Associated Press Worldstream - German
Juni 21, 1999; Montag 09:56 Eastern Standard Time
Forderung nach lebenslanger Haft fuer Pflegeeltern bekraeftigt;
Abendmeldung
Plaedoyers im Prozess um qualvollen Hungertod des
fuenfjaehrigen Alexander; Verteidiger kritisieren Behoerden
Die Pflegeeltern, die den fuenfjaehrigen Alexander
qualvoll verhungern liessen, sollen nach dem Willen der Stuttgarter
Staatsanwaltschaft zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt
werden. Staatsanwalt Gerhard Gauch warf dem 39jaehrigen Studenten
und der 33jaehrigen Kinderpflegerin in seinem Plaedoyer am Montag
erneut gemeinschaftlichen Mord aus Habgier und Grausamkeit vor. Die
Verteidiger erklaerten, die Angeklagten seien keine Moerder seien;
das Paar sei mit der Betreuung der Pflegekinder einfach ueberlastet
gewesen. Sie warfen dem Jugendamt Versagen vor.
Alexander war am 27. November 1997 an Herz- und
Kreislaufversagen in der Wohnung des Ehepaars in der Naehe von
Stuttgart gestorben. Anstelle des fuer sein Alter ueblichen
Koerpergewichts von knapp 20 Kilogramm wog der Junge zuletzt nur
noch 7,2 Kilogramm. Gauch sagte, die Angeklagten haetten den
schlechten Zustand von Alexander erkannt. Nach seiner Darstellung
hatte das Paar auch zwei andere Pflegekinder, den damals
siebenjaehrigen Bruder von Alexander und einen weiteren Jungen,
vernachlaessigt. Als Motiv fuehrte der Staatsanwalt die staatlichen
Leistungen an, die das Paar fuer die Pflegekinder kassierte.
Dem Ehepaar wird Mord durch Unterlassen und Misshandlung von
Schutzbefohlenen zur Last gelegt. Der Staatsanwalt forderte
zusaetzlich, bei beiden Angeklagten eine besonders schwere Schuld
festzustellen; eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren Haft waere
dann unwahrscheinlich.
Der Anwalt der Mutter, Manfred Kuenzel, forderte zwei Jahre Haft
wegen fahrlaessiger Toetung. Die Kinderpflegerin sei ueberfordert
gewesen. Die 33jaehrige habe die Situation nicht erkennen koennen.
Der Junge habe aufgrund einer psychischen Vorschaedigung bei seinen
leiblichen Eltern nicht mehr essen wollen. Der Anwalt des
Studenten, Hans-Joachim Ludwig, sagte, sein Mandant sei kein
Moerder. ''Er hat den Notarzt gerufen. Dies war aber zu spaet. Dies
macht kein Moerder.'' Die Pflegefamilie sei ueberlastet gewesen. Es
sei ein Fehler gewesen, Kinder in die Obhut zu nehmen. Er stellte
keinen konkreten Strafantrag.
Zwtl: Scharfe Angriffe gegen Jugendamt
Die beiden Anwaelte griffen die Behoerden scharf an. ''Das
Jugendamt hat ein geruettelt Mass an Mitschuld'', sagte Kuenzel. Es
habe graesslich versagt, sagte Ludwig. Gegen Mitarbeiter des
Jugendamts in Waiblingen bei Stuttgart ist bei der
Staatsanwaltschaft noch ein Ermittlungsverfahren anhaengig. Der
Pflegevater hatte den Mordvorwurf stets zurueckgewiesen. ''Ich habe
den lebensbedrohlichen Zustand des Jungen nicht erkannt und niemals
daran gedacht, dass er verhungern koennte'', hatte der Student
erklaert.
Die Pflegevater sagte in seinem Schlusswort: ''Ich habe versagt.
Wir hatten niemals den Gedanken, dass wir das Kind umbringen
wollten.'' Die Familie hatte drei eigene Kinder und drei weitere
Jungen durch Vermittlung des Jugendamts in Betreuung. Das
Stuttgarter Landgericht will voraussichtlich am 30. Juni sein
Urteil verkuenden.