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Lieber Herr Kneffel,
daß die französische Position zur Trennung von Staat und Kirche zuweilen fundementalistisch Formen annimmt, ist unbestritten und wohl nur durch die Wurzeln der Republik in einem Akt imperialistischer Assimilationspolitik zu verstehen. Der Glaube, Menschen unterschiedlicher Herkunft notfalls auch gegen ihren Willen "zu Franzosen machen" zu können und damit alle Probleme zu lösen, ist offenbar fester, als es die Türme der Bastille waren.
Andererseits ist wohl die herablassende Kritik über die jetzige Diskussion über das Tragen von Kopftüchern kaum angebracht. Tasächlich ist der französische Staat dabei, seinen Einfluß namentlich in den Vorstädten zu verlieren, die Franzosen sehen sich, teilweise empfundenen, teilweise aber sehr realen Überfremdungsängsten gegenüber, als deren Symbol sie das Kopftuch nicht ohne einen gewissen Grund empfinden. Es ist Ausdruck einer fremden Kultur und Zivilisation, die sich in Euroa verbreitet und sich zur Schau stellt. Nicht ohne Grund sieht man etwa bei Türkinnen in Deutschland das Kopftuch häufiger, als in der Türkei. Dort ist es "nur" Zeichen der Religion, hier der Abgrenzung einer ethnischen Gruppe von der deutschen Gesellschaft, möglicherweise auch Nation.
Man könnte diese Entwicklung, auf Frankreich bezogen, natürlich mit einer gewissen Schadenfreude als ungewolltes Ergebnis des französischen Kolonialismus betrachten. Allerdings vergeht dieses Gefühl recht schnell, wenn man die Tendenzen hin zu einer Enteuropäisierung Europas betrachtet.
Als Linke sollten wir uns auch bei großem emotionalen Unwohlsein, etwa in einigen Stadtteilen Berlins, nicht zu rassistischen Sichtweisen auf Einwanderer hinreißen lassen. Genausowenig kann es aber m.E. nach eine linke Haltung sein, das Verschwinden der europäischen Nationen in einer kulturellen Beliebigkeit achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen, oder, wie einige sog. Linke speziell mit dem Blick auf Deutschland, sogar zu begrüßen. Ich finde nicht, daß Links dort ist, wo es keine Heimat gibt. Ich möchte in einem sozialistischen Deutschland leben, das ich noch wieder erkenne. Einige "Linke" werden mir dafür Querfrontambitionen vorwerfen. Doch eine Beleidigung aus deren Mund ist mir meist eine Freude.
Ich bin mir nicht sicher, wie diese Aufgabe zu bewerkstelligen ist und ich weiß auch nicht, ob Verbote dafür ein gangbarer Weg sind. Eine solche Diskussion kann jedoch vielleicht hilfreich sein, um das Bewußtsein für Probleme zu vergrößern. Sollte man die ethnischen und kulturellen Probleme in Europa weiterhin politisch korrekt unter dem Teppich halten, befürchte ich eine Explosion von Haß und Gewalt.
Ihre Meinung zu diesem Thema würde mich interessieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Jürgen Küster