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OLG Düsseldorf: Klage auf Kindesunterhalt bei geteilter Betreuung NJW 2001 Heft 45 3344
Klage auf Kindesunterhalt bei geteilter Betreuung
BGB §§ 1606 III , 1629 II 2
1. Für die Anwendung des § 1629 II 2 BGB reicht es aus, wenn ein Elternteil das Kind überwiegend betreut und versorgt. Es genügt, dass der Anteil eines Elternteils an der Betreuung den Anteil des anderen geringfügig übersteigt.
2. Praktizieren die Eltern bei der Betreuung des minderjährigen Kindes ein striktes Wechselmodell mit im Wesentlichen gleichen Anteilen, ist der Bedarf des Kindes konkret nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen beider Eltern unter Berücksichtigung der Mehrkosten zu ermitteln, die durch den ständigen Wechsel des Kindes von einem in den anderen Haushalt entstehen. Für den so ermittelten Bedarf haften die Eltern anteilig nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung ihrer Anteile an der Betreuung.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. 1. 2001 - 6 UF 71/00
Zum Sachverhalt:
Der am 3. 9. 1990 geborene Kl. ist aus der am 6. 12. 1996 rechtskräftig geschiedenen Ehe seiner Mutter mit dem Bekl. hervorgegangen. Der Kl. beansprucht Unterhalt ab Juli 1998. Der Bekl. (geb. 1. 8. 1954) und die Kindesmutter (geb. 5. 2. 1962) sind beide Lehrer und an derselben Gesamtschule beschäftigt, die Mutter wöchentlich 16 Stunden und der Bekl. vollschichtig abzüglich einer Lehrerstunde. Die Mutter bezieht Gehalt nach der Besoldungsgruppe A 13, der Bekl. seit Mai 2000 nach Besoldungsgruppe A 14. Die Kindesmutter ist wieder verheiratet. Im Scheidungsurteil wurde den Eltern die gemeinsame Sorge belassen. Die Betreuung und Versorgung des Kl. erfolgt während der Woche, an den Wochenenden und zu den Ferienzeiten im Wechsel zwischen Vater und Mutter; sie wird unter Beachtung einer strikten Halbteilung in zeitlicher Hinsicht durchgeführt: Der Kl. befindet sich morgens in der Schule und im Anschluss daran bis gegen 16 Uhr im Kinderhort. Die Kindesmutter holt den Kl. montags und dienstags nach dem Hort zu sich und bringt ihn am Dienstag- und Mittwochmorgen zur Schule. Mittwochs und donnerstags nachmittags nimmt der Bekl. den Sohn nach dem Hort zu sich und bringt ihn am folgenden Tag morgens zur Schule. Freitags nachmittags nach dem Hort holt jeder Elternteil das Kind im 14-tägigen Wechsel über das Wochenende zu sich und bringt es montags morgens zur Schule. Ebenso teilen sich die Eltern quasi minutengleich die Betreuung des Kindes zu sämtlichen Ferienzeiten. Der Bekl. hat bis einschließlich November 1999 laufend Barunterhalt gezahlt, zuletzt in Höhe von monatlich 502,50 DM. Er hält sich seit Dezember 1999 nicht mehr zur Barunterhaltszahlung für verpflichtet, weil er die Auffassung vertritt, dass er seine gesamte Unterhaltsverpflichtung durch Naturalunterhalt erfülle.
Das AG hat unter Berücksichtigung des vom Bekl. geleisteten Barunterhalts für den Zeitraum bis einschließlich Dezember 1999 einen Betrag von insgesamt 1262DM zuerkannt sowie ab 1. 1. 2000 monatlich 567,70 DM (702,70 DM Unterhalt abzüglich 135 DM hälftiges Kindergeld). Die Berufung des Bekl. war überwiegend erfolgreich.
Aus den Gründen:
Dem Kl. steht gem. §§ 1601 ff. BGB ab Dezember 1999 ein Unterhaltsanspruch von nur 165 DM, seit 1. 1. 2000 in Höhe von monatlich 155 DM und ab 1. 12. 2000 in Höhe von monatlich 245 DM zu. Bis November 1999 ist der Unterhaltsanspruch des Kl. erfüllt.
Die Klage ist zulässig. Der minderjährige Kl. wird bei der Geltendmachung des Unterhalts von seiner Mutter gesetzlich vertreten. Zwar ist der Bekl. ebenso wie die Kindesmutter Inhaber der gemeinsamen Sorge. Auch betreuen die Eltern den Kl. in nahezu gleichem Umfang. Gleichwohl befindet sich der Kl. in der Obhut der Mutter i.S. von § 1629 II 2 BGB. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt nicht voraus, dass ein Elternteil die alleinige Obhut über das Kind hat. Es reicht vielmehr aus, wenn er das Kind jedenfalls überwiegend betreut und versorgt (vgl. Wendl/Scholz, UnterhaltsR, 5. Aufl., § 2 Rdnr. 316a m.w. Nachw.). Entscheidend ist nicht, ob ein Elternteil die Betreuung ganz oder teilweise selbst vornimmt, sondern ob er die Verantwortung hierfür trägt. Es muss genügen, dass der Anteil eines Elternteils an der Betreuung und Versorgung des Minderjährigen den Anteil des anderen Elternteils geringfügig übersteigt, um die ansonsten notwendige Bestellung eines Ergänzungspflegers mit dem Aufgabenkreis der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen und die dadurch entstehenden Kosten zu vermeiden (so mit Recht Büttner, FamRZ 1998, 585 [593]). Im vorliegenden Fall erfüllt die Kindesmutter diese Voraussetzungen, weil sie über ihre eigenhändige Versorgung hinaus laufend auch für die Fremdversorgung des Kl. im Hort die Verantwortung trägt, indem sie dessen Beköstigung und Beaufsichtigung in einem Hort nach Schulschluss organisiert und finanziert.
Die Klage ist jedoch nur zu einem geringen Teil begründet.
Entgegen der Auffassung des AG kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien über die Höhe des dem Kl. geschuldeten Unterhalts eine vertragliche Vereinbarung getroffen haben. Eine solche Regelung ist nicht dadurch zu Stande gekommen, dass der Bekl. längere Zeit Unterhaltsbeträge in bestimmter Höhe gezahlt und die Kindesmutter diese Beträge angenommen hat. Aus dieser Handhabung ist nur zu folgern, dass die Eltern der Auffassung waren, dass die Zahlungen dem gesetzlich geschuldeten Unterhalt i.S. des § 1610 BGB entsprachen, zumal sie im notariellen Vertrag vom 24. 9. 1996 vereinbart hatten, dass es beim Kindesunterhalt bei der gesetzlichen Regelung bleiben soll.
Der Bekl. schuldet dem Kl., seinem Sohn, dem Grunde nach Unterhalt gem. § 1601 BGB. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts richtet sich nach der Lebensstellung des Kindes (§ 1610 I BGB), die sich von der Lebensstellung seiner Eltern ableitet. Der Unterhalt schließt den gesamten Lebensbedarf des Kindes ein (§ 1610 II BGB). Er umfasst sowohl den Bar- als auch den Betreuungsbedarf. Das Gesetz geht davon aus, dass ein Elternteil die Betreuung des minderjährigen Kindes durch Pflege und Erziehung sicherstellt und dadurch seine Unterhaltspflicht erfüllt (§ 1606 III 2 BGB), während der andere allein den Barunterhalt zahlt. Dementsprechend richtet sich die Höhe des Barunterhalts nur nach seinem Einkommen. Hiervon geht die Düsseldorfer Tabelle aus.
Die Parteien praktizieren jedoch seit Jahren ein anderes Betreuungsmodell. Sie teilen die Betreuung und Versorgung - von den Zeiten, die der Kl. in der Schule und im Hort verbringt, abgesehen - genau untereinander auf. Der Kl. hält sich im gleichen Umfang beim Vater wie bei der Mutter auf. Jeder Elternteil gewährt dem Kind in der Zeit, während der es bei ihm ist, Unterkunft und Verpflegung und stellt seine sonstigen Bedürfnisse, zum Beispiel nach Kleidung, Schulbüchern, Spielzeug, Taschengeld und Urlaub sicher. Nennenswerte Unterschiede sind nicht feststellbar. Soweit der Kl. geltend macht, dass seine Mutter in weit höherem Umfang als der Bekl. Aufwendungen für Kleidung und Schule gehabt habe, lässt sich dies aus den vorgelegten Aufstellungen der Eltern über den ihnen entstandenen finanziellen Aufwand für den Kl. nicht nachvollziehen. Im Übrigen kann nur der notwendige Aufwand gegenübergestellt werden. Ein übertriebener Luxus, wie etwa die Anschaffung eines Flügels, hat außer Betracht zu bleiben. Soweit notwendige Anschaffungen belegt sind, lässt sich nicht feststellen, dass die Kindesmutter wesentlich mehr für das Kind aufgewandt hat als der Bekl., wobei noch zu berücksichtigen ist, dass die Höhe der Einzelaufwendungen auch von Geschmacksvorstellungen der Eltern geprägt und deshalb untereinander nur begrenzt vergleichbar ist. Ein geringes Übergewicht der Versorgung durch die Mutter besteht nur insoweit, als sie für die Unterbringung des Kl. in einem Hort nach Beendigung der Schule bis zum frühen Nachmittag die Verantwortung übernimmt, sie Vertragspartnerin der Einrichtung ist und die Bezahlung der Hortgebühren sicherstellt. Ein wesentlicher Betreuungsaufwand ist damit aber nicht verbunden, da die Eltern das Kind abwechselnd vom Hort abholen.
Praktizieren die Eltern somit ein striktes Wechselmodell mit im Wesentlichen gleichen Betreuungsanteilen, so erfüllt die Mutter ihre Unterhaltspflicht nicht allein durch die Betreuung des Kindes (§ 1606 III 2 BGB). In einem solchen Fall kann der Bedarf des minderjährigen Kindes deshalb nicht mit Hilfe der Düsseldorfer Tabelle allein nach dem Einkommen des anderen (barunterhaltspflichtigen) Elternteils bemessen werden. Vielmehr ist der Bedarf des Kindes konkret nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen beider Eltern unter Berücksichtigung der Mehrkosten zu ermitteln, die durch den ständigen Wechsel des Kindes von einem in den anderen Haushalt entstehen (z.B. Vorhaltung eines Kinderzimmers, Kleidung, Spielzeug usw. in jeder Wohnung). Hinzu kommen gegebenenfalls notwendige Kosten der Fremdbetreuung, hier in einem Hort. Der zeitweise Aufenthalt des Kl. im Hort ist erforderlich, weil die Eltern sonst die abwechselnde Betreuung nicht sicherstellen könnten. Für den so ermittelten Bedarf haben die Eltern anteilig nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen unter Berücksichtigung ihrer Anteile an der Betreuung aufzukommen (§ 1606 III 1 und 2 BGB; vgl. OLG Düsseldorf - 3. Familiensenat -, OLGR 1999, 313).
Der Bedarf des Kl. beträgt bis einschließlich November 2000 1150 DM, ab 1. 12. 2000 1300 DM. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Einkünfte beider Eltern insgesamt 8000 DM monatlich übersteigen und sie ausschließlich dem Kl. gegenüber unterhaltspflichtig sind. Die Aufwendungen für die private Krankenkasse betragen knapp 50 DM, die Hortkosten 210 DM monatlich. Hinzu kommen die Kosten für den Musikunterricht, die sich ab 1. 12. 2000 deutlich erhöht haben. Der Gesamtbedarf von 1150 DM bzw. 1300 DM ist von den Eltern anteilig zu tragen. Da die Betreuungsleistungen beider Eltern sich weit gehend entsprechen, kann nicht anerkannt werden, dass die Mutter nur 16 Stunden, der Bekl. 24,58 Stunden pro Woche Unterricht erteilt. Vielmehr ist für die Unterhaltsberechnung davon auszugehen, dass beide Eltern im gleichen Umfang ihrer Lehrtätigkeit nachgehen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Bekl. inzwischen nach A 14 besoldet wird, die Mutter dagegen weiter nach A 13, sie jedoch den Familienzuschlag für das Kind bezieht, rechnet der Senat der Mutter für den gesamten Unterrichtszeitraum ein Einkommen zu, das 92% der Einkünfte des Bekl. von 7098 DM, also 6530 DM brutto, ausmacht. Wesentliche Verschiebungen des Verhältnisses zwischen den beiderseitigen Einkünften ergeben sich nach Abzug der Lohnsteuern und des Solidaritätszuschlags nicht, da nach Wiederheirat der Mutter die Steuern bei beiden Eltern nach den im Wesentlichen identischen Steuerklassen I bzw. IV berechnet werden. Einkommensteuererstattungen bleiben beiderseits unberücksichtigt, zumal sie zum Teil auf Aufwendungen beruhen, die unterhaltsrechtlich nicht anzuerkennen sind.
Die Mutter verfügt danach über rund 48%, der Bekl. über rund 52% der Gesamteinkünfte der Eltern. Da sich dieses Verhältnis nach Vorwegabzug eines Sockelbetrags von 1800 DM (vgl. Wendl/Scholz, § 2 Rdnr. 299) zu Lasten der Mutter verschiebt und sie die Verantwortung für die Hortbetreuung hat, erscheint es dem Senat angezeigt, dass der Bekl. 60%, die Mutter 40% des gesamten Unterhaltsaufwands trägt. Auf den Bekl. entfallen somit 60% von 1150 DM = 690 DM und ab 1. 12. 2000 60% von 1300 DM = 780DM. Der Haftungsanteil der Mutter beträgt rechnerisch 460 DM, ab 1.12. 2000 520 DM. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Kl. von jedem Elternteil entsprechend dem von ihnen praktizierten Betreuungsmodell Naturalunterhalt in gleichem Umfang erhält. Den in Natur gedeckten Anteil des Unterhaltsbedarfs veranschlagt der Senat mit insgesamt 800 DM, je Elternteil mit 400 DM. Dieser Betrag ist auf den Haftungsanteil anzurechnen. Demgemäß verbleibt ein Barunterhaltsanspruch des Kl. gegen den Bekl. von (690 - 400 =) 290 DM bis 30. 11. 2000 und von (780 - 400 =) 380 DM ab 1. 12. 2000 pro Monat. Diese Beträge sind um das hälftige Kindergeld von 125 DM (Dezember 1999) und von 135 DM ab 1. 1. 2000 zu kürzen (§ 1612b I BGB).
(Mitgeteilt vom 6. Senat für Familiensachen des OLG Düsseldorf)
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Anm. d. Schriftltg.:
Zu § 1629 II BGB s. auch OLG Hamm, NJWE-FER 1997, 126; AG Landstuhl, NJWE-FER 1997, 222.
[editiert: 03.07.04, 23:56 von Ingrid]