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8. Mai - der Tag der Befreiung

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 09.05.10, 10:53  Betreff: 8. Mai - der Tag der Befreiung  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Fortsetzung aus: http://www.carookee.com/forum/freies-politikforum/19/26272673.0.30115.html


kopiert aus: http://www.neues-deutschland.de/artikel/170612.partisanenmaedchen-aus-smolensk.html


Partisanenmädchen aus Smolensk


»Kampfgefährtinnen« heißt ein Chor von Kriegsveteraninnen in der westrussischen Stadt


Eine Hand tippt mir auf die Schulter. »Machen Sie sich fertig«, sagte die Schaffnerin, »Smolensk!« Westliche Internet-Suchmaschinen spucken, gibt man diesen Namen ein, zuerst Links zum Massaker von Katyn, dann zum deutschen Soldatenfriedhof aus: Über 9000 Angehörige der Wehrmacht liegen im Wald hinter der Bahnlinie. Russische Suchmaschinen verweisen auf die Kesselschlacht im Sommer 1941, als die Rote Armee mit 42 Divisionen eine neue Verteidigungslinie aufbaute, an der Hitlers Blitzkrieg scheiterte, dann auf die Partisanen: 120 Gruppen mit über 60 000 Kämpfern machten dem Aggressor das Leben zur Hölle.

Hier also haben sie gekämpft. Hier? Der »Bernstein-Express« Moskau-Kaliningrad ruckelt durch eine Landschaft mit lichten Wäldern. Wo ist das Dickicht, in dem »Partisanenmädchen den ungebetenen Gästen Feuer« statt Brot und Salz servierten, wo die alte Waldstraße, auf der »über räuberischem Haupt die Nebel kreisen«, wie es in einem Lied aus jener Zeit heißt.

Vergessen, wie es wirklich war?


Mythen durchweben oft die Erzählungen der Zeitzeugen. »Hundertmal und mehr«, sagt Albert Kurow, Nachrichtenchef bei einem lokalen Radiosender, »haben sie ihr Leben so erzählt, wie es zu Sowjetzeiten von ihnen verlangt wurde. Ängste und Zweifel kamen da so wenig vor wie in den Kriegsliedern und den Geschichtsbüchern. Viele glauben inzwischen selbst an diese Legenden und haben vergessen, wie es wirklich war.«

Was haben sie dennoch behalten und was davon werden sie preisgeben? Jetzt, wo in Russland vorsichtig Schwarz und Weiß in Grautöne zerlegt werden. So wie in der Serie »1941«, die ein Straßenfeger war. Der Film zeigte deutsche Offiziere mit menschlichen Qualitäten und Verräter in den eigenen Reihen. Beides war selbst in der Perestroika und der »liberalen« Jelzin-Ära weitgehend tabu.

Smolensk wurde bereits von deutscher Artillerie beschossen, als die Rote Armee am 16. Juli 1941 ihre letzten Verwundeten barg. Nina Dorogina war noch nicht mal 13, half aber schon auf dem Verbandsplatz. »Der letzte, den ich versorgte«, sagt die heute 82-Jährige, »war ganze 19, ein hoffnungsloser Fall. Außer dem Kopf steckte sein ganzer Körper in Binden.«

Nina nutzte eine Kampfpause und lief nach Hause, wo ihre Mutter Bliny backte, Eierkuchen. »Da dröhnten Motorräder in unserer Straße, Männer mit Helm stiegen ab und steuerten auf unsere Sommerküche im Hof zu: Deutsche und Finnen. Mutter hatte unsere Kuh gerade gemolken, Von der Milch haben sie uns aber das meiste gelassen, die Bliny dagegen haben sie gleich von der Pfanne weg verputzt. Einen habe ich mir aber doch genommen und mich damit in Sicherheit gebracht.«

Menschenjagden auf arbeitsfähige Frauen


Außer den Dorogins waren noch 25 000 von den 130 000 Einwohnern geblieben, die Smolensk vor dem Krieg hatte. Ihr Leben änderte sich gründlich. »Zuerst haben sie die Straßen umbenannt. Aus dem Lenin- wurde der Kommandanturplatz, für die Offiziere wurde ein Kasino eröffnet, Bierstuben für die Muschkoten.« Die, sagt Nina, hätten dort Karten gespielt und sich offenbar ihre Heldentaten erzählt. »Sie waren völlig berauscht von den schnellen Siegen…«

Bezahlt wurde im besetzten Smolensk statt mit Rubel schon mit Reichsmark. Wechselkurs eins zu zehn. »In den Geschäften«, weiß der Historiker Viktor Markow, »gab es aber so gut wie nichts zu kaufen und auf dem Markt wurde Ware gegen Ware getauscht.« Die Märkte – auf Weisung der von den Besatzern ernannten Stadtverwaltung zweimal wöchentlich – seien jedoch schlecht besucht gewesen. »Die Deutschen haben dort regelrechte Menschenjagden veranstaltet. Vor allem auf gesunde, kräftige Frauen, die als Ostarbeiterinnen ins Reich verfrachtet wurden.«

Am 20. September 1943 – fünf Tage vor der Befreiung – zogen sich die ersten Einheiten der Wehrmacht nach Westen zurück und trieben die letzte Beute vor sich her. Darunter die vierjährige Serafima Alexejewna und ihre Mutter. »Zu Fuß sind wir durch Belorussland und halb Polen marschiert. Dort kamen wir in ein Lager, wo ein Bauer aus Nordwestdeutschland meine Mutter und ein paar andere als Landarbeiterinnen aussuchte.«

Wie das Dorf hieß, hat Serafima vergessen: »Selichau oder so ähnlich.« Die Kinder der Arbeiterinnen wurden in ein Sonderlager gesteckt, wo »Schwester Elisabeth« ein eisernes Regiment führte. Die Frauen sahen ihre Kinder nur sonntags. Serafimas Spielzeug – eine Puppe aus Draht, Lumpen und Brotresten, die ihre Mutter sich vom Mund absparte – liegt heute in Smolensk im Museum. Und Serafima singt in einem Veteranenchor, der sich »Kampfgefährtinnen« nennt und nur aus Frauen besteht, ehemaligen Ostarbeiterinnen, Frontkämpferinnen und Partisaninnen. Die älteste ist fast 92. Valentina Chilinskaja, Chefin und einstige Frontaufklärerin, zählt mit 82 zu den Jüngsten.

Mehr als 60 Sängerinnen standen auf der Bühne, als der Chor vor 30 Jahren gegründet wurde. Inzwischen sind sie so wenige, dass sie zwei-, geschweige denn dreistimmig kaum noch singen können. »Das Lied von den Partisanenmädchen und den Nebeln in den Wäldern von Smolensk haben wir daher leider nicht mehr im Programm«, sagt Nadjeshda Agejenkowa, die künstlerische Leiterin. Und ganz leise: »Es geht den meisten auch viel zu nahe, es ist ja für sie geschrieben.«

»Den Text kannten wir schon 1941«, weiß Soja Schwedowa. »Unser Verbindungsmann – er hieß Petja und war erst zehn Jahre alt – hatte Text und Noten aus den freien, sowjetischen Gebieten mitgebracht. Zum ersten Mal gehört haben wir es aber erst später, als Petja ein Radio mitbrachte, mit dem wir den Moskauer Rundfunk hören könnten. Wir haben eine Gänsehaut gekriegt. Möchten Sie Tee oder Kaffee?«

Soja Dmitrijewna ist fast 92. Sie stellt Konfekt auf den Tisch und holt die guten Tassen aus dem Schrank. Bücher stehen in zwei Reihen hinter Glas, und das Foto einer nicht mehr jungen, aber immer noch bildschönen Frau in einem Ruderboot auf einem Waldsee. »Das hat Petja gemacht, kurz bevor ich zum zweiten Mal geheiratet habe. Hier, das ist sein Foto. Das Bild meines ersten Mannes habe ich nur in der Seele. 35 Jahre habe ich auf ihn gewartet. Und nicht mal ein Grab, an dem ich weinen kann. Er wurde am 18. August 1941 eingezogen und schon nach ein paar Tagen kam die Vermisstenmeldung.«

Als Hitler die Sowjetunion überfiel, arbeiteten Soja und ihr Mann in Korobez bei Smolensk als Lehrer. »Am 20. Juni hatten wir Abschlussball, am 21. hab ich das Pferd eingespannt und bin zu meinen Eltern ins Nachbardorf, um unseren vierjährigen Sohn zu holen. Als wir morgens am 22. zurückkommen, läuft mein Mann mir entgegen und sagt, dass Krieg ist.«

Als die Vermisstenanzeige kam, brachte sie den Sohn zurück zu ihren Eltern, schloss sich als Sanitäterin einem Pionierbataillon der zurückweichenden Roten Armee an, das im Herbst bei Wjasma aufgerieben wurde. Soja gehörte zu den wenigen Überlebenden und machte sich zu Fuß auf den Rückweg ins Dorf ihrer Eltern, das inzwischen tief im Hinterland der Deutschen lag. Dort stellte der Schuldirektor gerade eine Partisanengruppe auf. »Waffen lagen auf den Feldern genug herum, deutsche und unsere. Die haben wir aufgesammelt und versteckt.« Ihren ersten Kampf bestand Soja hinter der alten Wassermühle an der Ugra. Deutsche Soldaten aus der Kreisstadt Jelnja waren zu einer Strafexpedition gegen ihr Dorf ausgerückt, weil die Bewohner verwundete Rotarmisten versteckt hatten.

Es war der 7. November, der Tag der Revolution. »Stalin rief die Menschen in den besetzten Gebieten auf, dafür zu sorgen, dass ›den Faschisten der Boden unter den Füßen brennt‹.« Flugblätter mit dem Text seiner Rede hatten sowjetische Flieger schon am Tag danach über dem Partisanengebiet abgeworfen, »über den Sümpfen an der Ugra, unserem Winterquartier. Solche riesigen Wälder wie die in Brjansk haben wir hier leider nicht.«

Für die Besatzer wurde es dennoch zunehmend ungemütlich. Sogar der »Neue Weg« – eine Zeitung, die die gleichgeschaltete Stadtverwaltung von Smolensk herausgab – mahnte die Dörfler regelmäßig zu mehr Eifer im Kampf gegen »Stalins Banditen«. Vergeblich. »Allein unser Regiment«, sagt Soja Dmitrijewna, »hatte schon im Frühjahr 1942 elf Dörfer befreit, ein anderes dreizehn.« Und während der »Neue Weg« in Smolensk pathetisch die »erste Saat auf freier Scholle« feierte, stellten die Partisanen die Kollektivwirtschaften wieder her, wählten neue Dorfsowjets und unterrichteten die Kinder wieder nach sowjetischen Lehrplänen.

Der Kampf um Jelnja, das die Rote Armee im Sommer 1943 zurückeroberte, war für Soja der letzte. Als sie versuchte, einen verwundeten Kameraden zu retten, detonierte neben ihr eine Bombe. Die Druckwelle schleuderte sie mehrere Meter durch die Luft. Seitdem hört sie schwer.

Was heute so in den Zeitungen steht ...

Lesen kann sie mit der dicken Brille immer noch sehr gut. Auf dem Tisch liegt ein Stapel Zeitungen. Kaffee, den sie auf ärztliches Anraten aber nur noch in Maßen trinken darf, und Zeitungen, für die ein erkleckliches Sümmchen zusammenkommt, wenn man sie im Dutzend abonniert, seien ihre einzigen Laster, scherzt Soja Dmitrijewna. »Ich kann mir das leisten, ich bekomme eine sehr gute Rente. Über 19 000 Rubel. (ca. 475 Euro). Aber was so drin steht in den Zeitungen, das ist furchtbar. Wir haben Frieden und doch Krieg«, sagt sie und meint die Terroranschläge in der Moskauer Metro Ende März. Das liege am Systemwechsel, an den neuen Freiheiten, für die das Land noch nicht reif sei. Dmitri Medwedjews Kritik an Stalin nimmt sie ihrem Präsidenten daher sehr übel: »Stalin lebt und wird leben.« Es ist das erste und einzige Mal in unserem Gespräch, dass sie laut wird.


Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

65 Jahre Befreiung - Beilage im ND am 8. Mai 2010




... ich tue was Linke tun, Ungerechtigkeit bekämpfen!
von Yossi Wolfson
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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 09.05.10, 11:13  Betreff: Re: 8. Mai - der Tag der Befreiung  drucken  weiterempfehlen



Sie haben uns verraten. So furchtbar verraten.
Wie wir noch ganz klein waren, da haben sie Krieg gemacht.
Und als wir größer waren, da haben sie vom Krieg erzählt.
Begeistert.
Immer waren sie begeistert.
Und als wir dann noch größer waren, da haben sie sich auch für uns einen Krieg ausgedacht.
Und da haben sie uns dann hingeschickt.
Und sie waren begeistert.
Immer waren sie begeistert.
Und keiner hat uns gesagt,wo wir hingingen.
Keiner hat uns gesagt, ihr geht in die Hölle.
O nein, keiner.

Wolfgang Borchert, Draußen vor der Tür (1947). 5. Szene





Eines Tages werden wir aufwachen und wissen,
Daß wir zuwenig getan haben oder das Falsche,
Wir werden uns sagen, daß wir mehr hätten tun sollen.
Aber was? werden wir fragen - und: hätten wir es tun sollen,
Hatten wir jemals Zeit, uns zu entscheiden?
Und dann werden wir wissen, daß über uns entschieden wurde.
Von Anfang an, weil wir es so wollten.
Keine Ausrede mehr: die Zeit ist vertan.
Keine Beschönigung mehr: auf unsern Händen liegt Asche.
Bei jedem Schritt stäubt sie auf. Asche. Asche.

Walter Bauer, Einer Tages werden wir aufwachen und wissen;
in: ders., Nachtwachen des Tellerwäschers, Desch, München 1957









... ich tue was Linke tun, Ungerechtigkeit bekämpfen!
von Yossi Wolfson


[editiert: 09.05.10, 11:18 von bjk]
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