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Wer fälscht Geschichte? Von Egon Krenz

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 18.09.08, 07:21  Betreff:  Wer fälscht Geschichte? Von Egon Krenz  drucken  weiterempfehlen

kopiert aus: http://www.jungewelt.de/2008/09-18/027.php



Wer fälscht Geschichte?

Über einen CDU-Leitantrag und eine SED-Politbürovorlage


Von Egon Krenz


Die CDU-Spitze hat für ihren Parteitag im Dezember einen Leitantrag über den weiteren Umgang mit der DDR-Vergangenheit vorbereitet. Der Antrag »Geteilt. Vereint. Gemeinsam«, der am Montag präsentiert wurde, soll helfen, eine »Verklärung, teilweise Geschichtsfälschung« zu verhindern. Die Partei stütze sich dabei, so war in der Financial Times Deutschland zu lesen, auf den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der DDR, Gerhard Schürer. Dieser habe in einer Analyse vom Oktober 1989 festgestellt, »daß aufgrund des dramatischen Schuldenstands im ›kapitalistischen Ausland‹ bereits 1990 mit einer Zahlungsunfähigkeit der DDR zu rechnen war, die nur noch mit drastischen Maßnahmen wie einer Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent zu stoppen war«. Dies habe die DDR »faktisch unregierbar« gemacht. »Die DDR stand somit im Jahr 1989 kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch«, zitierte FTD aus dem Papier.

Die CDU hat die Zitate aus dem inhaltlichen und historischen Zusammenhang gerissen. Ihre Behauptungen werden dadurch zur Propaganda. Ich habe damals die Sitzung des Politbüros geleitet, auf der Schürers Papier behandelt wurde. Sie fand am Vorabend meines Besuches bei Michail Gorbatschow am 1. November 1989 statt. Durch dessen verfehlte Wirtschaftspolitik waren die Rohstofflieferungen der UdSSR an die DDR um 20 Prozent zurückgegangen. Besonders hart traf uns die Reduzierung der Erdöllieferungen. Das hatte weitreichende Auswirkungen auf die Kontinuität der Produktion in der DDR. Nicht gelieferte Rohstoffe aus den RGW-Staaten mußte sie im westlichen Ausland für harte Valuta kaufen. Hochtechnologie von dort war ihr oft wegen der Embargoliste nicht zugänglich. Die Ansicht, die DDR könne »unregierbar« werden, hing mit der Befürchtung zusammen, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank könnten so wie in Ungarn und Polen auch Zugriff auf die DDR bekommen. Deren Reformenanweisungen hätten dann wirklich einen außergewöhnlichen Einschnitt in den Lebensstandard der DDR-Bürger bedeutet, der in diesem Fall zwischen 25 und 30 Prozent gelegen hätte. Gerade das sollte mit den im Schürer-Papier benannten Problemlösungen verhindert werden.

1989 war es notwendig geworden, die sowjetische Führung in aller Schärfe auf die auch durch internationale Einwirkungen entstandene schwierige Situation der DDR aufmerksam zu machen. Das Schürer-Papier bilanziert daher Erfolge, die heute leider verschwiegen werden, und Mißerfolge, die dagegen dramatisiert werden. Die DDR hatte eine Menge ungelöster ökonomischer Probleme, das ist wohl wahr. Sie stand aber 1989 vor keinem »wirtschaftlichen Zusammenbruch«.

Es war die Absicht von Schürer und den Mitverfassern des Dokuments, die Staatsführung der DDR zu drängen, eine sozialistische Wirtschaftsreform einzuleiten. Das Hauptproblem war, Leistung und Verbrauch wieder in Übereinstimmung zu bringen. Für den Fall, daß dies nicht gelingen würde, hatte Schürer eine theoretische Gefährdung der Zahlungsbilanz der DDR gesehen. Tatsächlich hat es diese aber nicht gegeben.

Sind der CDU denn nicht die Unterlagen der Deutschen Bundesbank zugänglich? Anders als die Schürer-Analyse vom 30. Oktober 1989 weist sie zehn Jahre danach die tatsächliche Verschuldung der DDR aus. Sie ist bemerkenswert sachlich und fair. »Ende 1989«, so heißt es darin, »betrug die Nettoverschuldung 19,9 Milliarden Valutamark.« Das sind etwa 30 Milliarden Valutamark weniger als in dem Bezugspapier, das die CDU zitiert. Zugegeben, noch eine Menge Geld für den einzelnen. Aber für eine ganze Volkswirtschaft? Im Vergleich zur Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland relativieren sich die DDR-Zahlen.

Allein die deutsche Hauptstadt hat heute rund sechsmal soviel Schulden wie die DDR 1989 und wird dadurch nicht »unregierbar«. Der wirkliche Kollaps der DDR-Industrie, die übrigens die modernste und produktivste in den damals sozialistischen europäischen Staaten war, ereignete sich nicht zu DDR-Zeiten, sondern nach 1990. Binnen dreier Jahre ist ihr Potential zu 70 Prozent, das Potential der industriellen Forschung sogar zu 80 Prozent zerstört worden.

Ich empfinde es schon als kurios, daß die CDU immer noch einem Arbeitspapier der Plankommission der DDR, deren Ziel es war, eine umfassende sozialistische Wirtschaftsreform durchzuführen, mehr vertraut als der Abschlußbilanz der eigenen Bundesbank.

Offensichtlich ist der CDU-Spitze auch nicht bewußt, daß sie mit ihren fehlerhaften Behauptungen einen Teil ihrer eigenen Geschichte verleugnet. Im Interesse eines gesunden Klimas in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten hatte nämlich Ministerpräsident Franz-Josef-Strauß 1983 in Absprache mit Bundeskanzler Helmut Kohl der DDR einen Kredit vermittelt. Damit wurde zwar nicht, wie manche Ideologen nachträglich meinen, die DDR-Volkswirtschaft gerettet. Es war aber ein Signal der Bundesrepublik Deutschland an die internationalen Banken: Die DDR ist kreditwürdig. Die Liquiditätsreserve der DDR, die Ende 1989 laut Bundesbank 29 Milliarden Valutamark betrug, brauchte nicht angetastet zu werden. Die DDR hatte bis zu ihrem Ende alle Rechnungen auf Heller und Pfennig bezahlt. Die Wahrheit über die DDR erfährt man eben manchmal auch, wenn das Verhalten der alten Bundesrepublik ins Spiel kommt.



Es ist allerhöchste Zeit, Art. 1, Abs. 1 und Art. 20, Abs. 4, GG, Geltung und Wirkung zu verschaffen!
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