OLG Brandenburg: Klage auf Abänderung einer Jugendamtsurkunde NJOZ 2003 Heft 42 2741 ZPO § 323 ; BGB §§ 1601 ff. Urteil vom 24. 1. 2002 - 9 UF 209/00
Die wesentliche Veränderung gem. § 323 I ZPO muss durch den Kl. behauptet werden, der mithin auch gehalten ist, die Grundlagen des abzuändernden Titels darzutun, da nur so die Überprüfung, ob eine Veränderung behauptet wird, möglich ist.
Änderungen der Bedarfssätze der Unterhaltstabellen sind wie eine am Tag des In-Kraft-Tretens der Tabellen eingetretene Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu behandeln. Ob diese Veränderung rechnerisch tatsächlich zu einem erhöhtem Unterhaltsanspruch führt, ist für die Zulässigkeit der Abänderungsklage ohne Bedeutung; dies ist vielmehr eine Frage der Begründetheit.
Die Regelung des § 323 ZPO ermöglicht keine freie Abänderung der betroffenen Unterhaltstitel; vielmehr ist eine Anpassung des Unterhaltes an die veränderten Verhältnisse unter Wahrung der - vom Abänderungskl. vorzutragenden - Grundlagen des abzuändernden Titels vorzunehmen (hier: Vereinbarung des Mindestunterhalts „West“ für im Beitrittsgebiet lebende Kinder).
Für einen Titel, der aus der Zeit der Minderjährigkeit stammt, muss ungeachtet dessen, dass sich die Rechtsnatur des Unterhaltsanspruchs mit der Volljährigkeit nicht verändert, das nunmehr volljährige Kind dartun und beweisen, dass er fortbesteht, insbesondere welche Haftungsquote auf den jeweiligen Elternteil entfällt. Dies gilt auch dann, wenn der Unterhaltsverpflichtete die Abänderungsklage erhebt.
Der Kindesunterhalt für die am 28. 10. 1983 geborenen Kl. zu 1 und die minderjährige Kl. zu 2 war jeweils durch Jugendamtsurkunden vom 3. 5. 1996 tituliert. Die beiden Kl. begehren ab Februar 1999 jeweils höheren Kindesunterhalt. Das AG - FamG - hat den Abänderungsklagen teilweise stattgegeben. Die Berufung des Bekl. war überwiegend erfolgreich.
Aus den Gründen:
1. Die Abänderungsklagen, an denen die Kl. auch auf die Hinweise des Senats anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 13. 9. 2001 festgehalten haben, sind für die Zeit vom 1. 2. 1999 bis einschließlich 30. 6. 1999 bereits unzulässig. Es fehlt an der Darlegung von Gründen, die zu einer Abänderung der vollstreckbaren Urkunden vom 3. 5. 1996 gem. §§ 323 I u. IV , 794 I Nr. 5 ZPO berechtigen würden.
Nach § 323 I ZPO, der auf vollstreckbare (Jugendamts-)Urkunden analog anzuwenden ist (§ 323 IV ZPO), kommt eine Abänderung des Unterhaltstitels nur dann in Betracht, wenn eine wesentliche Änderung derjenigen Verhältnisse, die für die Verurteilung zur Entrichtung der Leistungen, für die Bestimmung der Höhe der Leistungen oder der Dauer ihrer Entrichtung maßgebend waren, eintritt. Die in diesem Sinne gebotene wesentliche Veränderung muss durch den Kl. behauptet werden (Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., 2001, § 323 Rdnr. 31; s. auch BGH, NJW 1995, 1891 = LM H. 9/1995 § 1573 BGB Nr. 28 = FamRZ 1995, 665 [666]). Der Kl. ist mithin auch gehalten, die Grundlagen des abzuändernden Titels darzutun, da nur so die Überprüfung, ob eine Veränderung behauptet wird, möglich ist (Schael, in: FamVerf, 2001, § 1 Rdnr. 403).
Nach den durch den Bekl. nicht bestrittenen Erläuterungen der Kl. war Grundlage der Urkunden nicht ein konkret zurechenbares Einkommen des Bekl., vielmehr die Vereinbarung der Parteien, unabhängig von den eingetretenen familiären Veränderungen jedenfalls den Mindestregelunterhalt in Höhe der für das Altbundesgebiet geltenden Regelbetragsverordnungen zu zahlen. Soweit sich die Kl. damit auf ein verändertes Einkommen des Bekl. bzw. ein dem Bekl. fiktiv zurechenbares Einkommen wegen eines behaupteten Verstoßes gegen Erwerbsobliegenheiten berufen, kann dies schon deshalb die Zulässigkeit der Abänderungsklage nicht begründen, da nach dem eigenen Vorbringen das Einkommen gerade nicht Grundlage des abzuändernden Titels war.
Eine Abänderung und damit die Zulässigkeit der Abänderungsklage kommt damit grundsätzlich erst ab dem 1. 7. 1999 mit der zu dieser Zeit eingetretenen Änderung in den Bedarfssätzen der Düsseldorfer Tabelle in Betracht. Änderungen der Bedarfssätze der Unterhaltstabellen sind wie eine am Tag des In-Kraft-Tretens der Tabellen eingetretene Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu behandeln (BGH, NJW 1995, 534 = LM H. 5/1995 § 323 ZPO Nr. 72 = FamRZ 1995, 221; Schael, Rdnr. 399). Zum 1. 7. 1999 sind die Bedarfssätze für die Kl. zu 1 in der dritten Altersstufe auf 510 DM und für die Kl. zu 2 in der zweiten Altersstufe auf 431 DM monatlich gestiegen, so dass eine Abweichung gegenüber den in den abzuändernden Urkunden festgelegten Bedarfssätzen (Tabellenbeträgen) enthalten ist. Ob diese Veränderung rechnerisch tatsächlich zu einem erhöhten Unterhaltsanspruch führt, ist für die Zulässigkeit der Abänderungsklage ohne Bedeutung; dies ist vielmehr eine Frage der Begründetheit.
Soweit dagegen zum 1. 7. 1998 eine weitere Unterhaltstabelle eingeführt worden ist, begründet dies keinen zulässigen Abänderungsgrund. Die Bedarfssätze haben sich hierdurch nämlich nicht verändert, sie waren vielmehr mit denjenigen der seit dem 1. 1. 1996 gültigen Unterhaltstabelle identisch.
2. Aber auch soweit die Abänderungsklagen zulässig sind, haben diese nur zum Teil Erfolg.
Die Regelung des § 323 ZPO ermöglicht keine freie Abänderung der betroffenen Unterhaltstitel; vielmehr ist eine Anpassung des Unterhaltes an die veränderten Verhältnisse unter Wahrung der Grundlagen des abzuändernden Titels vorzunehmen (BGH, NJW-RR 1994, 1155 = LM H. 2/1995 § 323 ZPO Nr. 71 = FamRZ 1994, 1100 [1101]; Zöller/Vollkommer, § 323 Rdnr. 47 i.V. mit Rdnr. 44).
Grundlage der abzuändernden Urkunden war die Festlegung der Unterhaltsbedarfssätze nach der ersten Stufe der Düsseldorfer Tabelle abzüglich des jeweils anzurechnenden Kindergeldes. Das Einkommen des Bekl. spielte dafür keine Rolle, wie bereits ausgeführt. Schon aus diesem Grunde kommt es für die Anpassung jedenfalls im Grundsatz nicht darauf an, ob sich die Einkommensverhältnisse des Bekl. tatsächlich verändert haben. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Bekl. ein derart außergewöhnlich hohes Einkommen im Unterschied zu seinem in 1996 bezogenen Einkommen beziehen würde, dass ein Festhalten der Kl. an den Grundlagen der Jugendamtsurkunden nicht mehr zumutbar wäre. Derartiges haben aber weder die Kl. selbst behauptet noch ergibt sich solches aus den vorgelegten Unterlagen. So hat der Bekl. in 1996 einen jährlichen Verlust von 31503,97 DM und in 1997 einen jährlichen Verlust von 18733,26 DM, in 1998 dagegen einen jährlichen Gewinn von 2843,68 DM, in 1999 einen jährlichen Gewinn von 7116,72 DM und im ersten Quartal des Jahres 2000 einen Gewinn von 3899,79 DM erzielt. Schon diese Zahlen lassen erkennen, dass eine wesentliche Veränderung in den laufenden Einkünften des Bekl. jedenfalls nicht, soweit er sich zur Zahlung des Mindestunterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle verpflichtet hat, gegeben ist.
Insoweit kann auch dahinstehen, inwieweit dem Bekl. zusätzlich ein Wohnvorteil auf Grund des Bewohnens des in seinem und seiner neuen Lebensgefährtin je zur Hälfte im Miteigentum stehenden Einfamilienhauses zuzurechnen ist. Zum einen liegt insoweit ebenfalls keine Veränderung gegenüber dem Zustand im Jahre 1996 vor; zum anderen wäre auch bei einem nach den Behauptungen der Kl. maximal zuzurechnenden Wohnwert von 682,50 DM monatlich (bei 13 DM/m² und eine Wohnfläche von 105 m² unter Berücksichtigung des auf den Bekl. entfallenden hälftigen Anteils), bei dem noch nicht die von dem Bekl. substanziiert dargelegten Verbindlichkeiten für das Haus Berücksichtigung fänden, ein unzumutbares Abweichen im Sinne vorgenannter Ausführungen aus Sicht der Kl. nicht gegeben.
Aber auch soweit ab dem 1. 7. 1999 eine Erhöhung der Bedarfssätze auf Grund der Aktualisierung der Düsseldorfer Tabelle eingetreten ist, hat die Abänderungsklage allein auf Grund dieser Tatsache keinen Erfolg. Zwar handelt es sich hier um eine berücksichtigungsfähige veränderte Tatsache, da die Parteien die erste Stufe der Düsseldorfer Tabelle ihrer Vereinbarung zu Grunde gelegt haben und sich damit auch die Anpassung an den erhöhten Bedarfssätzen zu orientieren hat. Jedoch hatte sich bereits seit dem 1. 1. 1999 das Kindergeld auf monatlich 250 DM erhöht, weshalb gem. § 1612b I BGB ein hälftiger Anteil von 125 DM anzurechnen war. Auch diese Anrechnung ist zu berücksichtigen, da sie dem Inhalt der Urkunden und der ihnen zu Grunde liegenden getroffenen Vereinbarung - die ebenfalls das jeweils anzurechende Kindergeld in Abzug gebracht hat - entspricht. Die Anrechnung führt bei einem Unterhaltsbedarf der Kl. zu 1 von 510 DM zu einem Zahlbetrag von 385 DM und bei einem Unterhaltsbedarf der Kl. zu 2 von 431 DM zu einem Zahlbetrag von 306 DM. Diese Zahlbeträge liegen jeweils unterhalb der in den abzuändernden Urkunden enthaltenen Beträge und können daher die Abänderungsklage nicht begründen.
Für die Kl. zu 1 hat dies zur Folge, dass bis zum 31. 12. 2000 ihre Abänderungsklage ohne Erfolg bleibt, zumal im Jahr 2000 das anzurechnende Kindergeld auf 135 DM monatlich angestiegen ist. Auf Seiten der Kl. zu 2 ist allerdings als weiterer Abänderungsgrund deren zum 11. 1. 2000 eingetretener Alterssprung zu beachten. Seit dieser Zeit ist sie nämlich zwölf Jahre alt und nunmehr in der dritten Altersstufe zu berücksichtigen. Ihr Unterhaltsbedarf beträgt danach 510 DM; abzüglich anzurechnender 135 DM (hälftiges Kindergeld) verbleiben 375 DM (= 191,73 Euro) als monatlicher Zahlbetrag. Diese Veränderung ist gegenüber dem vormaligen Zahlbetrag von 324 DM auch wesentlich, da sich eine Abweichung von mehr als 10% ergibt.
Für die Zeit ab dem 1. 1. 2001 ist dagegen auf Grund der nunmehr zu § 1612b V BGB eingetretenen Gesetzesänderung und der daraus folgenden Nichtanrechnung des Kindergeldes die Abänderungsklage zunächst für beide Kl. begründet. Als Bedarfssatz und zugleich als Zahlbetrag stand den Kl. daher ab dem 1. 1. 2001 ein monatlicher Unterhaltsbetrag von jeweils 510 DM (= 260,76 Euro) und auf Grund der geänderten Tabellensätze ab dem 1. 7. 2001 von 525 DM (= 268,43 Euro) und ab 1. 1. 2002 von 269 Euro zu. An der Wesentlichkeit im Verhältnis zu den in der Urkunde enthaltenen Zahlbeträgen bestehen keine Bedenken.
Soweit dagegen die Kl. zu 1 für die Zeit ab dem 28. 10. 2001, dem Eintritt ihrer Volljährigkeit, einen erhöhten Unterhaltsbetrag begehrt, hat ihre Abänderungsklage keinen Erfolg. Zwar gilt der abzuändernde Titel bis zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Kl. zu 1 und damit auch über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus. Für das volljährige Kind berechnet sich der Unterhaltsanspruch allerdings nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile. Für einen Titel, der aus der Zeit der Minderjährigkeit stammt, muss ungeachtet dessen, dass sich die Rechtsnatur des Unterhaltsanspruchs mit der Volljährigkeit nicht verändert, das nunmehr volljährige Kind dartun und beweisen, dass er fortbesteht, insbesondere welche Haftungsquote auf den jeweiligen Elternteil entfällt (OLG Köln, NJWE-FER 2000, 144 [145]). Dem genügt der Vortrag der Kl. zu 1 nicht, da sie zu den Einkommensverhältnissen ihrer Eltern nicht ausreichend vorgetragen hat. So sind die Einkünfte des Bekl. ab dem zweiten Quartal des Jahres 2000 unbekannt. Auch auf diesen Umstand hat der Senat die Kl. zu 1 in der mündlichen Verhandlung vom 13. 9. 2001 hingewiesen, ohne dass diese ihr Vorbringen zu den aktuellen Einkünften des Bekl. ergänzt hat. Hinzu kommt, dass auch die Einkünfte der Mutter der Kl. zu 1 für die Zeit nach August 2001 unbekannt sind.
Damit kommt für die Kl. zu 1 eine Abänderung des sich aus der abzuändernden Jugendamtsurkunde ergebenden Unterhaltsforderung für die Zeit ab dem Eintritt ihrer Volljährigkeit nicht in Betracht.
(Mitgeteilt von Richterin am OLG S. Surkau und Richter am OLG F. Götsche, Brandenburg) Anm. d. Red.:
Vgl. zu der zitierten Entscheidung BGH, NJW 1995, 534 auch die Anm. Wax, LM H. 5/1995 § 323 ZPO Nr. 72; s. ferner zur Abänderung einer den Kindesunterhalt titulierenden Jugendamtsurkunde OLG Dresden, FuR 1999, 479; OLG Hamm, FamRZ 1999, 794.
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