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Beitrag aus Welt am Sonntag:
"Zerschrödert
von Günther Lachmann
Wohin treibt die deutsche Sozialdemokratie? Sieben Regierungsjahre haben die SPD vollends dahingerafft. Sie ist ohne ideologische Orientierung und in heftige Richtungskämpfe zerstritten. Zerstört ist der Glaube unzähliger Genossen an das Bekenntnis der Partei zu einer Politik der sozialen Gerechtigkeit.
Fast 180 000 Parteiaustritte seit dem Regierungsantritt 1998 sprechen eine eigene Sprache. Und die meisten sind gegangen wegen der Politik eines Mannes: Gerhard Schröder.
Wie kein anderer sozialdemokratischer Kanzler und Parteivorsitzender zuvor hat er die SPD strapaziert. Immer wieder hat er sie in die Knie gezwungen, um die Unternehmenssteuern zu senken, den Kündigungsschutz zu lockern, die Riesterrente zu beschließen und mit Hartz IV die radikalste Arbeitsmarktreform seit Bestehen der Bundesrepublik durchzusetzen. Schröder entschied, er bestimmte die Richtung der Politik, und die Partei war angehalten, diese Politik abzunicken.
Wenn sie aber Einspruch wagte, Änderungen forderte, drohte er mit Rücktritt. Was Gerhard Schröder mit seiner Partei betrieb, war oftmals Erpressung, Führung war es nicht.
Vieles hat er ihr dafür versprochen. Er wollte Wachstum schaffen, die Zahl der Arbeitslosen unter 3,5 Millionen senken und den Haushalt sanieren. Keines dieser Versprechen hat er einhalten können.
Statt das Berliner Programm von 1989 zu erneuern, über das sowohl die deutsche Einheit und der Zusammenbruch des Ostblocks hinweggegangen war, setzte er auf eine Politik des "Dritten Weges", die es am Ende doch nicht zur programmatischen Reife brachte. Sein Traum von der Neuen Mitte zerplatze letztlich mit den Börsencrashs der sogenannten New Economy. Schröder und die SPD - sie wollten wohl einfach nicht dasselbe. Schröder wollte mehr Markt, mehr Eigenverantwortung und Bereitschaft zum Verzicht auf soziale Leistungen. Die SPD aber hing an der alten Sozialstaatsrepublik. Schröder wollte den Aufbruch, wollte dieses Land verändern. Aber er wußte schlicht und einfach nicht, wie er die SPD für diese Veränderung gewinnen konnte.
Kläglich scheiterte sein Versuch, die Reform-Agenda nachträglich durch ein marktliberales Programm aus der Feder seines "Generals" Olaf Scholz zu legitimieren. Statt zum Ausgleich geriet das Ansinnen zur Provokation, weil es das demokratische Selbstverständnis der Partei, den Meinungsbildungsprozeß von der Basis aufwärts desavouierte.
Je mehr Wahlen die SPD verlor, je mehr Schröder im Bundesrat auf die Bedingungen der Union eingehen mußte, desto stärker geriet die gesamte Partei ins Schlingern. Und vollends irre wurde sie, als Müntefering mit Schröders Billigung kurz vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl zum Kampf gegen den "Heuschrecken-Kapitalismus" aufrief. Wie sollten die Abgeordneten diese plötzliche Kehrtwende in ihren Wahlkreisen vertreten?
Schröders Politik stand in ständigem Konflikt mit seiner Partei. Er hat dabei die Sozialdemokratie mit den Gewerkschaften entzweit, er hat Reformer und Traditionalisten gegeneinander aufgebracht. Er hat die Gründung einer Linkspartei billigend in Kauf genommen. Aber er hat seiner Partei keine Idee von einer modernen Sozialdemokratie im neuen Jahrtausend gegeben, etwas, woran sie glauben könnte, was die zerstrittenen Flügel wieder vereint. Am Ende der Ära Schröder muß die SPD sich neu erfinden.
Artikel erschienen am 5. Juni 2005"
Quelle: http://www.wams.de/data/2005/06/05/727872.html