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Denkverbote, Tabus, "Political" und "Historical Correctness"
Von Jürgen Konerth, MA
Ein neuer Begriff macht - aus den USA kommend - in Deutschland die Runde: `political correctness´; unzureichend übersetzt mit: "politische Korrektheit".
Der Begriff mag im ersten Augenblick irritieren. Verbirgt sich dahinter die Forderung, die demokratischen Spielregeln einzuhalten? Das Gegenteil ist der Fall! Nicht Meinungsfreiheit und Pluralismus, nicht der faire Wettstreit der politischen Kontrahenten und die freie Entscheidung des politisch mündigen Bürgers werden gefordert. `Political correctness´ fordert statt dessen Gefolgschaft für die eine richtige Gesinnung und die Ächtung von Nonkonformisten.
"Politisch korrekt" ist in Deutschland vor allem derjenige, der nicht "rechts" oder, besser noch, gegen "rechts" ist. Umgekehrt werden unter dieser neuen Fahne patriotisch denkende Bürger und die parteipolitische nationale Opposition diskriminiert und kriminalisiert.
Jochen Lober hat in den Staatsbriefen (Nr. 8/1996) darauf hingewiesen, daß eine Begriffsbestimmung der "Politischen Korrektheit" bislang nur phänomenologisch erfolgt sei. Die den verschiedenen Themen und Kampagnen innewohnende einheitliche Methodik und Strategie sei bislang jedoch kaum zur Kenntnis genommen worden. Die vorliegende Abhandlung soll einen Beitrag zur Klärung dieser Frage leisten.
Die zwei leitenden Fragestellungen sollen dabei das "Wie?" und das "Warum?" sein.
Die Meinungsfreiheit, so Klaus J. Groth, sei in Deutschland stark begrenzt. Es gebe keinen Bereich, der nicht dem Diktat der "Politischen Korrektheit" unterworfen sei. Das Ziel sei, Sprache und Verhalten zu reglementieren. 1)
Die Autoren Michael Behrens und Robert von Rimscha sind nicht weniger deutlich. "Politische Korrektheit ist die Eliminierung unerwünschter Wörter und Gedanken durch deren Tabuisierung." Sie definiere, was gut und was böse ist, und sei die Verordnung von richtigem Denken. Da man in Sprache denkt, werde diese normiert. Bezweckt sei Herrschaft durch Sprache. Außerdem gehöre in Deutschland zur "Politischen Korrektheit" auch die "Historische Korrektheit". Beide zusammen würden fast alle Lebensbereiche abdecken und ein Koordinatengefängnis bilden, aus dem es kein Entrinnen gebe. 2) Was politisch unkorrekt ist, entscheidet, so Michael Klonovsky in Focus (Nr. 16/1995), die politisch korrekte Medienöffentlichkeit.
Hans Wagner, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) in München, hat nun vor einiger Zeit gerade eine wissenschaftliche Abhandlung über "Medien-Tabus und Kommunikationsverbote" verfaßt. 3)
Er erläutert ihr Zustandekommen und die Folgen, welche sie für den Bürger und die ganze Gesellschaft haben. In der Menge von Informationen, mit denen wir konfrontiert werden, nehmen diejenigen Informationen immer mehr zu, die nicht auf eigenen Erfahrungen beruhen. Der Bürger muß sich jedoch orientieren, um Entscheidungen jeglicher Art treffen zu können. Diesem Orientierungsbedarf des Bürgers wird der Journalist nur dann gerecht, wenn er das jeweils aktuelle Faktenwissen bezüglich einer Sache ohne parteiliche Präferenzen, also ohne Bevorzugung einer Position, berichtend vermittelt.
Wichtig für guten Journalismus wäre also, ob der Bürger an Hand der Berichterstattung die Möglichkeit hat, sich selbst zu orientieren und sich eine Meinung zu bilden.
Nur eine nach allen Seiten offene, unparteiliche Vermittlung von kontroversen Standpunkten aus der Gesellschaft, zum Zwecke der Ausleuchtung von Tatsachen nach allen Seiten hin, die allen gesellschaftlichen Kommunikationspartnern eine Artikulationschance gibt, wird dem gerecht. Der Journalist darf keineswegs die Mitteilungen, womöglich einseitig, nach subjektiven Überzeugungen auswählen oder eine Mitteilung durch einfließende subjektive Kommunikationsinteressen beeinträchtigen, überlagern und zerstören. Ein Weglassen von Wissensaspekten bedeutet zugleich eine Minderung von möglicher Sachkenntnis und folglich ein Defizit an Bewertungswissen bezüglich der zu klärenden Sache. Zugleich werden damit jene Personen und Gruppen der Gesellschaft ausgeblendet, welche die verdrängten Sachkenntnisse und damit zusammenhängenden Wertvorstellungen vertreten. Nachteilig ist dies jedoch nicht nur für die ausgeblendeten Personen und Gruppen, sondern für jeden Bürger, denn dieser muß zugleich ein Wissens- und Orientierungsdefizit hinnehmen.
Bei permanenter gleichgerichteter also einseitiger Medienberichterstattung - dies beinhaltet Medientabus - kommt ganz allgemein eine bestimmte Wissens- oder Meinungsposition überwiegend zu Wort, andere werden totgeschwiegen oder marginalisiert, d. h. formal und sachlich benachteiligt.
Kommunikationswissenschaftlich spricht man in diesem Fall von einem Ungleichgewicht "publizistischer Feldstärken". Die begünstigte Auffassung signalisiert praktisch automatisch, was sozial, also gesellschaftlich, gebilligt ist.
Die Vertreter einer benachteiligten Position gewinnen hauptsächlich durch die scharfen gegnerischen Interpretationen Kontur, während die bevorzugte Position umgekehrt jegliche Chance auf authentische Selbstdarstellung erhält oder ihr generell Schonung vor Angriffen gewährt wird. Die bevorzugt in den Medien vermittelte Meinungsposition zu einer bestimmten Sache wird mit positiven moralischen Bewertungen überladen, die benachteiligte Position wir hauptsächlich oder sogar ausschließlich durch Charakterisierungen der Gegner beschrieben und bewertet. Die Folge, so Wagner, ist schließlich eine Verschmelzung von Thema und Meinung, die man als "manipulative Moralisierung" bezeichnen kann. Die bevorzugte Meinung entwickelt eine Tendenz zur "Moral mit Annahmezwang". 3)
Die Publizistik, so Wagner in einem weiteren Fachaufsatz, bestimmt, wann und wo und von wem Tabu- und Correctness-Verletzungen begangen werden. Sie gewinne Macht als unkontrollierte "Vierte Gewalt" gegen Recht und Verfassung. 4)
Wer ein Tabu bricht, der kommt in den Medien an den Pranger. Wagner beschreibt auch, wie der publizistische Pranger konstruiert wird. Schon die Überschrift präsentiert das publizistisch präferierte Wertmaß. Dieses Wertmaß wird in der Berichterstattung an alle Meinungspositionen scheinbar gleichmäßig angelegt. Wer diesem Maß nicht entspricht, wird menschlich und persönlich deklassiert oder offen diskriminiert, wobei jede sachliche Auseinandersetzung umgangen wird.
Die Strategie der "manipulativen Moralisierung" und des publizistischen Prangers ist exakt die Strategie, welche die politisch und historisch "Korrekten" verfolgen.
Wagner führt aus, daß die Strategie der "manipulativen Moralisierung" betrachtet werden kann als komplementäre Konstruktion sozialer Mißbilligung und sozialer Billigung nach Maßgabe des publizistischen Präferenzsystems. Zu dieser Strategie gehört, daß in Teilen der Berichterstattung scheinbar pluralistisch vermittelt wird. Dieser Eindruck wir hergestellt durch Vielstimmigkeit. Tatsächlich jedoch erhalten Pro- und Contra-Positionen in den Medien keineswegs gleiche Chancen, weder quantitative noch wertmäßige. Tatsächlich sind ganze Meinungsbereiche und Meinungsspektren tabuisiert.
Die Folge ist, so Wagner, daß sich die propagierten Wertstrukturen nahezu ungehindert als soziale Normen etablieren lassen. Orientierungsprozesse in der Gesellschaft lassen sich so steuern, alle Wirklichkeiten, die nicht mit der bevorzugten Vorstellung übereinstimmen, können ausgeschaltet werden. Handlungsmöglichkeiten werden beschränkt und Wertpräferenzen geschaffen. Die Publizistik produziert Orientierungsstrukturen, die zu bestimmten Realitätsdeutungen führen. 6)
Die Ursache der permanent gleichgerichteten und einseitigen Medienberichterstattung ist eine ausgeprägte Dominanz von linksliberalen und linken Anschauungen im deutschen Journalismus. Viele Studien haben dies in den letzten Jahren belegt. Wagner erwähnt einen "informellen Konsens" der deutschen Journalisten und eine massive Wertkluft zur Gesellschaft. 7)
Jürgen Liminski schreibt, daß das selbstermächtigte Verschweigen oder Übergehen politisch relevanter Sachverhalte, wie es sehr viele deutsche Journalisten unter Berufung auf die nach ideologischen Maßstäben moralisch bessere Sache zu tun pflegen, über die herkömmliche Disputatio in pluralistischen Demokratien hinaus und hinweg geht. Das Ziel sei ein Meinungsmonopol oder zumindest eine Meinungshegemonie. Liminski bietet auch eine mögliche Definition für Desinformation an:
"Desinformation ist Teil des politischen Krieges oder ideologischen Kampfes. Ziel ist, mit den Mitteln des Wortes und des Verschweigens das Bewußtsein des ideologischen Gegners umzuformen. Oder kürzer: Desinformation - Krieg mit Worten und Schweigen." 8)
Oswald Spengler schrieb: "Der Pressefeldzug entsteht als die Fortsetzung - oder Vorbereitung - des Krieges mit anderen Mitteln". Diese Definition stellt die Frage nach dem Ursprung der "Politischen und Historischen Korrektheit." 9)
Joachim Hentze erläuterte in der Zeitschrift Criticon (Nr. 144/1994), daß die Journalisten in Deutschland weniger eine Berufsgruppe als eine Herrschaftselite bilden. Keine Elite in der Gesellschaft sei so homogen, nirgends das Meinungsspektrum so eng.
Er macht drei historische Zäsuren für das Selbstverständnis, die Berufsauffassung und die Arbeitsweise der deutschen Journalisten verantwortlich. Die letzte Zäsur fand mit der Wiedervereinigung statt. Die Medien in den neuen Bundesländern werden überwiegend von in der DDR erzogenen Journalisten gestaltet.
Wichtiger sind jedoch die zwei historischen Zäsuren, die schon wesentlich früher stattfanden. Zum einen war dies die Kulturrevolution der 68er. Der proklamierte Marsch durch die Institutionen hat stattgefunden, die Veteranengeneration sitzt natürlich auch, so Hentze, in der Bewußtseinsindustrie fest im Sattel.
Die erste und wohl wichtigste Zäsur, so meine ich, fand jedoch mit der re-education - zu deutsch Umerziehung - statt, welche die Sieger des Zweiten Weltkrieges den Deutschen verordneten. Hentze erläutert, daß weder die politische Neugestaltung den Deutschen überlassen wurde, noch erlaubte das Regime der alliierten Presseoffiziere eine wirklich eigenständige Entwicklung von Presse und Rundfunk.
Die Studentenrevolte von 1968 rannte, so Caspar von Schrenck-Notzing, nur noch offene Türen ein, denn sie nahm ihre geistigen Grundlagen fast zur Gänze aus der Umerziehung teils westlicher, teils östlicher Herkunft. 10)
Hans-Dietrich Sander hat in den Staatsbriefen (Nr. 5/1994) ebenfalls darauf hingewiesen, daß es im Wesentlichen in der Bewegung der 68er nichts gab, was nicht bis in die Anfänge der Bundesrepublik zurückreichte. Die "Ideen von 1968" breiteten sich, so Sander, deswegen auch überall mühelos aus, auch da, wo ihre Träger personell gar nicht vertreten waren. Der Marsch der 68er durch die Institutionen sei, so Sander, eine Legende; stattdessen wurden die 68er von allen Medien hofiert, als hätte man sie seit langem sehnsüchtitg erwartet.
Die durchschlagende Wirkung der 68er ist im Wesentlichen also eine Folge der seit 1945 tätigen Umerziehung.
Unter anderem war in der Zeit von 1945 bis 1949 in Westdeutschland tatsächlich eine völlig neue Presse entstanden. 11)
Die Psychological Warfare Division (PWD) war ein Gemeinschaftsunternehmen der Amerikaner und der Engländer, deren Streitkräfte sei der Invasion ja auch unter einem gemeinsamen Oberkommando geführt wurden. Sie stellte innerhalb des Alliierten Obersten Hauptquartiers der Alliierten Streitkräfte in Europa (SHAEF) eine besondere Stabseinheit dar. Allerdings betrieb sie während des Krieges nicht nur Propaganda, sondern sie entwarf auch schon Pläne für die deutschen Nachkriegsmedien. Die PWD war auch der direkte Vorläufer der Information Control Division (ICD), die als Teil der US-Militärregierung nach Kriegsende für den Aufbau und die Kontrolle der deutschen Medien verantwortlich war.
Daher schreibt Harold Hurwitz, der selbst Mitarbeiter einer Unterabteilung der ICD war, daß die Pläne der Amerikaner für Presse und Rundfunk im besetzten Deutschland von demselben Personenkreis entwickelt und dann auch ausgeführt wurden, der während den Kampfhandlungen für die psychologische Kriegführung verantwortlich war. Hurwitz spricht geradezu von einer "Kontinuität des Personenstandes". 12) Die Pläne für die zukünftige Pressepolitik sahen so aus: Die PWD betrachtete die Informationskontrolle als eine zeitlich begrenzte Aufgabe. In erster Linie sollte man sich um die Auswahl echter "Nazigegner" als Eigentümer und Leiter der neuen deutschen Zeitungen bemühen.
In den Plänen der PWD hieß es ausdrücklich, so Hurwitz, daß keine amerikanische oder britische Behörde sich direkt der Umerziehung der Deutschen annehmen solle. Die Umerziehung sollte von den Deutschen selbst vorgenommen werden.
Ein Dreistufenplan sah als ersten Schritt ein vorübergehendes totales Verbot jeglicher publizistischen Tätigkeit durch Deutsche vor. Als zweiter Schritt war eine vorübergehende Übernahme der Nachrichtenmedien durch die Besatzungsmächte vorgesehen und die Herausgabe von "Mitteilungsblättern" durch diese. Als dritter Schritt sollte dann die Einsetzung Deutscher unter alliierter Kontrolle und Zensur erfolgen. Die Einsetzung erfolgte schließlich durch die Vergabe von Lizenzen, daher spricht man auch bei dieser eingesetzten Presse von der "Lizenzpresse". Sie dominiert bis heute die deutsche Presselandschaft.
Hurwitz spricht von eine "Monopolisierung" von Personen, die nachweislich zu den "Nazigegnern" gezählt hatten.
Die deutsche Presse sollte ein Instrument der "demokratischen Volkserziehung" sein. 13)
Es genügte nicht, so auch Helmuth Mosberg, kein "Nazi" gewesen zu sein, "Antifaschisten" waren gefragt. Mosberg betont, daß die Inhaltsbestimmung der Lizenzpresse zwar offiziell mit Geboten und Verboten vor sich ging, der entscheidende Faktor jedoch die Personalpolitik war. Mosberg erwähnt in diesem Zusammenhang den "vorauseilenden Gehorsam", er nennt diesen auch die "Schere im Kopf", eine Selbstzensur, die eine Zensur von außen praktisch unnötig machte. Auch er betont, daß es primär um die Bildung einer neuen Schicht von "Meinungsmachern" ging. 14)
Schrenck-Notzing weist darauf hin, daß die sorgfältig ausgewählten Lizenzträger im Laufe der Jahre gesinnungsverwandte junge Kräfte kooptierten. Tatsächlich wurden so die sogenannte "Öffentliche Meinung" ein Instrument der Umerziehung. 15)
"Umerziehung", so bemerkt er, könne daher auch durch "Mentalitätswandel" oder "Wertewandel" ersetzt werden, wenn man das Wort "gesteuert" hinzusetze. 16) Mosberg schreibt: "Die Umerziehung war Vergangenheitsbewältigung". 17)
Georg Franz-Willing seiht daher ganz zu recht die "Vergangenheitsbewältigung" als Fortsetzung der Umerziehung an. 18)
Was ist unter Vergengenheitsbewältigung zu verstehen? Wagner schreibt, daß die publizistische Instrumentalisierung der Vergangenheit zum Zweck einer politisch-ideologischen Steuerung der Gegenwart und der Zukunft von Beginn der Bundesrepublik an gängige publizistische Praxis war und ist. 19)
Damit schließt sich der Kreis.
Schrenck-Notzing hat in der Zeitschrift Criticon (Nr. 145/1995) darauf hingewiesen, daß das eigentliche Herrschaftsmittel in George Orwells 1984 und Aldous Huxleys Brave New World die Propaganda ist. Sie stellt den Menschen in eine neue beliebig manipulierbare Wirklichkeit. Die Parteiparole in George Orwells 1984 lautet:
"Wer die Vergangenheit beherrscht,
bestimmt die Zukunft.
Wer die Gegenwart beherrscht,
bestimmt die Vergangenheit."
Orwell erwähnt in diesem Zusammenhang den Begriff "Realitätskontrolle". 20) Eine manipulierte und kontrollierte Realitätswahrnehmung beschränkt sich nicht auf die Gegenwart, sondern schließt die Vergangenheit mit ein. Die Vergangenheit wird nicht nur instrumentalisiert, indem verbindliche Lehren aus ihr gezogen werden, sondern auch ein verbindliches Geschichtsbild wird propagiert. Auf Tabubrecher wartet zumindest der publizistische Pranger.
Gisela Hundertmark verstand in ihrem Aufsatz "Politisches System und Massenkommunikationssystem" die politische Funktion der Massenmedien in der Demokratie als das Herstellen von gesamtgesellschaftlicher Öffentlichkeit, in welcher die publizistischen Teilöffentlichkeiten miteinander kommunizieren können. Erst wenn die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen in den Massenmedien vertreten sind, erreichen sie eine Öffentlichkeit, erhält umgekehrt die Öffentlichkeit einen Überblick über die in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen.
Ohne Kenntnis der politischen Probleme und Alternativen könne der einzelne Staatsbürger nicht einmal seine "Nur-Wähler-Rolle'" verantwortungsbewußt wahrnehmen. Andererseits müssen die Gewählten, wollen sie minimalen demokratischen Ansprüchen genügen, so Hundertmark, über die in der Gesellschaft vorherrschenden Meinungen unterrichtet sein, um sie in den politischen Entscheidungsprozeß mit einzubeziehen. Mit der Informationsfunktion der Massenmedien ist untrennbar ihre Artikulationsfunktion verbunden, denn erst wenn möglichst alle relevanten Meinungen zu den politischen Themen artikuliert werden, können sie in die politische Kommunikation einfließen. Erst dann kann von einer optimalen Information der Gesellschaft gesprochen werden, erst dann, so Hundertmark, ist demokratische Willensbildung möglich. Demokratische Willensbildung solle im Idealfall aus der permanenten Diskussion möglichst aller Mitglieder der Gesellschaft entstehen, die wiederum als Legitimationsgrundlage für politische Entscheidungen angesehen werde.
Insofern sei es notwendig, daß sich die Massenmedien primär als ein Podium begreifen, auf dem gesellschaftliche Konflikte öffentlich und damit durchschaubar gemacht werden. Die Leistungen der Massenmedien für eine demokratische Gesellschaft seien deshalb in erster Linie an ihre Vermittlerrolle zu messen, an der möglichst vollständigen Wiedergabe des ganzen Spektrums gesellschaftlicher Kommunikation. Ein als demokratisches Forum verstandenes Massenkommunikationssystem muß, so Hundertmark, für alle in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen zugänglich sein. Voraussetzung für diese Offenheit des Kommunikationssystems sei seine Unabhängigkeit. Offene Kommunikationssysteme sollen weder einseitiger Interessenbeeinflussung von staatlicher noch von gesellschaftlicher Seite unterliegen. 21)
Nur wenn diese Unabhängigkeit gewährleistet ist, so Hundertmark, wenn sich politische Öffentlichkeit in all ihren Ausprägungen in den Massenmedien manifestieren kann, kann ein demokratischer Staat funktionieren. Außerdem gehört das Postulat nach einem Maximum an Objektivität zu den wichtigsten demokratischen Kommunikationsnormen. Die Öffentlichkeit, die durch die Massenmedien hergestellt wird, muß unverzerrt und unparteilich, also möglichst objektiv die gesellschaftlichen Positionen widerspiegeln. Der Journalist hat Entscheidungsunterlagen bereitzustellen und zwar möglichst unverzerrt und vollständig. Er hat zunächst die Aufgabe, die Kommunikation der Gesellschaft objektiv zu vermitteln, damit der Bürger, der Wähler, die politischen Alternativen kennt. Pressefreiheit, so Hundertmark, meint nicht nur Freiheit für einige hundert Verleger und einige tausend Journalisten. Sie dient zuallererst der Sicherung der gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse. 21)
Auch die Autoren Peter Glotz und Wolfgang R. Langenbucher arbeiten die Rolle der Journalisten als Vermittler der gesellschaftlichen Kommunikation heraus. Sie haben wie jeder andere Staatsbürger das Recht, ihre Meinung zu vertreten. Aber nicht dies - die Formulierung des eigenen Standpunktes - ist ihre öffentliche Aufgabe, um deretwillen Freiheiten verbürgt werden. Zuerst und in ihrer eigentlichen Berufsrolle haben Journalisten und Verleger ehrliche Makler, Spezialisten zur Betreuung des geistigen Austauschs zu sein, eben Gesprächsanwälte und dann erst Vertreter ihres eigenen Standpunktes, zuerst Gesprächsleiter und Moderatoren und dann erst gleichberechtigte Mitsprecher im demokratischen Meinungsbildungsprozeß. 22)
Der Journalist hat, so Hundertmark, durch seine Tätigkeit in den Massenmedien zwar eher die Möglichkeit, öffentlich Kritik zu üben, er tut dies jedoch in der Rolle eines Teilnehmers an der politischen Kommunikation und nicht aufgrund einer beruflichen Sonderstellung. Denn demokratische Kritik und Kontrolle sind in erster Linie die Aufgabe der Gesellschaft selbst. Die Medien und die in ihnen Tätigen sind auch hier Vermittler politischer Kommunikation. Sie stellen den Raum der Öffentlichkeit her, in dem sich die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte kommunikativ selbst kontrollieren. Die Vermittlung der Medien, so Hundertmark, trägt also, wird sie korrekt ausgeübt, maßgeblich zur Selbstkontrolle des pluralistischen Gesamtsystems bei. 23)
In der Demokratie (Volksherrschaft) geht die Staatsgewalt "vom Volke aus" (Art. 20/2 GG). Das Volk ist der oberste Souverän. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Zusammengefaßt kann folgendes festgestellt werden:
Der Bürger wird durch einseitige Medienberichterstattung zu einer bestimmten Meinung manipuliert. Tabus, die sich auf Politik und Geschichte erstrecken, haben die Aufgabe, eine bestimmte Realitätswahrnehmung zu sichern. Ziel ist eine politisch-ideologische Lenkung, die auf Manipulation und Bewußtseinsumformung beruht. Die Folge sind Denkverbote. Meinungs- und Gedankenfreiheit sind in wesentlichen Bereichen faktisch außer Kraft gesetzt. Da keine freie politische Meinungsbildung mehr stattfindet, wird das Volk zum "Stimmvieh" degradiert und als "Stimmvieh" mißbraucht. Der Bürger, der Souverän, wird entmündigt und politisch diszipliniert. Die Medien haben die Funktion einer publizistischen politischen Inquisition.
Ergänzt wird dies noch durch politische Justiz und andere von staatlicher Seite herrührende Repressalien. Eine mögliche politische Neuorientierung soll verhindert werden. Vor allem werden der Bürger und das Volk zunehmend entrechtet, da sie die Entscheidungsbefugnis und Entscheidungsgewalt faktisch nicht mehr inne haben. Politische Entscheidungsmöglichkeiten und darauf aufbauende politische Handlungsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt. Notwendige politische Kurskorrekturen werden auf diese Weise be- oder verhindert. Die politische Klasse hat sich ein Herrschaftsmonopol errichtet, politische Herrschaft wir nur noch formal durch Wahlen legitimiert. Die Volksherrschaft ist beendet, denn das Volk hat in Wahrheit kaum noch etwas zu sagen. Die wahren Herrscher sind eine unkontrollierte publizistische Klasse und eine sich zunehmend verselbständigende politische Klasse.
Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim fordert eine Wiederbelebung der Demokratie. Er kommt bei seinen Studien zu folgendem Ergebnis: Unsere Demokratie, so schreibt er, ist kritikwürdig, weil sie in Wahrheit keine Demokratie ist. Dies sei ihr Grundübel. Die Pseudodemokratie muß erst zu einer wirklichen Demokratie gemacht werden. Das Volk, der nominelle Herr und Souverän, hätte in Wahrheit nichts zu sagen. 24)
Der Grundgesetzkommentar von Gerhard Leibholz und Hans-Justus Rinck betont die Bedeutung des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit. Dieses Grundrecht sei für eine freiheitlich-demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. Es sei in gewissem Sinne die Grundlage jeder Freiheit überhaupt. 25)
Das Recht, auch abweichende Meinungen zu haben und zu vertreten, ist das Grundrecht eines jeden Bürgers! Die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft ist längst überfällig!
ANMERKUNGEN
1) Groth, Klaus J.: Die Diktatur der Guten, `political correctness´, München 1996, S. 9-12.
2) Behrens, Michael und Rimscha, Robert: Politische Korrektheit in Deutschland, eine Gefahr für die Demokratie, Bonn 1995, 2. Aufl., S. 14, S. 16, S. 21, S. 50 und S. 176. Außerdem ist noch folgendes Buch zum Thema erschienen: Detlefs, Gerhard: Die Pervertierung der Meinungsfreiheit, `political correctness´, Politische Korrektheit, der Schleichweg in die Gesinnungsdiktatur, Tübingen 1995. Alle drei Bücher enthalten eine große Anzahl von Fallbeispielen zur "Politischen Korrektheit" in Deutschland. Die Diskriminierung und Kriminalisierung der parteipolitischen nationalen Opposition behandeln sie jedoch leider nicht.
3) Wagner, Hans: Medien-Tabus und Kommunikationsverbote, die manipulierbare Wirklichkeit, München 1991, S. 69ff., 131ff., 153ff. Meiner Meinung nach handelt es sich bei diesem Buch um das Standardwerk zur Strategie und Methode der publizistischen politischen Inquisition.
4) Wagner, Hans: "Zeitung und Geschichte, von der unbewältigten Vergangenheit zur unbewältigten Gegenwart", in: Eibicht, Rolf-Josef (Hrsg.), Helmut Diwald, sein Vermächtnis für Deutschland, sein Mut zur Geschichte, Tübingen 1994, S. 317
5) Wagner, Medien-Tabus, S. 254.
6) Wagner, Medien-Tabus, S. 161, S. 167, S. 170, S. 244, S. 254.
7) Wagner, Medien-Tabus. S. 64.
8) Liminski, Jürgen: "Desinformation - Ein Relikt des Kalten Krieges?", aus: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 23. 12. 1988, S. 36/37.
9) Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes, dtv 1986, 8. Aufl., S. 1138.
10) Schrenck-Notzing, Caspar: "Umerziehung in der alliierten Nachkriegspolitik und in der deutschen Gegenwart", in: Hueber, Alfons (Hrsg.), 8. Mai 1945, ein Tag der Befreiung?, Tübingen 1987, S. 280.
11) Hurwitz, Harold: Die Stunde Null der deutschen Presse, die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945 - 1949, Köln 1972.
12) Hurwitz, S. 22 und S. 24.
13) Hurwitz, S. 47/48, S. 117/118, S. 16/17.
14) Mosberg, Helmuth: Reeducation, Umerziehung und Lizenzpresse im Nachkriegsdeutschland, München 1991, S. 78, S. 80/81, S. 106 und S. 120.
15) Schrenck-Notzing, Caspar: Die Öffentliche Meinung als Instrument der Umerziehung. Festvortrag auf der Jahrestagung des Witikobundes 1967, München 1967, S. 12.
16) Schrenck-Notzing, Caspar: Charakterwäsche, die Politik der amerikanischen Umerziehung in Deutschland, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. VII.
17) Mosberg, S. 20.
18) Franz-Willing, Georg: Vergangenheitsbewältigung, bundesrepublikanischer Nationalmasochismus, Coburg 1992, S. 7.
19) Wagner, Zeitung und Geschichte, S. 317.
20) Orwell, George: 1984, Ullstein 1995, S. 39.
21) Hundertmark, Gisela: "Politisches System und Massenkommunikationssystem", in: Einführung in die Kommunikationswissenschaft, der Prozeß der politischen Meinungs- und Willensbildung. Teil 1, München 1983, 3. Aufl., S. 201-205.
22) Glotz, Peter und Langenbucher, Wolfgang R.: Der mißachtete Leser, zur Kritik der deutschen Presse, Köln, Berlin 1970, 3. Aufl., S. 29
23) Hundertmark, S. 206
24) Arnim, Hans Herbert: Staat ohne Diener, was schert die Politiker das Wohl des Volkes?, München 1995, 2. Aufl., S. 63/64 und S. 357.
25) Leibholz, Gerhard und Rinck, Hans-Justus: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Köln 1971, 4. Aufl., S. 122.
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[Anmerkung: Der bleibend aktuelle Beitrag von MA Jürgen Kohnert erschien erstmalig in dem von mir herausgegebenen Werk: Unterdrückung und Verfolgung deutscher Patrioten - Gesinnungsdiktatur in Deutschland?, Viöl/Nordfriesland 1997ff. Er soll, hier mit Zustimmung von Jürgen Konerth, erneut veröffentlicht werden. RJE]