Sie sind nicht eingeloggt.
LoginLogin Kostenlos anmeldenKostenlos anmelden
BeiträgeBeiträge SucheSuche HilfeHilfe StatStatistik
VotesUmfragen FilesDateien CalendarKalender
Freies Politikforum für Demokraten und Anarchisten

PLATTFORM FÜR LINKE GEGENÖFFENTLICHKEITEN

Beiträge können nicht (mehr) eingestellt oder kommentiert werden!

 
ALPHABET DES ANARCHISTISCHEN AMATEURS

Anfang   zurück   weiter   Ende
Autor Beitrag
Rudolf
New PostErstellt: 01.06.08, 18:50  Betreff:  ALPHABET DES ANARCHISTISCHEN AMATEURS  drucken  weiterempfehlen

Dieses interessante Buch sollte mehr Verbreitung finden.
Ich kaufte es, nachdem ich diese Buchbesprechung gelesen hatte.

aus der DA - Direkte Aktion 185 / Jan. Feb. 2008 -
der Freien ArbeiterInnen Union FAU-IAA - AnarchosyndikalistInnen www.fau.org



Herbert Müller-Guttenbrunn

ALPHABET DES ANARCHISTISCHEN AMATEURS



Eine Aphorismen- und Ausatzsammlung aus der Zeitschrift „Das Nebelhorn“

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist, Regierungen sind notwendig, denn es hat immer welche gegeben. Ich aber sage Euch: Wanzen hat es auch immer gegeben; sind Wanzen deshalb notwendig? Weg mit allen Regierungen! Eine Einrichtung, in deren Namen ganz versteckt das Wörtchen „Gier“ lauert, ist unter allen Umständen höchst verdächtig.“

Über das Leben des Autors

Herbert Müller-Guttenbrunn wurde 1887 geboren, als Sohn des antisemitischen und deutschnationalen Schriftstellers Adam Müller-Guttenbrunn (1). Sein Bruder Roderich trottelte in den Fußstapfen seines Vaters weiter in die NS-Zeit, als nationalsozialistischer Autor. Herbert brach später aus dieser Familientradition aus und wurde Anarchist und ein radikaler Individualist. Zunächst durfte er im 1. Weltkrieg als Offizier dienen und danach hängte er seinen Juristenjob an den Nagel und wurde ein selbstversorgender biologisch-dynamischer Bauer. Dies führte zu wohlformulierten Äußerungen wie: „Viel rätselhafter als alle okkultistischen Tatsachen war mir immer, dass ein Apfelbaum Äpfel und gleich daneben ein Nussbaum aus derselben Erde Nüsse fabriziert.“ Er versorgte seine Familie mit dem Selbstangebauten, war aber nicht zum Naturromantiker verkommen. Er geißelte den von den „Blut und Boden“-Ideologen – gegen die widerständigen ArbeiterInnen – überhöhten Bauernstand. Für ihn war der Bauer verkommen zum „Industriellen des Bodens geworden, der mit Hilfe der Erde Waren für den Markt erzeugt. Zur Strafe dafür ist er ebenso wie alle andern abhängig von Zöllen und Krisen. Er schindet sein Vieh so, wie ihn der Staat schindet.“
Der NS-Ideologie stemmte er sich unerbittlich entgegen, denn ihm war bewusst, dass die „Blut und Boden“-Ideologie nur eins hinterlassen würde: v e r b r a n n t e E r d e . „Wir können keine Heimat schützen, weil wir keine haben, aber wir wollen uns eine erobern. Unsere Kinder sollen einmal ein Vaterland haben, weil ihr Vater Land hatte. Wir haben keines. Wir haben kein Ährenfeld, haben also auf einem Feld der Ehre nichts verloren. Wir haben ein Recht auf Leben und daher ein Recht auf Essen und daher ein Recht auf Erde.“
Seine Utopie war – bedingt durch seine Zivilisationskritik – ein herrschaftsloses Leben in sich selbst versorgenden Kommunen. „Es ist längst nachgewiesen, dass der Mensch nur 56 Arbeitstage im Jahr benötigt, um mit Hilfe eines Stückchen mittelgroßen Grundes seine Nahrung fürs ganze Jahr zu erzeugen.“ Die übrigen Tage, die ihm blieben, schrieb er und gab von 1927 bis 1934 die Zeitschrift „Das Nebelhorn“ in Eigenregie heraus.

„Das Nebelhorn“

Die „Zeitschrift für die Interessen vorurteilslosen Menschentums” war das Lebenswerk von Herbert Müller-Guttenbrunn. Sie war stark angelehnt an die Zeitschrift „Die Fackel“ von Karl Kraus, den er sehr verehrte (widmete ihm die erste Ausgabe) und weswegen er als „Affe von Kraus“ diffamiert wurde. Auch diese Zeitschrift wurde fast zur Gänze von seinem Herausgeber gefüllhornt. Seine brillanten, teils derben, Aphorismen sind ein Meisterwerk der Sprachkunst. Sein Zorn richtete sich gegen jede Art von Kadavergehorsamgläubigkeit --- gegen Krieg, Staat, Kapitalismus, Nationalismus, Kirche, Staatssozialismus und die sittliche Moral. Er wurde zu einer empfindlichen Geldstrafe wegen "Beleidigung einer gesetzlich anerkannten Kirche" und zu einer dreimonatigen Haftstrafe wegen "öffentlicher Herabwürdigung von Anordnungen der Regierung" verurteilt. Darauf hin stellte er „Das Nebelhorn“ ein, wegen „Einmischung der Justiz“. Es folgten noch Nachleger wie das „Panopticum der Maschinenzeit“ und die „Mystik der Sprache“. Die Auflage von der Zeitschrift „Das Nebelhorn“ hatte eine Auflage von ca. 300 Stück und fand nach Meinung des Machers vielleicht 2.000 LeserInnen --- der damaligen Verhältnisse entsprechend, nicht unrealistisch. Es ist schon sehr erstaunlich, dass dieser Schatz der spitzen Feder, erst nach 70 Jahren wieder gehoben wird, zumal Karl Kraus durchaus bekannt geworden ist und Herbert Müller-Guttenbrunn ihm in Nichts nachstand, ja ihn auch stellenweise überflügelte.
Er schrieb vehement gegen den Ungeist seiner Zeit an: „Die Dummheit ist eine Naturkraft. Deshalb richtet die Intelligenz, die eine Naturschwäche ist, so wenig gegen sie aus.” Und verortete das Ebenbild Gottes folgendermaßen: „Ob die Erde nicht doch bloß so eine Art Deportationsinsel für die Idioten des ganzen Kosmos ist?”
Nach seinem vierjährigen Kriegseinsatz sympathisierte Herbert Müller-Guttenbrunn zunächst mit der Sozialistischen Partei, was sich aber rasch änderte und er gegen den „Kasernensozialismus“ ebenso seine Geisteskugelblitze schleuderte, wie gegen den Kapitalismus: „Ich halte die sozialistische Partei für gänzlich kapitalistisch durchseucht; ihre Führer, teils von Ehrgeiz, teils von niedriger Gewinnsucht geleitet, irreführen mit Phrasen die dürstende Menge, und die Menge selbst – was sie will, ist kein Sozialismus, das ist umgestülpter Kapitalismus.“
Über Parteien meinte er nur: „Politische Parteien gleichen den Hunderassen: Sobald sie in Mode kommen degenerieren sie.”
Den Nationalsozialismus geißelte er mit den Worten: "Die Hitler-Revolution war die erste Revolution, die nicht gegen, sondern für die Ideale der Polizei gekämpft hat."
Seinen Geschlechtsgenossen hielt er entgegen: "Heute werden nicht die Knaben zu Männern, sondern die Männer wieder zu Knaben erzogen. Heroischer Puerilismus (2) ist die herrschende Geistesrichtung dieser in Karl-May-Stimmung getauchten Welt ohne Geist."
Richtig süß wurde er, wenn er über die Frauen meinte: „Die Frauen sind schon allein deshalb gefährlich, weil sie einem sinnlose Dinge schenken, z. B. das Leben.”
Über die katholische Familienglückstheorie urteilte er sarkastisch: „Es gibt wenig so Komisches wie Zölibatäre, die ihren Mitmenschen empfehlen, Familien zu gründen und Kinder zu bekommen.“
Gegen den Kapitalismus führte er zu Felde: „Erwägung des Wirtschaftsliberalismus: Wenn Arbeiter zu Hungerlöhnen arbeiten, so ist das ihr freier Wille. Niemand zwingt sie dazu und sie sind selbst schuld daran, wenn sie nicht verhungern, sondern bloß hungern.“
Über den schönen Schein der Welt äußerte er sich deutlich: „Geld ist etwas, was gilt – im Grunde und an und für sich also eigentlich nichts wert ist. Noch deutlicher kommt dieser Schein beim Worte „Geld-schein“ zu Tage.“
Und er rief zur kropotkin’schen Eroberung des Brotes auf, als er schrieb: „Brot ist das am meisten verfälschte, vergiftete und entwertete menschliche Nahrungsmittel, dessen Verkäuflichwerden der Anfang allen Jammers war; denn dadurch ging die Unentbehrlichkeit des Brotes auf das Geld über und die Falschheit des Geldes auf das Brot.“
Er präzisierte seine freiheitlichen Vorstellungen: „Die Freiheit ist adelig und man darf ihr das Wörtchen „von“ nicht vorenthalten. Erst wenn man weiß, von was einer frei ist, kann man beurteilen, ob er wirklich frei ist. Das Wort „Freiheit“ ohne „von“, also sozusagen die bürgerliche Freiheit, ist schlechthin sinnlos.“
Wer nun von Euch „Stoffwechslern“ erfahren will, was Herbert Müller-Guttenbrunn noch so dachte und niederschrieb über die Vorhaut Christi, Frauenemanzipation, Bürgerseele & Psychoanalyse, Autos, Todesstrafe und den Cunnilingus, sollte sich umgehend dieses Meisterwerk der Polemik zulegen.
Doch ein Schmankerl geht schon noch: "Was haben wir vom Fernsehen, wenn es uns mit dem Anblick von Arschgesichtern aus Amerika versorgt, wo unser Bedarf an solchen doch vom Inlande reichlich gedeckt wird?" Dies schrieb er 1928.

Sein Tod

Herbert Müller-Guttenbrunn hatte nach der „Heim ins Reich“-Aktion aufgehört zu publizieren, er schrieb nur noch für sich. Er musste zwei Jahre in der Wehrmacht dienen, wurde aber ohne Angabe von Gründen 1943 entlassen. Er starb 10. April 1945, ein sowjetischer Soldat erschoss ihn. Der Grund ist ungeklärt: eine Verwechslung mit seinem nationalsozialistischen Bruder – dieser hatte wiederum in der „Tagespost“ (Graz) annonciert: „Nicht ich, sondern mein Bruder Herbert ist der Herausgeber der Zeitschrift ,Das Nebelhorn‘.“, damit er nicht mit seinem Bruder verwechselt werde, als dieser seine anarchistische Zeitschrift gründete – oder ein „Lederhosenstreit“ oder ein Waffenfund in seinem Haus. Er starb wie er lebte – er inszenierte den „Mord am Schwachsinn, d.i. an der – mit ihm leider schon identischen – Autorität“ und wurde durch den größten Schwachsinn den die Welt kennt, den Krieg der Autoritäten, ermordet. Er starb als aufrechter „Stoffwechsler“.
Über den Tod meinte er nur lakonisch: „Der Tod ist höchste Einsamkeit und ein einsames Leben ist ein gelebter Tod.“


Hand&Fußnoten:
(1) Erstaunlicherweise störte sich in Deutschland niemand an dem völkischen Schriftgut von Adam Müller-Guttenbrunner, wenn es um Namensgebungen von unzähligen Caritasheimen und Schulen ging. Sogar eine rumänische Doppel-Briefmarke (1998) „ehrte“ ihn als Banat (Donauschwabe). Das Konsulat der BRD in Temeswar empfängt auch gerne im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus. (> google)

(2) Puerilismus = Kindischsein, wie infantil, auf kindlicher Entwicklungsstufe stehen geblieben



-------------------------------------------------------------------------------


Herbert Müller-Guttenbrunn: Alphabet des anarchistischen Amateurs. Herausgegeben von Beatrix Müller-Kampel --- 365 Seiten. Matthes & Seitz Berlin, 2007. Leider 28,90 Euroh.
nach oben
Sortierung ndern:  
Anfang   zurück   weiter   Ende
Seite 1 von 1
Gehe zu:   
Search

powered by carookee.com - eigenes profi-forum kostenlos

Layout © subBlue design
. . . zum Politikmagazin auf diesen Button klicken >> bjk's Politikmagazin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .