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Arabische Wissenschaftler

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bjk

Beiträge: 7353
Ort: Berlin


New PostErstellt: 09.02.07, 08:50  Betreff: Arabische Wissenschaftler  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen

kopiert aus: http://www.jungewelt.de/2007/02-05/017.php



Tausendundeine Erfindung

Wir verdanken dem Islam mehr, als wir glauben. Ein Universitätsprofessor aus Manchester hat nun erstmals zusammenhängendes Quellenmaterial aufgearbeitet, das ein anderes Bild der neueren Geschichte liefert

Von Andrea Bistrich




Die Alhambra von Granada – Hauptwerk islamischer Baukunst des 13./14. Jahrhunderts
Foto: jW-Archiv



Wenn es nach Professor Salim Al Hassani ginge, müßte man jene Zeitspanne auf der westlichen Geschichtsskala, die man gewöhnlich das »dunkle Mittelalter« nennt, korrekterweise in das »muslimische Zeitalter« umbenennen. Denn als der Westen schlief, erreichte die islamische Welt mit ihren zahlreichen wissenschaftlichen und kulturellen Entdeckungen ihren Zenit. »In Europa, Amerika und in den meisten englischsprachigen Ländern wird gelehrt, daß nach den Griechen und den Römern im Grunde die Zeit stillstand: Man spricht vom sogenannten dunklen Zeitalter. Ich behaupte jedoch: Es war die goldene Zeit des Islam«, sagt Al Hassani. Umso bedauerlicher findet er, daß die Beiträge muslimischer Wissenschaftler im Westen bisher so wenig gewürdigt wurden.

Seit 1993 ist Professor Al Hassani, der an der Universität von Manchester Linguistik und Kulturwissenschaften lehrt, auf der Suche nach der angeblich »fehlenden Geschichte« von über 1000 Jahren. Hunderte arabischer Manuskripte hat er durchgearbeitet, um unsere Geschichtsbücher mit den Puzzleteilen aus der islamischen Welt zu ergänzen.

Tatsächlich wurden viele wichtige Entdeckungen und Erfindungen zwischen 600 und 1600 u.Z. gemacht – in einer Zeit also, als sich die muslimische Welt von China bis nach Südspanien spannte. Dennoch weiß man heute nur wenig darüber, welche Erfindungen der Westen den Muslimen tatsächlich verdankt. Salim Al Hassani ist überzeugt: Es waren muslimische Gelehrte, die mehr als 600 Jahre vor der Geburt von Leonardo da Vinci den Grundstein für die spätere Blüte der Renaissance legten.

Viele der Erkenntnisse der hellenischen Klassik wurden uns von Muslimen übermittelt. Doch die arabischen Gelehrten waren mehr als nur Fackelträger, die das Wissen der Griechen lediglich bewahrt hatten, um es dem Westen später wieder zurückzugeben. Denn anders als die griechische Wissenschaft stellte die muslimische Wissenschaft nicht die Theorie in den Vordergrund, sondern war vor allem praktisch ausgerichtet. Neue Erkenntnisse wurden mit Hilfe von Experimenten und Beobachtungen erworben, ganze Disziplinen wurden so begründet.

In zahlreichen Versen im Koran werden Vorgänge der Natur beschrieben – von der Schöpfung des Universums bis hin zur befruchteten Eizelle. Der Mensch soll seine Umwelt erforschen und die Zeichen der Schöpfung erkunden, so will es der Islam. Gebiete wie die Astronomie, die Medizin, die Mathematik, die Architektur und die Geographie entwickelten sich zu den bedeutendsten Pfeilern wissenschaftlicher Erkenntnis des mittelalterlichen Islam.


Vorzeigewissenschaft Medizin


Ibn Sina – latinisiert Avicenna –, Verfasser des »Kanons der Medizin«
Foto: jW-Archiv


»Allah hat keine Krankheit herabkommen lassen, ohne daß Er für sie zugleich ein Heilmittel Herabkommen ließ«, heißt es in einem Hadith. Die muslimischen Gelehrten waren zuversichtlich, daß tatsächlich jede Krankheit heilbar war, wenn sie – so Gott will – nur die richtigen Heilmittel dafür fänden. Muslimische Ärzte gründeten die ersten Krankenhäuser der Welt, sie entwickelten ein Fachspezialistentum, das im Westen erst tausend Jahre später zu finden war. Ohne die islamische Medizin wäre die westliche gar nicht denkbar.

Um 1156 war das »Al-Nuri«-Hospital in Damaskus das größte und fortschrittlichste Krankenhaus weit und breit. Mehr als 8000 Betten standen für die stationäre Pflege der Patienten zur Verfügung; die medizinische Versorgung war kostenlos. (Heute ist darin das Museum für arabische Medizin und Wissenschaft untergebracht.) Zentrum der medizinischen Forschung aber war Bagdad. Hier praktizierten so herausragende Ärzte wie der Perser Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya ar-Razi (864–930) – Pionier der Geburtshilfe und Augenheilkunde, Vater der Kinderheilkunde; er erkannte die sterilisierende Eigenschaft des reinen Alkohols, arabisch alkoll (dt. »das Ganze«), und verwendete ihn als Antiseptikum.

Als es darum ging, einen Standort für das große Krankenhaus in Bagdad zu bestimmen, hängte ar-Razi drei Fleischstücke aus und wählte schließlich den Ort, an dem das Fleisch die geringsten Anzeichen von Fäulnis zeigte. Neben seiner Arbeit als Chirurg und Leiter eines Bagdader Krankenhauses forschte er auf dem Gebiet der Masern und Pocken. Sein berühmtes Buch über Pocken wurde 1565 erstmals ins Lateinische übersetzt. Ar-Razis größtes Werk, eine 23bändige Enzyklopädie, war vor dem 19. Jahrhundert eine der umfassendsten medizinischen Abhandlungen, die bis dahin jemals veröffentlicht worden waren. 183 medizinische Bücher soll er verfaßt haben; die Iraner gedenken an jedem 27. August der großartigen Leistungen ihres Starmediziners.

Ebenfalls für seine Verdienste in der Medizin anerkannt wird der im persischen Afschana bei Buchara (heute Usbekistan) geborene Abu Ali al-Hussain Ibn Sina (980–1037), im Westen besser bekannt unter dem Namen Avicenna. Selbst in der medizinischen Fakultät der Sorbonne in Paris findet sich sein Porträt. Wer Noah Gordons Bestseller »Der Medicus« gelesen hat, dem wird sein Name vertraut klingen – denn der Protagonist des Romans studiert bei Ibn Sina Medizin.

Ein altes Sprichwort sagt: »Wer ein guter Doktor sein will, muß ein Avicennist sein.« Ibn Sinas Werk über die allgemeinen Prinzipien der Medizin Al-Qanun fi-l-Tibb (»Kanon der Medizin«), oder einfach nur Kanon, war auch im Westen über 600 Jahre das möglicherweise meistgenutzte Standardwerk. Beschrieben werden Themen wie die Verbreitung von Krankheiten, die Behandlung von Haut-, Nerven- und Geschlechtskrankheiten; Darstellungen und Analysen zahlreicher psychologischer und pathologischer Fakten; Knochenbrüche, Organstörungen, Arzneimittelkunde und ähnliches. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurde es an Medizinschulen wie Louvain und Montpellier als Grundlagenwissen genutzt, und laut UNESCO ist der Kanon sogar noch 1909, also bis ins Zeitalter der modernen Medizin, an der Universität von Brüssel verwendet worden.

Ibn Sina, der auch der »islamische Galen« genannt wird, beschreibt als erster das Krankheitsbild der Meningitis (Hirnhautentzündung); ebenfalls als Erster erkannte er, warum sich Epidemien verbreiten und warum Tuberkulose ansteckend ist. 900 Jahre nach seinem Tod begeht die Türkei seit 1937 einen jährlichen Gedenktag zu Ehren des großen muslimischen Arztes und Enzyklopädisten.


Algebra, Algorithmen, Astronomie

Vieles, was aus der arabischen Welt zu uns gelangte, verwenden wir heute ganz selbstverständlich. Nur wenigen dürfte dabei bekannt sein, daß wir diese schönen, kühnen oder nützlichen Entdeckungen ursprünglich muslimischen Gelehrten und Erfindern verdanken.

Viele mögen vielleicht wissen, daß die Algebra aus der arabischen Welt in den Westen gelangt ist, erfunden von dem persischen Mathematikgenie al-Khwarizmi (780–850), der ebenfalls die Algorithmen-Lehre entwickelte, die Verwendung von Dezimalzahlen und die Ziffer Null aus dem indischen in das arabische und damit in die modernen Zahlensysteme einführte. Vielen mag auch bekannt sein, daß Kaffee, unser Leib- und Magengetränk (1,6 Milliarden Tassen werden täglich weltweit getrunken), ursprünglich eine arabische, wenngleich eher zufällige Entdeckung ist: Im 8. Jahrhundert bemerkt der Hirtenjunge Khalid, daß seine Tiere eine rote Beere essen, von der sie erstaunlich munter werden. Sufis im Jemen machten einen Sud, al-qahwa, aus den roten Beeren, den sie tranken, um wach und konzentriert zu bleiben, wenn sie bis tief in die Nacht ihre Gebete sprachen.

Wer aber weiß, daß Abu al-Qasim Khalaf ibn al-Abbas Al Zahrawi (936–1013), über 200 chirurgische Instrumente entwickelte, die auf lange Zeit die medizinische Wissenschaft revolutionierten? Wer hätte vermutet, daß der erste Globus bereits im 12. Jahrhundert entstand, konstruiert vom muslimischen Geographen Abu Abd Allah Muhammad al-Idrisi (1100–1166)? Der 400 Kilogramm schwere Erdball aus purem Silber bildete die sieben Kontinente ab – mit wichtigen Handelsrouten, Flüssen und Seen, großen Städten, Tälern und Bergen. Für Roger II., König von Sizilien, erstellte al-Idrisi einen Atlas mit 70 Karten, das sogenannte Buch von Roger, in dem er die Kontinente Europa, Asien und das nördliche Afrika einzeichnete. In den folgenden Jahrhunderten wurden al-Idrisis Weltkarten in ganz Europa verwendet; und auch Christopher Kolumbus zog sie für seine Reisen heran. 350 Jahre vor Kolumbus und zwei Jahrhunderte vor Marco Polo zeigte al-Idrisi, daß die Erde rund war. Eine Auffassung, die damals übrigens von muslimischen Gelehrten allgemein geteilt wurde – während man in Europa vielfach noch daran festhielt, daß die Erde flach sei.

Wem ist bekannt, daß der ägyptische Arzt Ibn an-Nafis (1210–1288) im 13. Jahrhundert erstmals den kleinen Blutkreislauf beziehungsweise den Lungenkreislauf beschrieb? Auch erkannte er die Versorgung des Herzens durch die Koronargefäße. Doch erst 1957, 670 Jahre nach seinem Ableben, wurde ihm diese Entdeckung nachträglich zuerkannt.

Und wer hat hierzulande schon von Abbas Ibn Firnas (810–887) gehört, der 852 den ersten Flugapparat baute und sich vor den Augen einer begeisterten Zuschauermenge vom Minarett der Großen Moschee von Córdoba abstieß? Seinen zweiten und erfolgreicheren Flug unternahm er beinahe 70jährig. Nahezu 20 Jahre hat er an der Verbesserung des ersten Gleiters gearbeitet. Tausend Jahre vor den Gebrüdern Wright und sieben Jahrhunderte von den Konstruktionen Leonardo da Vincis war Ibn Firnas der erste Mensch in der Geschichte, der einen wissenschaftlichen Flugversuch unternahm. Ihm zu Ehren druckten die Lybier eine Briefmarke mit seinem Konterfeil; und im Irak ist der Ibn-Firnas-Flughafen im Norden Bagdads nach ihm benannt.

Weitaus geschätzter in der arabischen Welt als im Westen ist auch der in Basra, Irak, geborene Abu Ali al-Hasan Ibn al-Haitham oder »Alhazen« (965–1039). Er gilt nicht nur als Begründer der Optik, er war auch der meist zitierte Physiker des Mittelalters und leistete Bahnbrechendes auf den Gebieten der Mathematik, Astronomie und Physik. Er erfand die weltweit erste Lochkamera, die er qamara nannte, das arabische Wort für »Privatraum« oder »Dunkelkammer«. Seit 2003 erinnert eine irakische 10000-Dinar-Note an den Universalgelehrten, und im fernen All taufte man den Asteroiden 59239 auf den Namen »Alhazen«.

Der irakische Gelehrte al-Haitham analysierte den Aufbau des Auges, erkannte die Bedeutung der Linse und widerlegte in ersten wissenschaftlichen Experimenten die Sehstrahlentheorie der Griechen, wonach ein unsichtbares Licht vom menschlichen Auge ausgehe und die Umgebung abtaste. Seine Forschungen zur Lichtbrechung und Lichtreflektion brachten ihn dazu, Lesesteine aus Glas herzustellen, was ihn zum Erfinder der Lupe machte. Seine Schriften, darunter das berühmte Werk Kitab-al-Manazir – »Das Buch der Optik« – sollen Roger Bacon im 13. Jahrhundert zur Erfindung der Brille inspiriert haben. Zahlreiche seiner Erkenntnisse über Optik und Lichtbrechung, die einen bedeutenden Einfluß auf europäische Denker von Bacon bis Kepler hatten, schrieb man später allerdings Isaac Newton zu.

Heute ist es kein Geheimnis mehr, daß auch die bekanntesten Erfinder und Wissenschaftler des Westens, darunter Roger Bacon, Leonardo Da Vinci, Johannes Kepler oder Nicholas Kopernikus, einen Großteil ihrer Inspirationen aus den Werken ihrer arabischen Kollegen geholt hatten. Trotzdem ist das in unseren Geschichtsbüchern nicht oder nur andeutungsweise vermerkt. Geht man doch viel lieber davon aus, daß die moderne Zivilisation mit der Renaissance geradezu aus dem Nichts hervorgegangen sei. Falsch verstandene Eitelkeit? In jedem Fall ein äußerst kurzsichtiges, ja geradezu ethnozentristisches Weltbild, findet Professor Al Hassani.


Christliche Dogmen


Islamischer Himmelsglobus, Iran, 1279
Foto: jW-Archiv


Während die islamische Welt die Hände nach den Sternen des Wissens ausstreckte und sich dem Licht der Erkenntnis zuwandte, verharrte das christliche Abendland in Finsternis. Was auch im wörtlichen Sinne zu verstehen ist, denn islamische Städte wie Córdoba in Andalusien, das 711 von den Arabern eingenommen worden war und nur vier Jahre später Hauptstadt des muslimischen Spanien wurde, erfreuten sich bereits der Straßenbeleuchtung zu einer Zeit, als London noch die Bezeichnung eines »schmutzigen, dunklen Lochs« verdiente. Europa hatte kaum Infrastruktur, ganz zu schweigen von einer zentralen Regierung. Studenten und Schüler aus allen Teilen der Welt kamen nach Córdoba, um sich dort ausbilden zu lassen. Im 9. Jahrhundert galt die Bibliothek von St. Gallen mit 36 Bänden als größte Bibliothek des christlichen Europa; im muslimischen Córdoba standen den Gelehrten zur gleichen Zeit bereits weit über 500000 Bücher zur Verfügung.

Die katholische Kirche machte ihren Standpunkt unmißverständlich deutlich: Geistige Freiheit, gleichgültig auf welchem Gebiet, war ketzerisches Teufelswerk. Wer es dennoch wagte, ein von den herrschenden Dogmen abweichendes Gedankengut zu vertreten, und sei es nur aus wissenschaftlicher Neugier, verstieß gegen das Heil der kirchlichen Weltordnung und wurde durch die Inquisition bestraft. Aus humanistischer Sicht war es eine Epoche des Niedergangs. Viele der einstigen Errungenschaften der griechisch-römischen Antike – literarische, wissenschaftliche, technologische und zivilisatorische – waren dem Zerfall geweiht und gingen mit den Jahrhunderten verloren. Kein Wunder, daß den Muslimen das christliche Europa als zurückgeblieben, unorganisiert, strategisch bedeutungslos und daher im wesentlichen irrelevant erscheinen mußte. Städte wie Bagdad, Damaskus, Kairo und Córdoba dagegen waren die Zentren der Zivilisation, des Handels und der Kultur.


Haus der Weisheit

Dar-al-Islam – die muslimische Welt – erstreckte sich über drei Kontinente. Unter den Abbasiden (749–1258) erreichte sie einzigartige zivilisatorische Höhen. Im Irak lösten die Abbasiden in einer sogenannten konservativen Revolution die damals von vielen frommen Bevölkerungsteilen als zu weltlich angesehenen Umaijaden ab. Das gerade neu erbaute Bagdad wurde um 762 aufgrund seiner günstigen Lage zur künftigen Hauptstadt erklärt. Von dort sollte in den kommenden fünfhundert Jahren das große muslimische Reich regiert werden. In dieser Zeit war Bagdad die wohlhabendste Stadt der Welt, Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung, und die zweitgrößte Stadt nach Konstantinopel.

Der Abbasiden-Kalif Mohammad al-Mahdi (775–785) erkannte schon bald sein besonderes Faible für wissenschaftliche Werke. Vieles aus seiner persönlichen Sammlung stammte von seinen Beutezügen in fremden Ländern. Sein Sohn setzte das einmal begonnene Werk fort. Und auch dessen Nachfolger, Harun ar-Raschid (786–809) – sein Kalifat markiert die große kulturelle Renaissance in Bagdad und anderen Städten des Reiches – erfreute sich an der inzwischen stattlichen Bibliothek herausragender Werke von unschätzbarer Kostbarkeit. Es war jener Harun ar-Raschid, der das Bayt al-Hikmah, »Haus der Weisheit« gründete und so der Wissenssammlung einen festen Ort verlieh. Schon nach wenigen Jahren sollte es sich bis weit über die Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen haben, daß in Bagdad ein Zentrum der Geistes- und Naturwissenschaften bisher ungekannten Ausmaßes entstanden war. (In ähnlicher Tradition wurde 1004 in Kairo unter dem Fatimiden-Kalif Al-Hakim bi-Amr Allah das Dar al-Hikmah gegründet.)

Hier traf sich die Crème de la Crème muslimischer Gelehrter aus aller Welt. Täglich kamen sie, um die Kunst des Lesens und Schreibens zu studieren; viele arbeiteten an Übersetzungen und übten sich in Diskurs und Dialog. Hier wurden persische Werke übersetzt sowie alle Werke der Antike, die nur irgend aufzufinden waren – Galen, Hippokrates, Platon, Aristoteles, Ptolemäus, Archimedes und weitere. Bagdad avancierte zu einem kosmopolitischen Schmelztiegel; man sprach arabisch, farsi, hebräisch, lateinisch, griechisch und syrisch, aramäisch und sanskrit (in letzterem waren viele altindische mathematische Manuskripte verfaßt).

Solch rege intellektuelle Aktivitäten waren vor allem durch die Papierherstellung möglich geworden. Das erste Papier erreichte den Irak um 750 aus China – über die Seidenstraße via Samarkand – vier Jahrhunderte bevor es in Europa eintraf. Kurz darauf bauten die Bagdader ihre erste Papiermühle. (1293 wird in Bologna die erste Papiermühle im christlichen Europa errichtet.) Auf dem Suq al-Warraqin, Bagdads Papiermakt, reihten sich an die hundert Papiergeschäfte aneinander, zumeist von Lehrern oder Schriftstellern betrieben. Viele davon waren kleine Wissenschafts- und Literaturzentren. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts hatte der Siegeszug des Papiers in der gesamten arabischen Welt Pergament und Papyrus bereits vollständig verdrängt.

Auch Abdallah al-Ma'mun plante, das Werk seines Vaters Harun ar-Raschid fortzuführen und seinem Volk ein guter Patron der Künste und der Gelehrsamkeit zu sein – zuvor mußte er sich allerdings erst noch in einem unschönen Bürgerkrieg gegen seinen Bruder al-Amin das Kalifat (813–833) sichern. Ein Intellektueller war al-Ma'mun, getrieben von einem unstillbaren Durst nach Wissen. Es heißt, daß er an den Gouverneur von Sizilien schrieb und ihn um die gesamte Bibliothek von Sizilien bat, die damals einige bedeutsame philosophische und wissenschaftliche Bücher enthalten haben soll. Die Antwort des Gouverneurs fiel wohlwollend aus: Er ließ dem Kalifen von jedem Band aus der Bibliothek eine Kopie anfertigen.

Ein anderes Mal entsandte al-Ma'mun über hundert Kamele, damit sie handgeschriebene Bücher und Manuskripte von Churasan im Iran nach Bagdad beförderten. Al-Ma'mun gab den Auftrag für das erste Observatorium der Welt; er gründete ein Krankenhaus und rief über 300 Bildungseinrichtungen ins Leben. Sooft es ihm möglich war, verbrachte der Kalif seine Zeit mit den Gelehrten und beteiligte sich an ihren Lehr- und Streitgesprächen.

Viele bekannte Persönlichkeiten des wissenschaftlichen Lebens, unzählige Schüler und Studenten aus der ganzen Welt sollten in den folgenden vier Jahrhunderten an diesem Ort des Wissens und der Weisheit ein und ausgehen; zahlreiche Diskurse sollten geführt, viele Erkenntnisse errungen werden, bevor im 13. Jahrhundert der allgemeine Niedergang einer großartigen islamischen Blütezeit einsetzte. 1258 wird Bagdad von den einfallenden Mongolen zerstört und geplündert, und es heißt, daß die Tinte von Tausenden von Büchern, die die Eroberer in den Tigris warfen, das Wasser auf lange Zeit schwarz färbte.


140 Städte auf der Warteliste

»Wie schnell wir die Geschichte vergessen«, bedauerte einst George Washington. Professor Al Hassani hat diese Warnung ernst genommen. Er setzte alle Hebel in Bewegung, das nur allzu leicht vergessene muslimische Erbe wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken. Er gründete die Stiftung für Wissenschaft, Technologie und Zivilisation, für die er viele bekannte Wissenschaftler und Persönlichkeiten gewinnen konnte; er schrieb den schon erwähnten Bestseller: »1001 Inventions. Muslim Heritage In Our World«, und als sei das noch nicht genug, konzipierte er eine gleichnamige Ausstellung, die im vergangenen Jahr erstmals im Museum of Science and Industry in Manchester gezeigt wurde. In nur drei Monaten kamen 80000 Besucher. »1001 Inventions« ist bis Anfang Februar noch im Nationalmuseum in Cardiff, Wales, zu sehen; weitere Anlaufstellen in England sind der Think Tank in Birmingham, das Glasgow Science Center, und falls genügend Zeit bleibt, London und Newcastle. Danach wird die Ausstellung ihre lange Reise durch ganz Europa – bis in die arabische Welt antreten. 140 Städte im In- und Ausland stehen bereits auf der Warteliste der Ausstellungsmacher. Ein großartiger Erfolg, mit dem wohl am allerwenigsten Professor al-Hassani selbst gerechnet hat.

Trotzdem bleibt auch nach dem Besuch der Ausstellung und der Lektüre des Buches noch so manche Frage offen. Zum Beispiel: Warum die islamische Blütezeit so großartiger wissenschaftlicher und kultureller Errungenschaften mit dem Beginn der Renaissance ein so jähes Ende findet. Und auch darauf, warum der Beitrag, den die muslimische Welt zur Weiterentwicklung der Wissenschaften heute leistet, im Gesamtvergleich der Länder so erstaunlich gering ist, hat der Professor – jedenfalls vorläufig – keine Antwort. Den überaus positiven Gesamteindruck der zusammengetragenen Fakten und – oft auch amüsanten – Details aus der Geschichte des Orients wie auch des Okzidents schmälert das allerdings nicht.

Ein großes Interesse für den islamischen Glauben, seine Sitten und für die islamische Kultur und Geschichte gab es vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001, berichtet al-Hassani. »Mit einem Mal wollten die Leute alles über den Islam wissen.« Die starke Nachfrage zeige zudem, wie sehr die Menschen um tatsächliches Verständnis bemüht sind, um Annäherung, und daß sie das zunächst Fremde und Andersartige keineswegs gleich ablehnten. Tröstlich zu wissen. In Zeiten wie dieser, wo moderne Kreuzzüge geführt werden, wo Feindbilder erstarken, wo der Westen keine Religion so fürchtet wie den Islam, und wo selbst Politiker und Staatsführer von einem offenen »Kampf der Kulturen« sprechen, sollte es am besten 10001 oder gar 100001 solcher Projekte geben.

Website der Ausstellung: www.1001inventions.com





[editiert: 09.02.07, 08:51 von bjk]
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New PostErstellt: 09.02.07, 09:05  Betreff:  Re: Arabische Wissenschaftler  drucken  weiterempfehlen

... der nachfolgende Leserbrief in der jW zu diesem Thema entspricht auch ziemlich exakt meiner Meinung in Sachen Religion
... Religionsfreiheit unumschränkt JA
... Toleranz zur Religionsausübung nur dahingehend, daß Religionen in unserer Gesellschaft keinen höheren Stellenwert einnehmen dürfen, als dies Briefmarkenvereinen, Taubenzüchtervereinen etc. pp zugesprochen wird
... denn Religionen, sobald sie politische Macht und/oder Einfluß ausüben, bringen nur Haß, Krieg und Elend über die Menschheit
... KEIN PFAFF * KEIN STAAT * KEIN HERR * KEIN SKLAVE !

bjk
ALG II-Unterschichtler



kopiert aus: http://www.jungewelt.de/aktuell/rubrik/leserbriefe.php?letterId=3064


Leserbriefe

Richtig und falsch


Leserbrief zu dem Artikel Tausendundeine Erfindung vom 05.02.2007:



Ich muss der Gleichsetzung von Islam und Arabien, Religion und Wissenschaft widersprechen. Die Analyse, dass in islamisch beherrschten (!) Reichen die Wissenschaft nicht so umfassend terroristisch bekämpft wurde wie von den christlichen Kirchen ist richtig. Falsch ist, diese Tatsache der Religion zuzuschreiben. Gerade der zitierte Al-Razi, einer der größten Wissenschaftler seiner Zeit, war antireligiös und wetterte gegen den (muslimischen) Aberglauben. Mit der gleichen Fahrlässigkeit könnte man Marx als christlichen Gelehrten bezeichnen, weil er "aus dem Abendland" kam. Al-Razi und Marx zeigen im Gegenteil, dass Aufklärung und Humanismus universal sind und in Todfeindschaft zum religiösen Dogma stehen.

Dr. Utz Anhalt



Alle Leserbriefe zu dem Artikel





[editiert: 09.02.07, 09:06 von bjk]
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New PostErstellt: 26.06.11, 14:51  Betreff:  Der Koran - kein Handbuch des Terrors  drucken  weiterempfehlen

gelesen in: http://www.neues-deutschland.de/artikel/200595.kein-handbuch-des-terrors.html?sstr=Kein|Handbuch|des|Terrors



Kein Handbuch des Terrors


Die Orientwissenschaftlerin Angelika Neuwirth erforscht den Koran als »Text der Spätantike«



ND: Frau Professor Neuwirth, unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verzeichneten die Buchhandlungen in Deutschland eine rege Nachfrage nach dem Koran. Offenbar glaubten damals viele Menschen, darin Aufschluss über die Motive dieser Anschläge und das von ihnen im Islam vermutete Gewaltpotenzial zu finden. Wie ist diese negative westliche Wahrnehmung des Korans zu erklären?
Neuwirth: Sie hat mit der verbreiteten, aber ganz irrigen Annahme zu tun, dass Religionsurkunden Register von Verhaltensregeln für den Alltag darstellen. Der Koran ist aber kein Text, aus dem praktische Vorschriften zu entnehmen sind. Solche Vorschriften müsste man eher in der Rechtsliteratur suchen. Insofern ist der Versuch, den Koran für politische Handlungen verantwortlich zu machen, sinnlos. Man mag einwenden, dass sich bestimmte Akteure für ihr Handeln selbst auf den Koran berufen; sie berufen sich dabei jedoch weniger auf den tieferen Sinn des Textes als auf bestimmte Verse, die man, wenn man sie aus dem Kontext reißt, zur Legitimierung von Gewalt heranziehen könnte. Aber was bringt das? Es wäre ebenso sinnlos, wollte man beliebige biblische Texte, von ihrem historischen Umfeld isoliert, zur Richtschnur für politisches Handeln machen – etwa das Buch Josua der Neuordnung von politischen Strukturen in einem Land wie Afghanistan zugrundelegen.

Wo Sehen Sie die Ursachen für die in Teilen der Öffentlichkeit – und auch auf Seiten der Politik – verbreiteten Missverständnisse und Fehlinterpretationen des Korans?
Das Problem ist nicht auf den Koran beschränkt. Man kennt die gesamte Wissenskultur des Islams nicht. Zwar ist allgemein bekannt, dass es im Mittelalter eine blühende islamische Kultur in Spanien gab, und Gebildete wissen auch, dass aus dem arabischen Raum entscheidende neue Ideen gerade auf dem Gebiet der Philosophie in den Westen kamen. Aber die islamische Wissenskultur und ihre Besonderheiten, durch die sie sich von unserer westlichen unterscheidet, sind so gut wie unbekannt. Was wir brauchen, ist eine größere Zahl gebildeter Vertreter der islamischen Kultur in unserer Mitte, die – auf Augenhöhe mit ihren westlichen Kollegen – an unseren Universitäten und überhaupt in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen könnte.

Mit Ihrem Buch »Der Koran als Text der Spätantike« unternehmen Sie den Versuch, über den Abgrund zwischen der wissenschaftlichen Koranforschung und der öffentlichen Wahrnehmung des Korans hinweg eine neue Sicht zu etablieren. Was kennzeichnet diese Sicht?
Ziel unserer Untersuchung ist, den Koran endlich in unsere europäische Bibliothek kanonischer Texte hereinzuholen, ihn als Teil unserer Theologie- und Geistesgeschichte erkennbar zu machen. In Europa haben wir den Koran lange Zeit verkannt. Wir sollten versuchen, ihn nun als das zu lesen, was er ursprünglich ist, nämlich eine Stimme in dem Debattenkonzert der Spätantike, in dem die Kirchenväter der christlichen Tradition, die Rabbinen der jüdischen Tradition, aber auch pagane Philosophen zu zentralen gemeinsamen Fragen Stellung nahmen. Der Koran sollte nicht als ein »Buch« verstanden werden, das sich der planmäßigen Arbeit eines Autors verdankt, sondern eher als die »Mitschrift« einer mündlichen Verkündigung. Wenn wir ihn so lesen, erkennen wir leicht, dass die Rede von der exklusiv jüdisch-christlichen Tradition Europas unhaltbar ist. Ein ganz unhaltbares Gegenargument ist seine vermeintlich »fremde« geografische Herkunft und seine Entstehungszeit. Denn die Grundschriften des Judentums und Christentums entstanden nicht anders als der Koran »im Orient«; der babylonische Talmud etwa, eine Zusammenfassung jüdischer Gelehrsamkeit, entstand in Mesopotamien – dem späteren Irak – ungefähr zur gleichen Zeit wie der Koran, der sich weitgehend mit den gleichen Grundfragen wie die beiden anderen Religionstraditionen auseinandersetzt.

Was bedeutet es für die Muslime, wenn Sie den Koran nach Europa zurückholen und in der Spätantike verorten?
Es ist ein weiteres Ziel unserer Arbeit, den muslimischen Kollegen, mit denen wir in vielen Fällen schon zusammenarbeiten, eine Handreichung zu geben, sich der historischen Koranforschung ernsthaft zuzuwenden. Moderne Muslime stehen vor der Notwendigkeit, den gesamten Koran für unsere Zeit verständlich und überzeugend auszulegen und dabei auch für diejenigen Verse eine Erklärung zu finden, die – im Wortsinn verstanden – anstößig sind, etwa weil sie Moralvorstellungen reflektieren, die sich mit zeitgemäßen Normen nicht vereinbaren lassen. Solche Verse lassen sich aus ihrer Entstehungssituation sinnvoll erklären und damit in ihrer Verbindlichkeit für die heutige Zeit relativieren.

Worin unterscheidet sich das islamische Textverständnis von unserem?
In der westlichen Kultur richtet sich die Neugierde auf die historischen Schichten und die historische Einbettung der Texte. Die Europäer mussten ihre klassischen, das heißt griechischen oder lateinischen Texte erst übersetzen, um sie verstehen zu können. Und diese Gewöhnung an das Übersetzen sensibilisierte die Leser und Bearbeiter der Texte für deren historische Dimension. Vor allem aber stimulierte das Wissen, dass es unter der Übersetzung einen Originaltext gibt, die Neugierde, diesen älteren Text »auszugraben«. Die sprachliche Oberfläche der übersetzten Texte musste aufgebrochen werden, wenn man Zugang zu der ursprünglichen Bedeutung bekommen wollte. So entwickelte sich in der von der Bibel und den griechisch-römischen Klassikern geprägten europäischen Kultur eine Verstehenslehre, eine Hermeneutik, die eigentlich eine Übersetzungshermeneutik ist. Diese Text-Ausgrabungsarbeit ist zu Recht mit der Archäologie verglichen worden. Im Islam ist die Situation umgekehrt. Hier sind die maßgeblichen Texte gerade nicht übersetzt, sondern liegen original arabisch vor.

Folgt aus Ihrer neuen historischen Sicht auf den Koran auch eine neue Sicht auf die Entstehungsgeschichte des Islams?
Wie andere Religionsurkunden auch verdankt sich der Islam einem Kommunikationsprozess zwischen einem charismatischen Sprecher und seinen Hörern, die im Laufe der Zeit zu einer Gemeinde werden. Man muss sich dazu vor Augen halten, dass der Koran nicht von Anfang an ein islamischer Text ist; er wird dazu erst durch seine Kanonisierung zur Grundurkunde des Islams. Zunächst einmal ist er die Mitschrift einer Verkündigung, durch die eine neue Bewegung entsteht. Zum Zeitpunkt des Todes des Propheten ist diese Bewegung offenbar schon so weit konsolidiert, dass sie weiter bestehen kann. Man kann von diesem Zeitpunkt an von »frühen Muslimen« sprechen; während der Verkündigung selbst kann man das eigentlich noch nicht, obwohl uns das Wort »Muslim« im Koran schon begegnet. Es bedeutet dort aber eher so etwas wie »Gottergebener« und ist noch keine Bezeichnung für eine Religionszugehörigkeit. Der Koran, wie er uns vorliegt, ist ein »Text mit zwei Gesichtern«. Das eine Gesicht ist jenes, das ihm die spätere islamische Tradition gegeben hat, sein »islamisches Gesicht«. Das andere – von uns in den Blick genommene – ist das Gesicht, das die koranische Gemeinde an ihm wahrnahm, sein Bild in den Augen der frühesten Hörer, die noch gar nicht Muslime waren, sein »spätantikes Gesicht«. Diese Unterscheidung ist wichtig – gerade wenn es darum geht, den Islam als eine uns verwandte Religion verständlich zu machen.

Die Europäer müssten sich ihrer Beziehung zum Koran erst noch bewusst werden, schreiben Sie in Ihrem Buch…
Das klingt vielleicht etwas arrogant. Die bulgarische Historikerin und Philosophin Maria Todorova unterscheidet zwischen einem kulturellen Erbe – dem, was jede Kultur als Teil ihrer Identität von Generation zu Generation weiter überliefert – und ihrem Vermächtnis. Das sind die Spuren einer Vergangenheit, die eher versunken, vielleicht auch verdrängt ist, die also erst wieder zu entdecken ist. Todorova denkt dabei an die Balkankulturen, die ihr »eigenes Erbe« sehr bewusst pflegen, sich aber mit ihrem Vermächtnis, der osmanischen Vergangenheit, nur zögernd auseinandersetzen. Wir können natürlich nicht behaupten, dass der Koran ein europäisches Erbe ist. Denn er wurde in Europa nie wirklich angemessen rezipiert. Umso mehr ist er aber ein europäisches Vermächtnis, das uns aus der Spätantike aufgegeben ist. Und er ist ein herausforderndes Vermächtnis, auf das wir jetzt, da wir die eigentlichen Erben in so enger Nachbarschaft bei uns haben, dringend wieder ans Licht bringen sollten.

Kann man hoffen, dass durch eine solche Erkenntnis auch Konfliktfelder religiöser, politischer und gesellschaftlicher Natur reduziert würden?
Ich bin optimistisch. Es besteht zumindest in der jungen Generation auf beiden Seiten eine große Neugierde, ein intensives Interesse am Zugang des jeweils anderen. Statt Konflikte zum Gegenstand der Forschung zu machen, kann man sie vielleicht durch Forschung auch unterminieren. Ich weiß nicht, wie weit man Terroristen von ihren Absichten abbringen kann. Aber es gäbe eine sehr viel klarere Haltung gegenüber religiös verbrämter Gewalt bei unseren muslimischen Mitbürgern, wenn sich ein starker »europäischer Islam« schon herausgebildet hätte. Der Islam ist Teil unserer Gesellschaft; er muss aber mehr werden, nämlich auch ein Teil unserer plurikulturellen Identität.

Gespräch: Adelbert Reif



Angelika Neuwirth studierte persische Sprache und Literatur an der Universität Teheran, Orientwissenschaften und Klassische Philologie in Göttingen sowie Arabistik und Islamwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem. Ab 1975 lehrte sie sechs Jahre lang Arabische Philosophie an der Universität von Jordanien in Amman und leitete von 1981 bis 1983 eine Sektion an der Royal Academy for Islamic Civilization in Amman.

Nach einigen in- und ausländischen Gastprofessuren übernahm sie 1991 den Lehrstuhl für Arabistik an der Freien Universität Berlin. Von 1994 bis 1999 war sie Direktorin des Orient-Instituts der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut und Istanbul. 1999 kehrte sie auf ihren Lehrstuhl in Berlin zurück. Sie leitet Forschungsprojekte an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seit 2007 ist sie Leiterin des Forschungsvorhabens »Corpus Coranicum«, dessen Ziel es ist, eine historisch-kritische Dokumentation des Korantextes und einen historisch-literaturwissenschaftlichen Kommentar zu erstellen.

Zuletzt veröffentlichte Angelika Neuwirth das Buch »Der Koran als Text der Spätantike« (Verlag der Weltreligionen, Berlin 2010).




... ich tue was Linke tun, Ungerechtigkeit bekämpfen!
von Yossi Wolfson
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