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bjk

Beiträge: 7353


New PostErstellt: 23.11.09, 16:44     Betreff:  Geschicht'n aus 'm Arbeitslosen-Verwertungs-Amt

kopiert aus: http://ad-sinistram.blogspot.com/2009/10/kopflos.html


Kopflos

Donnerstag, 29. Oktober 2009


Mit den Kopf unter dem Arm, das Haupt streng in die Armbeuge geflochten, betritt man das Kämmerchen. Grüßt aus Brusthöhe hinüber, grüßt den Herrn seiner Sache, diesen Junker der Sachlage, tischt sein aufreizendstes Lächeln zum anderen Schreibtischufer hinüber. Man wird gebeten Platz zu nehmen, bekommt den unsanften Stuhl gewiesen, worauf man seinen abgetrennten Kopf zwischen beide Handflächen stemmt, um ihn in die gedeutete Richtung zu halten, um zu prüfen, wohin das Dorsale zu wenden ist. Tastend schiebt man sein zittriges Hinterteil auf das Möbel, mit dem Arsch befühlend, wo der Stoff sich von der Leere des Raumes scheidet. Man findet Halt, seufzt kurz darauf erleichtert unter dem Arm hervor, klebt an des Junkers Lippen, harrt dem behördlichen Ritus.

Woran man sei, wird man gefragt; kopflos sei man, gibt man zurück, müsse sein Haupt umhertragen wie eine speckige Aktentasche, hört man sich wie unterm Galgen spotten. Das sei nicht gemeint, wird erwidert, man meine eher die Situation, wie habe sie sich denn entwickelt. Sie ginge schleppend vonstatten, herumschleppend, sich schlapp schleppend. Die Lage, die Lage, schallt es ungeduldig aus dem behördlichen Äther, ob man fleißig Beschäftigung suche, Herrgottnochmal. Beschäftigt sei man, ausreichend und mit Elan, der Kopf beschäftige, man sei Kopfarbeiter. Unter der Achsel zwinkert es, erklärt, man wisse genau, was eigentlich gemeint war, rechtfertigt sich, dass man schon suche, immerhin verlange es das Gesetz, nur fände man keine Beschäftigung, nirgends, überall dasselbe Nichts. Einen, der mit seinen Kopf unter dem Arm reist, nehme man nicht unter Vertrag.

Mit dieser Einstellung fände man niemals Arbeit, da verbliebe man ewig im Leistungsvollzug. Das ist doch keine Einstellung! Kopflos hält man dagegen, man könne nichts dafür, es sei nicht die eigene Schuld, dass die Mitmenschen wenig Freude an Kopflosen entwickeln wollen. Außerdem hätte man mit vier zertrümmerte Fingern und einen zerschlagenen Oberschenkel zu kämpfen, die Funktion des Schließmuskels sei zudem am Unfallort abhanden gekommen. Ein Wunder sei es, dass man noch lebe, darüber sei sich sogar die Schulmedizin einig. Man wäre eigentlich tot, müßte tot sein, wenn nicht dies unerklärliche Wunder geschehen wäre. Aber das ist doch keine Einstellung!

Wunder hin oder her, wird erklärt, es sei nun an der Zeit, wieder ein geregeltes Leben zu ergreifen. Ein Bewerbungslehrgang könnte ein abermaliges Wunder bewirken. Es sei eindeutig, dass bewerbungsrelevante Mängel vorhanden seien. Dies sähe man auf einem Blick, man erkenne prompt, dass der Bewerber sich nicht auf Augenhöhe zu seinem möglichen Brotgeber stellen will. Eine Umkehrung des depressiven Zustands sei nun angebracht. Man müsse lernen seine Vorzüge hervorzuheben. Lernen, aus Nachteilen Gewinnsituationen zu schöpfen.

Man müsse endlich wieder lernen, dass vier ruinierte Finger auch bedeuten können, noch sechs gesunde Exemplare davon zu haben; lernen, dass es nur der abgängigen Schließmuskelfunktion in Tateinheit mit einer Windel zu verdanken sei, dass zeitaufreibende Toilettengänge während bezahlter Arbeitszeit hinfällig seien. Mag alles zutreffen, schallt es aus der Armbeuge hervor, mag ja alles sein, aber betritt man das Büro eines Personaldisponenten, Kopf in den Dunst schwitzigen Achselmilieus geklemmt, habe sich letztlich noch jede Bemühung zerschlagen. Dann heißt es, man sei für den Arbeitsmarkt nicht mehr tauglich, soll doch in den Krankenstand gehen. Jemand, der die Kraft besitzt, dauerhaft eine schauerliche Fratze durch die Gegend zu wuchten, maßregelt es von der anderen Schreibtischseite, der habe auch genug Kraft, einen Erwerb zu erwerben.

So kraftvoll fühle man sich allerdings gar nicht, gibt man zu bedenken. Eher müde, meist total erschlagen von der Last, außerdem habe man oft Kopfschmerzen, der Schmerz befände sich genau dort, genau unter dem Arm. Zerdepperte Finger machten die Situation nicht leichter, man wäre eigentlich ganz froh, nicht arbeiten zu müssen. Das ist doch keine Einstellung! Sowas wolle man im Kämmerchen nicht gehört haben, heißt es brüsk, schließlich sei Arbeitsbereitschaft ein wesentlicher Punkt der Fürsorge. Mit sechs gesunden Fingern könne man auch noch sechs leuchtende Knöpfchen bedienen, gleichwohl seien mindestens noch ein Bein und einige andere intakte Körperteile verwertbar, könnten Arbeit leisten und den Lebensunterhalt wenigstens teilweise sichern. Außerdem sei Gesundheit kein Kriterium, selbst aus siechen Hunden, sofern sie erstmal friedlich eingegangen sind, würde man ja Seife herstellen können.

Ratlos hockt man vor dem Junkertum, sich mit einem Handgriff die Büsche der Achselgegend und das Haupthaar kratzend, dabei nach Beteuerungen forschend, die die Aufrichtigkeit des Arbeitswillens unterstreichen, emphatisch herauskehren sollen. Auf dem Bau habe man gearbeitet, wirft man pflichtschuldigst als Antwort in den Ring. Man traue es sich nicht mehr so richtig zu, sei aber arbeitswillig und werde deshalb keine Sperenzchen machen. Für die Zukunft verspreche man, neben dem Kopf auch noch die Füße in die Hände zu nehmen, um allerlei Baustellen abzuklappern. Man beteuert scheu, wenn man sich was in den Kopf setze, könne man es auch erreichen. Der behördliche Lautsprecher quietscht, kratzt, wiehert, was als Zufriedenheit gedeutet werden kann. Wenn man auch keine Leitern mehr emporsteigen kann, quietscht es hervor, am Erdgeschoss könne man sicher noch restnutzend verwertet werden, man brauche dort sicherlich jedes gesunde Fingerglied, jedes Fitzelchen gesunde Körperzelle.

Man rätselt, weshalb man dem Junker bis heute noch keine Gliedmaßen entrissen hat, könnte er doch auch mit weniger Firlefanz gleichen Dienst tun; man fragt sich verhohlen, weshalb dessen Beine noch anschlüssig, dessen Arme noch als Paar auftreten. Des Herrn Körper ist ein geradezu verschwenderischer Apparat, für jene Beschäftigung reichte auch die halbe Funktionalität, ein beträchtliches Weniger an organischem Plunder. Säbelte man mit einem Hieb dessen Schädel vom Rumpf, ersetzte man die Birne durch eine klaffende, tief hinabreichende Halswunde, man dürfte sich sicher wähnen, die behördliche Beschäftigung würde nach wie vor zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Man sitzt dem Verschwender gegenüber, presst sein Haupt gegen die Flanke, malt sich aus, wie eine zweckdienlichere Variante Dienst im Kämmerchen tun könnte. Würden es nicht auch weniger körperliche Extremitäten tun? Man malt sich aus, wie ein bloßer Rumpf auf dem pompösen Thron sitzt, aus dessen rechter Seite ein dürres Ärmchen erwächst, worauf wiederum ein mageres Händchen sprießt, aus dessen Ende zwei dreigliedrige und zwei zweigliedrige Fingerstummel hervorkriechen. Ein Kopf läge zu Füßen, dort wo die Füße stattfänden, wenn nicht Rationalisierung Gebot des Moments wäre, lägen also zu verlorengegangenen Füßen in einem Schuhkarton, darin von Wange zu Wange kugelnd, hin und her wippend, jedoch fähig des Sprechens, um sein besserwisserisches Geistessekret abzusondern. Augen hätte jenes Haupt nicht, wären sie doch pure Verschwendung, Luxus den sich die Evolution nie leisten konnte, zumal sich doch auch mit dem beschriebenen kärglichen Aufwand der Dienst an der Sache tun ließe.

Im hysterischen Tagtraum malt man sich diesen Typus aus, baut ihn sich langsam vor dem geistigen Auge in die Höhe, will mit der Flamme des heiligen Rationalisierungsgeistes entzündet werden, erhebt sich, platziert den Kopf auf dem Schreibtisch, dreht ihn mit Blick zum Junker, nimmt den perplexen Blick des Gegenüber wahr, kramt ein antiquiertes Taschenmesser aus der Hosentasche, steht einen Augenblick neben sich, sieht sich aus der Lage des Zuschauers zum Angriff bereit, wirft sich auf den Kerl, rammt die rostige Klinge in den Hals, zieht sie gleich einem Dosenöffner rundherum, zerreißt Haut, Fleisch, Adern, trennt fetzenhaft das Fleisch vom Fleische, reißt Glieder heraus, pflückt kurz gesagt den Korpus gesund, rationalisiert ihn durch, macht ihn schlanker, wendiger, effizienter und bemerkt erst spät, zu spät, dass man selbst einem Wunder das Leben in zwei Stücken verdankte, überlebt hat, wo andere bereits gestorben wären. Gestorben wie jener Herr im Kämmerchen, zerrissen, zerschnitten, zerfleddert wie eine Götterspeise in der Waschmaschine.

Man flüchtet stolpernd vom Hort der vielen Kämmerchen, wird noch auf dem Heimweg aufgegabelt, festgehalten, fixiert, um den losen Kopf erleichtert, der im Kofferraum des grünen Taxis landet, wird verhört, ausgequetscht, nach Motiven durchleuchtet. Man weiht die Grünjacken in die hohe Schule der Rationalisierung ein, macht schrittweise klar, dass jede halbwegs gesunde Körperzelle noch Arbeit leisten kann, verschwindet dann mitsamt Kopf in einer dunklen Zelle. Die Zellenwärter treten vor die Kamera, legen dar, dass wieder einmal einer den Kopf verloren hat, in seinem Wahn lynchte, kopflos flüchtete, in Gewahrsam zusammenhanglose Geschichten feilbot. Man wird erklären, dass jener nur einer von vielen sei, einer von vielen Kopflosen, einer von vielen bald kopflos Gewordenen, die sich anders als durch unkalkulierten Wahn nicht mehr zu helfen wissen. Man wird nicht berichten, dass der kopflose Wahn am anderen Ufer der Schreibtische seinen Anfang nahm, dass das Kopflose in den fest verankerten Köpfen seinen Beginn erlebte.

Geschrieben von Roberto J. De Lapuente







Es ist allerhöchste Zeit, Art. 1, Abs. 1 und Art. 20, Abs. 4, GG, Geltung und Wirkung zu verschaffen!
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