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Siegerwillkür und Imperialismus gegen Deutschland im 20. Jahrhundert
Die Siegerordnungen von Versailles, Saint-Germain, Trianon, Jalta, Potsdam sowie des "2+4 - Vertrages"
"Niederlagen und Friedensschlüsse
wirken niemals so, wie es in der Absicht der Sieger liegt.
Alle Verträge sind vergänglich, weil die Grundlagen,
Umstände und Ansichten sich ändern, auf denen sie
errichtet sind, weil das Antlitz der Geschichte
von einem Jahrzehnt zum anderen ein anderes wird.
Die Siege sind es auch; denn der Sieger selbst kann
an ihnen zugrunde gehen."
Oswald Spengler
Siedlungsgebiet und politische Handlungsfähigkeit der Deutschen sind seit dem Dreißigjährigen Krieg durch die Einwirkung feindlich gesonnener Nachbarstaaten systematisch verringert worden.
Am frühesten und nachhaltigsten ist der gegen das Deutsche Reich gerichtete Einfluß Frankreichs wirksam geworden. Als 1624 Kardinal Richelieu Erster Minister Ludwigs XIII. wurde, kam nicht nur der Schöpfer der staatlichen französischen Einheit, sondern auch ein Mann an die Macht, dessen hervorragendstes Ziel die Verhinderung der nationalen Einheit und Zentralgewalt Deutschlands war. Dazu kam seine Absicht, die "natürlichen Grenzen" Frankreichs durch militärische Eroberungen zu verschieben und durch Assimilation der unterworfenen Grenzbevölkerung zu sichern. Opfer dieser Politik wurden in geringerem Maße Spanier und Italiener, hauptsächlich aber Deutsche. Und sie sind es auch geblieben, denn Richelieus expansionistisches Programm wurde als sein Vermächtnis auch von nachfolgenden französischen Regierungen übernommen.
Der 1618 in Deutschland durch konfessionelle Streitigkeiten ausgebrochene Krieg ist durch Richelieu, der mit diplomatischen Mitteln, durch Zahlungen an die kämpfenden Parteien und ab 1635 durch den Einsatz französischer Truppen in seinen Verlauf eingriff, um mindestens 20 Jahre verlängert worden. Die Zerstörung und die Bevölkerungsverluste Deutschlands im Dreißigjährigen Krieg gehen also zum größten Teil zu Lasten Frankreichs.
Als diese Auseinandersetzungen 1648 durch den Westfälischen Frieden beendet wurden, diktierte die französische Diplomatie die Vertragsbedingungen. Frankreich gewann nicht nur die Bistümer Metz, Toul und Verdun, Deutschland verlor außerdem auch noch die Schweiz und Holland und mußte eine Aufsplitterung in 343 souveräne Staaten und etwa 40 000 Herrschaften und ebensoviel Orden und Abteien hinnehmen, die dank ihrer Vorrechte auch fast eine souveräne Stellung hatten. Die Verteilung der Macht auf den Kaiser, einen Reichstag und unzählige Territorialgewalten hatte ein handlungsunfähiges Deutschland zur Folge, dem Frankreich nach Belieben weitere Gebiet entreißen oder verwüsten konnte.
Im Siebenjährigen Krieg unterstützte Frankreich zum erstenmal die bis dahin bekämpften Habsburger gegen Friedrich den Großen, da der Aufstieg Preußens eine größere Gefahr für die französische Hegemonialpolitik zu werden schien. Auch nach dem Sturz der
Monarchie proklamierte die neugegründete Republik Frankreich in einer Erklärung des "Öffentlichen Wohlfahrtsausschusses“ am 11. Februar 1793: "Die Grenzen Frankreichs sind der Rhein, die Alpen und die Pyrenäen". Napoleon I. ging über diese Ziele noch hinaus. Unter seinem Protektorat schlossen sich am 12. Juli 1806 16 süd- und westdeutsche Staaten zum Frankreich unterstützungspflichtigen "Rheinbund" zusammen, erklärten sich für souverän und sagten sich am 1. August 1806 förmlich vom Deutschen Reich los. Am gleichen Tag erklärte der französische Gesandte beim Reichstag, daß sein Kaiser ein Deutsches Reich nicht mehr anerkenne. Kaiser Franz II. legte darauf am 6. August seine Würde als Oberhaupt des seit 962 bestehenden Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nieder. Frankreich hatte also das älteste europäische Staatsgebilde vernichtet.
Bis zum Ende der Herrschaft Napoleons I. war Frankreich die einflußreichste Macht Europas, verlor aber nach seiner Niederlage gegen Preußen, Österreich und Rußland 1812/13 erheblich an Bedeutung. Die Kriegserklärung Napoleons III. an Preußen 1870 sollte
Frankreich nicht nur wieder zu größerem Einfluß, sondern auch
zur Annexion weiterer deutscher Gebiete verhelfen. Als es diesen Feldzug verlor, mußte Frankreich aber nicht nur die Gründung eines neuen Deutschen Reiches, sondern auch den Verlust von Elsaß und Lothringen hinnehmen. Aber von diesem Augenblick an beherrschte die französische Politik der Gedanke einer Revanche, für die zunächst jedoch noch kein Verbündeter zur Verfügung stand.
Rußland war eine weitere Macht, die aufgrund ihrer Interessenlage in Deutschland einen Gegner sah. Das Reich der Zaren hatte sich seit dem Mittelalter in Europa und Asien fortgesetzt ausgedehnt und wollte diese Tradition unter anderem durch Kontrolle aller slawischen Völker und die Eroberung des Balkans bis hin zum Bosporus und den Dardanellen fortsetzen. Damit war ein Konflikt mit Österreich-Ungarn und dem mit ihm verbündeten Deutschland vorgezeichnet.
Für die englische Politik galt als Dogma, keine europäische Macht so stark werden zu lassen, daß sie Großbritannien gefährlich werden konnte. Dabei war es unerheblich, ob der betreffende Staat England auch tatsächlich bedrohen wollte: Er wurde trotzdem bekämpft. Dieser Brauch richtete sich lange Zeit gegen das als zu mächtig eingeschätzte Frankreich, nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 jedoch gegen das als aufsteigende Großmacht gefürchtete Deutschland. Ein weiteres Dogma der Politik Englands verlangte, daß seine Flotte stets doppelt so stark zu sein habe als die Kriegsflotten der beiden nächststärkeren Seemächte zusammen. Und ein anderer Grundsatz besagte, daß nur der Handel die Hauptquelle von Englands Wohlstand sein könne. Als Land mit einer als stark angesehenen Armee, einer zum Schutz seiner Handelsflotte aufgebauten Kriegsmarine und einem zunehmenden Anteil am Welthandel schien das Deutsche Reich also gleich mehrere Dogmen der britischen Politik zu verletzen. England war deshalb zunehmend daran interessiert, sich eines Rivalen und Konkurrenten zu entledigen.
Diese Interessenlage führte zwischen 1892 und 1914 zu militärischen Vereinbarungen und Absprachen zwischen Rußland, Frankreich und England und im August 1914 zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der ausgelöst wurde, weil serbische Terroristen mit russischer Zustimmung den Thronfolger Österreich-Ungarns ermordeten. 1915 trat Italien in diesen Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn gegen die Zusicherung der Alliierten ein, sein Territorium bis an den Brenner ausdehnen zu können. Und 1917 erklärten schließlich die Vereinigten Staaten, die aus Europa zu keinem Zeitpunkt bedroht oder feindlich behandelt worden waren, Deutschland und Österreich-Ungarn den Krieg.
Bereits 1914 begannen auf alliierter Seite Erörterungen darüber, wie die europäischen Mittelmächte nach ihrer Niederlage so weit als möglich geschwächt werden könnten. Zar Nikolaus II. teilte dem französischen Botschafter Maurice Paleologue schon am 21. November 1914 seine Absicht mit, die russische Grenze bis an die Weichselmündung vorzuschieben, die Provinz Posen und einen Teil Schlesiens einem neugegründeten polnischen Staat einzuverleiben, von Österreich-Ungarn, das diesen Krieg "nicht überleben" werde, Galizien und den nördlichen Teil der Bukowina zu verlangen, um die Karpathen als "natürliche Grenze" Rußlands zu erreichen, auf dem Balkan schließlich russisches Gebiet bis an den Bosporus auszudehnen. Serbien sollte gleichfalls große Teile Österreich-Ungarns, Frankreich nicht nur Elsaß-Lothringen erhalten, sondern sich "vielleicht sogar über die Rheinprovinzen ausdehnen". Belgien wurde in diesen Plänen ebensowenig vergessen wie ein "Köngigreich Hannover" zur Festigung des künftigen Friedens, in dem Preußen die deutsche Kaiserwürde
verlieren sollte. Die deutschen Kolonien durften England und Frankreich unter sich aufteilen.
Als Folge von zwei Revolutionen schied Rußland zwar aus dem Krieg aus, aber der nach der Niederlage der Mittelmächte von Frankreich, England, Italien und den Vereinigten Staaten diktierte Frieden stand den Plänen des Zaren in nichts nach.
Deutschland wurde am 28.6.1919 in Versailles zur Annahme eines Vertrages dadurch gezwungen, daß die Alliierten mit militärischem Einmarsch und der Fortsetzung einer Seeblockade drohten, die bereits den Hungertod von Hunderttausenden Deutschen bewirkt hatte. Unter Berufung auf die durch nichts bewiesene Behauptung, Deutschland habe den Ausbruch des Weltkriegs verschuldet, wurden Elsaß-Lothringen, Eupen und Malmedy, die Provinz Posen und der größte Teil Westpreußens, die südwestlichen Provinzen Ostpreußens, das Memelland und Danzig vom Reich abgetrennt. Das Saargebiet, dessen Kohlegruben Frankreich zufielen, sollte nach 15 Jahren über seinen Status entscheiden können. Obwohl sich die Bevölkerung Oberschlesiens am 20.3.1921 mehrheitlich für den Verbleib bei Deutschland entschied, wurde der industriell wichtigste Teil der Region von den Alliierten Polen zugesprochen - ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen selbst des Versailler Diktats. Deutschland wurden auch alle Kolonien genommen, sein Zusammenschluß mit Österreich verboten, seine Kriegs- und Handelsflotte bis auf geringe Reste von den Allierten genommen, seine Truppen auf ein kleines Berufsheer reduziert, seine linksrheinischen Gebiete besetzt und die unbesetzten Gebiete einer alliierten Militärkontrolle unterworfen. Neben sofort zu zahlenden 40 Milliarden Goldmark wurde Deutschland zu Reparationen verpflichtet, die bis zum Jahr 1963 226 Milliarden Goldmark ausmachen sollten.
Deutschlands Wirtschaft und Währung brachen unter diesen Belastungen zusammen, eine Inflation vernichtete die Privatvermögen, das Elend der deutschen Bevölkerung erreichte unvorstellbare Ausmaße. Von Marxisten ausgelöste Bürgerkriege bedrohten die öffentliche Ordnung, von Franzosen unterstützte Separatisten strebten eine vom Reich abgetrennte Rheinische Republik an, französische Truppen besetzten 1923 das Ruhrgebiet und fügten der deutschen Wirtschaft damit einen weiteren schweren Schlag zu.
Ähnliche Belastungen brachte das am 10. 9. 1919 unterzeichnete Friedensdiktat von Saint-Germain für Deutsch-Österreich.
Der Staat der Habsburger geht unter, angeblich, um das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchzusetzen, das jeder Nation einen eigenen Staat gewährleisten soll. Die Tschechoslowakei, Polen und das später so genannte Jugoslawien entstehen auf diese Weise. Aber diesen Ländern werden auch rein deutsch besiedelte Gebiete einverleibt: Deutsch-Böhmen, Deutsch-Mähren und Deutsch-Schlesien (Sudetenschlesien) mit 3 1/2 Millionen Menschen fallen an die Tschechoslowakei, einige Städte an Polen, die Südsteiermark an Jugoslawien, Südtirol an Italien. Der Wirtschaftsraum Österreich-Ungarns wird zerrissen, die Reparations- und Abrüstungsbestimmungen belasten die Deutsch-Österreicher zusätzlich, ihr wirtschaftliches Elend wächst ständig. Ein Zusammenschluß mit Deutschland wird ihnen verboten. Trotzdem finden im Frühjahr 1921 in Nordtirol und Salzburg Abstimmungen über eine Vereinigung mit Deutschland statt, der jeweils 99 Prozent der Wahlteilnehmer zustimmen. Auf Druck der Franzosen dürfen daraus aber keine Schlußfolgerungen gezogen, Plebiszite in anderen Ländern nicht vorgenommen werden.
Ähnlich hart waren die Bestimmungen, die Ungarn am 4.6.1920 in Trianon unterzeichnen mußte. Sie beschränkten sein Gebiet auf rund ein Drittel seines Vorkriegsbestandes zugunsten der Tschechoslowakei, Rumäniens und Jugoslawiens, brachten drei Millionen Ungarn unter fremde Herrschaft, reduzierten das ungarische Heer und belasteten das Land durch Zahlungsverpflichtungen.
Die Alliierten veranlaßten die Neugründung von Staaten in Ost und Mittelost-Europa unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das 1919, anders als das Selbstbestimmungsrecht oder die Souveränität der Staaten, nicht als Grundsatz des Völkerrechts anerkannt war. Wer sich zu diesem Prinzip jedoch bekannte, mußte es allgemein gelten lassen. Das taten die Alliierten jedoch nicht: Es galt nur dort, wo es Deutschland und Österreich-Ungarn schwächen konnte, nicht jedoch für Millionen Deutsche und Ungarn, die daran gehindert wurden, sich zu einem Staat zusammenzuschließen, die vielfach als Bürger minderer Rechte in anderen Ländern leben und nicht selten enteignet, vertrieben, inhaftiert oder auf andere Weise benachteiligt wurden. Die Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker erwies sich also nur als Heuchelei der Alliierten, um imperialistische Kriegsziele zu bemänteln.
Wie die Opfer dieser Maßnahmen tatsächlich dachten, zeigte sich, als in den dreißiger Jahren das Saargebiet, Österreich, das Sudetenland, das Memelland, Danzig, Westpreußen und Posen mit dem Deutschen Reich vereinigt wurden: Die Bevölkerung hat diesen Zusammenschluß mit überwältigender Mehrheit als Vollzug ihres Selbstbestimmungsrechts empfunden und das auch zum Ausdruck gebracht.
Im Zweiten Weltkrieg verfolgten die Siegermächte von 1918 dann
den Plan, Deutschland nach einer Niederlage noch wesentlich härtere Bedingungen als 1919 aufzuerlegen. Schon die Konferenz zwischen Stalin, Roosevelt und Churchill in Teheran vom 28.11. bis 1.12.1943 führte auf Vorschlag Churchills zu der Vereinbarung, die polnische Westgrenze bis zur Oder-Neiße-Linie zu verschieben und damit mehr als ein Viertel des deutschen Reichsgebiets abzutrennen. Dieselben
Beteiligten beschlossen in der Zeit vom 4. bis 11.2.1945 in Jalta die Aufteilung Deutschlands in eine sowjetische, amerikanische, britische und französische Besatzungszone, dazu die Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Entindustrialisierung des Reiches. Die Potsdamer Konferenz der Alliierten im Juli und August 1945 stellte zwar fest, daß Deutschland in den Grenzen von 1937 bestehen bleibe, die Bewohner der deutschen Ostgebiete, des Sudetenlandes und der deutschen Siedlungsgebiete Ungarns aber in „ordnungsgemäßer und humaner Weise" auszusiedeln seien. Dem so bezeichneten Vorgang fielen mehr als zwei Millionen ermordete Deutsche zum Opfer, darunter etwa eine Viertelmillion von Tschechen umgebrachte Sudetendeutsche, deren Tod heute als "Vertreibungsverlust" bezeichnet wird.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch Elsaß-Lothringen und Eupen-Malmedy wieder von Deutschland abgetrennt. Nicht nur in der sowjetischen Besatzungszone waren die Deutschen Freiwild. Hunderttausende von deutschen Kriegsgefangenen hat man unter der Verantwortung des amerikanischen Generals Eisenhower vorsätzlich verhungern lassen. Die deutsche Industrie wurde in großem Umfang demontiert, Hunger und Seuchen forderten zahlreiche Opfer. Österreich mußte 1946 ein weiteres Mal auf Südtirol verzichten und erhielt den Abzug der Besatzungstruppen 1955 nur gegen die Versicherung, sich nicht mit Deutschland zu vereinigen und militärisch neutral zu bleiben.
Die Folgen des Zweiten Weltkriegs waren für Deutschland also noch ungleich härter als die des Ersten. Eine Lockerung der Besatzungsherrschaft ergab sich erst, als die im Ost-West-Konflikt verfeindeten Siegermächte die Unterstützung der Deutschen in dieser Auseinandersetzung brauchten. In Mitteldeutschland installierten die Sowjets ein Marionettenregime, das eine kommunistische Politik gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit durchsetzte. Die 1949 in den Westzonen entstandene Bundesrepublik Deutschland erhielt zwar größere Befugnisse eingeräumt, aber ihre Souveränität war nicht nur durch alliierte Vorbehaltsrechte eingeschränkt, sondern auch durch die Übertragung zahlreicher Befugnisse an europäische Behörden. Das galt zunächst nur für die deutsche Montanindustrie, später auch für viele andere Bereiche der deutschen Wirtschaft und Landwirtschaft. Die deutschen Streitkräfte unterstanden seit ihrer Aufstellung der NATO. Unvollendet blieb hingegen der Plan, das Saargebiet von Deutschland abzutrennen und es zu "europäisieren", faktisch aber französischer Kontrolle auszuliefern. Zwar hatte der deutsche Bundestag einer solchen Regelung schon zugestimmt, aber die Franzosen bestanden außerdem auch noch auf einer - als sicher ewarteten - Zustimmung der Saarländer zu diesem Plan. Trotz dringender Empfehlung Adenauers lehnte eine Mehrheit der Saarbevölkerung diesen Plan jedoch ab, und so konnte, gegen umfassende Zahlungen der Bundesrepublik an Frankreich, ihre Heimat im Januar 1956 zu Deutschland zurückkehren.
Die auch von den meisten deutschen Politikern unterstützten Bemühungen um eine europäische Einheit wurden offiziell mit gemeinsamen Interessen und Vorteilen der beteiligten Länder gerechtfertigt. Im westlichen Ausland wurde aber offen darüber gesprochen, daß es außerdem, wenn nicht vorrangig darauf ankäme, das in der Auseinandersetzung mit dem Ostblock benötigte westdeutsche militärische und Wirtschaftspotential dauerhaft und wirksam zu kontrollieren. Wo also offiziell von freundschaftlichen Beziehungen und Gemeinsamkeiten gesprochen wurde, ging es den ehemaligen Kriegsgegnern Deutschlands im Westen wesentlich darum, einen Einfluß auf Deutschland aufrechtzuerhalten, der ihnen früher das Versailler Diktat sowie das Besatzungsrecht gegeben hatte.
In welchem Maß das geschah, hat die Geschichte der Vereinigung von West- und Mitteldeutschland nach 1989 gezeigt.
In Artikel 7 des 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland sowie den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich unterzeichneten "Deutschlandvertrages" war die Verpflichtung aller Vertragspartner festgelegt, mit friedlichen Mitteln das gemeinsame Ziel eines wiedervereinigten Deutschlands zu verwirklichen. Dazu gab es keine Möglichkeit, solange die kommunistische Herrschaft in Moskau und Ostberlin unerschüttert war. Diese Lage änderte sich jedoch, als mit Gorbatschow 1985 ein sowjetischer Politiker Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU wurde, der ungewollt die kommunistische Diktatur erst ins Wanken brachte und sie dann ebenso unbeabsichtigt beseitigte. Gorbatschow gedachte die Misere der sowjetischen Wirtschaft und Landwirtschaft dadurch zu beseitigen, daß er der Bevölkerung das Recht auf Kritik an Mißständen einräumte, die angeblich die Entfaltung des Sozialismus behinderten. Zwar sollte sich diese Kritik nicht auf die sozialistische Ordnung an sich, sondern nur auf persönliches Fehlverhalten einzelner erstrecken, aber der Plan enthielt auch einen Verzicht auf Gewalt und Drohung mit Gewalt, die bis dahin die KP-Herrschaft ausschließlich stabilisiert hatten. Den von Gorbatschow eingeräumten Spielraum benutzten Teile der Bevölkerung jedoch nicht nur zur Benennung von zweitrangigen Unzulänglichkeiten, sondern zu massiven Angriffen gegen die kommunistische Herrschaft insgesamt. Der Kritik folgte die Organisation des Widerstandes. Gorbatschow hätte die Kontrolle über die Entwicklung nur durch die Rückkehr zu Gewaltmaßnahmen verhindern können, aber dann hätte er das Scheitern seiner Politik eingestehen und die Hoffnung auf westliche Wirtschaftshilfe zur Überwindung der sowjetischen Misere aufgeben müssen. So verpaßte er alle Chancen, die kommunistische Macht noch einmal zu festigen.
Die Veränderungen in der Sowjetunion hatten ähnliche Auswirkungen auch in den anderen Ostblockländern. In der "Deutschen Demokratischen Republik" Honeckers nahmen Demonstrationen und eine Massenflucht der Bevölkerung immer mehr zu. Das Auswechseln führender Funktionäre konnte eine Änderung nicht mehr bewirken. Der Zerfall der Staatsautorität, die Zahlungsunfähigkeit des Regimes sowie der Zusammenbruch der Wirtschaft traten immer deutlicher hervor, Streikbewegungen breiteten sich aus. Der Wille der Bevölkerung, das politische Geschehen selber zu gestalten, wurde ergänzt durch die Forderung nach einer deutschen Wiedervereinigung.
In dieser Situation konnte die deutsche Politik das im Grundge-
setz festgeschriebene Gebot der Wiedervereinigung zu erfüllen
versuchen. Sie durfte aber auch die Unterstützung ihrer Maßnahmen
durch die im Deutschlandvertrag dazu verpflichteten Länder Frank-
reich, Großbritannien und die USA erwarten. Helmut Kohl hat wiederholt
hervorgehoben, daß es ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten nicht möglich gewesen wäre, den Zusammenschluß Deutschlands bis zur Oder-Neiße-Linie zu erreichen.
Die Widerstände dagegen kamen, wenn man vom italienischen Außenminister Giulio Andreotti und seinem wiederholt abgegebenen Bekenntnis zu zwei deutschen Staaten absieht, aus dem Westen vor allem von französischer und englischer Seite. Dokumentiert hat dies vor allem Horst Teltschik, Berater von Helmut Kohl, in seinem 1991 erschienenen Buch "329 Tage – Innenansichten der Einigung".
Unter dem 30.11.1989 zitiert Teltschik die Erklärung des französischen Verteidigungsministers Chevenement im Figaro: "Weder die UdSSR noch die USA wünschen heute eine Auflösung der Pakte und eine Wiedervereinigung Deutschlands." Daß dies für Frankreich in nicht geringerem Maße gegolten haben dürfte, belegt die von Teltschik am 9. 12. 1989 notierte Bemerkung von Mitterand, „kein Staat in Europa könne es sich leisten, ohne Berücksichtigung des Gleichgewichts und der gegenwärtigen Realitäten zu handeln". Da eine Vereinigung von West- und Mitteldeutschland dies Gleichgewicht in der Tat stören würde, müßte man folglich auf sie verzichten. Nach Teltschiks Eintragung vom 12. 12. 1989 nennt der französische Außenminister Dumas
"zwei Prinzipien für eine 'dauerhafte Lösung' der deutschen Frage: das Recht der Deutschen, 'in voller Freiheit die Entscheidung über ihre Zukunft zu treffen' und die Bereitschaft der anderen europäischen Staaten, diese Entscheidung zu akzeptieren." Was aus der in voller Freiheit getroffenen Entscheidung der Deutschen wird, wenn die anderen europäischen Staaten das Ergebnis nicht akzeptieren, was die volle Freiheit in diesem Fall also wert ist, ist bei Dumas ebensowenig nachzulesen wie die Rechtsgrundlage, die es den anderen europäischen Staaten erlauben soll, sich in deutsche Angelegenheiten einzumischen.
Laut Eintragung vom 4. Januar 1990 ist Mitterand gegen die Vereinigung von West- und Mitteldeutschland, weil dadurch die Position und Politik Gorbatschows gefährdet werden könnten. Dabei bezieht er sich auf seinen Besuch bei Gorbatschow, den er am 6. Dezember 1989 in Kiew abstattete und der von der Tagespresse als Versuch gedeutet wurde, den sowjetischen KP-Chef zu einer energischen Haltung gegen die sich abzeichnende deutsche Wiedervereinigung zu veranlassen: "In seiner Antwort spricht Mitterand von zwei Problemen: dem russischen und dem deutschen. Sie seien miteinander verknüpft. Die nationalistischen Elemente in der Sowjetunion würden in der deutschen Frage nicht nachgeben. Das Schicksal Gorbatschows sei damit verbunden, auch wenn dieser allmählich Verständnis entwickeln könne, wenn man geschickt vorgehe. Die Einigung Deutschlands dürfe nicht zu einer Verhärtung innerhalb der Sowjetunion führen. In Kiew sei Gorbatschow wegen der überstürzten Eile besorgt gewesen."
Die Absicht, die "Stabilität in Europa" nicht durch eine deutsche Wiedervereinigung zu "gefährden", muß Mitterand auch bei dem Treffen mit Gorbatschow in Kiew zum Ausdruck gebracht haben. Jedenfalls berichtet dies der damalige sowjetische Botschafter in Ost-Berlin, Kotschemassow, nach der Eintragung Teltschiks vom 11. 12. 1989. Kotschemassow habe hinzugefügt: "Ähnliches gelte auch für Margaret Thatcher."
Diese Einstellung ergibt sich auch aus einer Notiz Teltschiks
vom 18. 11. 1989: "Die englische Premierministerin stimmt dem
sowjetischen Präsidenten zu, daß eine riskante Instabilität nicht auszuschließen sei und deshalb geordnete Schritte zur Wahrung der Stabilität und Besonnenheit notwendig seien." Wie lange man aus englischer Sicht dann auf eine deutsche Wiedervereinigung warten soll, läßt sich diesen Ausführungen nicht entnehmen. Ob sie aus der Sicht von Thatcher überhaupt erlaubt sein darf, ist nach einem dem Wall Street Journal gegebenen und bei Teltschick am 26. 1. 1990 notierten Interview fraglich:
„Wenn die deutsche Einheit zu schnell käme, so erklärt sie, würde das möglicherweise enorme Probleme für Gorbatschow schaffen, der darüber eventuell stürzen könnte, was eine Katastrophe für alle wäre. Die deutsche Einheit könne nur verwirklicht werden, wenn alle anderen Verpflichtungen berücksichtigt würden. Sie könnte sonst alles destabilisieren, was in höchstem Maße unfair gegenüber Gorbatschow wäre, der all dies erst ermöglicht habe. Harsche Kritik übt sie an der Bundesregierung: Kohl und Genscher sollten ihrer Meinung nach ihre engen nationalistischen Ziele der längerfristigen Sicht der Bedürfnisse Europas unterordnen. Man müsse ihnen diese weitsichtigere Vision eintrichtern. Die deutsche Einheit, so erklärt die britische Premierministerin schließlich, zerstöre das wirtschaftliche Gleichgewicht der EG, in der Westdeutschland schon heute dominiere“
Es scheint also nicht nur die etwas seltsam anmutende Fürsorge zu sein, zu der man sich in London gegenüber einem kommunistischen Funktionär verpflichtet fühlt. Was außerdem „all dies“ sein soll, was man Gorbatschow zu diese Zeitpunkt zu verdanken habe, ist auch nicht so leicht zu erkennen. Teltschik jedenfalls hält fest, was Gorbatschow so alles für die deutsche Einheit getan hat oder tun ließ.
Am 9. 12. 1989 notiert er: "In Moskau bekräftigt Präsident Gorbatschow vor dem ZK-Plenum der KPdSU noch einmal die sowjetische Position in der deutschen Frage und erklärt, daß die Sowjetunion die DDR
'nicht im Stich lassen´ werde. Sie sei ihr strategischer Verbündeter im Warschauer Pakt. 'Es muß von den nach dem Krieg entstandenen Realitäten ausgegangen werden, zu denen die Existenz zweier souveräner deutscher Staaten zählt. Ein Abrücken davon bringt die Gefahr einer Destabilisierung mit sich.´“ Daß er von dieser Position dann doch langsam abrückt, obwohl er nacheinander Erklärungen für die Neutralisierung und gegen die NATO-Zugehörigkeit eines vereinigten Deutschlands abgibt und abgeben läßt, gegen den Beitritt des SED-Staats zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 des Grundgesetzes und gegen eine Wirtschafts- und Währungsunion, erklärt sich nicht nur aus dem immer deutlicher werde Zerfall der kommunistischen Herrschaft in Ost-Berlin. Gorbatschow benötigt von Bonn umfangreiche Lebensmittellieferungen „zu Freundschaftspreisen" (auf Kredit) und weitere finanzielle Unterstützungen, um seine Perestroika überhaupt finanzieren zu können. Als er schließlich doch der Vereinigung und NATO-Zugehörigkeit Deutschlands zustimmt, ist, nach Teltschik, ein "finanzielles Paket für Gorbatschow zentraler Bestandteil des Gesamtergebnisses". Mit anderen Worten: In höchster Bedrängnis und somit gegen eigene Überzeugungen hat Gorbatschow den Ersten Sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern auf deutschem Boden verkaufen müssen.
Haben so die europäischen Nachbarn der Vereinigung West- und Mitteldeutschlands erst dann zugestimmt, als ihr der Zerfall des SED-Staats keine andere Wahl ließ, so haben sie in anderer Hinsicht gemeinsam und konsequent gegen deutschen Interessen gehandelt. Das Deutsche Reich hat völkerrechtlich auch nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht 1945 in den Grenzen von 1937 fortbestanden und dazu gehörten auch seine Ostgebiete jenseits von Oder und Neiße unter polnischer Verwaltung. Gewiß hat es mehr als einen Minister in Bonn gegeben, der für einen Verzicht auf diese Provinzen mit dem Argument plädierte, Polen müsse in sicheren Grenzen leben können - was daran zweifeln läßt, ob er sein Gehalt vom deutschen Steuerzahler erhält und sich in seinem Amtseid verpflichtet hat seine ganze Kraft dem Wohl des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Aber selbst wenn es diese Verzichtserklärungen nicht gegeben hätte, wäre gegen den Widerstand aller nur denkbaren Staaten eine Einbeziehung der deutschen Ostgebiete in den Vereinigungsvorgang nicht zu bewerkstelligen gewesen. Hinter vorgehaltener Hand konnte man damals in Bonn hören, man sei zum formellen Verzicht auf die Ostgebiete gezwungen worden, wenn man die deutsche Vereinigung bis zur Oder-Neiße Linie gewollt habe. Mit anderen Worten drückte das Helmut Kohl, wie von Teltschik notiert, am 13Juni 1990 so aus:
"Mit aller Deutlichkeit weist Kohl darauf hing daß es in West und Ost keinen einzigen Partner gebe, der nicht die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze fordere. Wer also die Bundestagsentschließung über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ablehne, solle ihm sagen, wie er die Einheit Deutschlands erreichen wolle, zumal klar sei, daß es keinen Friedensvertrag geben werde. Er räume ein, daß die polnische Haltung nicht erfreulich sei. Die Alternative laute: die Einigung Deutschlands in den bekannten Grenzen erreichen oder die Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen (über die deutsche Einheit) scheitern zu lassen. Er bitte die anwesenden Kollegen sehr herzlich, jetzt den Weg zur deutschen Einheit zu gehen. Was er vorschlage, sei die einzige Möglichkeit, sie zu erreichen."
Deutlicher, als er dies im Gespräch mit anderen Parlamentariern getan hat, konnte Kohl nicht beschreiben, welcher Zwang auf Deutschland vor der Zustimmung zur Teilvereinigung ausgeübt worden ist. Das galt nicht nur für England und Frankreich, die sich bei jeder Gelegenheit als Anwalt Polens betätigten. Kohl sagte weiter: "In den USA gebe es eine große Welle der Deutschfreundlichkeit, aber in der Grenzfrage stoße man auf eine Stahlwand." Und: "Entweder wir bestätigen die bestehende Grenze, oder wir verspielen heute und für jetzt unsere Chance zur deutschen Einheit“, so Kohl am 21. 6. 1990.
Die Zustimmung zur Vereinigung Deutschlands bis zur Oder-Neiße-Linie war von der Sowjetunion, den USA, England und Frankreich im "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ vom 12.9.1990, dem sogenannten "Zwei-plus-Vier-Vertrag“, also nur durch einen formellen Verzicht auf die deutschen Ostgebiete zu erhalten. Die hier unterzeichnete Regelung zum Nachteil Deutschlands könnte nicht präziser formuliert sein:
"Artikel 1 (1): Das vereinte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Berlins umfassen. Seine Außengrenzen werden die Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sein und werden am Tage des Inkrafttretens dieses Vertrages endgültig sein. Die Bestätigung des endgültigen Charakters der Grenzen der Bundesrepublik Deutschlands ist ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa.
(2) Das vereinte Deutschland und die Republik Polen bestätigen
die zwischen ihnen bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag.
(3) Das vereinte Deutschland hat keinerlei Gebietsansprüche
gegen andere Staaten und wird solche auch nicht in Zukunft erheben.
(4) Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik werden sicherstellen, daß die Verfassung des vereinten Deutschland keinerlei Bestimmungen enthalten wird, die mit diesen Prinzipien unvereinbar sind. Dies gilt dementsprechend für die Bestimmungen, die in der Präambel und in den Artikeln 23 Satz 2 und 146 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland niedergelegt sind.
(5) Die Regierungen der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen die entsprechenden Verpflichtungen und Erklärungen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik förmlich entgegen und erklären, daß mit deren Verwirklichung der endgültige Charakter der Grenzen des vereinten Deutschland bestätigt wird."
Wenig später führten Verhandlungen zwischen den Mitgliedern der
Europäischen Gemeinschaften zum Vertrag von Maastricht, der unter anderem über die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Währung auch zur Beseitigung der Deutschen Mark führen soll. Diese Vereinbarung wurde von Helmut Kohl als Maßnahme dargestellt, von der sich Deutschland, wie von einem vereinten Europa überhaupt, erhebliche Vorteile versprechen könne.
Im Ausland wurde der Zweck dieses Vertrages jedoch wesentlich anders dargestellt, namentlich von den Politikern Frankreichs, dessen Bevölkerung zu einer Entscheidung über das Maastrichter Abkommen aufgerufen wurde.
So berichtet DER SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 31.8.1992: "Verbreitet ist die Furcht, daß Maastricht das Gewicht Deutschlands auf Kosten Frankreichs stärken werde. Mitterand und auch bürgerliche Vertragsbefürworter versuchen, das Gegenteil glaubhaft zu machen: Nur durch eine Wirtschafts- und Währungsunion könne Deutschland im Zaum gehalten, die Macht der Deutschen Bundesbank gebrochen werden." Die Stellungnahme eines ehemaligen französischen Ministerpräsidenten beschreibt die Süddeutsche Zeitung am 1.9.1992 so: "Michel Rocard, Anwärter auf Mitterands Nachfolge, mahnt die Franzosen, durch ihr 'Ja' Deutschland vor seinen Dämonen zu schützen.“ Einen Tag später schreibt sie: „Altpremier Michel Rocard sah Kriegsgefahr heraufziehen: Wenn die Europäische Union scheitern sollte, warnte der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten, werde Deutschland `seine historischen und geographischen Neigungen wiederfinden. Gestützt auf seine triumphierende Mark würde es sich erneut nach Osten wenden´. Für Europa werde sich Berlin nur noch `interessieren, um ihm seinen ökonomischen Willen aufzuzwingen´. Die Folgen, so Rocard, wären nicht auszumalen: 'Es ist noch gar nicht lange her, daß wir im Krieg waren.' ... Auch der bürgerliche Oppositionsführer Giscard d'Estaing sah 'die deutsche Vorherrschaft über Europa' drohen und erklärte, Maastricht sei 'die politische Antwort der Europäer auf die deutsche Wiedervereinigung'." Weitere Stellungnahmen französischer Politiker veröffentlichte DER SPIEGEL am 7.9.1992. "Die Einbindung der Deutschen in Europa sei unerläßlich, argumentierte etwa der frühere Premier Michel Rocard, eben um die Deutschen vor ihren 'alten Dämonen' zu bewahren, vor der Rückkehr zu romantisch-irrationalen Kräften´.“ „`Da es nicht mehr durch seinen Status einer besiegten Macht gehemmt´ werde, glaubt Transportminister Jean-Louis Bianco, ehemals Generalsekretär des Elysees und Intimus des Staatschefs, 'findet Deutschland alle seine Dämonen wieder'." "Eine Ablehnung des Vertrages, warnte Premierminister Pierre Beregovoy, wäre gleichbedeutend mit deutscher `Autonomie´ sowie einer 'Scheidung zwischen Deutschland und Frankreich'. Die Folge: Fürchterliches sei zu erwarten." Bianco empfahl seinen Landsleuten die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag auch mit den Worten: "Die einzigen, die in der Währungsunion zu verlieren haben, sind die Deuschen: Sie müssen die Macht der Mark teilen." (DER SPIEGEL,14.9.1992.)
Mitte September 1992 kommentierte LE FIGARO (Paris): „Die Gegner des Maastrichter Vertrages befürchten auch, daß die Einheitswährung und die europäische Zentralbank die Vorherrschaft der Mark und der Bundesbank zementieren. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn der Vertrag zur Anwendung kommt, wird Deutschland mit den anderen die Macht über die Devisenmärkte teilen müssen, die es heute manchmal mißbräuchlich einsetzt, um dem Ausland die Kosten für die Wiedervereinigung aufzubürden. Deutschland muß zahlen, hieß es in den zwanziger Jahren. Heute zahlt Deutschland: Maastricht, das ist dasselbe wie der Versailler Friedensvertrag – ohne Krieg.“
Kann also das französische Bestreben, Deutschland durch Einbindung in europäische Verträge seiner Selbständigkeit zu berauben,
nicht deutlicher gemacht werden, empfiehlt die ehemalige britische Premierministerin Thatcher eine andere Konzeption: die weitestgehende Selbständigkeit europäischer Staaten, um handlungsfähig bleiben und sich gegebenenfalls gegen Deutschland zusammenschließen zu können. Helmut Kohl bestätigte diese Absicht im Rheinischen Merkur am 19.6.1992: "Jüngste Äußerungen einer früheren Kollegin von mir zeugen hingegen von einem tiefen Mißverständnis der politischen Ziele Deutschlands. Wenn behauptet wird, das wiedervereinigte Deutschland sei zu groß geworden, um nur einer unter den vielen Spielern Europas zu sein, und die europäische Integration, die nur Deutschlands Macht stärke, sei historisch überholt, dann kommt darin ein tiefes Unverständnis für die politischen Entwicklungen und Notwendigkeiten am Ende dieses Jahrhunderts zum Ausdruck. Das Konzept eines losen Verbundes unabhängig handlungsfähiger Staaten, die nötigenfalls koalitionsfähig gegen Deutschland sind, ist jedenfalls ein Rückgriff auf überholte Konzepte, die hinter die Politik und die Zeit Winston Churchills zurückfallen, der in seiner berühmten Züricher Rede von 1946 für die Vereinigten Staaten von Europa eingetreten ist."
1990 kam es also zu einer Vereinigung von West- und Mitteldeutschland, die zuerst verhindert werden sollte und der Frankreich, England und die Sowjetunion erst dann zustimmten, als ihnen die Entwicklung im SED-Staat keine andere Wahl mehr ließ; die Sowjetunion tat es auch, um sich dafür hoch entschädigen zu lassen. Aber von allen nichtdeutschen Ländern, die an den Vereinbarungen beteiligt waren, wurde der Verzicht Deutschlands auf seine Ostgebiete erzwungenen. England, Frankreich und die USA handelten so, obwohl sie mit der Bundesrepublik Deutschland, nicht aber mit Polen verbündet waren und sich 1952 zur Wiedervereinigung Deutschlands verpflichtet hatten. Sie taten das ohne Rücksicht auf die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und auf die Tatsache, daß sie sich als Mitglieder der Vereinten Nationen auch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker bekannt hatten. Aber das galt, wie schon nach dem Ersten Weltkrieg, für Deutsche nicht. So brachte das Jahr 1990 nachträglich die Legitimierung eines der brutalsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts: die Ermordung, Enteignung und Vertreibung unzähliger Deutscher, die rücksichtslose Mißachtung ihres Willens, der erzwungene Verzicht auf Siedlungsgebiete, die niemals russisch, polnisch oder tschechisch gewesen waren.
Und so hat das Jahr 1990 auch gezeigt, was jahrzehntelange Beteuerungen von europäischer Freundschaft und Zusammenarbeit wert sind, was Deutschland von sogenannten Verbündeten zu halten hat, denen es im Rahmen einer europäischen Kooperation immer mehr Kompetenzen übertrug. Es hat gezeigt, daß es die traditionsreiche Politik einer Bekämpfung Deutschlands immer noch gibt. Nicht nur die Ostdeutschen und Sudetendeutschen sind wieder einmal ihre Opfer geworden.
Rolf Josef Eibicht (MA)
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