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REISEBERICHT |
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Reisebericht
über eine Urwald -
Durchquerung
vom Pazifik zur Karibik
vom
02. bis 24. März 1999
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Schon seit jeher
träumten die großen und kleinen Abenteurer davon,
Mittelamerika auf dem Landweg zu durchqueren. So wussten bereits
die spanischen Eroberer von einem alten Indianerpfad quer
durch den Bergnebelwald des heutigen Costa Rica. Hochmotiviert
und ausgestattet mit modernster Technik gelang es mir im März
diesen Jahres, jenen geheimen Pfad wieder zu entdecken und
so die heutigen Cordillere Talamanka zu durchqueren. Doch
auch bis heute - im Zeitalter von Mobiltelefon und Satellitennavigation
-scheint dieses Gebiet seine Geheimnisse nicht vollständig
preisgeben zu wollen. |
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Für die diesjährige
Dschungelwanderung hatte ich mich nicht so gut vorbereiten
können wie für jene vor drei Jahren, die ich dennoch
abbrechen musste. Im Winter war ich beruflich stark eingespannt,
meine Beziehung ging in die Brüche und gerade deshalb
wollte ich raus aus Deutschland, wieder etwas für mich
tun. Ich buchte einen Hin- und Rückflug für drei
Wochen - mehr war nicht drin - packte meine Sachen und zog
los. Nicht einmal die alten Tagebuchaufzeichnungen hatte ich
mir angeschaut, warum auch? Die letzte Tour war mir nach drei
Jahren dennoch lebhaft in Erinnerung. Erst in San José
kam ich zur Besinnung, kaufte mir neue Landkarten und die
noch fehlende Ausrüstung, besuchte eine Schlangenfarm
und einen Botanischen Garten. Dann fuhr ich mit dem Bus in
die Berge hinauf zur Finca, von wo ich das letzte Mal auch
gestartet war. Ich erhoffte mir etliche neue Informationen
von den dortigen Bewohnern, die sich um den Park kümmern,
doch musste ich zu meiner Enttäuschung feststellen, daß
seit meinem letzten Versuch wohl niemand mehr auf die Idee
gekommen war, den Wald zu durchqueren. Nur zwei Indianer waren
einige Tage im Park gewesen. |
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Reisebericht
(Seite 2)
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German,
der "Chef" der Wohngemeinschaft, meinte, ich solle auf
jeden Fall versuchen, von dieser Seite aus zu dem Weg zu gelangen,
das würde mir den Abstieg ins Tal und den Aufstieg auf der
anderen Seite ersparen - immerhin eine Höhendifferenz von 700
Metern und das in praller Sonne. Am nächsten Tag folgte ich
Germans Rat und kam gut voran. Das Schönste war, dass es durch
den Wald ging und nicht über die sonnenbeschienenen Grashänge.
Die Ernüchterung folgte auf dem Fuß und nach zwei Tagen
war ich wieder da, von wo ich hergekommen war: Es führte kein
Weg über den 2600 Meter hohen Kamm. Kalt und stürmisch
war es da oben, nachts sank die Temperatur unter 8° Celsius,
zu kalt für meine Dschungelausstattung. |
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Eigentlich
hätte ich eine Pause gebraucht, doch ich brach am nächsten
Morgen wieder sehr früh auf. Nach einem harten Aufstieg
von mehr als 1100 Höhenmetern bei sengender Sonne erreichte
ich über das Grasland den Rand des Waldes. Die Strecke
der ersten beiden Tage durch den Urwald kannte ich noch vom
letzten Versuch, von vor 3 Jahren, so dass ich ordentlich
vorankam und die Dschungelwanderung regelrecht genießen
konnte. Der Wald machte mir Freude, mit seinem Grün,
mit seinen Blüten und Bachläufen. Eine Schlange
kreuzte meinen Weg und bei jedem Frühstück begrüßte
mich ein Kolibri, als wollte er fragen, ob ich gut geschlafen
hätte.
Nur der Ausblick vom Höhenrücken, den ich "K3"
nenne, auf das vor mir liegende Gebiet ließ mich ein
wenig von der Unendlichkeit des Waldes ahnen, in die ich für
die nächsten 15 Tage eintauchen würde. Am dritten
Tag machte ich einen Abstecher zu Costa Ricas höchsten
Wasserfall. Wahrscheinlich war ich dort der erste Besucher
seit vielen Jahren. Abends hatte ich dann auch den großen
Fluss überwunden und befand mich auf dem Höhenrücken
"K5", der mich schon einmal zum Umkehren gezwungen
hatte. Doch diesmal sollte es anders werden, dessen war ich
mir sicher!
Am vierten Tag meines Marsches würde ich in ein Gebiet
vordringen, wohin bislang kein Weißer alleine gekommen
war, und auch die Indianer meiden dieses tief durchschnittene
Gelände mit dem verwirrend dichten Wald.
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Der ersehnte vierte
Tag begann mit einer Überraschung: Eine Markierung deutete
an, dass es steil bergab gehen würde und ich erinnerte mich,
dass ich mich seinerzeit entscheiden musste, ob ich oben blieb
oder abstieg. Damals blieb ich auf dem Höhenrücken,
so wie es Karte und Logik empfahlen. Doch vielleicht führte
der Weg hinab um das unausweichliche Chaos herum? Doch leider:
auch dieser Weg führte ins Nichts!
Mittags stand ich "alleine im Wald", kein Zeichen
weit und breit. Der Kompass wollte mich weiter bergab zu
einem Fluss schicken, der bereits von hier zu hören
war, aber der würde mich noch weiter vom Weg abbringen.
Meine Satellitennavigation (GPS) bekam hier unten im Tal
unter dichtem Blätterdach, starker Bewölkung und
bei langsam einsetzendem Regen keinen Kontakt mehr.
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Reisebericht
(Seite 3)
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Ich entschloss
mich in grobe Richtung des nächsten Kontrollpunkts wieder den
Berghang hinaufzusteigen. Der Aufstieg war eine wahre Schlammschlacht
durch dichtes Unterholz, der aufgeweichte Boden schob sich einfach
nach unten weg, das Unterholz ließ sich eher herausziehen,
als dass es Halt bot und dennoch versperrte es den Weg. Es schien,
als ob der Urwald mich unter keinen Umständen wieder den Berg
hinauflassen wollte. Nach mehr als drei Stunden zähen Ringens
stand ich im dichten Unterholz, aber immerhin auf einem Kamm, nicht
auf dem Kamm, wo der Weg verlaufen sollte, doch wieder absteigen
wollte ich auf keinen Fall. |
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Mein GPS fragte
mich, in welchem Land wir uns befänden, der Kompass schickte
mich immer noch unerbittlich hinab, doch ich war mit meinen
Kräften am Ende und beschloss mein Lager aufzuschlagen.
Auch der immer stärkere werdende Regen mit dem dichten
Nebel motivierte nicht gerade zum Weitergehen.
Am nächsten Morgen regnete es immer noch, doch die Wolkendecke
war dünner geworden, denn ich bekam eine Position über
Satellit herein. Die Information war ernüchternd: Seit
dem gestrigen Morgen hatte ich mich dem nächsten Kontrollpunkt
nur um ca. 1400Metern genähert, war aber dafür etwa
900m vom Weg abgekommen. |
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Zunächst
machte ich mir eine Zeichnung, um mir über den Wegverlauf
des Bergrückens und der Bachläufe Klarheit zu verschaffen.
Zu meinem Bedauern musste ich zurück zum Hauptkamm, um
von dort erneut den Indianerpfad zu suchen. Der Höhenrücken
sah auf meiner Zeichnung aus wie eine gespreizte Hand, deren
"Mittelfinger" ich vom "Daumen" aus erreichen
musste. Nachdem ich nur kurz auf den "kleinen" und
den "Ringfinger" zusteuerte, erwischte ich bei der
nächsten Entscheidung, wohl durch Glück den richtigen,
den "Mittelfinger". Ich hatte einfach das Gefühl,
auf dem Indianerpfad zu sein, beobachtete genau meine Umgebung,
begutachtete jeden Ast und fand dann auch endlich nach einer
Stunde eine Machetenspur. Der Wald lichtete sich keineswegs,
doch ich steigerte mein Tempo, obwohl ich erst nach einer
weiteren Stunde eine zweite Markierung erspähte. Jetzt
war ich sicher, die andere Seite erreicht zu haben.
Zwei Brüllaffen begrüßten mich mit lautem
Geschrei und schimpften noch eine Weile drohend hinter mir
her. Ein umgestürzter Baum konnte meinen Optimismus nicht
bremsen, bis ich nach Umgehung des toten Urwaldriesen feststellen
musste, dass ich den Weg erneut
verloren hatte. Eine weitere Nacht ohne die Sicherheit, auf
dem richtigen Weg zu sein, war die Folge! Ich befand mich
weit unter 2000 Höhenmetern, der Abend war warm, die
ersten Moskitos schwärmten durch die Luft und ich baute
diesmal meine Hängematte auf. Ich lauschte den Klängen
eines Konzerts von Fröschen, Grillen und Nachtvögeln.
Einige nachtaktive Affen und andere Säugetiere lieferten
ebenfalls ihren Beitrag, bis alle Geräusche im eintönigen
lauten Regengeplätscher auf der Schutzplane über
mir untergingen. Nur einige große Glühwürmer
kreisten noch um meine Hängematte. Noch einige Zeit lauschte
ich dem Wald bevor ich einschlief.
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Reisebericht
(Seite 4) |
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Am Abend des sechsten
Tages war ich immer noch nicht aus dem Wald heraus. Mir ist
heute noch rätselhaft, wie ein Weg einmal so genau zu
erkennen und zu begehen ist, als sei er erst gestern geschlagen
worden, um dann im Nichts zu enden. Am siebten Tag wollte
mir der Wald noch einmal alles zeigen, was er "draufhatte".
Morgens beobachtete ich einige Vögel, kam dann auch schnell
und gut voran. Zu schnell! Ich musste wohl eine Abzweigung
verpasst haben, denn mein Weg, der eigentlich schon längere
Zeit keiner mehr war, wurde von einem Bachlauf 20 Meter unterhalb
von mir unterbrochen. Beim Abklettern konnte ich nur mit einigem
Geschick einen Sturz verhindern. Unten am Bach angekommen
stellte ich fest, dass es auf der anderen Uferseite wieder
steil bergauf ging, wirklich extrem steil. Mühsam begann
ich hier wieder bergauf zu klettern. Oben angekommen befand
sich ein Platz, anscheinend ziemlich frisch
geschlagen, der wie ein Lagerplatz aussah. Doch dann ging
es nicht mehr weiter, alle wegführendenden Wege endeten
nach einigen Metern. Im stillen verfluchte ich die Indianer,
die dies alles wohl nur so hinterlassen hatten, um mich vollends
zu verwirren. Vielleicht waren es aber auch meine Gedanken,
die verwirrt waren. Kurz entschlossen ließ ich alle
Wege Wege sein und marschierte steil den Berg hinauf, in die
Richtung in die ich musste. |
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Es ging
immer steiler den Berg hinauf, und ich musste all meine Kletterkenntnisse
aufbieten. Kurz bevor ich den Höhenrücken erreichte, tat
sich ein Meer von agavenähnlichen Stechpalmen auf, die zu durchdringen
schier unmöglich erschien. Zeitgleich zum wieder einsetzenden
Regen erreichte ich den höchsten Punkt. Mein Kompass gab mir
die Richtung der ersten Siedlung an, und ich stürmte mutig
bergab. Nach einigen Metern zwangen mich die Stechpalmen erneut,
meinen selbstgewählten Weg zu verlassen und in ein Bachbett
auszuweichen. An einem 10 Meter hohen Wasserfall musste ich das
Bachbett verlassen, denn der Hang war völlig aufgeweicht. Doch
es kam noch schlimmer. Ich erreichte ein uraltes Bananenfeld, was
einst am steilen Hang angelegt war, dieses war mittlerweile über
und über mit Schlingpflanzen überwuchert. Schon nach wenigen
Metern überragte mich das Grün um etliches, und ich versank
immer tiefer in den Schlingpflanzen. Rutschend und mir den Weg frei
hackend versuchte ich, vorwärts zu kommen. Doch meine durchgescheuerten
Knöchel und Arme waren wie mit Stacheldraht gefesselt und ich
fand keinen Halt. |
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Ich
weiß nicht mehr wie ich aus dieser grünen Hölle
herauskam, doch nach endloser Zeit erreichte ich die Siedlung.
Auf einer kleinen Lichtung standen zwischen Bananenstauden
und anderen Nutzpflanzen drei ärmliche Bambushütten.
Die eine Hütte bildete lediglich ein Schutzdach für
Vieh und Brennholz. Die zweite grenzte wohl den Bereich des
hier lebenden Mannes ab: sie war nach zwei Seiten offen und
sah aus wie eine Werkstatt. Die dritte Hütte war Küche
und Schlaflager mit einer Trennwand und einer Art 2. Etage,
eine recht ärmliche Behausung. Alle Hütten standen
ohne Boden auf lehmigem Grund. Überall hing schmuddlige,
löchrige Wäsche zum Trocknen, Schweine und Hühner
wühlten und scharrten umher. Es machte einen trostlosen
Eindruck.
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Reisebericht
(Seite 5) |
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Die Indigena (Indianer)
Kinder flüchteten vor mir, nur der älteste Sohn
hielt ängstlich die Stellung. Ich grüßte ihn
schon von weitem und machte ein möglichst freundliches
Gesicht. Eigentlich hoffte ich auf ein trockenes Nachtlager
und so fragte ich den Sohn nach dem Vater. Er kam zögernd
ein paar Schritte näher und sagte, der Vater sei flussaufwärts
unterwegs - mehr war nicht herauszubekommen. Auf mein Bitten
wies er mir den weiteren Wegverlauf und unter vielen neugierigen
Blicken ging ich enttäuscht weiter. |
Noch heute
sehe ich die Szenerie vor mir, wie der kleine Mann trotz
seiner Angst mir freundlich den Weg zeigte. Ich konnte
damals kein Foto machen, heute bin ich froh darüber.
Ich hätte damals gerne meine Eindrücke mit
irgend jemanden geteilt, doch das musste wohl noch warten.
Auf dem nächsten Hügel baute ich mein Nachtlager
auf, - nichts wie raus aus den nassen Sachen und rein
in die Hängematte. |
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Da ich meinen
Poncho nachlässig aufgespannt hatte und der Regen von
der Hängematte in den Schlafsack lief, waren meine Sachen
am nächsten Morgen nass. Ich packte gegen 5:00h zusammen
und brach auf. Eine grobe Zeitplanung sagte mir, dass
ich, wenn alles gut ging, bereits am Abend in einem Hotel
sitzen könnte, frisch geduscht mit einer warmen Mahlzeit
und einem kalten Bier.
Es wurde ein harter Tag mit etlichen Kilometern, vielen Höhenmetern,
zwei Flussüberquerungen und einigem mehr. Doch mich interessierten
an jenem Tag wesentlich mehr die Menschen, die ich traf: Der
verschlafene Indianer am Morgen, der wohl nicht begriff, wo
ich her kam, als ich an seiner Hütte stand; Hornazio,
der eine tolle Lichtung mit seiner Familie bewohnte und mich
bat, seinen Bruder auf der anderen Seite des Flusses zu besuchen;
Dieser nette Bruder, mit seiner Begeisterung über meine
Extremtour; Die Gruppe, die ich am Fluss auf ihrem Weg in
den Laden traf, wo sie ihr Schweinchen verkaufen wollten;
Der Mann mit seinen Kindern am Abend, der mich ohne weiteres
zu sich einlud, die Nacht bei ihm und bei seiner Familie zu
verbringen; Ich wollte allerdings weiter, schon weil es mir
peinlich war, schmutzig und verschrammt ohne saubere Sachen
mit eingefangenen Flöhen und wohl auch mit einigen Kakerlaken
im Rucksack. Trotz meiner Absage überquerte der Mann
mit mir zusammen den Fluss und erzählte ohne Ende, obwohl
ich derjenige war, der etwas zu erzählen hatte. |
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Na ja,
dann im Dorf: das mit dem Hotel und dem fürstlichen
Speisen fiel denn doch etwas spartanisch aus - egal,
ich hatte es geschafft. Ich war wohl der erste Weiße,
der es zudem auch noch alleine geschafft hatte, dieses
Dschungelgebiet zu durchqueren, das machte mich mächtig
stolz. Vergessen meine Wunden und meine kaputte Ausrüstung.
Auf der Busfahrt nach San José begann ich fröhlich
zu pfeifen, meine Probleme in Deutschland schienen
weit entfernt und nebensächlich, denn ich wusste:
wer das geschafft hatte, dem kann nichts mehr passieren.
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