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Hungerrevolten und Ernährungskrise

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 21.04.08, 08:34  Betreff: Ankündigung:  Hungerrevolten und Ernährungskrise  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

Hungerrevolte und Ernährungskrise

von Wal Buchenberg - http://de.indymedia.org , 18.04.2008


Die weltweite Krise des Kapitalismus hat einen zweiten Namen: Zur Kreditkrise gesellt sich die Ernährungskrise. Über Widerstand und Protestaktionen gegen die Kreditkrise in den wohlhabenderen Ländern ist bisher nichts bekannt. Auf die Ernährungs- und Lebensmittelkrise reagieren die Menschen in vielen Ländern der Welt mit Unruhen, Protestbewegungen und Streiks. Über diese Protestaktionen soll hier berichtet werden.


1. Protestorte (alfabetisch)

Ägypten


Asma Rushdi, eine Mutter von vier Kindern, klagt im Armenviertel von Kairo: "Seit sechs Uhr heute Morgen stehe ich an für Brot. Jetzt ist es neun, und ich habe für meine Familie noch nichts zu essen!" Frau Rushdi wartet in einer langen Schlange vor einer staatlichen Bäckerei, wo rationiertes Brot mit subventioniertem Getreide gebacken wird.

Die Bewohner von Ägypten sind weltweit die größten Esser von Weißbrot. Sie essen davon 400 Gramm am Tag, die Franzosen nur rund 130 Gramm. Ägypten importiert die Hälfte seines Getreideverbrauches, und die Regierung subventioniert die Brotversorgung der städtischen Armen. Als aber das Importgetreide immer teurer wurde, wuchs die Differenz zwischen dem staatlich subventionierten Getreide und dem Marktgetreide. Ein Sack mit 100 kg subventioniertem Mehl kostete für Staatsbäcker in Kairo nur 2 Euro. Auf dem Schwarzmarkt bekam man um die Jahreswende für den gleichen Sack 250 Euro. Kein Wunder, dass immer mehr Mehl aus den Staatsläden verschwand und auf dem Schwarzmarkt verkauft wurde. Landesweit wurden 12.000 Menschen festgenommen, die auf dem Schwarzmarkt Mehl kaufen oder verkaufen wollten.
Das Mehlangebot nahm nicht ab, es wurde aber im Preis unerschwinglich für die Armen. Die Warteschlangen vor den Staatsbäckereien wurden länger, und die Menschen dort ungeduldiger. In den Warteschlangen kämpften Arme gegen Arme um Brotrationen. In solchen Kämpfen sollen allein in Kairo 11 Menschen ums Leben gekommen sein.
Auf einem Flugblatt vom 6. April 2008 hieß es: "Mubarak verschwinde! Wir riskieren unser Leben beim Anstehen für Brot."
Die staatliche Brotausgabe wird nun von Soldaten überwacht.



Seit Dezember letzten Jahres richtete sich der Hass und Ärger auch gegen die Polizei und gegen Händler. In spontanen Protestaktionen wurden Läden leergeräumt. In den folgenden Auseinandersetzungen mit der Polizei kamen nach Polizeiangaben sieben Jugendliche ums Leben.
Um höhere Löhne durchzusetzen wurde von einzelnen Gewerkschaften Anfang April ein eintägiger "Generalstreik" ausgerufen. Dabei kam es nicht zu breiten Arbeitsniederlegungen, aber zu heftigen Demonstrationen und Straßenschlachten mit der Polizei. Bei diesen Aktionen wurden landesweit 500 Personen festgenommen und mindestens 50 Demonstranten verletzt. Streiks und Demonstrationen sind in Ägypten seit langem verboten. Ein erneuter "Generalstreik" ist für den 4. März angekündigt.

Argentinien

Als der argentinische Landwirtschaftsminister Martin Lousteau die Exportabgaben auf Soja und Getreide Anfang des Jahres um knapp zehn Prozent auf 45 Prozent erhöhte, riefen die vier großen Bauernverbände dagegen zu Streiks und Protesten auf. Landesweit demonstrierten Bauern und errichteten Blockaden auf den Fernstraßen. Durch die Straßensperren kam es zu Engpässen bei der Lebensmittelversorgung in den großen Städten. Nach 16 Tagen brachen die Bauern ihre Aktionen ab und begannen Gespräche mit der Regierung Kirchner.
Siehe dazu den Indymedia-Bericht Soja-Konflikt in Argentinien. (Allerdings: Argentinische Landwirte, die Soja oder Weizen für den Export produzieren, sind in der Mehrzahl keine kleinen Campesinos, wie dieser Bericht unterstellt.)

Burkina Faso

Burkina Faso gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein Großteil der Bevölkerung lebt noch von Subsistenzwirtschaft und außerhalb kapitalistischer Märkte. Die Subsistenzwirtschaft reicht vielleicht notdürftig für den eigenen Lebensunterhalt, aber nicht für die Versorgung der städtischen Bevölkerung. Deren Lebensmittel müssen importiert werden.
Anfang Februar hatte die Regierung zwar sinkende Importzölle, aber gleichzeitig steigende Preise für Lebensmittel und für Benzin bekannt gegeben. Gegen steigende Preise brachen immer wieder spontane Protestaktionen mit Demonstrationen, Blockaden und Plünderungen von Geschäften aus. Jugendliche bauten im Kampf mit der Polizei Straßensperren und zündeten Autoreifen an.

Daraufhin riefen am 20. Februar verschiedene Gewerkschaften und soziale Verbände zu einem zweitägigen Generalstreik am 8. und 9. April 2008 auf. In allen Städten fanden Demonstrationen statt. Transportarbeiter und Taxifahrer blockierten tagelang den Verkehr in der Hauptstadt Ouagadougou. Die Polizei sprach von 264 Verhaftungen. Soldaten marschierten auf, um den Regierungspalast zu bewachen.
Bettina Engels berichtete bei Labournet Germany: „Seit einer Woche protestiert die Bevölkerung im westafrikanischen Burkina Faso gegen die drastisch steigenden Lebensmittelpreise. Heute versammeln sich die DemonstrantInnen in der Hauptstadt Ouagadougou. In der letzten Woche fanden zeitgleich Proteste in Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes, der drittgrößten Stadt Ouhigouya im Norden und der Provinzhauptstadt Banfora im Südwesten statt. In Bobo-Dioulasso greifen die DemonstrantInnen Regierungsgebäude an, setzen Geschäfte, Autos und Tankstellen in Brand. Eine Delegation der Regierung wird mit Steinwürfen empfangen. 100 DemonstrantInnen werden festgenommen. Die Proteste setzen sich am nächsten Tag fort. Auch Händler und Geschäftsleute beteiligen sich. Die Proteste richten sich gegen die beständig steigenden Preise von Basisgütern wie Reis, Speiseöl und Seife im zweitärmsten Land der Welt. Nach Angaben der Regierung sind die Preise zwischen 10 und 65 Prozent gestiegen. ... Die Regierung hat Maßnahmen zur Preiskontrolle angekündigt..."

Elfenbeinküste

Die Elfenbeinküste importiert mehr als die Hälfte ihres jährlichen Reisbedarfs. Gegen die steigenden Lebensmittelpreise hatte es an verschiedenen Orten spontane Aktionen gegeben.
In einer organisierten Demonstration zogen dann Anfang April rund 1500 Frauen aus den Armenvierteln durch das Viertel der Reichen in Abidjan, der früheren Hauptstadt der Elfenbeinküste, mit den Rufen: "Wir haben Hunger!" und "Eure Preise bringen uns um!" Die Polizei griff die Demonstration an und verletzte mindestens 12 Personen, darunter auch JournalistInnen.
Als Reaktion auf die Proteste schaffte die Regierung die Importsteuer für Reis, Seife, Speiseöl und Milch zeitweise ab und halbierte die Mehrwertsteuer auf diese Produkte von 18 auf neun Prozent.

Haiti

Aus einer spontanen Hunger-Revolte wurden in Haiti bald organisierte politische Proteste gegen die Regierung und deren internationale Helfer. In Haiti, dem ärmsten Staat Amerikas, hatten sich die Reispreise in den letzten Monaten verdoppelt, auch Bohnen und Brot wurden immer teurer. Zunächst gab es immer wieder spontane Protestaktionen auf den Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince, Supermärkte wurden gestürmt. Jugendliche lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Mindestens fünf Menschen kamen dabei ums Leben. Oppositionsparteien begannen die Proteste zu unterstützen und zogen vor den Präsidentenpalast von Rene Preval. UNO-Soldaten schützten den Palast mit Panzern und gingen gewaltsam gegen Demonstranten am Flughafen der Stadt vor. Sechs Menschen sollen bei den Kämpfen ums Leben gekommen sein, darunter ein bei der UNO beschäftigter Polizist. Nach offiziellen Angaben wurden 200 Personen verletzt. Der Präsident entließ seinen Premierminister.

Honduras

Aus Honduras werden die jüngsten Protestaktionen gemeldet. Zehntausende Demonstranten errichteten am 17.04.2008 (?) Straßensperren in der Hauptstadt Tegucigalpa und anderen Städten des Landes. Die Regierung setzte die Armee ein. Es gab Verletzte.

Indien

Indien war lange Jahre landwirtschaftliches Exportland und begann erst vor zwei Jahren Weizen zu importieren. Im Laufe des letzten Jahres wurden Grundnahrungsmittel wie Hülsenfrüchte, Reis, Mehl und Öl immer teurer. Indien hat inzwischen ein Exportverbot für Reis erlassen, um den wachsenden eigenen Bedarf zu decken.
Die allgemeine Preissteigerungsrate liegt bei sieben Prozent, aber Lebensmittel sind um 20 Prozent und mehr im Preis gestiegen. Die Lebensmittelteuerung ist das Hauptgesprächsthema in Indien, auf der Straße, in den Zeitungen, in den Parlamenten. Die "Times of India" schreibt: "Ein Gang zum nächsten Gemüsehändler um die Ecke fühlt sich an wie ein Besuch in einem der modernen, schicken Einkaufszentren Delhis. Man kann sich die Auslagen anschauen, aber bezahlen kann man nichts."

Indonesien

Anfang Januar zogen 10.000 Demonstranten vor den Präsidentenpalast der indonesischen Hauptstadt Jakarta, weil sich die Preise für Sojabohnen in einem Jahr verdoppelt hatten. Um die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu gewährleisten, wurden vorläufig sämtliche Reisexporte eingestellt und die Importzölle gesenkt. Indonesien ist der drittgrößte Reis-Produzent der Welt, muss aber gleichzeitig einen Gutteil dieses Grundnahrungsmittels importieren.

Jemen

Die Jemeniten haben im Schnitt etwas mehr als einen Euro pro Tag zur Verfügung - sie gehören zu den Ärmsten der Welt. Der Weizenpreis hatte sich im Jemen verdoppelt, Grundnahrungsmittel wie Reis und Speiseöl sind ebenfalls um ein Vielfaches teurer geworden. Tausende Jemeniten sind seit Ende März auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren. Genauere Informationen über Ablauf und Hergang der Proteste habe ich nicht gefunden.

Kamerun

In Kamerun kam es zu mehrtägigen Massendemonstrationen wegen der hohen Benzin- und Lebensmittelpreise sowie zu Protesten gegen Präsident Biya, der in dem Land seit 1982 regiert und seine Amtszeit bis 2011 verlängern lassen will. Mindestens sechs Menschen wurden bei Unruhen allein in der Hauptstadt Jaundé getötet, die Gesamtzahl der Toten dürfte deutlich höher liegen.
Angefangen hat alles am 23. Februar mit einer spontanen Demonstration von mehreren hundert Menschen in Newtown, einem armen Vorort von Douala. Die Polizei griff die Demonstranten mit Wasserwerfern und Tränengas an, die wehrten sich mit Steinwürfen. Bei dieser Auseinandersetzung sollen zwei Menschen ums Leben gekommen sein.
Am 24. Februar riefen die Taxifahrer Doualas zu einem Streik gegen die hohen Benzinpreise auf. Seit diesem Tag kam es in allen Städten des Landes zu Protestaktionen, obwohl die Taxifahrer ihren Streik nach zwei Tagen abbrachen, um sich von dem "jugendlichem Vandalismus" zu distanzieren. Überall im Land zogen Jugendliche durch die Städte, plünderten Geschäfte, bauten Barrikaden und zündeten Autos an - die Symbole des Wohlstands. Der öffentliche und private Verkehr kam zum Stillstand. In den Straßen von Douala lagen Leichen. (IRIN, 27.2.2008). Insgesamt sollen 40 Menschen bei den Protesten ihr Leben gelassen haben. Andere Medien melden über 100 Tote. Ein in die Enge getriebener Polizist soll von der Menge gelyncht worden sein.
Wenige Tage nach Beginn der Protestbewegung trafen Vertreter der Weltbank, des IWF und der Afrikanischen Entwicklungsbank zu Geheimgesprächen mit Regierungsvertretern von Kamerun zusammen. (Camerun Tribune, 25.2.2008).

Marokko

In Marokko wurde die erste Brotdemonstration am 23. September 2007 gegen eine staatlich verordnete Preiserhöhung mit einigen tausend Teilnehmern in Sefrou organisiert. Die Demonstration wurde von Polizei und Armee angegriffen. Es gab mindestens 50 Verletzte. Dem folgte eine Straßenblockade in der Hauptstadt Rabat. Nach mehreren Demonstrationen wurde die Preiserhöhung zurückgenommen.
Bericht mit Kommentar von Bernhard Schmid auf Labournet.

Mauretanien

Das Land Mauretanien importiert 70 Prozent der im Land verbrauchten Lebensmittel. Im November 2007 protestierten in der Hauptstadt Nouakchott rund 1000 Menschen gegen die gestiegenen Mehlpreise. Bei der Niederschlagung der Demonstration durch die Polizei kam sechs Menschen ums Leben. Andere Meldungen sprechen von einem Toten und 13 Verletzten.

Mexiko

Tortillas, das Brot der Mexikaner, wird aus Maismehl gefertigt. Seit dem Freihandelsabkommen mit den USA aus dem Jahr 1994 wurde zunehmend billiger Mais von dort importiert. Die mexikanischen Landwirte mussten auf andere Produkte ausweichen. Inzwischen wurde amerikanischer Mais immer teurer, nicht zuletzt wegen der Produktion von Bioethanol.
Am 1. Februar 2008 gingen in Mexiko City und anderen Städten 75.000 Menschen gingen auf die Straße, um dagegen zu demonstrieren. Dieser Protest ging als "Tortilla-Krise" durch die Medien. Siehe den kommentierenden Bericht von Ralf Streck auf Indymedia.

Mosambik

Fast der gesamte Weizenverbrauch des Landes muss importiert werden. Wegen einer Missernte im Land ist auch der Mais knapp. Die Preise steigen im Land. Die blutigen Proteste Anfang Februar in der Hauptstadt Maputo entzündeten sich an Preissteigerungen für Fahrpreise und für Benzin. Bei diesen Unruhen tötete die Polizei einen Demonstranten und verletzte 63 mit scharfer Munition. Siehe den Bericht von Labournet.

Peru

Am 20. Februar 2008 endete ein zweitägiger Bauernprotest mit Demonstrationen, Blockaden und Besetzungen im ganzen Land gegen ein anstehendes Freihandelsabkommen für landwirtschaftliche Produkte mit den USA. Präsident Alan Garcia rief den Notstand aus. Seine Polizei tötete einen der Demonstranten. Siehe den Bericht von Labournet.

Senegal

In Dakar, der Hauptstadt des Senegal, hatte eine Vereinigung der Senegalesischen Verbraucher (ASCOSEN) trotz Verbot zu einer Demonstration gegen die Lebensmittelteuerung aufgerufen. Die Polizei griff die Demonstranten mit Tränengas und Schlagstöcken an. Später besetzte die Polizei eine private TV-Station, um die Berichterstattung über die Proteste zu verhindern.
Der Demonstration war ein Konflikt der Regierung mit den Straßenhändlern vorausgegangen. Um seine Hauptstadt für die Konferenz der 57 islamischen Staaten zu "verschönern" hatte Präsident Wade den Straßenhandel in der Stadt verboten. Daraufhin bekämpften Jugendlich Polizisten, die das Verbot durchsetzen wollten, verwüsteten Luxushotels und Regierungsgebäude. Das war ihre Antwort auf die präsidiale "Stadtverschönerung".


2. Die Teilnehmer der Proteste

An den Hungerrevolten und Protestaktionen gegen die Lebensmittelkrise beteiligen sich zwei große Bevölkerungsgruppen mit mehreren Unterteilungen: Auf der einen Seite die Bauern, auf der anderen Seite die Städter.

2.1. Kleinbauern

Die Bauern sind von der Lebensmittelkrise zweifach betroffen. Soweit sie nur für den eigenen Lebensunterhalt und für lokale Märkte produzieren, wird ihre Lage durch die Globalisierung der Landwirtschaft immer prekärer. In Südamerika sind es oft indigene Bevölkerungsteile. Kleine Bauern zählen weltweit zu den Verlieren der Globalisierung. Sie haben keine ökonomischen Druckmittel und können sich nur Gehör verschaffen durch gewaltsame und spektakuläre Aktionen (Blockaden, Zerstörungsaktionen u.ä.). Sie müssen immer damit rechnen, dass gegen ihren Protest die Armee eingesetzt wird. In Mexiko, Peru und Indonesien haben sich Kleinbauern in größerer Zahl an den Aktionen beteiligt.

2.2. Weltmarktbauern

Die Zukunftsaussichten der Bauern, die für den Weltmarkt produzieren, sind gut. Sie zählen zu den Gewinnern der Globalisierung. Sie spielen - wie in Argentinien - eine wichtige Rolle für die Volkswirtschaft und die Staatsfinanzen. Sie können ihre Regierung unter Druck setzen und tun das auch, sobald sie ihre Interessen gefährdet sehen. Sie erreichen ihre Ziele (Abkommen mit der Regierung) oft schon mit symbolischem Protest, der nicht wirklich schmerzt. Die Exportbauern organisierten die Proteste in Argentinien, allerdings mit einem sehr "schmerzenden Protest", mit Blockaden der Zufahrtsstraßen der großen Städte.

2.3. Die Städter

Die Bewohner der Städte in aller Welt produzieren keine Lebensmittel, sondern müssen ihre Lebensmittel kaufen. Sie sind direkt von Preissteigerungen betroffen, und je ärmer sie sind, desto härter trifft es sie.
Die Zahl der Städter wächst viel rascher als die Gesamtzahl der Weltbevölkerung. Es ist also nicht die Zunahme der Weltbevölkerung, die eine schnell wachsende Nachfrage für Lebensmittel verursacht, sondern es ist besonders die Zunahme der Stadtbevölkerung in aller Welt. Das Jahr 2008 ist da ein historischer Wendepunkt: Zum erstenmal seitdem es die Menschheit gibt, leben mehr Städter auf der Erde als Landbevölkerung.
Siehe dazu auf der Übersichtskarte die mittlere Grafik "Stadt- und Landbevölkerung der Welt".

Triebfeder der anwachsenden Stadtbevölkerung ist die kapitalistische Industrialisierung und Globalisierung. Durch Einbeziehung von immer mehr Ländern und Gebieten in die Geldwirtschaft des Weltmarkts werden die selbständigen, kleinen Produzenten ruiniert und als arbeitssuchende Massen in die Städte gespült.
Die große Masse der weltweiten Stadtbevölkerung, in China wie in Europa oder Afrika, stellen einerseits Lohnarbeiter und andererseits Subproletarier ohne Einkommen oder ohne festes Einkommen.
Soweit Städter wohlhabend sind, können sie eine Lebensmittelteuerung verkraften. Von den Konsumausgaben der Wohlhabenden machen Lebensmittel nur 10 bis höchstens 25 Prozent.
Ärmere geben bis zu 90 Prozent ihres Geldes für Lebensmittel aus. Da ist kein Puffer. Steigen die Lebensmittelpreise, dann fehlt ihnen das Geld um Essen zu kaufen. Sie hungern. So kommt es, dass Menschen an Hunger leiden und an Hunger sterben, obwohl in der Welt genug Lebensmittel produziert werden, um alle Menschen satt zu machen.

An den Protesten gegen die Lebensmittelteuerung in diesem Jahr beteiligten sich in der Anfangsphase meist nur das städtische Subproletariat, die Arbeitslosen, die Jugendlichen, die Marginalisierten.

Als ungeplante, spontane Aktion der marginalisierten Städter entstanden die Hungerproteste in Ägypten, Burkina Faso, Haiti, Jemen, Kamerun, Mosambik, im Senegal.
Als geplanter und organisierter Protest begannen die Aktionen in Argentinien, in der Elfenbeinküste, in Honduras, Indonesien, Marokko, Mauretanien, Mexiko und Peru.
Auf unorganisierten Protest blieb nur die Bewegung in Jemen (?) beschränkt.

Das städtische Subproletariat hat meist keine Organisationen, keine Vertreter, keine Stimme, die gehört wird, es hat keine wirtschaftlichen Druckmittel, um Forderungen durchzusetzen. Um sich Respekt oder einfach nur Aufmerksamkeit zu verschaffen, bleiben den Marginalisierten nur Zerstörungsakte oder Verkehrsblockaden. Zerstörungsakte richten sich entweder gegen Symbole der Macht (Regierungsgebäude, Polizei- und Armeefahrzeuge) oder gegen Symbole des Reichtums (Autos, Luxushotels). Politischer Druck konnte damit nicht aufgebaut werden, wenn sich andere gesellschaftliche Gruppen von diesem "Vandalismus" distanzieren, weil es ihnen schwer fällt, Aktionen der Marginalisierten in ihre eigene politische Strategie zu integrieren.
Dennoch schlossen sich in verschiedenen Ländern nach einigen Tagen oder Wochen organisierte Kräfte (soziale Verbände, Gewerkschaften, Parteien) dem unorganisierten Protest in folgenden Ländern an: Ägypten, Burkina Faso, Haiti, Kamerun, Mexiko.
Durch die gemeinsamen Aktionen von Organisierten mit Unorganisierten wurde die Konfliktlage in einem Land entschärft und befriedet (Kamerun, auch Senegal?), aber in vier Ländern wurde der Protest dadurch intensiviert und verstärkt: In Ägypten, Burkina Faso, Haiti und Mexiko.

Auf hauptsächlich organisierten Protest stützten sich die Bewegungen in Argentinien, in der Elfenbeinküste, in Indien und Indonesien. Als Folge dieser geplanten und organisierten Aktionen waren in diesen Ländern keine Toten und nur wenige Verletzte zu beklagen.


3. Die Protestaktionen

Die Aktionen spielten sich meist in den Städten und dort auf den Straßen ab.
Organisierter Protest begann meist in der Hauptstadt. Unorganisierte und spontane Aktionen startete auch in anderen Städten und sprang dann auf die Hauptstadt über.

Es gab Selbsthilfeaktionen wie Plünderungen von Geschäften (Ägypten, Burkina Faso, Haiti, Kamerun)
Es gab aktive Zerstörungshandlungen wie Verwüstung von Luxushotels und Abfackeln von Autos in Haiti und im Senegal.

Sehr häufig wurden die Straßen mit Barrikaden blockiert, teils um wirtschaftlichen Druck auszuüben (Argentinien, Peru, Mexiko, Burkina Faso, Marokko, Mosambik, Peru), teils um die bewaffnete Staatsmacht in ihrem Eingreifen zu behindern (Haiti, Honduras).

Wo bewaffnete Kräfte der Staatsmacht (Polizei, Armee) die Protestbewegung bekämpfte, wurde ihr gewaltsamer Widerstand, aber ohne tödliche Waffen, entgegengesetzt. Insgesamt sind bei der Protestbewegung mindestens 64 Menschen ums Leben gebracht worden (nach anderer Zählung waren es 131), davon zwei Vertreter der Staatsmacht. 325 Menschen wurden mit Verletzungen in Krankenhäuser eingeliefert.
Daneben gab es "klassische" Protestformen wie Streiks und Demonstrationen in Ägypten, Burkina Faso, Argentinien, Elfenbeinküste, Indonesien, Kamerun.
Über 12.000 Menschen wurden bisher im Zusammenhang mit der Lebensmittelkrise verhaftet und eingesperrt.
Als Reaktion auf die Proteste haben einige Regierungen mit Steuernachlässen auf Lebensmittel und mit Exportbeschränkungen ihrer heimischen Lebensmittelproduktion reagiert. Aber nirgends sind die Probleme aus der Welt geschafft. Mit weiteren Protesten in diesen und in weiteren Ländern ist zu rechnen.

4. Zu den Ursachen

Als Ursache der Lebensmittelkrise wird meist auf die Angebotspalette der weltweiten Landwirtschaft hingewiesen: aufwändige Fleisch- statt resourcenschonende Pflanzenkost, Mais für Benzin statt für Nahrung, teurer Weizen und Reis statt billige Kartoffeln, gesunde Biofood versus manipulierte Genfood usw.
In dieser Argumentation wird jedoch der Agrarweltmarkt als Faktum vorausgesetzt und akzeptiert.Denn bevor sich irgendwelche Preissteigerungen zum Beispiel durch amerikanische Biosprit- oder südamerikanische Fleischproduktion auf die Lebensmittelpreise in Afrika, Mittelamerika oder Asien auswirken können, mussten diese Länder erst einmal in das Netz des landwirtschaftlichen Weltmarkts hineingezogen werden.

Über Haitis Probleme schreibt Alexander King : "Haiti ist ein klassisches Opfer westlicher 'Politikberatung'. Es waren Weltbank und die US-amerikanische Entwicklungshilfeagentur USAID, die dem Karibikstaat in den 80er Jahren eine streng neoliberale Handels- und Wirtschaftspolitik aufgezwungen haben. .... 1986 Jahr trat ein neues Handelsrecht in Kraft, das die Importsteuern auf Nahrungsmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs drastisch senkte. Nach Ansicht der Weltbank wurde den Haitianerinnen und Haitianern so ein besserer Zugang zu günstigeren Nahrungsmitteln ermöglicht: Die Nahrungsmittelimporte sollten ansteigen, das Angebot vergrößert werden. Zugleich war klar, dass die massenhafte Einfuhr von preiswerten Waren, etwa Reis und Geflügel aus den USA, lokale Landwirtschaftsproduzenten verdrängen würde."

Über Indonesien schreibt ein attac-Newsletter : "Als Folge der asiatischen Finanzkrise von 1997 verfügte der internationale Währungsfonds (IWF) weit reichende Handelsliberalisierungen als Bedingung für einen Kredit über mehrere Milliarden Dollar an Indonesien. Diese Bedingungen hießen, Zollsenkungen und das Ende der Regulierungen durch das BULOG, der staatlichen Nahrungsmittel-Ankaufs- und Verteilungs-Agentur. Indonesien senkte die Einfuhrzölle unter 5%, auch für Grundnahrungsmittel aus eigener Produktion. Der Zoll für Sojabohnen und Reis wurde auf Null gesenkt, für Mais auf 5%. Die Folgen dieser Liberalisierung waren dramatisch. Importe überfluteten das Land. Über Nacht verdreifachten sich die Reis-Importe und stehen nun bei 3,5 Mio. Tonnen pro Jahr. Die Zuckerimporte schnellten von 20% des Inlandsverbrauchs auf 50% empor. Der Sojabohnenimport erreicht mindestens 50% des Inlandsverbrauchs. Am deutlichsten spürt man die Auswirkungen auf die Beschäftigung im ländlichen Bereich bei Soja. Gab es 1996 noch 5 Millionen heimische Soja-Produzenten waren es 2001 nur mehr 2,5 Millionen."

Auch wenn es nicht so geplant war, die Agenten der Globalisierung haben immer mehr Agrarländer nach dem Rezept der Drogenhändler in den Weltagrarmarkt gezogen.
Man lockt zunächst mit billigem "Stoff", und wenn die Konsumenten daran gewöhnt sind und keine anderen Bezugsquellen mehr haben, dann müssen sie kräftig löhnen. Das ist das Stadium, das jetzt auf dem Weltmarkt für Lebensmittel erreicht ist.

Aus der Grafik rechts auf der Übersichtskarte ("Weltmarktpreise 1991-2007) ist ablesbar, dass zwischen 1991 und 2001 die Weltmarktpreise für wichtige Lebensmittel stagnierten oder gar sanken. Erst seit 2005 beginnt der rasante Preisanstieg.
Man sieht auf der Länderliste "Teure Importe von Lebensmitteln" wie viel mehr arme Länder für Lebensmittelimporte bezahlen müssen.

Wal Buchenberg für Indymedia, 18.04.2008

http://de.indymedia.org/2008/04/213924.shtml



Es ist allerhöchste Zeit, Art. 1, Abs. 1 und Art. 20, Abs. 4, GG, Geltung und Wirkung zu verschaffen!


[editiert: 21.04.08, 08:34 von bjk]
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kopiert aus: http://www.jungewelt.de/2008/06-13/022.php



Wer die Nahrung kontrolliert ...

Handelsschranken, Subventionen, »grüne Gentechnik«, Spekulation: Die Ursachen für die weltweite Ernährungskrise sind menschengemacht – und damit behebbar

Von Annette Groth und Alexander King



»Ein geschichtsträchtiger Kampf ist im Gange, der am Ende stärker die Zukunft der Menschen auf dem Planeten bestimmen wird als die weitaus lauteren Kriege um Erdöl, der Terrorismus oder politische Ideologien. Es ist der Kampf darum, wer am Ende den Anbau, die Verarbeitung und Verteilung der Nahrungsmittel der Welt kontrolliert.« 1

Debbie Barker, stellvertretende Direktorin des International Forum on Globalization, San Francisco, USA


Die aktuellen Diskussionen über die Nahrungsmittelkrise und die Rolle der Landwirtschaft in den Ländern des Südens bergen eine große Chance für die Durchsetzung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaftspolitik. Allerdings ist auch die Gefahr groß, daß die kapitalistische, export­orientierte und konzerngesteuerte Agroindustrie mit einer umfassenden Umgestaltung und Unterwerfung der Landwirtschaft unter ihre Kontrolle und kapitalistischen Verwertungsbedingungen erfolgreich sein wird. Dazu gehört die Wiederbelebung der »grünen Revolution«, die in Afrika in den 1990er Jahren gescheitert war. Durch diese Strategie sollte die landwirtschaftliche Produktion in Entwicklungsländern durch neue Technologien und den verstärkten Einsatz von Pestiziden gesteigert werden. Ihr Erfolg war zwar zunächst eine Ertragssteigerung, hatte aber mittel- und längerfristig negative Auswirkungen wie die Verseuchung der Böden durch Pestizide, die Verbreitung von Monokulturen und eine Konzentration von Landbesitz.

Ein wesentlicher Grund für den Mißerfolg der »grünen Revolution« war damals der Rückgang öffentlicher Gelder sowie der Entwicklungshilfe für den landwirtschaftlichen Sektor, nachdem dieser nicht mehr als Kernbereich einer armutsorientierten Wachstumsstrategie angesehen worden war. Die landwirtschaftliche Förderung konzentrierte sich statt dessen immer stärker auf den Anbau von Exportwaren wie Kaffee, Kakao, später auf Schnittblumen und Obst und andere Produkte mit angeblichen »Standortvorteilen«.

Zugleich trieben Lebensmittelimporte aus den USA und der EU, verbilligt durch Subventionen und den erzwungenen Abbau von Schutzzöllen, viele einheimische landwirtschaftliche Betriebe in den Bankrott und schienen sie überflüssig zu machen. So fanden sich diverse afrikanische Länder in einem Teufelskreis wieder: Die Förderung des Landwirtschaftssektors und der Anbau von Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung gingen rapide zurück; sinkende Weltmarktpreise, auch durch das Auslaufen internationaler Verträge wie dem Kaffeeabkommen, reduzierten die Einkommen. Das Beispiel Kenia zeigt das Ausmaß dieser Fehlentwicklung: Während dort mit Unterstützung durch die internationalen Geber – auch Deutschland – eine boomende, ausfuhrorientierte Agrarwirtschaft (Blumen als Exportschlager!) aufgebaut wurde, kommt es in dem Land zugleich regelmäßig zu Hungerkatastrophen (wie zuletzt 2006), weil die eigene Bevölkerung aus der einheimischen Produktion nicht mehr ernährt werden kann. Bis in die 1980er Jahre versorgte sich Kenia wie viele andere Länder mit Grundnahrungsmitteln selbst, heute importiert es 80 Prozent seiner Lebensmittel.

Ungerechte Handelsabkommen und Agrarexportsubventionen sind maßgeblich für die zunehmende Armut und den Hunger sowie für die Zerstörung der Märkte der Entwicklungsländer verantwortlich. »Hähnchen des Todes« werden die aus Europa importierten Hühnerteile in Kamerun genannt, zum einen, weil sie vielfach halb aufgetaut und dadurch oft mit Salmonellen und anderen Erregern infiziert sind, vor allem jedoch, weil sie mit ihren niedrigen Preisen einheimische Geflügelzüchter in den Ruin treiben. Eine ähnliche Katastrophe zeichnet sich für Tausende Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in etlichen afrikanischen Ländern ab, die von Geflügel- auf Schweineaufzucht umgestiegen sind und seit Anfang des Jahres mit billigem Schweinefleisch aus der EU konkurrieren müssen. Im Dezember 2007 hatte die EU klammheimlich Agrarexportsubventionen von bis zu 0,54 Euro pro Kilo für EU-Schweinefleisch beschlossen.

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) errechnete, daß den Staaten Afrikas jährlich 700 Milliarden US-Dollar an Exporteinnahmen durch den Protektionismus der EU in Form von (Agrar-) Subventionen, nicht-tarifären Handelshemmnissen und Schutzzöllen verlorengehen.

Wenn die EU und ihre Mitgliedsländer die Landwirtschaft in Afrika fördern und den Hunger effektiv bekämpfen wollen, müssen sie die Subventionen sofort streichen und einer Außerkraftsetzung der Interims-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zustimmen, die viele AKP-Länder (Afrika, Karibik, Pazifik) unter großem Druck des EU-Handelskommissars Ende 2007 unterzeichnet haben. Die Annullierung dieser Freihandelsabkommen, die die AKP-Staaten zu einer drastischen Zollsenkung für Importwaren und zu einer weiteren Marktöffnung, nicht nur für Industrie- und Agrarprodukte, sondern auch für Investitionen, Dienstleistungen und das öffentliche Beschaffungswesen zwingen, fordern inzwischen etliche Regierungen und der Afrikanische Gewerkschaftsbund. Die WPAs würden die »Entwicklung im gesamten Süden untergraben«, warnen Studien. Eine der schärfsten Kritikerinnen der »Partnerschaftsabkommen« ist Aminata Traore, ehemalige Kulturministerin Malis, die die WPAs folgendermaßen charakterisiert: »Europa verlangt von uns Wettbewerbsfähigkeit, aber mit China erfährt es Wettbewerbsfähigkeit am eigenen Leib und kriegt die Panik. Europa schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwagen, seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere Handwerker und Bauern unter. Jetzt schickt China seine Produkte nach Europa, und zwar nicht einmal Reste, sondern saubere, wettbewerbsfähige Waren. Und was tut Europa? Es diskutiert Zölle. Also sage ich: Auch Afrika darf sich schützen. Europa kann doch nicht vor China Panik kriegen und zugleich von Afrika Öffnung verlangen. (…) Für uns sind diese Abkommen die Massenvernichtungswaffen Europas«. (taz-Interview, Juli 2005)

Das Tor zur Gentechnik

Den Vorschlag, die gescheiterte afrikanische »grüne Revolution« wiederzubeleben, präsentierte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im Juli 2004. Im September 2006 gründete die Bill&Melinda-Gates-Stiftung zusammen mit der Rockefeller-Stiftung eine »Allianz für eine grüne Revolution in Afrika«, und auch Jacques Diouf, Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO, rief zu ihrer Unterstützung auf. Schwerpunkt dieser »Revolution« ist PASS, das Program for Africa’s Seed Systems, ein Programm für nationale und internationale Agrarforschungszentren, die innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens 200 neue Saatgutsorten züchten sollen. In Kooperation mit Agrarkonzernen wie Monsanto sollen dabei auch »die vielversprechenden Möglichkeiten in der Biotechnologie« genutzt werden.

Wie groß die Gefahr ist, daß auch jetzt die Nahrungsmittelkrise wieder für die Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut und Nahrungsmitteln (GVOs) ausgenutzt werden kann, zeigt der Appell des amtierenden UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon vom April 2008. Wie sein Vorgänger propagiert er die Verwendung von genmanipuliertem Saatgut, weil es angeblich höhere Erträge garantiert. Damit macht sich die UNO zum Erfüllungsgehilfen von Agrarkonzernen, die genau dieses Ziel verfolgen: eine größtmögliche Verbreitung von GVOs. Generell gilt: »Die Akzeptanz von Biotech ist heutzutage oft eine Vorbedingung, um Hilfsgelder zu erhalten«, so Johnson Ekpere, Professor für Biotechnologie, Nigeria.

Schon während der Nahrungsmittelkrise 2002 im südlichen Afrika wurde um die Einführung der Gentechnik gestritten. Damals wollten die USA 500000 Tonnen Mais an Malawi, Moçambique, Sambia und Simbabwe liefern. Die Regierungen weigerten sich damals, das Geschenk anzunehmen, weil es auch Genmais enthalten sollte. Weltbank und IWF zwangen Malawi regelrecht, seine großen Maisvorräte zur Schuldentilgung zu verkaufen. Bereits 2001, als sich die Nahrungsmittelkrise abzeichnete, hatte das Land die Maisvorräte angelegt, um deren Folgen abzumildern. Ähnlich wie heute kauften Spekulanten die Vorräte billig auf und verkauften sie später zu hohen Preisen. Der damalige Direktor des IWF, Horst Köhler, und die Weltbank schoben sich seinerzeit gegenseitig die Schuld für den malawischen »Zwangsverkauf« zu. Während der Krise verlangten IWF und Weltbank von der malawischen Regierung die Streichung aller Subventionen für Nahrungsmittel und Landwirtschaft als Bedingung für Entwicklungs- und Hilfsprogramme mit dem Argument, der Markt solle die Nahrungsmittelpreise bestimmen. Wie fiele wohl die Reaktion in Deutschland aus, wenn der Bundespräsident heute alle Streichungen von Subventionen verlangen würde?

Wie erfolgreich der vor einigen Jahren begonnene »Genkreuzzug« in Afrika ist, zeigt sich bei der Baumwolle: Nach Burkina Faso hat auch Mali, größter Baumwollproduzent Afrikas, ein Fünfjahresprogramm gestartet, um GVOs einzuführen. Federführend sind hier die Agrarkonzerne Monsanto und Syngenta sowie die US-Entwicklungshilfeagentur USAID. Kommentar des ehemaligen Vorsitzenden der UN-Hunger-Task-Force und GVO-Lobbyisten Pedro Sanchez: »Transgene Pflanzen werden inzwischen in Afrika akzeptiert. Ich bin überzeugt, daß der Kampf gewonnen ist.«

Auch in Südafrika waren die Genlobbyisten sehr erfolgreich: Importeure von Genweizen brauchen keine gesonderte Importlizenz mehr, wenn sie ein Genprodukt, das in den USA zugelassen ist, importieren. »In immer mehr Ländern sehen wir die Einführung von Gesetzen und Verfahren, die gentechnisch veränderten Pflanzen den Weg ebnen, selbst wenn Regierungen ihre Sorge um die biologische Sicherheit und das Festhalten am Cartagena-Protokoll beteuern. In Lateinamerika werden diese Gesetze ›Monsanto-Gesetze‹ genannt«, so der nigerianische Professor für Biotechnologie Johnson Ekpere.

Die Argumente für die angeblichen Vorteile von gentechnisch veränderten Agrarprodukten sind leicht zu widerlegen: Gennahrungsmittel sind nicht billiger, im Gegenteil, Genmais ist in den USA ein Drittel teurer als konventioneller, bei etlichen Genpflanzen muß der Einsatz von Agrarchemie gesteigert werden, weil Schädlinge resistent werden; auch der Ertrag wird vielfach nicht gesteigert. Selbst die Forscher des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag kommen zu dem Schluß, daß ein Nutzen von GVOs nicht erwiesen ist.

Es geht also beim Einsatz der Gentechnik vor allem darum, den Nahrungsmittelmarkt zu beherrschen, wie ein ehemaliger Mitarbeiter von Monsanto einmal verlauten ließ: »Monsanto will die Weltherrschaft über alle Nahrungsmittel«. Schon in den 1970er Jahren erklärte der einflußreiche US-Politiker Henry Kissinger (1969–75 »Sicherheitsberater«, 1973–77 Außenminister): »Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren; wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen.«

Schon heute beherrschen nur fünf Konzerne 90 Prozent des Weltgetreidemarktes, allein die beiden Marktführer Cargill und ADM kontrollieren 65 Prozent des weltweiten Handels. Jetzt drängen auch die globalen Supermarktketten wie Carrefour, Metro, Wal-Mart, Ahold und Tesco auf den Nahrungsmittelmarkt; sie schalten zunehmend kleine Zwischen- und Einzelhändler aus und setzen damit auch die Produzenten unter Druck, die für ihre Produkte immer weniger erhalten. In Indien gibt es bereits eine große Protestbewegung gegen diese Versuche der Marktbeherrschung, weil durch die Supermarktketten zehn Millionen Einzel- und Zwischenhändler ihr Einkommen verlieren könnten.

Die Neuauflage der »grünen Revolution« ist eine reale Bedrohung für den informellen Saatgutsektor der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, der bislang noch 80 bis 90 Prozent des weltweiten Bedarfs abdeckt. Saatgut wird untereinander getauscht oder auf informellen Saatgutmärkten billig eingekauft. Dieses für alle zugängliche und billige System der Saatgutnutzung soll durch ein formelles Vertriebssystem, kontrolliert und gesteuert durch multinationale Konzerne, ersetzt werden. Damit werden die Bäuerinnen und Bauern abhängig von industriellem Saatgut, das zudem auch der Verbreitung von gentechnisch veränderten Pflanzen dient.

Der Aufruf zu einer »grünen Revolution in Afrika« ist der Versuch, die Bereiche von Afrikas Landwirtschaft, die noch nicht vollständig in die globale Wertschöpfungskette integriert sind, den Verwertungsbedingungen des kapitalistischen Weltmarkts zu unterwerfen.

Lebensmittel für den Tank

Zur Nahrungsmittelkrise haben auch die Agrartreibstoffe beigetragen. Zwar sind sie nicht allein für die Teuerungsraten verantwortlich, aber laut Schätzungen sind 30 bis 70 Prozent der Preissteigerungen für Nahrungsmittel auf den verstärkten Anbau und die Verwendung von Pflanzen zur Herstellung von Kraftstoffen zurückzuführen.

Trotz wachsender Kritik an der Förderung von Agrartreibstoffen von seiten der Weltbank, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der europäischen Energieagentur und insbesondere von zahlreichen Entwicklungshilfeorganisationen sowie von Zivilgesellschaften des Südens hält die EU weiterhin an der Förderung dieses Kraftstoffes fest. Allerdings sollen die Subventionen auslaufen, und die EU-Umweltminister wollen in Zukunft nur solche Agrarkraftstoffe erlauben, für die kein Regenwald gerodet wurde. Zudem soll Biokraftstoff künftig statt aus Mais oder Rüben aus Klärschlamm oder anderen organischen Abfällen gewonnen werden, um so einen Mangel an Nahrungsmitteln und infolgedessen höhere Lebensmittelpreise zu verhindern. Darüber hinaus will die EU-Kommission nur solche Kraftstoffe zulassen, die von der Produktion bis zum Verbrauch mindestens 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen als fossile Energieträger.

Ob diese Auflagen überhaupt implementiert und effektiv überwacht werden können, ist sehr zweifelhaft. Die drei kirchlichen Entwicklungshilfeorganisationen Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) und Misereor betonen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zu einer parlamentarischen Anhörung über das Für und Wider von »Biomasse« im Februar 2008, daß es in »vielen Ländern keine effektive, kontrollierbare und durchsetzbare Flächennutzungspolitik gibt, die die Einhaltung sozialer oder ökologischer Standards garantieren könnte«. Für die kirchlichen Hilfswerke bergen »das größte Potential für die Armuts- und Hungerbekämpfung nicht Monokulturen und genmanipulierte Energiepflanzen, sondern Mischanbau, Artenvielfalt und angepaßte Landsorten«.

Großer Widerstand gegen den Anbau von Agrartreibstoffen kommt insbesondere von Vertretern zahlreicher Organisationen in den Ländern des Südens. Sie betonen, daß die Folgen des wachsenden Exports biogener Kraftstoffe nicht nur eine zunehmende Abholzung von Regenwäldern, eine strukturarme, intensiv bewirtschaftete Monokultur und steigender Wassermangel sind. Insbesondere geht er einher mit der gewaltsamen Vertreibung von Kleinbauern bzw. indigenen Völkern von ihrem Land, das für die Produktion von Zuckerrohr oder Ölpalmen zur Herstellung von Agrokraftstoffen genutzt wird.

Spekulationsobjekt Nahrung

Zusätzlich angeheizt wird die Nahrungsmittelknappheit und -verteuerung durch Börsenspekulation. US-amerikanische und europäische Pensionskassen legen ihre Gelder in Rohstoffen an, wozu neben Öl auch Nahrungsmittel wie Soja, Weizen oder Mais gehören. Je höher die Preise, desto höher die Profite für die Anleger. Durch den virtuellen Aufkauf von Rohstoffen sind die Preise an den Rohstoffmärkten um etwa 20 Prozent gestiegen. Und diese Preisspirale könnte sich noch weiter nach oben drehen, wie gegenwärtig beim Öl zu beobachten ist. Jede Woche fließen ein bis zwei Milliarden US-Dollar neu in Rohstoffe. Um die komplette Getreideernte der USA aufzukaufen, braucht es nach Schätzungen nur 120 Milliarden Dollar – ein kleiner Betrag für die Börsianer am Devisenmarkt, auf dem täglich etwa 3 000 Milliarden Dollar bewegt werden. Das Spekulieren mit Nahrungsmitteln ist ein Verbrechen und sollte verboten werden. Die indische Regierung hat dies erkannt und bereits Anfang 2007 alle Terminkontrakte auf Weizen, Reis, eine Bohnensorte und Straucherbsen untersagt. Dieses Verbot wurde kürzlich auf Sojaöl, Kartoffeln und Kautschuk ausgeweitet.

In seinem im April veröffentlichten Bericht fordert der Weltagrarrat IAASTD einen Paradigmenwechsel: Statt der industriellen, exportorientierten Agroindustrie müssen im Mittelpunkt der Landwirtschaftsförderung Kleinbäuerinnen und Kleinbauern stehen; angepaßte Technologien, eine gerechte Land- und Ressourcenverteilung sowie ein verbesserter Zugang zu Bildung und Krediten sollen Schwerpunkte ländlicher Förderung sein. Die in kleinbäuerlichen Betrieben erzielbare Ertragssteigerung liegt ein Vielfaches über den Möglichkeiten industrieller Landwirtschaft und kann die Ernährung von neun Milliarden Menschen sichern, betont der IASSTD. Maßgeblich sind dabei insbesondere Fördermaßnahmen für Frauen, die fast einem Drittel aller ländlichen Haushalte in Afrika südlich der Sahara vorstehen. Frauen sind maßgeblich in der Nahrungsmittelproduktion sowie im Handel mit Agrarprodukten tätig und folglich auch von der Zerstörung der lokalen Märkte durch Importwaren am meisten betroffen.

Nur eine radikale Kehrtwende in der Agrarpolitik und die Beseitigung der oben genannten Hemmnisse wie ungerechte Freihandelsabkommen und Agrar(export-)subventionen können den Hunger in der Welt besiegen. Dazu gehört auch die Stärkung des traditionellen Gewohnheitsrechts (customary rights) auf Land und Wasser. Im Zuge der Entstaatlichung und Liberalisierung wurde Land, das sich traditionell in Gemeinschaftsbesitz befand und dessen Nutzung zwischen Bauern und Bäuerinnen auf der einen und Nomaden/Pastoralisten (Viehhaltern) auf der anderen Seite geregelt war, privatisiert. Durch die zunehmende Kommerzialisierung von Landbesitz für industrielle Nahrungsmittelproduktion und Agrarenergie, für private Wildparks und andere touristische Einrichtungen oder als Akkumulationsstrategie für nationale Eliten wurden insbesondere schwache gesellschaftliche Gruppen wie Frauen, Jugendliche oder Pastoralisten verdrängt. Um ihnen wieder einen rechtlich abgesicherten Zugang zu Land und anderen Ressourcen zu geben, setzen sich einige nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisationen für die Weiterentwicklung des traditionellen Gewohnheitsrechts ein. Dies wäre eine wichtige Maßnahme zur Verhinderung von Landraub, d.h. der Vertreibung von Menschen von ihrem Land durch nationale Eliten und/oder ausländische Konzerne sowie der zunehmenden Spekulation mit Land.

Fazit: Es gilt, den Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft und eine sozial und ökologisch nachhaltige Landwirtschaftspolitik durchzusetzen. Die vielbeschworene Produktivitätssteigerung wird ein Ergebnis dieser Politik sein.


1 zit. n. Debbie Barker, »The Rise and Predictable Fall of Globalised Industrial Agriculture. A Report from the International Forum on Globalization«, San Francisco 2007, S. 1

Annette Groth ist entwicklungspolitische Referentin der Bundestagsfraktion Die Linke, Alexander King ist Mitarbeiter von MdB Heike Hänsel (Die Linke)



Es ist allerhöchste Zeit, Art. 1, Abs. 1 und Art. 20, Abs. 4, GG, Geltung und Wirkung zu verschaffen!
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New PostErstellt: 01.02.14, 17:59  Betreff:  Heimliche Vorbereitung des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens, abgekürzt TTIP  drucken  weiterempfehlen

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Hans Fricke                                                                                            01.Februar 2014


Die „Neue Weltordnung“



Dass der Bevölkerung die Vorbereitung von Entscheidungen der Bundesregierung mit weitreichenden Folgen für Demokratie, soziale Sicherheit, Frieden, persönliche Freiheiten und Lebensqualität verheimlicht werden, sind wir seit Jahrzehnten gewohnt.

Was allerdings gegenwärtig mit der heimlichen Vorbereitung des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens, abgekürzt TTIP, geschieht, stellt alles bisher Dagewesene weit in den Schatten.

Hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt die Europäische Union seit Juli über ein Abkommen, um „Handelshemmnisse“ dies- und jenseits des Atlantiks abzubauen, für das die US-Rechtsanwältin und Direktorin von Public Citizen, der größten Verbraucherschutzorganisation der Welt, Lori Wallach, zutreffendere Bezeichnungen wählt.

In ihrem 10seitigen Beitrag in „Le Monde“, Ausgabe 08.11.2013, nennt sie die geplante transatlantische Freihandelszone TAFTA: „Die große Unterwerfung“, „Staatsstreich in Zeitlupe“ und „Wirtschafts-Nato“. In Ermanglung von zuverlässigen Informationen über den Inhalt des Abkommens stützen sich die folgenden Angaben vorwiegend auf ihren Beitrag.

Bereits vor fünfzehn Jahren versuchten Großunternehmen bei den Verhandlungen über das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) ihre Macht heimlich still und leise in unvorstellbarem Maße auszuweiten.

Damals scheiterte das Projekt am hartnäckigen Widerstand der Öffentlichkeit und der Parlamente. Damit wurde unter anderem verhindert, dass sich einzelne Konzerne denselben Rechtsstatus wie Nationalstaaten verschaffen konnten. Das hätte etwa bedeutet, dass Unternehmen eine Regierung verklagen können, „entgangene Gewinne“ aus Steuergeldern auszugleichen. Jetzt aber kommen diese Pläne erneut auf den Tisch, und zwar in deutlich verschärfter Fassung.

Weil die global operierenden US-Konzerne ein ähnliches Abkommen für den pazifischen Raum anstreben, würde die Menschheit auf ein System zusteuern, das die Herrschaft der mächtigsten Kapitalgruppen über den Großteil der Welt zementiert und juristisch absichert.

Was Präsident Obama den Amerikanern als Regelwerk für die Weltwirtschaft auf der Höhe des 21.Jahrhunderts verkaufen will, läuft darauf hinaus, dass die von den sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts  durchgesetzten Fortschritte großenteils wieder rückgängig gemacht werden.

Die Ergebnisse der Verhandlungen sickern – wenn überhaupt – nur sehr dürftig nach außen. Damit soll gewährleistet werden, dass jenseits des geschlossenen Zirkels der „Handelspolitiker“ niemand beizeiten mitbekommt, über welche Ungeheuerlichkeiten verhandelt wird. Andererseits   haben 600 offizielle Berater der Großkonzerne privilegierten Zugang zu den Dokumenten  und zu den Entscheidungsträgern. Textentwürfe werden nicht veröffentlicht, die Öffentlichkeit und die Presse werden außen vor gelassen, bis der endgültige Deal unter Dach und Fach ist.

Die Folgen eines solchen Abkommens hätten fundamentale Auswirkungen auf unsere Verbraucherschutz- und Gesundheitsstandards, unsere Klima- und Umweltschutzauflagen, auf unsere Landwirtschaft sowie auf viele andere Bereiche.

Wir brauchen keine geheimen Verhandlungen und Abkommen, die zur Folge hätten, dass mit Chlor desinfizierte Hühnchen, Klon-oder Hormonfleisch, Milch von genmanipulierten Turbokühen oder gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen völlig legal per Import aus den USA auf unseren Tellern landen können. Auch eine Kennzeichnungspflicht für genmanipulierte Lebensmittel würde als „Handelshemmnis“ dem Freihandel zum Opfer fallen.

Zulassungen von genmanipulierten Pflanzen und Tieren würden nach US-amerikanischen Recht noch schneller und völlig ohne Risikobewertung vonstatten gehen. Dumpingpreise für landwirtschaftliche Produkte aus der industriellen Landwirtschaft in den USA würden die kleinbäuerlichen Strukturen in Europa endgültig ruinieren.

Am 18.Januar 2014 demonstrierten 30 000 Menschen gegen die „Segnungen“ der modernen Agrarindustrie: Megaställe, Monokulturen, Gentechnik und vieles mehr. Die Demonstranten forderten eine radikale Wende in der Agrarpolitik, weg von der industriellen Nahrungsmittelerzeugung, hin zu kleinbäuerlichen und ökologischen Strukturen. In diesem Wechsel liegt der Schlüssel zu einer nachhaltigen, gesunden und vor allem gerechten Welternährung. Mehr als 100 Organisationen unterstützten die Demo, darunter auch das Umweltinstitut München e.V..

Es ist bedauerlich, wenn auch nicht überraschend, dass die große Koalition das schwarz-gelbe „Jain“ zur Gentechnik fortsetzt und zulässt, dass die genmanipulierte Maissorte 1507 der Firma Pioneer auf die europäischen Felder kommt.

Am 11. Februar soll der europäische Ministerrat über die Zulassung der neuen Maissorte beraten. Der Mais ist gentechnisch so verändert, dass er ein Insektengift produziert und gegen das Totalherbizit Glufosinat resistent ist. Die EU-Kommission und die keineswegs unabhängige Aufsichtsbehörde ESFA wollen den Mais zulassen, obwohl Glufosinat in der EU ab 2017 nicht mehr genutzt werden darf, weil es fruchtbarkeitsschädigend und krebserregend ist.

Ein klares „Nein“ der  deutschen Bundesregierung im Ministerrat würde die Zulassung der Maissorte verhindern. Laut Umweltministerin Hendricks wird sich Deutschland in Brüssel aber „kraftvoll enthalten“. Die Entscheidung der Koalition, im Ministerrat nicht mit „Nein“ zu stimmen, kommt daher einem „Ja“ zur Gentechnik gleich. Damit tritt die Bundesregierung in die Fußtapfen ihrer Vorgängerinnen, die die Zulassung zahlreicher Genpflanzen in der EU zu verantworten haben. Das Umweltinstitut München e.V. weist schon seit langem darauf hin, dass lediglich multinationale Konzerne von der umstrittenen Technologie profitieren.

Für die Heimlichtuerei bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP gibt es laut Lori Wallach einen einfachen Grund: „Ein solches Abkommen würde die nationalen Regierungen bis hinunter zu den Kommunalverwaltungen verpflichten, ihre aktuelle und künftige Innenpolitik dem umfangreichen Regelwerk anzupassen. In diesem Abkommen wären auf diplomatischer Ebene ausgehandelte Gesetzesvorgaben festgeschrieben, die nach dem Wunsch der Unternehmen auch viele nicht handelsbezogene Bereiche beträfen: etwa die Sicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Grenzwerte chemischer und toxischer Belastung, das Gesundheitswesen und die Arzneimittelpraxis, das Recht auf Privatsphäre im Internet, Energieversorgung und kulturelle ' Dienstleistungen', Patente und Urheberrechte, die Nutzung von Land und Rohstoffen, die Rechte und die Arbeitsmöglichkeiten von Immigranten, die öffentliche Auftragsvergabe und vieles andere mehr.

Die Unterzeichnerstaaten müssten gewährleisten, dass ihre Gesetze, Regelwerke und administrative Verfahren die im Abkommen vereinbarten Vorgaben einhalten. Im Zweifel würden sie dazu gezwungen. Bei etwaigen Verstößen gegen den Vertrag müsste sich der jeweilige Staat einem Schlichtungsverfahren unterwerfen, wonach das renitente Land mit Handelssanktionen belegt werden kann.

Wenn das  TTIP-Tafta-Projekt zustande käme, könnte jeder beliebige Investor, der in einem der beteiligten Länder engagiert ist, alle 'nicht handelsbezogenen' Bestimmungen unter Beschuss nehmen. Allein dies macht das TTIP-Projekt zu einer Bedrohung von völlig neuen Dimensionen. Und da jede nachträgliche Vertragsänderung der Zustimmung sämtlicher Signatarstaaten bedarf, wären die reaktionären Inhalte des Abkommens durch demokratische Kontrollmechanismen wie Wahlen, politische Kampagnen und öffentliche Protestaktionen nicht mehr angreifbar.“

Die  Krönung des Ganzen, die einem „Ding aus dem Tollhaus“ ähnelt, wäre die Rolle des Schiedsgerichts. Sie soll es einzelnen Konzernen ermöglichen, einem Staat gewissermaßen auf Augenhöhe entgegenzutreten. Die dreiköpfigen Kammern wären unter Aufsicht der Weltbank und der UNO organisiert, bestünden aus drei Juristen, die normalerweise für den privaten Sektor arbeiten und könnten staatliche Entschädigungszahlungen anordnen, wenn sie befinden, dass die Politik oder bestimmte Maßnahmen einer Regierung die „erwarteten künftigen Profite“ eines Unternehmens schmälern. Eine Berufungsmöglichkeit gegen ihre Entscheidungen gibt es nicht.

Dieses Schlichtungsregime, das nur kranken Hirnen entsprungen sein kann, macht klar, dass die Rechte von Unternehmen höherwertig sein sollen als die Souveränität von Staaten. Es würde Unternehmen ermächtigen, die Regierungen der USA oder eines EU-Staates vor ein außergerichtliches Tribunal zu zerren, und zwar mit dem Argument, dass die Gesundheits- , Finanz-,  Umwelt- oder sonstige Politik dieser Regierung ihre Investorenrechte beeinträchtigt.

Man stelle sich einmal folgendes vor: Im TTIP vereinbart die EU mit den USA die Klagerechte der Investoren vor privaten Schiedsgerichten. Dann beschließt der deutsche Bundestag nach großem Getöse endlich den angekündigten Mindestlohn von 8,50 Euro.Und schon können Investoren den Mindestlohn wegklagen, weil er ihre Profite in den deutschen Niederlassungen oder geplanten Großprojekten einschränkt.

Dieses System extremer Begünstigung der Unternehmerinteressen, wurde bereits in  mehreren „Freihandelsabkommen“ der USA verankert. Dadurch flossen mehr als 400 Millionen Dollar an Steuergeldern an Unternehmen, die gegen „investitionsfeindliche“ Regelungen geklagt hatten. Vor diesen Tribunalen sind derzeit Klagen von Unternehmen mit einem Streitwert von 14 Milliarden Dollar anhängig.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall will von Deutschland wegen der einschränkenden Bestimmungen für Kohlekraftwerke und der schrittweisen Stilllegung von Atomkraftwerken eine Entschädigung in Milliardenhöhe eintreiben.

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA hat wenig mit freiem Handel zu tun, denn zwischen EU und USA spielen Zölle so gut wie keine Rolle. Jetzt geht es um Investitionen, genauer gesagt um die Abschaffung von sogenannten Investitionshemmnissen, um Ausbau und Festigung der Macht multinationaler Konzerne, die gleichzeitig einen massiven Angriff auf Arbeiterrechte darstellen. Bisher unbeachtet drohen auch für abhängig Beschäftigte, Rentner und Erwerbslose erhebliche Gefahren. Selbst die Gewerkschaften haben bisher noch nicht klar genug auf diese Gefahren aufmerksam gemacht.

Die EU hatte im November 2013 zu einem Geheimtreffen in Brüssel eingeladen, bei dem die Mitgliedstaaten auf eine einheitliche Propaganda für das Freihandelsabkommen mit den USA eingeschworen werden sollten. Die EU verlangt, dass „alle mit einer Stimme sprechen“. Das Abkommen sei geheim, die Öffentlichkeit soll ausschließlich über die Vorteile  des TTIP informiert werden.

In „Deutsche Wirtschafts Nachrichten“ vom 29.11.2013 heißt es dazu unter anderem:

Das geplante Freihandels-Abkommen sei aus der Sicht der EU ein erster Schritt zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Es solle alle regulatorischen Fragen neu regeln.
Das Abkommen sehe weitreichende Einschränkungen der nationalen Souveränität in Europa und insbesondere eine erhebliche Ausschaltung der ordentlichen Gerichtsbarkeit in den EU-Staaten vor.
Die EU wolle offenbar sichergehen, dass negative Berichterstattung über TTIP im Keim erstickt wird und vor allem verhindern, dass es während der geheimen Verhandlungen Störfeuer aus der Öffentlichkeit gibt.

Deshalb definiere die EU für ihren Propaganda-Feldzug mehrere Kampfzonen:
-Geheimhaltung der Details der Verhandlungen.
-Positive Berichte in den Medien.
-Überwachung der Kritiker.
-Befeuerung durch Propaganda und
-Europäisches Parlament an die Leine.

Immerhin räume die EU-Kommission ein, dass es sich bei TTIP um die weitreichendste Veränderung der Gesellschaften in Europa seit langem handele – um den  ersten Schritt zur Neuen Weltordnung. Sie wisse, dass die „Breite der Themen, die diskutiert werden, viel breitere Elemente der politischen Willensbildung enthalten, als dies bei einem traditionellen Handelsabkommen der Fall sei“. Dies ist offenbar die „Neue Weltordnung“, wie die EU sie sich vorstellt: Hinterzimmer-Politik mit den Lobbyisten, Propaganda für die Bürger.

Es ist gewiss kein Zufall, dass rechtzeitig zu den Europawahlen Joschka Fischer, der Mitbegründer von David Rockefellers „European Concil on Foreign Relations“, und Alexander Graf Lambsdorff die Vereinigten Staaten von Europa und damit die Abschaffung des Nationalstaates fordern. Dabei sollen verschwurbelte Begriffe wie „Global Governance“ oder „Neue Weltordnung“ das aus dieser Abschaffung logisch abzuleitende Ziel einer „Weltregierung“ verschleiern.

Der eigentliche Skandal ist, dass der  Berliner Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierungskoalition ausdrücklich auf einen  „erfolgreichen Abschluss“ der transatlantischen Verhandlungen zielt und sich im Vertrag darauf geeinigt hat, die Unterzeichnung von TTIP „voranzutreiben“. In ihrer Erklärung  heißt es:
„Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA ist eines der zentralen Projekte zur Vertiefung der transatlantischen Beziehungen. Wir wollen, dass die Verhandlungen erfolgreich zum Abschluss geführt werden, ohne im Vertrag parlamentarische Kontrolle und gerichtlichen Schutz in Frage zu stellen. Unser Ziel ist dabei, bestehende Hindernisse in den transatlantischen Handels- und Investitionsbeziehungen so umfassend wie möglich abzubauen.
Die Zulassung begründeter Ausnahmen muss für jeden Vertragsteil Teil des Abkommens sein. Wir werden auf die Sicherung der Schutzstandards der Europäischen Union insbesondere im Bereich des Datenschutzes, der europäischen Sozial-, Umwelt- und Lebensmittelstandards sowie auf den Schutz von Verbraucherrechten und öffentlicher Daseinsfürsorge sowie von Kultur und Medien Wert legen.“

„Deutsche Wirtschafts Nachrichten“ lassen keinen Zweifel daran, was von diesen Beruhigungspillen für die noch immer weitgehend ahnungslose Bevölkerung zu halten ist:
„Dieser Text ist, so abwägend er erscheint, die Unterwerfung Deutschlands unter die Neue Weltordnung, in der nicht demokratisch legitimierte Wirtschafts- und Finanz-Eliten darüber bestimmen, was für die öffentliche und private ' Daseinsfürsorge' notwendig ist.
Gabriel und Merkel haben bereits kapituliert, weil sie als höchstes der Gefühle die Zulassung begründeter Ausnahmen erbitten.
Gabriel und Merkel lösen die Eintrittskarte in die Hölle.
Als Erfolg werden sie den Bürgern verkaufen, dass nicht alle im großen Topf gekocht werden, sondern einige im Wok.“

„Viertaktbolide“ sagte im Kommentar vom 24.01.2014 dazu:
„Das Freihandelsabkommen ist eine noch größere Verschwörung als 9/11. Dieses Abkommen darf nie in Kraft treten. Wir Europäer wollen/brauchen die amerikanische Finanzoligarchie nicht.
Die wollen uns Europäer ausplündern ! Es geht ja nicht nur um Gen-Fressen, sondern auch um Fracking, sonderbare Schiedsgerichte und, und und. Diesen Mist wollen wir Europäer nicht.
Wir Europäer werden von der Finanzoligarchie regiert und von den Politzwergen verwaltet.
Goldmann Sachs lässt grüßen. Unsere Politzwerge sind anscheinend durch und durch korrupt.
Ich selber habe die Erfahrung in mehreren Blogs gemacht, dass irgendwelche obskuren Gestalten mir doch tatsächlich einreden wollten, dass besagtes Abkommen nur zu unserem Besten wäre – aber nicht mit mir ! Die Geheimhaltung ist ein Angriff auf unsere demokratischen Grundrechte. Die Entscheidung darüber sollte, wenn überhaupt, in einer Volksbefragung in ganz Europa getroffen werden.
Europäischer Stabilitätsmechanismus (Kurz ESM): Geheim; Autobahnbau (Behelfsflugplätze: Geheim; Freihandelsabkommen (TTIP): Geheim. Ich nenne so etwas ' Staatsterrorismus ' im Namen einer Finanzdiktatur.“

Und „Webjockel“meinte im Kommentar:
„Wir sind eindeutig in die Hände eines Gangster-Syndikats gefallen. Brüssel ist die Zentrale. Dass Amerika von der organisierten Kriminalität regiert wird, war ja schon lange kein Geheimnis mehr. Hier ging es erst mit der Einführung des Euros so richtig los.“
(http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/11/28/geheimtreffen-eu-schwoert-staa...)

Da das Abkommen bereits 2015 verabschiedet werden soll, ist bei der Organisation eines breiten und wirksamen Widerstandes Eile geboten. Alle bisherigen Versuche, internationale Handelsabkommen als trojanisches Pferd zum Abbau des Sozialstaates zu benutzen, sind jämmerlich gescheitert. Das wird auch dieses Mal so kommen, wenn die Bürger, die Medien und auch einige Politiker endlich aufwachen und die klammheimlichen Versuche, die Demokratie zu untergraben, zum Scheitern bringen.


Das Umweltinstitut München e.V. fordert die Menschen auf, seine Forderungen zu unterstützen und den Appell an Bundeskanzlerin Merkel und EU-Handelskommissar Karel De Gucht zu unterzeichnen.

In seiner Erklärung heißt es

„Wir wollen:
-Die mühsam erkämpften europäischen Verbraucherschutz- und Gesundheitsstandards erhalten,
-Eine kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft erhalten und schützen,
-Klima- und Umweltschutzauflagen sowie das Vorsorge- und Verursacherprinzip in Europa und in Deutschland aufrechterhalten,
-Dienstleistungen der Daseinsfürsorge wie Trinkwasserversorgung oder Bildung sollen in demokratisch legitimierter öffentlicher Hand bleiben,
-Unser Grundgesetz und Rechtssystem vor intransparenten Schiedsgerichten ohne Berufung oder Revision und demokratische Kontrolle schützen.

Deshalb wollen wir diese gravierenden Eingriffe für Verbraucher und Konsumenten verhindern und fordern daher einen STOPP der Freihandels-Verhandlungen.“

                                                  ---------------------

Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches „Eine feine Gesellschaft; Jubiläumsjahre und ihre Tücken  - 1949 bis 2010, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2




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von Yossi Wolfson
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