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Armut heruntergerechnet - Manipulation bei Vergleich von Wi.-Daten

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Baba Yaga


New PostErstellt: 10.04.05, 10:12  Betreff: Armut heruntergerechnet - Manipulation bei Vergleich von Wi.-Daten  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

junge Welt vom 09.04.2005

Verschleierte Armut

Wachstum ist nicht alles.
EU-Behörde paßt statistische Bemessungsgrößen allgemeinem Manipulationstrend an


Ralph T. Niemeyer, Brüssel

Als EU-Währungskommissar Joaquin Almunia am Montag in Brüssel dasFrühjahrsgutachten vorstellte, waren kaum Überraschungen zu erwarten. Zwar hat die EU-Kommission ihre Prognose zum Wirtschaftswachstum der BRD von 1,5 Prozent auf 0,8 Prozent revidiert. Angesichts der vor kurzem neu ausgehandelten »Stabilitäts- und Wachstums«-Anforderungen, die es Bundesfinanzminister Eichel ermöglichen, »besondere Umstände«, wie die »Lasten der Wiedervereinigung«, geltend zu machen, schockte dies ebensowenig wie die Tatsache, daß die BRD mit einer Neuverschuldung von 3,3 Prozent erneut den Vogel abgeschossen hat und beim Euro eigentlich nicht mehr mitmachen dürfte.

Deutschland ist nun innerhalb der EU das konjunkturelle Schlußlicht.
Nun wird Wachstum üblicherweise auf Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Bruttosozialprodukt (BSP) bezogen. Daß in der BRD momentan nur die Arbeitslosenzahlen und Zahl der »Hartz«-Opfer wächst, hat inzwischen jeder gemerkt.
Nur was sich hinter dem Wort »Wachstum« tatsächlich versteckt, wird dann klar, wenn man sich Almunia’s Bericht genauer ansieht.

Irlands Kehrseite

Erneuter EU-Spitzenreiter in dieser Hinsicht ist die Republik Irland. Eigentlich müßten alle Iren angesichts dieser Nachricht jubeln.
Den Grund, weshalb sie es nicht tun, verrät ein Blick in einen Bericht des EU-Statistikamtes Eurostat vom Ende des vergangenen Jahres.
Darin ist Irland mit einem Armutsrisiko von 21 Prozent trauriger Rekordhalter unter den 15 »alten« EU-Staaten.
Im Jahre 2001 hatte der sogenannte Celtic Tiger Irland noch siegesgewiß gebrüllt – und ein Wirtschaftswachstum von 9,6 Prozent hingelegt.
Wie das trotzdem zu wachsender Armut führen kann, ist leicht erklärt. Das irische BIP lag im Durchschnitt der vergangenen Jahre etwa 30 Prozent höher als das BSP.
Übersetzt heißt das, es wird im Land mehr an Wert geschöpft, als durch die dortige Bevölkerung verbraucht wird. Vermutlich würde die breite Masse gerne mehr konsumieren, kann es aber aufgrund der ungleichen und auch ungerechten Verteilungsverhältnisse nicht.
Mithin bedeutet die Tatsache, daß das BIP um ein Drittel das BSP übersteigt, daß im Land erwirtschafteter Wert abfließt.
Nutznießer dieser Spezialität des »keltischen Tigers« ist eine kleine Schicht von Reichen und ausländischen Investoren.

In der BRD bewegen sich BIP und BSP übrigens einigermaßen synchron. Das heißt, der im Lande erwirtschaftete Wert wird auch im Land verteilt. Allerdings nicht unbedingt gerechter als in Irland.

Laut EU-Armutsbericht rangierte die BRD unter den damaligen 15 EU-Staaten 2001 mit einem Armutsrisiko von 11,5 Prozent auf Platz drei hinter Schweden und Dänemark.
Eurostat registrierte auch, daß ab 1999 die Aufwendungen für soziale Sicherung in den meisten Ländern stagnierten.
In Dänemark, Schweden und Luxemburg stiegen diese allerdings – bei sinkender Arbeitslosigkeit – deutlich an.
Das heißt, aufgrund wachsender Produktivität wurde mehr in Sozialleistungen und Vorsorge investiert.
Die BRD hingegen hat mit dem drastischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen bei gleichgroß bleibendem Kuchen de facto immense Kürzungen vorgenommen.
Gleiches trifft auf die Ausgaben im Gesundheitswesen zu.
Es wurde ja oft behauptet, in der BRD seien die Kosten für Gesundheitsfürsorge explodiert. Dies ist laut Eurostat falsch. Sie lagen stets bei ca. 13 Prozent bezogen auf das BIP.
Es gibt auch nicht weniger Kranke in der BRD, eher mehr.
Allerdings fuhren die in der BRD operierenden Pharmakonzerne in den letzten Jahren Traumrenditen ein.
Alles finanziert aus jenen 13,2 Prozent des BIP – immerhin eine Summe von zirka 250 Milliarden.
Weil dieser Anteil aufgrund einer stetig sinkenden Staatsquote wohl nicht gesteigert werden kann, werden »Zuzahlungen«, »Praxisgebühren« und »Einsparungen« beschlossen, während Krankenhäuser geschlossen werden. Im nächsten EU-Bericht dürfte also die BRD nicht mehr auf Platz drei bei der Armutsgefährdung liegen, sondern sich eher zwischen Portugal und Irland wiederfinden.

Der Europäische Rat hat im Dezember 2001 äußerst fragwürdige Kriterien für die Armutsgefährdung festgesetzt.
Klar ist, daß es bei einem derartig inhomogenen Wirtschaftsraum schwer fällt, einheitliche Kriterien anzuwenden und Armut vernünftig zu messen. Der Langzeitarbeitslose in einem Problembezirk von Dublin hat einen bei weitem niedrigeren Lebensstandard, als jemand in gleicher Lage, der im County Mayo zwischen Kühen mit großen Ohren lebt. Da Iren in mißlicher Lage weder Haus noch Auto weggenommen werden, kann man von der »Dole« genannten Sozialhilfe auf dem Lande einigermaßen überleben. In Städten wie Dublin oder Limerick sieht es anders aus.

Rechenkunststücke

Vergleichbar in bezug auf den Lebensstandard sind beide Fälle nicht mit jenen Langzeitarbeitslosen in Berlin, Dortmund oder einem Dorf in Brandenburg.
Um dennoch eine Vergleichbarkeit herzustellen beschloß der EU-Rat ein Paket von 18 gemeinsamen statistischen Indikatoren, die vier Aspekte der sozialen Eingliederung abdeckt:
  • finanzielle Armut,
  • Beschäftigung,
  • Gesundheit und Bildung.
Da dies tatsächlich zu einer vernünftigen Erhebung und somit zur (nichtgewollten) Offenlegung der EU-weiten Verteilungsungerechtigkeit führen würde, wurde in die mathematische Trickkiste gegriffen.
Als »armutsgefährdet« gilt man in der EU, wenn man von weniger als 60 Prozent des sogenannten medianen Äquivalenzeinkommens leben muß.
Anstelle des durchschnittlichen Prokopfeinkommens, welches die Spitzenverdiener mit einbezieht, umfaßt »median equivilant« lediglich den Bereich der unteren 50 Prozent.
Erreicht wird dadurch, daß sich das gesamte (Armuts-)Spektrum um ca. 20 Prozent nach unten ziehen läßt.

Durch das Nichteinbeziehen der Spitzeneinkommen sieht es so aus, als sei das durchschnittliche Prokopfeinkommen deutlich niedriger – was logischerweise zu weniger Armutsgefährdeten führt.
Bei korrekter Anwendung der in der Wirtschaftsmathematik üblichen Standards wären nicht nur mehr Menschen »armutsgefährdet«, sondern schlicht als arm zu bezeichnen. Schließlich steigt gerade in der BRD das Prokopfeinkommen ständig, wobei pro Kopf eben nicht meint, daß jeder Kopf mehr bekommt.


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Adresse: http://www.jungewelt.de/2005/04-09/005.php
Ausdruck erstellt am 10.04.2005 um 09:51:40 Uhr


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