Nach Pittwald 160)
Liberales Bürgertum und Kommunisten sind Niekisch Todfeinde, Vertreter des westlichen Prinzips, dass die Juden über die Welt gebracht hätten. Wer ein sozialistisches Deutschland wolle, müsse die Aufklärung und erst recht den Kommunismus hassen. Und er empfiehlt seinen Landsleuten schon 1930, welche Maßnahmen zu ergreifen sind:
„Weil es um Sein oder Nichtsein geht, bleibt Deutschland, wenn es sich selbst erhalten will, das Schwerste nicht erspart: die Bartholomäusnacht gegen alles, was westlich ist.“ (Niekisch, zit. Nach Pittwald 157)
Gegen das, was die Deutschen gegen das Westliche unternahmen, war die Französische Bartholomäusnacht, das Massaker an den Hugenotten, ein Spaziergang. Die reale deutsche Bartholomäusnacht, die vier Jahre dauerte und Auschwitz hieß, musste Niekisch vom Gefängnis aus verfolgen. Er hätte sicher gerne mitgemacht.

Der Hass auf die bürgerliche Revolution

Bei allen Differenzen und Streitigkeiten zwischen Konservativer Revolution, NSDAP oder Nationalbolschewismus lassen sich bei Niekisch exemplarisch einige Ideologeme festhalten, die für den deutschen Antikapitalismus konstitutiv sind:

1. Der Bezug auf die Kategorie Volk, als Identität zusammengehalten über Jahrhunderte durch Sprache und Kultur, Blut und Boden.
2. Der Staat. Er wird einerseits metaphysisch als identisch mit dem Volk gedacht – als Identität von Herrschaft und Beherrschten – andererseits ganz praktisch als Souverän der völkischen Gemeinschaft, als Subjekt von Politik und Ökonomie.
3. Die Ablehnung des Individuums. Jenes ist nur in soweit von Bedeutung, als es Exemplar seines Volkes ist – du bist nichts, dein Volk ist alles; Freiheit ist die Freiheit, seiner völkischen Zugehörigkeit und Kultur gemäß zu handeln. Das führt zu
4. der Aufklärung, dem westlichen Prinzip, als Feindbild des völkischen Antikapitalismus. Die Forderung der bürgerlichen Revolutionen, sein Glück als ein persönliches zu begreifen und aus naturhaften Gemeinschaften auszubrechen, wird als das Hauptproblem begriffen. Hinter dem
5. letztlich immer der Jude stehe. Die Juden sollen die Welt zerschlagen und „dem nackten Band der baren Zahlung“ (Marx/Engels) ausgeliefert haben: den verhassten Prinzipien des Westens.
6. Gegen die jüdisch konnotierte Zivilisation des Westens hat das Deutsche Volk einen Existenzkampf zu führen, will es nicht untergehen. Die Pose der verfolgenden Unschuld. Und schließlich
7. schlägt der völkische Antikapitalismus gegen die vermeintliche Herrschaft der Zirkulation eine andere Form des Wirtschaftens vor: die autoritäre Steuerung des Marktes durch den Staat, das Aussetzen der Zirkulation zugunsten des Souveräns.

Vor allem deswegen haben Linke sich angewöhnt, völkischem Antikapitalismus das Attribut „verkürzt“ bei Seite zu stellen. Das soll zeigen, dass es sich um „echten“ Antikapitalismus dann ja doch nicht gehandelt habe. Der Vorwurf der „Verkürzung“ heißt aber, dem Begriff „Antikapitalismus“ Bedeutungen beizumessen, die er nicht hat. Etwa, dass Antikapitalisten per se für den Verein freier Menschen eintreten würden, dass es ihnen um Emanzipation des Einzelnen von den Zwängen der Allgemeinheit ginge. Dabei meint „Antikapitalismus“ zunächst nicht mehr, als sich in irgendeiner Form gegen die bürgerliche Gesellschaft zu stellen, wie sie sich mit den bürgerlichen Revolutionen politisch durchzusetzen begann. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie konnte in Deutschland nur in Teilen der Arbeiterbewegung – und auch dort nur über wenige Jahrzehnte – hegemonial bleiben. Gesiegt hat in Deutschland 1933 aber ein Antikapitalismus, der nicht „verkürzt“ war oder irgendetwas verschleiert hätte, sondern sein Ziel erreichte: Die deutsche Revolution gegen das durch die bürgerliche Revolution gesetzte Individuum. Den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit sah der nationalsozialistische Antikapitalismus als den Fehler an, die Individuen sollten wieder dahin verschwinden, wo sie angeblich herkamen: Im Schoß der scheinbar naturwüchsigen völkischen Gemeinschaft, freilich bei Beibehaltung und Forcierung moderner Elemente wie der fabrikmäßigen Produktion und der Massenorganisation: Die moderne Antimoderne als widersprüchliche Einheit aus Bauernromantik und militärischer Organisation der Reproduktion.

Exkurs zu Fichte

Das deutsche Ressentiment gegen die bürgerliche Gesellschaft haben weder die Nationalsozialisten noch die Konservative Revolution erfunden. Seine Anfänge finden sich bereits in der Philosophie des Deutschen Idealismus. Johann Gottlieb Fichte hat sich als Philosoph gegen die französische Aufklärung gewandt, indem er, wie Gerhard Scheit schreibt, das Ich im Allgemeinen verschwinden lässt. Das Ich ist für Fichte das Bewußtsein, das alles Individuelle bereits „weggedacht“ hat, Identität von Individuum und Allgemeinheit im Geist. Ich und Welt, so Scheit, der Einzelne und das Allgemeine, werden bei Fichte unmittelbar identisch. Für die empirischen Einzelnen birgt diese Welt kein Glücksversprechen mehr, sondern nur noch „reine Pflicht“. Es sei, so Fichte, danach zu streben:
„dem Menschen alle Stützen seiner Tätigkeit und alle Beschönigungsgründe seines Verderbens zu entreißen, alle Quellen seines falschen Trostes zu verstopfen; und weder seinem Verstand noch seinem Herzen irgendeinen Standpunkt übrig zu lassen, als den der reinen Pflicht und des Glaubens an die übersinnliche Welt. [...] das Individuum ist gar nicht ein besonderes Seyn des Lebens, sondern es ist eine blosse Form desselben.“ (vgl. Scheit, S. 127)
Sein und Individuum sollen also identisch werden, der Einzelne nichts als Erscheinung des Seins. Fichte war auch politischer, preußischer Agitator, und in der praktischen Nutzanwendung wird ihm das Sein zum Deutschen Volk, zur Nation, die erst noch werden muss.
Das Problem stellte sich durch die Napoleonischen Kriege. Das „heilige römische Reich“ war zerschlagen, die deutschen Kleinstaaten ihrer Hülle entkleidet. Die Ideen der bürgerlichen Revolution drangen nach Deutschland vor. Wo Hegel in Napoleon den Weltgeist zu Pferde erblickte, sah Fichte allerdings ein Problem. Er trat als Propagandist des geschlagenen Preußischen Staates auf und widmete sich zwei Aufgaben: Zum einen sollte, für den Kampf gegen Napoleon, ein einheitliches Nationalbewußtsein her. Die Große und Stolze Nation von Schaumburg-Lippe etwa schien nicht geeignet, dem Herrn Europas entgegen zu treten. Zum anderen sollte sich dieses Bewußtsein vom damals wegweisenden französischen Nationalismus aber grundlegend unterscheiden. Nicht der Zusammenschluss von Bourgeoisie und Massen gegen den Adel sollte den Startschuss zur Nationenbildung geben, wie im Frankreich des Abbé Sieyes, sondern ein Bündnis aus Bourgeoisie und Adel, unterstützt von der Zustimmung der Massen. (vgl. Pittwald, S. 215ff.)
Kern des Nationenkonzeptes von Fichte ist das Volk, zusammengehalten von Sprache, Kultur und Blut, also ein organisches, quasi-natürliches Ding. Das Volk als „natürliches von sich selbst durchdrungenes Ganzes“ (zit. nach Pittwald, 218). Die Individualität, die Fichte vorher den Einzelnen abgesprochen hatte, erkennt er jetzt den Völkern zu: „Völker sind Individualitäten, mit eigenthümlicher Begabung.“ (Ebd.)
Nun sind die Völker nicht alle gleich, und an der Spitze ihrer Hierarchie steht, wer hätte es für möglich gehalten, das Deutsche, das, Zitat „ursprüngliche Volk“, Zitat, „Urvolk“, Zitat „Volk schlechthin“. (vgl. Pittwald, 217) Der Grund für die Überlegenheit des Deutschen Volkes finde sich darin, dass es eine organische Einheit bilde und damit das lebendige und vitale widerspiegele. Im Gegensatz dazu seien die bürgerlichen Gesellschaften nur Ausdruck des Toten und Mechanischen. An die Herleitung dessen, was deutsch ist, aus Blut und Natur, werden später die Romantiker des 19. Jahrhunderts ebenso anschließen können, wie es die Vertreter der konservativen Revolution um Niekisch im frühen 20. Jahrhundert taten.
Auch Fichte hatte schon einen antikapitalistischen Staatsentwurf im Petto: Den „geschloßnen Handelsstaat“ Dieses Staatskonzept, das Michael Pittwald als „Prototyp einer national-sozialistischen Staatskonzeption“ (Pittwald, S. 230) bewertet, ist ein Gegenbild zu Staaten, in denen das Gewinnstreben des Einzelnen die wirtschaftliche Grundlage bildet, wie also etwa im „Wealth of Nations“ -Konzept von Adam Smith. Anders als im Liberalen Staat, wo jeder sich selbst und dadurch dem Allgemeinwohl dienen soll, tritt im geschloßnen Handelsstaat der Staat unmittelbar als Gesamtkapitalist auf. Er setzt die Bürger in ihr Eigentum ein, erlaubt ihnen den Handel, kann aber in ihren Besitz eingreifen. „In diesem Staat sind alle Diener des Ganzen“ (vgl. Pittwald 231), die „Entwöhnung der Nation von Genüssen, die in der Zukunft nicht weiter befriedigt werden sollen.“ (Ebd.), definiert Fichte als Ziel. Wie in den späteren Konzeptionen des Deutschen Sozialismus sollen die Klassen nicht verschwinden, sondern in der gemeinsamen Tätigkeit für die Volksgemeinschaft miteinander versöhnt werden. Erkauft wird diese Gemeinschaft mit Verzicht, der wiederum notwendig sei für den deutschen Existenzkampf. Und das ideelle Gesamt-Gegenvolk stellen schon damals, als scheinbare Repräsentanten der verhassten freien Zirkulation: die Juden.

1789 vs. 1914: Die „Konservative Revolution“

110 Jahre, nachdem Fichte angefangen hatte, das Volk gegen die Aufklärung zu denken, befanden sich die völkischen Deutschen in einer misslichen Lage. 1914 hatte es so gut für sie ausgesehen. Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung hatte Klassenkampf und Internationalismus den Rücken zugekehrt und war mit fliegenden Fahnen zum Vaterland in die völkische Front übergelaufen. Die Wirtschaft war dem Kommando der Obersten Heeresleitung unterstellt. Das Deutsche Reich führte kriegskommunistisch seinen „Existenzkampf“, die Ideen von 1914, hieß es, zögen gegen die Ideen von 1789, also gegen die Aufklärung zu Felde. (vgl. Pittwald, S. 109ff.)
Das Ganze ging bekanntlich nach hinten los. In der Situation der Niederlage betraten die deutschen Intellektuellen die Bühne, die später unter dem Sammelbegriff „Konservative Revolution“ berühmt werden sollten.
Die Konservative Revolution war ein recht heterogener Haufen von bürgerlichen Intellektuellen, die angesichts des Untergangs der „Ideen von 1914“ deutsch-revolutionäre Pläne entwarfen. Wie der von ihnen apostrophierte Antikapitalismus denn positiv als deutsche Ordnung aussehen sollte, war umstritten. Ernst Niekisch etwa orientierte sich ökonomisch an der Sowjetunion, an bedingten Verstaatlichungen und an Fünfjahresplänen. (Breuer S. 68f.) Mit dieser Linie fand er auch Unterstützung im nationalbolschewistischen Flügel der NSDAP um die Brüder Strasser, die jedoch bereits vor der Machtübergabe kaltgestellt wurden. Vertreter wie Oswald Spengler oder Moeller van den Bruck vertraten eher, dass ein starker Staat eine starke Privat-Wirtschaft zur Voraussetzung haben müsse. Nach Spengler erweise sich der wahre Sozialismus als höchst liberale Einrichtung, nämlich als eine „Privatwirtschaft mit altgermanischer Freude an Macht und Beute“ (Breuer S. 61) Spengler erkennt die Verdienste des freien Unternehmertums an, dem „Deutschland Aufschwung und Reichtum vor dem Krieg“ (ebd.) zu verdanken habe. Die freien Unternehmer seien nicht durch „Pressung in eine planwirtschaftliches Korsett“ dem Gemeinwohl zu verpflichten, sondern durch „Schulung“. Während Niekisch und die Nationalbolschewisten an staatlichen Zwang denken, appelliert Spengler an das deutschnationale Bewußtsein der Bourgeoisie, also an freiwillige Selbstaufgabe des Bürgertums vor dem höheren völkischen Ziel.
Während also die konservativen Revolutionäre in ihren positiven Gesellschaftsvorstellungen uneins waren, machen sich die Gemeinsamkeiten ihres Denkens, der Faktor, der sie überhaupt erst zur Strömung macht, in ihren Feindbildern fest : In Niekischs Hass gegen den Liberalismus und gegen den Marxismus war man sich einig. In der Novemberrevolution sah etwa Spengler einen Akt der Gemeinheit und der Dummheit, der keine anderen Ziele verfolgt habe als Lohnerhöhungen und Stellen für die Funktionäre zu erpressen (vgl. Breuer S. 49). Dem liberalen Bürgertum sei es gelungen, die Sozialisten zu sich herüberzuziehen, sie zum Verzicht auf die ursprünglichen Forderungen zu bewegen. Auch hier tauchen Marxisten und Liberale wieder als Verbündete gegen Deutschland auf. Der völkische Antikapitalismus sah in den Arbeitern nicht die Klasse, die eine neue Ordnung zu errichten im Stande sei, sondern nur die urbane Masse, das Chaos, das keine Einheit zu stiften vermag. Diese Massen waren den völkischen Revolutionären der Widerschein des Chaos und der Formlosigkeit des Liberalismus.
Gerade dieser Bezug auf die Masse, die es staatlich zu kontrollieren und für das Reich nutzbar zu machen gilt, unterscheidet die Konservative Revolution von den deutschnationalen Ideologen des Kaiserreichs. Der Nationalismus eines Bismarck, so Stefan Breuer, sei immer eine Waffe gegen Reichsfeinde gewesen, gegen die sozialistische Arbeiterbewegung, gegen Katholiken. Der neue Nationalismus habe einen inklusiven Charakter: Über alle Klassengrenzen hinweg steht das Volk bei ihm im Fordergrund und bekommt einen beinahe universellen Anspruch. Die Feinde des Reiches sind jetzt äußerliche Prinzipien, das westliche, undeutsche.

Fortwesen

Der staatgewordene deutsche Antikapitalismus ist 1945 bekanntlich seiner militärischen Zerschlagung nicht entgangen. Als Ideologie lebt er jedoch fort, wenn auch, in reiner Form, ohne Massenwirksamkeit. In Deutschland haben die heutigen National- und Volkssozialisten wesentliches übernommen, in der NPD-Demoparole „Kein Kapitalismus, kein Kommunismus, für den Deutschen Sozialismus“ ist Niekischs Widerstandsideologie aufgehoben. Die den neuen Verhältnissen adäquate Nachfolge Ernst Niekischs hat Horst Mahler angetreten. Auch dieser Volkssozialist schillert rot-braun. Vieles, was er heute schreibt, erinnert noch an das Antiimperialismuskonzept der RAF. Aber nicht jeder Nationalbolschewist oder Antiimp hat erkannt, dass es sich für die Sache der Völker bei den Nazis dann doch authentischer kämpfen lässt. Werner Pirker etwa, Redakteur der Jungen Welt und trauernder Freund des Baathregimes, hält sich gegen jede Evidenz nach wie vor für einen Kommunisten. Fröhliche Urständ feiert der völkische Antikapitalismus auch in den beiden globalen deutschen Bewegungen der Gegenwart: bei den sogenannten Globalisierungskritikern und bei der Friedensbewegung. Exemplarisch steht dabei das berüchtigte „Globalisierungskritische Netzwerk Attac!“ für eine Art deutschen Antikapitalismus light, der mit dem Terminus Volks-Sozialdemokratie beschrieben werden könnte.
Freilich schließt Attac! kaum bewußt an die Ideologen der Konservativen Revolution oder gar die NPD an. Man hält sich schließlich für phantasievoll und alternativ und trägt Wursthaar. Aber die Anschlußfähigkeit ist gegeben, was nicht zuletzt in den verdutzten Gesichtern der lokalen Attac!-Gruppe sichtbar wird, wenn zu einer Demo mal wieder die örtliche Freie Kameradschaft auftaucht, nicht um zu stören, sondern weil ihr der Aufruf so gut gefallen hat. In Attac! reproduziert sich die deutsche antikapitalistische Ideologie nicht als bewußte intellektuelle Weiterführung, sondern als Reproduktion der unverstandenen kapitalistischen Verhältnissen im Denken. Die Ausbreitung von Freihandel und Konkurrenz, von Macdonalds und Krise; das also, was bei den Nazis das „jüdische Prinzip“ heißt, nennt Attac! die „neoliberale Globalisierung“. Das Netzwerk illustriert es in Flugblättern mit der Börse an der Wall Street, also mit dem gleichen Gebäude, das auch für Horst Mahler die Zentrale des „judäo-amerikanischen Imperiums“ repräsentiert. Auch der Staat hat bei Attac! eigentlich den Zweck, Diener des Volkes zu sein; er erfüllt ihn nur nicht und überlässt die Ökonomie den egoistischen Interessen gewissenloser Unternehmer und – vor allem – dem Finanzkapital. Deshalb ist für Attac! eine andere Welt nötig. Der Staat soll das Eigentum im Interesse der Allgemeinheit kontrollieren. Gemeinsinn statt Eigensinn!
Was dem Nazi sein Deutsches Volk ist, ist dem Globalisierungskritiker seine Zivilgesellschaft. Da dürfen dann auch die Türken und Italiener mitmachen und für das Gemeinwohl streiten, am besten hübsch folkloristisch und multikulturell. Ansonsten soll die Welt völkisch aufgeteilt bleiben. So macht sich etwa Attac! München anläßlich einer Demo zur „Solidarität mit Palästina“ Gedanken um die „Zerstörung der palästinensischen Identität“, die Israel um der Kolonisierung willen vorantreibe und zitiert zustimmend eine Erklärung vom Weltsozialforum in Porto Allegre:
„Angesichts der brutalen Besetzung Palästinas durch Israel besteht eine dringliche Aufgabe unserer globalisierungskritischen Bewegung darin, zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu mobilisieren und seinen Kampf um Selbstbestimmung zu unterstützen."
Auch hier stehen nicht Individuen im Zentrum des Interesses, etwa die, die wegen Kollaboration mit dem Zionismus vom Volksmob gelyncht werden. Auch hier ist der Einzelne nur Exemplar des Kollektivs, „selbstbestimmt“ soll nicht der konkrete Mensch gegen die Zumutungen des Allgemeinen leben, sondern „das palästinensische Volk“ als Kollektividentität. Die Palästinenser sind nicht nur für Attac!, sondern für die überwiegende Mehrheit der Globalisierungsgegner das ideale Identifikationsobjekt, weil ihr Gegner der ideelle Gesamtfeind jedes moralischen Antikapitalisten ist: Israel.
Auch auf der theoretischen Front haben die Globalisierungsgegner mittlerweile ihr Standardwerk gefunden. Als kommunistisches Manifest für das 21. Jahrhundert betrachten seine Autoren Negri und Hardt ihr „Empire“. Dabei ist das Buch nicht kommunistisch, sondern antikapitalistisch im schlechtesten Sinne des Wortes. Aus einem postmodernen und eklektizistischen Brei läßt sich am Ende doch nur wieder herausarbeiten, dass man es bei diesem Antikapitalismus um den ewigen Kampf des Volkes gegen das die Welt beherrschende Prinzip zu tun habe. Das „Volk“ firmiert unter dem Namen „Multitude“, ist weltweit, produktiv, phantasievoll und gut. Ihm gegenüber steht das Empire, das parasitär und unterdrückerisch ist und sich bis in die Körper der Menge vorgearbeitet hat. Es ist ein bisschen wie bei der Matrix: Jeder kann aus dem Buch herauslesen, was ihm gefällt. Es bleibt anschlussfähig für alle, die meinen auf der Seite der Guten gegen ein beinahe metaphysisches Übel zu kämpfen. Die indischen Bauern, lateinamerikanischen Landlosen und deutschen Intellektuellen brauchen inhaltlich, in ihren Interessen und in ihrer Lebenswirklichkeit nichts gemeinsam zu haben, um sich als Teile der weltweiten „Multitude“ begreifen zu können. Wenn sie alle sich einmal im Jahr in Porto Allegre treffen, reicht der Verweis auf die Übeltäter Israel und USA aus, um sie alle zur weltweiten Bewegung zusammenzuschweißen. Wie die Produktion von Gemeinsamkeit über Feindbilder in die große Politik zu übertragen ist, führt gerade der Meister der Unkritischen Theorie, Jürgen Habermas, vor. In seinem Essay „Nach dem Krieg – die Wiedergeburt Europas“ fordert er die Gründung eines Kerneuropa. Über alles kleinkarierte Hickhack konkurrierender Nationalökonomien, über all die realen Widersprüche, soll eine gemeinsame Vision hinweghelfen: Die gemeinsame Orientierung gegen die USA. Die Geburtstunde habe das neue Europa schon hinter sich. Die europaweiten antiamerikanischen Massendemonstrationen am 15. Februar. O-Ton Habermas:
„Die Gleichzeitigkeit dieser überwältigenden Demonstrationen - der größten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - könnte rückblickend als Signal für die Geburt einer europäischen Öffentlichkeit in die Geschichtsbücher eingehen.“
Und sein italienischer Kollege Gianni Vattimo, sekundiert: „In der DNA von Europa gibt es ein Sozialismus-Gen, das die USA überhaupt nicht kennen.“ Frei nach Karl Kraus: Das Stärkste, was man gegen sie ins Feld führen kann, ist, sie zu zitieren.
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