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Kleine Kraftwerksbetreiber fordern die großen heraus, Stuttgarter Zeitung - 18.06.2008

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Arne

Beiträge: 539

BI Teilnehmernummer: 98

New PostErstellt: 24.06.08, 20:55  Betreff: Kleine Kraftwerksbetreiber fordern die großen heraus, Stuttgarter Zeitung - 18.06.2008  drucken  weiterempfehlen

Stuttgarter Zeitung - 18.06.2008

Streitthema Kohlekraftwerke

Leise Zweifel an der Klasse der Masse


Bei der Verbrennung von Steinkohle fällt dreimal so viel klimaschädliches Kohlendioxid an wie beim Einsatz von Erdgas.

Kleine Kraftwerksbetreiber fordern die großen heraus

Stuttgart - Ein Dutzend neuer Kohlekraftwerke soll in Deutschland gebaut werden, aber überall regt sich Widerstand. Sind Minikraftwerke den Großanlagen nicht überlegen? Eine Werksbesichtigung bei der EnBW in Altbach und bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall offenbart einen Glaubenskrieg.

Schön luftig ist es hier, hoch oben in 80 Meter Höhe auf dem Kesselhaus von Block zwei. Unten liegen die Kohlenhalden, die Kühltürme mit ihren Dampfschwaden und noch ein paar Kraftwerksblöcke. Sie wirken so beschaulich wie die Landschaft einer Spielzeugeisenbahn. Dass unter unseren Füßen 428 Megawatt Strom erzeugt werden, womit man fast ganz Stuttgart versorgen könnte, davon ist hier oben nichts zu spüren. Hier raucht nichts, hier stinkt nichts, es ist nicht einmal laut. Die Geräusche, die aus dem Kesselhaus und von der weitläufigen Anlage nach oben dringen, werden übertönt von den Autos auf der Bundesstraße am Neckar. Oder dem Lärm der Flugzeuge, die auf ihrem Weg zum Stuttgarter Flughafen alle paar Minuten exakt die beiden 250 Meter hohen Kamine überfliegen und dabei ihr Fahrwerk ausfahren. "Wir haben hier ein klasse Verhältnis zur Nachbarschaft", sagt Friederike Eggstein, Pressesprecherin der Energie Baden-Württemberg (EnBW) und deutet hinunter auf die Dörfer Altbach und Deizisau. "Und das, obwohl wir im Wohngebiet liegen."

Moorburg wird wahrscheinlich scheitern

Eine solche Harmonie zwischen Kraftwerkern und Anwohnern ist kaum zu glauben, wenn man bedenkt, mit welchen Widerständen die Energieversorger es derzeit zu tun haben, wenn sie neue Kohlemeiler bauen wollen. Im Saarland zum Beispiel haben die Einwohner der Gemeinde Ensdorf den Bau eines Kraftwerks per Bürgerentscheid verhindert, in Hamburg scheitert der geplante Steinkohleblock Moorburg wahrscheinlich an der neuen schwarz-grünen Koalition. Woher kommt die Gegenwehr, wenn es doch am Neckar so friedlich zugeht? In Altbach ist man an Kraftwerke gewöhnt, seit 1900 wird hier Strom erzeugt, und dennoch wirken die Schlote und Betontürme der sieben Blöcke bedrohlich auf den Betrachter, wie ein Riegel liegen sie im engen Neckartal. Heute einen solchen Kraftwerkspark im Mittleren Neckarraum neu zu bauen, es wäre wohl nur gegen erbitterten Widerstand durchzusetzen.

Was freilich noch nichts aussagt über das besondere Unbehagen gegenüber der Steinkohle, das viele Bürgerinitiativen antreibt - sei es in Karlsruhe oder Mannheim, Lubmin an der Ostsee, Wilhelmshaven, Krefeld, Bremen, Kiel und anderswo. Für eine nähere Erklärung lohnt es sich, den Kraftwerksleiter von Altbach, Siegfried Kroll, zu treffen. Kroll ist ein sehr sachlicher Mensch, aber die Frage nach der Kritik an der Kohle bringt ihn ein bisschen aus der Fassung: Keiner wolle die Steinkohle, die Atomkraft auch nicht, sagt Kroll, aber woher komme denn künftig der Strom? Dass Büro des Werksleiters liegt im Block zwei, im Herzen der Anlage, die von der EnBW als der modernste Steinkohlenmeiler Europas bezeichnet wird und auf die Kroll ein wenig stolz ist. Dieser Block zwei, erklärt er, schaffe es, die Energie der eingesetzten Kohle zu 44 Prozent in Strom zu verwandeln. Vor der Modernisierung des Blocks vor elf Jahren habe dieser sogenannte elektrische Wirkungsgrad bei 39 Prozent gelegen, weltweit seien 30 Prozent üblich.

44 Prozent also bei Block zwei. Und wo bleiben die restlichen 56 Prozent? Tja, der Ingenieur zuckt mit den Schultern. Mehr als die Hälfte der fossilen Energie wird in Wärme umgewandelt und sie verpufft ungenutzt durch den Kamin oder den Kühlturm in die Atmosphäre. "Wir machen so viel Wärme kaputt. Wir würden sie auch verschenken, aber es ist zu teuer, sie abzuholen. Wir machen eben Strom hier", sagt Kroll.

Auch heißes Wasser wird eingespeist

Nun könnte der Mann vom Kraftwerk natürlich mit einer anderen Eigenschaft des Blocks zwei werben, die man allgemein als Kraft-Wärme-Kopplung rühmt. Der Kohlemeiler erzeugt nicht nur Strom, aus ihm wird auch heißes Wasser in die Fernwärmeleitung Mittlerer Neckar eingespeist. Diese Leitung versorgt viele Stuttgarter Haushalte mit Dusch- und Heizwasser, an ihr hängen auch Großbetriebe wie Daimler und Bosch. Allerdings nutzt die EnBW nur ein Viertel der am Standort Altbach anfallenden Wärme aus. Diese gilt dem Konzern eben als "eine nicht oder nur schwer nutzbare Energieform", wie es in einer Broschüre heißt. Die gesamte Wärme aus einem Kraftwerk dieser Größenordung ließe sich nur durch ein so großes Leitungsnetz verteilen, dass an dessen Ende das Wasser kalt ankäme. Wärme ist bei der Stromerzeugung in dieser Dimension deshalb großenteils Abfall.

Wie viel Kohlendioxid der modernste Steinkohleblock Europas ausstößt, das möchte Kroll übrigens nicht sagen - schließlich ist es die Frage, die die Gegner der Kohle am meisten umtreibt. Genaue Zahlen sind vielleicht auch nicht so wichtig. Man muss nur eines wissen: Bei der Verbrennung von Steinkohle fällt dreimal so viel klimaschädliches CO2 an wie beim Einsatz von Erdgas.

Ohne Kohle geht es nicht

Doch ohne Kohle geht es nicht, sagt der Ingenieur Kroll. Und das sagen ja nicht nur die Vertreter der vier großen Energiekonzerne in Deutschland. Sogar der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, ein bundesweit bekannter Grüner, wirbt für ein Kohlekraftwerk, das der Stadtwerke-Verbund Südweststrom in Brunsbüttel an der Elbe errichten will. Schließlich sei eine neue Anlage effizienter als eine alte, argumentiert Palmer. Er liegt mit Kraftwerksleiter Kroll auf einer Linie und wird dafür in seiner Partei angefeindet. Während Palmer freilich die Kohle als Übergangslösung sieht, hält Kroll sie für unverzichtbar: ein Industrieland wie Deutschland lasse sich nicht mit Windmühlen und Fotovoltaikanlagen am Laufen halten.

Man kann das alles noch einmal ganz anders sehen als Kroll und Palmer, und man muss gar nicht weit fahren, um sich diese andere Sicht der Dinge erklären zu lassen. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall sind dafür bekannt, dass sie sich von den Stromkonzernen weitgehend unabhängig gemacht haben, weil sie zwei Drittel des Stroms selbst erzeugen. Gebhard Gentner ist der technische Betriebsleiter, und der bringt seine Gäste schnurstracks ins neue Industriegebiet, in dem der Solarzellenhersteller Würth residiert. Nebenan haben die Stadtwerke eine unauffällige Halle hingestellt. Wer davor steht, hört nur leisen Maschinenlärm. Drinnen wummern ohrenbetäubend zwei mit Erdgas gespeiste Motoren, jeder 52 Tonnen schwer. Die Maschinen sind von ihrer Leistung her Zwerge im Vergleich zu Krolls Block zwei: zusammen 5,8 statt 428 Megawatt. Sie liefern jedoch doppelt so viel Strom, wie die Solarfabrik benötigt. Der Strom und die Wärme fließen ins Netz der Stadt. Der große Vorteil von Gentners Minikraftwerk liegt in der Effizienz: So liegt sein Brennstoffausnutzungsgrad, der sowohl die Strom- als auch die Wärmeproduktion berücksichtigt, bei über 80 Prozent, kleinere Gasmotoren erreichen sogar 90 Prozent im Jahresdurchschnitt.

In Schwäbisch Hall gab es noch keine Beschwerden

Krolls Block zwei ist davon Lichtjahre entfernt. Der Kraftwerksleiter möchte zwar aus Wettbewerbsgründen keine Zahl nennen. Nach Ansicht von Experten liegt der Vergleichswert in Altbach aber bei 55 Prozent. Beschwert hat sich in Schwäbisch Hall über den Bau der Blockheizkraftwerke, die auf 13 Standorte in der Stadt verteilt sind, noch keiner. Geschweige denn, dass sich eine Bürgerinitiative gebildet hätte. Das Beispiel macht vielmehr Schule. So hat sich der Turbinenhersteller Voith in Crailsheim fünf Gasmotoren in die Fabrik gestellt. "Man kann das alles vor Ort machen", sagt der Ingenieur Gentner. Das gelte auch für das große Gaskraftwerk bei Daimler in Sindelfingen, das mit einer herkömmlichen Dampfturbine arbeitet. Würde man die Anlage aufrüsten, ließe sich das gesamte Montagewerk, das größte des Autobauers, mit Strom versorgen.

Und wenn das Erdgas eines Tages ausgeht? "Dann speisen wir Biogas ins Netz ein", sagt Gentner. Allerdings wird das Biogas mit nachwachsenden Rohstoffen erzeugt, die auch nur begrenzt vorhanden sind.

Dass die Energiekonzerne das CO2-freie Kohlekraftwerk propagieren, in dem das bei der Verbrennung anfallende Kohlendioxid zurückgehalten und gespeichert werden soll, darüber kann Gentner nur den Kopf schütteln. Das CO2, das sich mit Sauerstoff verbindet, habe schließlich das sechsfache Volumen der Kohle. In Altbach, wo alle fünf Stunden eine Schiffsladung Kohle aus Polen oder Südafrika, aus Indonesien oder Kolumbien verheizt wird, müsste deshalb alle 50 Minuten ein Tankschiff mit Kohlendioxid auslaufen. Vom luftigen Dach des Kesselhauses aus betrachtet wäre das sicher ein hübscher Anblick in der Spielzeuglandschaft am Neckar. Aber unklar bleibt, welches Ziel denn die Schiffe auf lange Sicht ansteuern sollen. Denn die Kohleflöze und Gaskavernen, in denen das CO2 eingelagert werden könnte, dürften recht schnell verfüllt sein.





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