Beitrag 173 von 784 (22%) | Antworten Beitrag schreiben | Anfang zurück weiter Ende |
|
Stoiber-Interview in der "Welt" von heute,1.9. 2006:
"Deutschland braucht starke Volksparteien"
CSU-Chef Stoiber warnt gegenüber WELT.de vor einer Zersplitterung der Parteienlandschaft und prognostiziert eine Renaissance der gewachsenen Werte und Traditionen.
Warnt vor dem Ende der Volksparteien: CSU-Chef Stoiber
WELT: Herr Stoiber, die Volksparteien gehen in den Umfragen in den 30-Prozent-Keller. Droht eine Veränderung der Parteienlandschaft in Deutschland?
Edmund Stoiber: Deutschland braucht starke Volksparteien. Schauen Sie sich in meinem Land um: Bayern fährt gut mit der starken Volkspartei CSU, die ohne Koalitionszwänge regiert. Die klare Mehrheit für die CSU führt zu klaren zukunftsweisenden Entscheidungen statt kleinteiliger Kompromisse. Die politische Stabilität Deutschlands und der Aufstieg unseres Landes haben ganz wesentlich mit der Stärke der Volksparteien zu tun. Glaubt denn jemand im Ernst, dass mit einer Vier- oder Fünfparteienkoalition mehr Stabilität und bessere Ergebnisse für das Land zu erzielen sind? Die Zersplitterung der Parteienlandschaft und eine Schwächung der Volksparteien würden zu einer Schwächung unseres Landes und zu weniger politischer Stabilität führen.
WELT: Vielleicht führt die mangelnde Unterscheidbarkeit, die fehlende Farbigkeit zur Schwäche der Volksparteien. Was unterscheidet denn die Parteien heute noch, wofür steht die CSU?
Stoiber: Zuerst einmal: Die CSU steht in Bayern stabil über 50 Prozent. Die CSU ist die Volkspartei der Mitte. Kurs der Mitte heißt für uns ein klares Ja zur Eigenverantwortung jedes Bürgers, aber auch ein klares Ja zur Solidarität. Ein schleichender Abschied von der Solidarität ist mit uns nicht zu machen. Kurs der Mitte heißt kein unbegrenzter Marktliberalismus à la FDP. Wir sind nicht und werden niemals eine Partei der sozialen Kälte werden. Kurs der Mitte heißt kein Umverteilungsstaat à la SPD und PDS. Wir sagen ja zu einer Politik, die Leistung anerkennt und belohnt. Kurs der Mitte heißt kein Schleifen unserer Werte und Traditionen, wie viele bei den Grünen fordern.
WELT: In der CDU tobt ein heftiger Richtungsstreit, seit CDU-Vize Rüttgers seine Partei vor Lebenslügen warnte. Wird der Streit auf die CSU übergreifen?
Stoiber: Nein. Für die CSU gilt unverändert: Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts zu stehen. Die CSU steht heute und stand immer zu den Werten, die unser Land geprägt haben, auch zu Zeiten, als dies nicht modern schien und viele Angriffe hervorgerufen hat. Unsere Familien und Vereine halten Deutschland viel mehr zusammen als die Börse oder Aktienkurse. Über diese Wertorientierung unserer Politik besteht in der CSU ein hoher Konsens. Wir haben und wir hatten keine extremen Ausschläge, und wir haben keine Richtungsdiskussion in unserer Partei. Politik gewinnt Vertrauen durch Verlässlichkeit.
WELT: Bedeutet dies nicht eine stärkere Abgrenzung von der Schwesterpartei CDU?
Stoiber: Nein. Die CSU ist seit über fünf Jahrzehnten Mitglied der Unionsfamilie, aber sie ist eine eigenständige und selbstständige Partei. Die CSU hat sich immer schon als Partei mit einer eigenen Programmatik und eigenen Akzenten verstanden. Zum Erfolgsgeheimnis gemeinsamer Union gehörte immer, dass einige CDU gewählt haben, weil es eben auch die CSU mit ihrer eigenen, wertorientierten, konservativen, wenig relativierenden und dafür umso klareren Programmatik gab. Und umgekehrt haben in Bayern einige CSU gewählt, weil es auch die CDU gab. Gemeinsam als Unionsparteien das breite bürgerliche Spektrum anzusprechen, mit Wahlergebnissen in Bayern über 50 und in Deutschland über 40 Prozent, war und bleibt Ziel und Anspruch der Union.
WELT: Sie betonen die Wertorientierung Ihrer Partei. Was heißt denn das für den Bürger?
Stoiber: Das S in unserem Namen heißt, dass wir als Volkspartei eine menschliche Gesellschaft für alle Bürger wollen. Eine Gesellschaft ohne soziale Verantwortung ist kalt und unmenschlich. Bayern und Deutschland sind viel mehr als nur Wirtschaftsstandort. Heimat und Vaterland bedeuten Schutz, Vertrautheit, das Wissen, wo man zu Hause ist, und eine Gemeinschaft, auf die man sich verlassen kann. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, was wir mit wertorientierter Politik meinen. Wir machen keine neuen Schulden mehr. Wir leben nicht auf Kosten der Zukunft. Wir dürfen nicht alles verbrauchen und verjubeln, was wir haben, sondern wir müssen es mehren und weitergeben an die nächste Generation.
WELT: Welche Bedeutung hat das C noch für die Unionsparteien?
Stoiber: Der erste und prägende Buchstabe im Namen der Unionsparteien ist das C. Die christliche Kultur und der christliche Glaube haben Bayern, Deutschland und Europa geprägt. Das ist unsere Kultur, zu der wir uns bekennen und die wir weitergeben wollen. Das ist etwas anderes als multikulturell. Wir werden eine Renaissance unserer gewachsenen Werte und Traditionen bekommen. Schon die Globalisierung zwingt uns dazu, dass wir uns unserer Traditionen und Wertvorstellungen wieder gewiss werden. Eine Gesellschaft, die an nichts glaubt, kann auch nicht an ihre Zukunft glauben, nicht einmal an sich selbst.
WELT: Die Union streitet über die Familienpolitik. Wie ist Ihre Position?
Stoiber: Es gibt verschiedene Formen, wie Menschen glücklich werden können. Für uns als CSU ist klar: Ehe und Familie sind unser Leitbild. Es ist unsere Aufgabe als Union, unsere Familien und die Ehe gegen gesellschaftliche Angriffe aus allen Richtungen zu schützen und zu stärken. Deswegen kommt eine Streichung des Ehegattensplittings nicht infrage.
Mit CSU-Chef Edmund Stoiber sprach Hans-Jürgen Leersch
Artikel erschienen am Fr, 1. September 2006