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Die Meister der preußisch-deutschen Kriegskunst: Carl von Clausewitz
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Politk und Kriegführung sind das Schicksal
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Klassiker der Strategie und der Politik
Von Mag. Rolf-Josef Eibicht
Gliederung:
1. Die Bedeutung des Generals Carl von Clausewitz
2. Die Natur (das Wesen) des Krieges
A) Die objektive Natur des Krieges
B) Die subjektive Natur des Krieges
3. Krieg und Politik
4. Taktik und Strategie
5. Friktionen
6. Die moralischen (menschlichen) Größen des Krieges
7. Angriff und Verteidigung
A) Zur Natur des Angriffs
B) Zur Natur der Verteidigung
8. Das Gefecht
9. Clausewitz als Klassiker der Strategie und der Politik
10. Quellenverweise
1. Die Bedeutung des Generals Carl von Clausewitz
Vorbemerkung: Die entscheidenste menschliche Handlung ist nach der Politik die ihr als politisches Instrument untergeordnete Kriegführung. In Abwandlung eines Satzes von Napoleon (1) könnte man sagen: Politik und Kriegführung sind das Schicksal!
General Carl Philipp Gottfried von Clausewitz (1780-1831) gilt als der weltweit anerkannte und bislang unübertroffene Schöpfer der modernen Theorie des Krieges (2), als der Klassiker der Kriegskunst, als der "Theoretiker des Krieges (der Strategie; Anm. d. Verf.) schlechthin". (3) Er ist darüber hinaus auch ein Klassiker der Politik.
Zumindest das, was Clausewitz "über die Stratgie und das Wesen des Krieges gesagt hat, (ist) bis heute unangreifbar geblieben". (4) Der erstrangige Clausewitz Analytiker Werner Hahlweg sieht in Clausewitz' Werk "Vom Kriege" "die reifste und umfassendste Studie über den Krieg, die die abendländische Gesellschaft bis jetzt geschaffen hat." (5)
Schering nennt Clausewitz, m.E. zu Recht, "einen der größten deutschen Denker und Schriftsteller und der Philosoph des Krieges für die ganze Welt. (6)
In der Einführung der fünften Auflage "Vom Kriege" wies Generalstabschef Graf Alfred von Schlieffen im Jahre 1905 auf die "unveränderte Gültigkeit" der Lehre von Clausewitz hin, "die in der Tat nach Form und Inhalt das Höchste darstellt, das jemals über den Krieg gesagt worden ist.“ (7)
Seither dürfte sich diesbezüglich nichts geändert haben. Die erste vollständige französische Ausgabe des Werkes "Vom Kriege" beschrieb im Jahre 1955 Clausewitz als den "größten militärischen Klassiker aller Zeiten". (8)
Zur Bedeutung von Clausewitz schrieb Rymond Aron im Jahre 1980: "Zu seinen Lebzeiten unbekannt, obwohl von einigen großen Soldaten bewundert, errichtete dieser Offizier ein geistiges Gebäude, das noch nach anderthalb Jahrhunderten Ehrfurcht einflößt". (9)
Der führende britische Militärhistoriker Liddell Hart verweist darauf, das "Clausewitz' Ideen Eingang bei allen Heeren" der Welt "gefunden" haben. (10)
Fraglos war und ist Clausewitz einer der Lehrmeister der Preußisch-deutschen Armee, der Reichswehr, der Deutschen Wehrmacht und der Deutschen Bundeswehr. 1983 erklärte der damalige Bundesverteidigungsminister und dann spätere Generalsekretär der NATO, Dr. Manfred Wörner, anläßlich seiner Rede vor der Offiziersschule des Heeres in Hannover: "Für mich ist ein Offizier undenkbar, der seinen 'Clausewitz' nicht gelesen hat. Ich kann Sie nur ermutigen, sich in der Militärgeschichte umzutun. Sie werden dabei auf viel mehr aktuelles und im guten Sinne beispielhaftes stoßen, als sie verrnuten." (11)
Wenn Clausewitz als der Theoretiker des modernen Krieges angesehen werden muß, so bedarf dies einer Einschränkung. Wallach weist darauf hin, wenn er ausführt: "Trotzdem sollte man nicht vergessen, daß seine Ansichten als Deutscher seiner Zeit völlig kontinental gewesen sind und daß sich seine Theorie deshalb auf den Landkrieg beschränkt." (12)
Die "überzeitliche Bedeutung des Werkes des Generals von Clausewitz" wird, so Ihno Krumpelt, "von niemanden ernsthaft angezweifelt." (13)
Überzeitlich ist die clausewitzsche Lehre deshalb, weil sie das Wesen von Krieg und Kriegsführung geistig durchdringt, unübertreffbar rational erklärbar macht und somit der praktischen Kriegskunst, das heißt sowohl dem Staatsmann als auch dem Feldherrn, dem Militär überhaupt, das geistige Rüstzeug vermittelt.
Durch eine "philosophische Strukturanalyse" (14) erkennt Clausewitz die "in ihren Elementen unveränderliche Natur des Krieges" (15). Er untersucht "mehr als 130 verschiedene Feldzüge ... um zu seinen Schlußfolgerungen zu gelangen." (16) Vom Nutzen des Studiums der Kriegsgeschichte schreibt er: Das die Theorie des Krieges "sich oft auf die Kriegsgeschichte berufen muß, ist natürlich, denn in der Kriegskunst ist die Erfahrung mehr wert als alle philosophische Wahrheit. ... Die Kriegsgeschichte ist mit allen ihren Erscheinungen für die Kritik selbst eine Quelle der Belehrung, und es ist ja natürlich, daß sie die Dinge mit eben dem Lichte beleuchte, was ihr aus der Betrachung des Ganzen geworden ist. (17)
Clausewitz' Werk "Vom Kriege" ist nicht das Produkt eines reinen Theoretikers. Er ist beides: Praktiker und Theoretiker. 20 Jahre lang kämpfte er auf den Schlachtfeldern Europas. Bereits als Zwölfjähriger, wie es zur damaligen Zeit üblich war, trat er in die preußische Armee als Fähnrich in ein Infanterieregiment ein. Schon als Dreizehnjähriger nahm er 1793 am Koalitionskrieg gegen Frankreich teil. Während des Krieges erhielt er 1795 sein Leutnantspatent. Von 1801 bis 1803 studierte er an der Allgemeinen Kriegsschule (Kriegsakademie) in Berlin. 1803 wurde er als Stabskapitän zum Adjutanten des Prinzen August von Preußen, einem Neffen des Königs, ernannt. 1806 nahm er an der Schlacht von Jena teil. Zwei Jahre später berief ihn Scharhorst, der sein Lehrer auf der Kriegsakademie war, zum Generalstab. Fortan gehörte er zum Kern der preußischen Militärreformer. Er beteiligte sich "am Neuaufbau des preußischen Heeres und war bemüht, diese stände- und klassenzerrissene Armee in eine einheitliche Nationalarmee umzufornien." (18) Clausewitz war ein Verfechter des "Volksaufgebotes" und des "Kleinkrieges". Er war für einen Volksaufstand gegen Napoleon, der jedoch durch die Staatsautorität geleitet werden müsse. (19)
Als Major des Generalstabes hielt er 1810 und 1811 an der Allgemeinen Kriegsschule Vorlesungen über den "kleinen Krieg" und wurde gleichzeitig mit der militärischen Erziehung des preußischen Konprinzen, dem späteren König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1840-1861), beauftragt.
1812 trat er in russische Dienste um, wie auch viele andere deutsche Patrioten, von dort aus gegen Napoleon zu kämpfen. Dies enstsprach "seiner Rebellion gegen die preußische Unterwerfung unter die französische Vorherrschaft.“ (20)
Am 30. Dezember 1812 war er maßgeblich an der Konvention von Tauroggen beteiligt, "die den ersten Schritt gegen das napoleonische Joch bedeutete.“ (21) Eine "Rolle von historischer Bedeutung". (22) An den Schlachten gegen Napoleon war er 1813 und 1815 beteiligt, zuletzt wieder in preußischen Diensten als Chef des Stabes eines Korps in der Armee Blücher. Als Generalmajor war Clausewitz von 1818 bis 1830 Verwaltungsdirektor der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin. Dies war die Zeit, wo sein Hauptwerk "Vom Kriege" entstand. 1830 wurde er wieder in den aktiven Heeresdienst berufen, zunächst zum Inspekteur der Artillerie in Breslau und 1831 zum Chef des Generalstabes der preußischen Observationsarmee (polnischer Aufstand) unter Feldmarschall von Gneisenau in Schlesien.
Am 16. November 1831 starb Clausewitz in Breslau ohne die Möglichkeit zu haben, sein Werk "Vom Kriege" zu vollenden.
Die durch Clausewitz begründete moderne Kriegstheorie verdrängte die spezifisch pragmatische Kriegstheorie des 18.Jahrhunderts. Eine Kriegstheorie die in "Systemen", in Lineartaktik, in "idealen Maßstäben", in "generalisierenden" und "allgemeingültigen Regeln" sowie in der „Wertschätzung für mathematische Lösungen“ dachte. Die Kriege wurden mit Söldnerheeren "methodisch" und "begrenzt" geführt und "von der Politik der Kabinette gelenkt". (23)
Einer der führenden Clausewitz-Kenner, Oberst von Meerheimb, schrieb in bezug auf Clausewitz' Werk "Vom Kriege" von einem "gigantischen Zerstörungswerk" gegen jedes "Systemdenken" und die "frühere mathematische Auffassungsweise" vom Kriege. (24)
Die politischen Veränderungen durch die französische Revolution erzwangen eine neue Kriegstheorie. Clausewitz lebte am Bruchpunkt dieser Veränderungen, dem Ende der Kabinettskriege und dem Beginn der Volkskriege, und verfügte über die geistige Substanz, die alte Epoche und das neu heranbrechende souverän übersehen und beurteilen sowie daraus die richtigen Schlußfolgerungen ziehen zu können.
In seinem Beitrag: "Über das Leben und den Charakter von Scharnhorst" beschreibt Clausewitz diese historische Veränderung wie folgt: Diese Veränderungen hatten die „Kriegsführung wie mit Scheidewasser angegriffen; sie hatten das furchtbare Element des Krieges aus seinen alten diplomatischen und finanziellen Banden losgelassen: er schritt nun mit seiner rohen Gewalt einher, wälzte eine ungeheure Masse von Kräften mit sich fort, und man sah nichts als Trümmer der alten Kriegskunst auf der einen Seite und unerhörte Erfolge auf der anderen, ohne daß man dabei ein neues System der Kriegsführung, d.h. neue Wege der Klugheit, neue positive Formen im Gebrauch der Kräfte, von dem ihn die stehenden Heere zum Teil entfernt hatten; er hatte die Fesseln abgeworfen, die eingebildeten Unmöglichkeiten überschritten." (25)
An anderer Stelle schrieb er: "Als im Jahre 1806 die preußischen Generale ... sämtlich mit der schiefen Schlachtordnhung Friedrichs des Großen sich in den offenen Schlund des Verderbens warfen, war es nicht bloß eine Manier, die sich überlebt hatte, sondern die entschiedenste Geistesarmut, zu der je der Methodismus geführt hat.“ (26)
Wenn Clausewitz hier davon spricht, daß der Krieg "dem Volke wiedergegeben war", so wendet er sich damit gegen den Kabinetts-Krieg des 18.Jahrhunderts, wie im übrigen auch Kant, "an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm.“ (27) Nachdem, so Kant, das Volk nicht gefragt wurde "ob Krieg sein solle oder nicht" und eben das närnliche dennoch "alle Drangsale des Krieges" zu ertragen hatte. (28)
Kessel weist darauf hin, das für Clausewitz nicht erst die Niederlage Preußens 1806 der Ausgangspunkt zur Entwicklung einer neuen Kriegstheorie gewesen sei. Er verweist auf "einen Zufallsfund, ... ein Manuskript von der Hand Clausewitz', überschrieben 'Stratgie' und datiert aus dem Jahre 1804 mit Zusätzen von 1808 und 1809. (29) Der Hauptteil dieser Schrift wurde 1804, d.h. vor der preußischen Niederlage von 1806 verfaßt und offenbare den "Anfang einer neuen zeitlosen Kriegstheorie". (30) Getragen von der "unbeirrbaren Kampfhandlung gegen die rationalistische Tendenzen der Kriegstheorie der Zeit", (31) d.h. die Methodik und Systematik der Kriegskunst des 18.Jahrhunderts.
2. Die Natur (das Wesen) des Krieges
A) Die objektive Natur des Krieges
Clausewitz sieht das "Element" des Krieges im „Zweikampf“: „Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf“. (32) Die Absichten der Beteiligten eines Zweikampfes entsprechen denen der Beteiligten eines Krieges: "Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ (33)
Um diesen Grundsatz zu verdeutlichen, führt er das Begriffspaar Mittel und Zweck, welches er in seiner Strukturanalyse durchgängig verwenden wird, ein. Die physische Gewalt zur Niederringung (Wehrlosmachung) des Feindes ist demnach das Mittel und der Zweck ist dem Feind den eigenen Willen aufzuzwingen. (34)
Das "eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung" "ist dem Begriff nach", und diese Einschränkung ist überaus wesentlich für die spätere Auseinandersetzung mit dem Vorwurf Clausewitz sei ein Vemichtungsstratege, ist also "dem Begriff nach", so Clausewitz, "den Feind wehrlos (zu) machen.“ (35) Dies ist von der Begrifflichkeit her die Natur des Krieges.
Im Zwölften Kapitel des Dritten Buches verweist Clausewitz auf eine weitere Begriffsbestimmung des Krieges: "Der Krieg ist ein Stoß entgegengesetzter Kräfte aufeinander, woraus von selbst folgt, daß die stärkere die andere nicht bloß vernichtet, sondern in ihrer Bewegung mit fortreißt.“ (36) Bei einer kriegerischen Auseinandersetzung hat naturgemäß jeder der Kriegsparteien den Willen zum Sieg. Im Wesen, im Begriff des Krieges liegt folglich und faktisch die "Tendenz zur Vernichtung des Gegners.“ (37) Alles andere, etwa "ein Prinzip der Ermäßigung" (38), wäre begrifflich absurd.
Zur Erklärung des Wesens des Krieges unterbreitet Clausewitz nun drei Wechselwirkungs-Gesetze. Im obigen Zusammmenhang, der Steigerung der Gewalt bis zum Äußersten, heißt die "erste Wechselwirkung und das erste Äußerste" (39):
Erste Wechselwirkung:
"Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die dem Begriff nach zum äußersten führen muß."
Die Wehrlosmachung des Feindes ist "in der theoretischen Vorstellung" (40) absolut notwendig um nicht selber diesem Schicksal zu unterliegen. Und hieraus folgt eine weitere Gesetzmäßigkeit:
Zweite Wechselwirkung:
Solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muß ich fürchten, daß er mich niederwirft, ich bin also nicht mehr Herr meiner, sondern er gibt mir das Gesetz, wie ich es ihm gebe." (41)
Eine weitere Gesetzmäßigkeit sieht Clausewitz nun in der Größe der vorhandenen Mittel und der Stärke der Willenskraft:
Dritte Wechselwirkung:
"Wollen wir den Gegner niederwerfen, so müssen wir die Anstrengungen nach seiner Widerstandskraft abmessen (... ). Aber dasselbe tut der Gegner; also neue gegenseitige Steigerung, die in der bloßen Vorstellung wieder das Bestreben zum Äußersten haben muß."
Clausewitz auf Grund dieser Darstellungen der Wechselwirkungen des Krieges, also der Beschreibung der zunächst sich aufdrängenden abstrakten Gesetzmäßigkeiten des Krieges, als Vemichtungstheoretiker darzustellen, wäre absolut verfehlt.
So schreibt er denn auch: "Anders aber gestaltet sich alles, wenn wir aus der Abstraktion in die Wirklichkeit übergehen". (42) Und weiter, an anderer Stelle: "Wir dürfen uns also nicht verleiten lassen, den Krieg wie einen bloßen Akt der Gewalt und der Vernichtung zu betrachten und aus diesem einfachen Begriff mit logischer Konsequenz eine Reihe von Folgerungen zu ziehen, die mit den Erscheinungen der wirklichen Welt gar nicht mehr zusammentreffen, sondern wir müssen darauf zurückkommen, daß der Krieg ein politischer Akt ist, der sein Gesetz nicht ganz in sich selbst trägt, ein wahres politisches Instrument, was nicht selbst wirkt, sondern von einer Hand geführt wird. Diese Hand ist die Politik. Nach diesen Entwicklungen brauche ich nicht zu beweisen, daß es Kriege geben kann, wo das Ziel ein noch geringfügigeres ist, eine bloße Drohhung, eine bewaffnete Unterhandlung oder, in Fällen von Bündnissen, eine bloße Scheinhandlung. Es wäre ganz unphilosophisch, zu behaupten, diese Kiiege gingen die Kriegskunst nichts mehr an. Sobald die Kriegskunst sich einmal genötigt sieht, einzuräumen, daß es vernünftigerweise Kriege geben kann, die nicht das Äußerste, das Niederwerfen und Vernichten des Feindes, zum Ziele haben, so muß sie auch zu allen möglichen Abstufungen hinuntersteigen, die das Interesse der Politik fordern kann." (43)
Clausewitz weist zudem darauf hin, daß die Kraftansammlung zum Äußersten hin fast nie in einem Akt erreicht werden kann. (44) Auch dies eine Relativierung der Wechselwirkungen in ihrem Streben zum Äußersten.
„Die Wahrscheinlichkeiteln des wirklichen Lebens treten an die Stelle des
Äußersten und Absoluten der Begriffe". (45) Auch ist der "häufige Stillstand im kriegerischen Akt" ein Merkmal der ihn "noch mehr vom Absoluten (...) entfernt", ihn zum "Wahrscheinlichkeitskalkül" macht. (46)
Die zentralste Einschränkung des Strebens nach dem Äußersten ist jedoch - wie bereits dargelegt - der politische Zweck des Krieges. So vermerkt Clausewitz: "Das Gesetz des Äußersten, die Absicht, den Gegner wehrlos zu machen, ihn niederzuwerfen, hatte diesen Zweck bisher gewissermaßen verschlungen. (... ) So wird also der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges das Maß sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen Akt erreicht werden muß, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind." (47)
Somit wird deutlich, daß "es Kriege mit allen Graden von Wichtigkeit und Energie geben kann, von dem Vemichtungskriege hinab bis zur bloßen bewaffneten Beobachtung." (48)
Im Denken von Clausewitz ist Krieg eben generell keine "vollkommene, ungestörte, eine absolute Äußerung der Gewalt, wie wir ihn uns aus seinem bloßen Begriff ableiten mußten..." (49)
Daß Clausewitz eben kein Vernichtungstheoretiker, d.h. Theoretiker des Vernichtungskrieges ist, folgert aus dem hier bereits bisher dargelegten. So resümiert er auch schlüssig am Ende des Ersten Kapitels: "Was ist der Krieg?", indem er von der Verschiedenartigkeit der Kriege, von zwei Arten des Krieges spricht. (50)
Gemeint ist hier zum einen die Art, in der der Krieg, und dies laut der abstrakten Definition vom Wesen des Krieges, das Äußerste, das Niederwerfen und Vernichten des Feindes zum Ziel hat und zum anderen die Art, in der der Krieg dieses Ziel nicht hat und in Abstufungen sich vollzieht. Wörtlich schreibt er zu den zwei Arten des Krieges: "Diese doppelte Art des Krieges ist nämlich diejenige, wo der Zweck das Niederwerfen des Gegners ist, sei es, daß man ihn politisch vernichten oder bloß wehrlos machen und also zu jedem beliebigen Frieden zwingen will, und diejenige, wo man bloß an den Grenzen seines Reiches einige
Eroberungen machen will, sei es, um sie zu behalten, oder um sie als nützliches Tauschmittel beim Frieden geltend zu machen.“ (51)
Nach Schering kann man die erste und zweite Art des Krieges dahingehend verdeutlichen, wonach die erste den Willen des Feindes brechen, die zweite ihn beugen will. (52)
Zudem kennt Clausewitz' Strategie den Begriff der "Ermüdung", und zwar dort, wo "vom Niederwerfen nicht die Rede ist und sein kann." (53) In dem Begriff des Ermüdens bei einem Kampfe liegt eine durch die Dauer der Handlung nach und nach hervorgebrachte Erschöpfung der physischen Kräfte und des Willens. (54) Und zwar indem man begrenzte Kriegsziele verfolgt. (55) An anderer Stelle schreibt er: "Das Erhalten der eigenen Streitkräfte hat den negativen Zweck, führt also zur Vernichtung der feindlichen Absicht, d.h. zum reinen Widerstand, wovon das letzte Ziel nichts sein kann, als die Dauer der Handlung so zu verlängern, daß der Gegner sich darin erschöpft." (56) In Bezug auf dieses Zitat schreibt Wallach: "Folglich betrachtet Clausewitz den Kampf um Zeitgewinn als ein legitimes Kriegsziel.“ (57)
Wie dargelegt, ist der Krieg mit dem Ziel der vollkommenen Niederringung die Ausnahme. Und die Ausnahme rechtfertigt, meines Erachtens, vollkommen die Strategie der Niederringung. Zunächst muß festgestellt werden, das Clausewitz beide Kriegsarten - auf den besonderen Zusammenhang von Krieg und Politk wird noch in einem eigenem Kapitel hingewiesen - der Politik, der politischen Entscheidung unterwirft. Folglich entscheidet die Politik welche Art von Krieg stattfindet, ganz einfach stattfinden muß um etwa die Vernichtung, Versklavung oder Unterjochung des eigenen Volkes zu verhindern. Daraus folgt: Ob ein Krieg der ersten Art stattfindet, entscheidet nicht der Militär, sondern die Politiker; nicht die Kriegskunst sondern die Staatskunst, oder anders ausgedrückt: Der Primat der Politik. Die Politk bestimmt "was der Krieg soll und was er kann." (58) Fest steht: "Das militärische Ziel leitet sich aus dem politischen Endzweck ab." (59)
Nach Clausewitz ist nun ein Krieg der ersten Art, ein Krieg mit dem Ziel der Niederringung und Vernichtung des Feindes, dort gerechtfertigt, wo es um die Existenz eines Volkes, um "Sein oder Nichtsein", "um das politische Dasein" (60) geht. Hier geht, m.E. vollkommen gerechtfertigt, der Krieg "aus dem bloßen Begriff der Gewalt und Vernichtung hervor" (61), d.h. "wo die Natur aller Verhältnisse (politisch; Anm.d.Verf.) einen Krieg der ersten Art bedingt.“ (62) Auch für diesen Fall den Prirnat der Politik betonend heißt es bei Clausewitz hierzu wörtlich: "Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltiger die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, um so mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen..." (63)
Oder: "Je mehr die Politik von großartigem, das Ganze und sein Dasein umfassendem Interesse ausgeht, je mehr die Frage gegenseitig auf Sein oder Nichtsein gestellt ist, um so mehr fällt die Politik und Feindschaft zusammen (...) um so mehr geht er (der Krieg) aus dem bloßen Begriff der Gewalt und Vernichtung hervor.“ (64) Wichtig ist hier, auf die Betonung der Gegenseitigkeit im Sinne der genannten Wechselwirkungen zu achten. Auch der Niederwerfungs- oder Vernichtungskrieg hat eine wechselseitige Ursache.
Die Kriege sind "verschieden (... ) nach der Natur ihrer Motive und der Verhältnisse, aus denen sie hervorgehen." (65)
Der Staatsmann hat zu erkennen, ob es sich um einen Krieg der ersten oder zweiten Art handelt, d.h. handeln muß. (66)
Um überhaupt eine zeitlos gültige Theorie vom Kriege aufstellen zu können war "es ihre Pflicht, die absolute Gestalt des Krieges obenan zu stellen und sie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen, damit derjenige, der aus der Theroie etwas lernen will, sich gewöhne, sie nie aus den Augen zu verlieren...“ (67)
Wie andere, so weist auch Werner Hahlweg den Vorwurf zurück, Clausewitz sei ein "Vernichtungstheoretiker", d.h. er hätte immer nur die Niederringung des Gegners zum Ziel erklärt. Er schreibt diesbezüglich: "In der konsequenten Anwendung der philosophischen Systematik ist Clausewitz übrigens zu der bekannten, vielfach mißverstandenen These vom »absoluten Krieg« gelangt. Dieser »absolute« Krieg jedoch stellt sich ihm lediglich als eine (Hervorhebung durch Hahlweg) Möglichkeit im Bereich der reinen Reflexion über die Natur des Krieges dar, ihm geht es dabei um die bloße nichtwertende Analyse eines entweder zu bejahenden oder abzulehnenden Phänomens in allein seinen Wesenszügen, nicht aber um die »Prophezeihung« oder gar Postulierung des »totalen« Krieges unserer Tage. Clausewitz modifiziert ja doch die Überlegung mit dem Zusatz, daß sich alles anders gestalte, sowie man aus der reinen Reflexion in die Wirklichkeit übergehe." (68)
Die Gestalt des Krieges, absolut oder abgestuft, geht hervor "aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Gefühlen und Verhältnissen." (69) Der Krieg ist somit "... ein Ding (... ) was bald mehr, bald weniger Krieg ist.“ (70) So schreibt Wallach: "Es gibt keine einzige Standardlösung (z.B. Vernichtung), sondern alle Bemühungen richten sich nach dem (politisch vorgegebenen; Anm.d.Verf.) Ziel. (71) Die Niederringung des Feindes, die Vernichtung, sei bei Clausewitz "nur ein(en) Bestandteil innerhalb einer umfassenden Skala anderer Mittel, die zur Erfüllung der Zwecke eines bestimmten Krieges führen könnten." (72)
Clausewitz schreibt zu den Verschiedenartigkeiten der Kriegsziele: "Wir sehen also, daß es im Kriege der Wege zum Ziele viele gibt, daß nicht jeder Fall an die Niederwerfung des Gegners gebunden ist, daß Vernichtung der feindlichen Streitkraft, Eroberung feindlicher Provinzen, bloße Besetzung derselben, bloße Invasion derselben, Unternehmungen, die unmittelbar auf politische Beziehungen gerichtet sind, endlich ein passives Abwarten der feindlichen Stöße - alles Mittel sind, die, jedes für sich, zur Überwindung des feindlichen Willens gebraucht werden können, je nachdem die Eigentümlichkeit des Falles mehr von dem einen oder dem anderen erwarten läßt. Wir können noch eine ganze Klasse von Zwecken als kurze Wege zum Ziele hinzufügen, die wir Argumente ad hominem nennen können.“ (73)
Selbst dort, wo die Niederringung des Feindes angestrebt wird, muß die Erhaltung der eigenen Streitmacht das oberste Ziel sein. Also auch hier eine Relativierung der Niederringung. Clausewitz schreibt wörtlich diesbezüglich: "Aber freilich können wir der Vernichtung feindlicher Streitmacht nur bei vorausgesetzter Gleichheit aller übrigen Bedingungen eine höhere Wirksamkeit zuschreiben. Es wäre also ein großes Mißverstehen, wenn man daraus den Schluß ziehen wollte, ein blindes Draufgehen müßte über behutsame Geschicklichkeit immer den Sieg davontragen. Ein ungeschicktes Draufgehen würde zur Vernichtung der eigenen, nicht der feindlichen Streitmacht führen, und kann also von uns nicht gemeint sein. Die höhere Wirksamkeit gehört nicht dem Wege, sondern dem Ziele an, und wir vergleichen nur die Wirkung des einen erreichten Zieles mit dem anderen." (74)
B) Die subjektive Natur des Krieges
Während bisher die objektive Natur des Krieges dargelegt wurde, behandelt Clausewitz gleich im Anschluß daran, d.h. noch im "ersten Buch - Über die Natur des Krieges", das subjektive Wesen des Krieges.
Da die Vorbereitungen zur Kriegshandlung und die Kriegshandlung selbst "hinter der Linie des Äußeren zurückbleiben" und vielfach "alles auf Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen" baut, vieles also einem "Wahrscheinlichkeitskalkül nach den gegebenen Verhältnissen unterliegt, und zudem das Element "der Zufall" hinzutritt, spricht er im Zusammenhang vom Krieg von einem "Spiel". (75) Die subjektive Natur des Krieges potenziert die Unwägbarkeiten, den Spielraum des Ungefähren, zur Bezeichnung "Spiel" hin.
"Wir sehen also, wie von Hause aus das Absolute, das sogenannte mathematische, in den Berechnungen der Kriegskunst nirgends einen festen Grund findet, und daß gleich von vornherein ein Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück hineinkommt, welches in allen großen und kleinen Fäden seines Gewebes fortläuft..." Oder: "Die Kriegskunst hat es mit lebendigen und moralischen Kräften zu tun, daraus folgt, daß sie nirgends das Absolute und Gewisse erreichen kann; es bleibt also überall dem Ungefähr ein Spielraum und zwar ebenso groß bei den Größten wie bei den Kleinsten." (76) >Spiel< darf nicht mißverstanden werden: Der Begriff >Spiel< folgert aus der Tatsache, daß "der ganze Krieg von dem strengen Gesetz innerer Notwendigkeit loslassen und sich der Wahrscheinlichkeitsrechnung anheimgeben muß. (77)
"Aber der Krieg bleibt doch immer ein ernsthaftes Mittel für einen ernsthaften Zweck. (78)
In Bezug auf die subjektive Natur des Krieges sind nach Clausewitz "Mut und Selbstvertrauen" ganz wesentliche Prinzipien. Der Mut gilt ihm als die vornehmste Seelenkraft, der auf die Gefahr, als dem Element der kriegerischen Tätigkeit, reagiert. Äußerungen des Mutes sind "Wagen, Vertrauen und Glück, Kühnheit, Verwegenheit". (79) Zum Wagen heißt es: "Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen die höchste Weisheit ist. " (80)
Unmißverständlich weist er darauf hin, daß der Krieg mit diesen Kräften der subjektiven Natur "geführt werden muß". Um so größer die Unwägbarkeiten, das "Ungefähr", im objektiven Bereich des Krieges werden, um so größer muß im subjektiven Bereich der Mut und das Selbstvertrauen werden. Zur subjektiven Natur des Krieges gehören alle "Gemütskräfte und Leidenschaften der Kämpfenden". (81) Zum subjektiven Bereich des Krieges gehört die Feldherrnkunst.
Nachdem wir nun die Natur des Krieges kennengelernt haben, soll nun die Frage nach dem Zweck des Krieges, wie schon angedeutet, beantwortet werden. Der Zweck, das Ziel des Krieges, ist "der beabsichtigte Friede". (82)
Raymond Aron bemerkt treffend: "Viele Clausewitz-Kritiker hätten diese Zeilen lesen sollen: Der militärische Sieg (Sieg ist ein taktischer, kein stratgeischer Begriff) ist nicht der letzte Zweck, er ist selbst nur ein Mittel in Hinsicht auf den wahren Zweck, den Frieden, in dem sich die gegnerischen Willen vereinigen." (83)
Aron: "Wenn die Strategie einen Zweck hat, bietet sich uns ein einziges Wort dafür an: der Friede. Der Zweck der Strategie oder Kriegsführung ist der Friede, nicht der militärische Sieg...“ (84)
3. Krieg und Politik
Das was Clausewitz seiner ganzen Strategie oder Kriegskunst zu Grunde legt, ist das Verhältnis von Krieg und Politik. Jehuda L. Wallach bezeichnet dieses Verhältnis als den "Kern", "den Hauptteil der gesamten clausewitzschen Theorie." (85)
Zum Verhältnis von Krieg und Politik heißt es unmißverständlich bei Clausewitz:
"Der Krieg ist nichts als die Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit veränderten Mitteln. Diese Ansicht lege ich der ganzen Strategie zugrunde und glaube, daß, wer sich weigert, ihre Notwendigkeit anzuerkennen, noch nicht recht einsieht, worauf es ankommt. (86) Also: Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit veränderten Mitteln.
Oder:
"Es ist ein großer Irrthum (...) daß der Krieg ein selbstständiges Ding sey (...). Der Krieg ist vielmehr nichts als eine Aeßerung der Politik mit anderen Mitteln ...“ (87)
Der Kriegszustand beendet auch nicht die Politik zwischen den Kriegführenden. So definiert ihn Clausewitz auch "als eine Fortsetzung des politischen mit Einmischung anderer Mittel".
Der Krieg kann "Niemals von dem politischen Verkehr getrennt werden." Der Krieg wird zu einem "sinn- und zwecklosen Ding", wenn er in seiner Betrachtung von der Politik getrennt wird." (88)
Alle Betrachtung über den Krieg ist von "politischer Natur" und hängt "mit dem ganzen politischen Verkehr" zusammen. (89)
Der Krieg ist der "Teil eines anderen ganzen" und "dieses ganze ist die Politik." (90) Die Politik ist es, "der sich alles übrige unterordnen muß." (91)
Die Politik ist, so Clausewitz, der "Repräsentant(en) aller Interessen der ganzen Gesellschaft.“ (92)
Der Zusammenhang von Krieg und Politik war vor Clausewitz, so er selbst, "nicht festgestellt worden." Dies zeige, "daß man bis jetzt immer noch das rein Militärische eines großen strategischen Entwurfes von dem politischen hat trennen und das letztere wie etwas Ungehöriges hat betrachten wollen. (93)
Demach gilt: "Die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne den Zweck erdacht werden. (94)
Das Verhältnis bzw. die enge Verbindung zwischen Politik und Krieg darzulegen war, so Hahlweg, Clausewitz' "politisch-philosophisches Hauptanliegen" im Werk "Vom Kriege". (95) Nach Clausewitz ist "der Krieg ein politischer Akt (... ), der sein Gesetz nicht ganz in sich selbst trägt, ein wahres politisches Instrument, was nicht selbst wirkt, sondern von einer Hand geführt wird. Diese Hand ist die Politik..." (96)
Der Krieg, so Clausewitz, hat "seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik. (97)
Die Politik bestimmt nicht nur Anfang und Ende des Krieges, sondern sie bleibt auch im Kriegsverlauf die bestimmende Kraft: "Die Politk also wird den ganzen kriegischen Akt durchziehen und einen fortwährenden Einfluß auf ihn ausüben, soweit es die Natur der in ihm explodierenden Kräfte zuläßt." (98)
Clausewitz betont, so Hahlweg, "das absolute Vorherrschen des politischen Elementes im Krieges- und Feldzugsplan". (99) So verweist er u.a. darauf, bei Kriegsende die militärischen Operationen bereits nach politischen Gesichtspunkten im Sinne der Verhältnisse des kommenden Friedenszustandes anzulegen.“ (100) Er weist auf die Möglichkeit unsachgemäßer Eingriffe in die Kriegshandlung durch die Politik hin: "Die Aufgabe und das Recht der Kriegskunst der Politik gegenüber ist hauptsächlich zu verhüten, daß die Politik Dinge fordere, die gegen die Natur des Krieges sind, daß sie aus Unkenntnis über die Wirkungen des Instruments Fehler begeht in dem Gebrauch desselben." (101)
Immer wieder weist Clausewitz auf den Primat der Politik hin: Der Krieg ist "unter allen Umständen als kein selbstständiges Ding, sondern als ein politisches Instrument zu denken." (102)
Zum Verhältnis der Kriegskunst des Feldherrn zur Politik schreibt er: "Um einen ganzen Krieg oder seine größten Akte, die wir Feldzüge nennen, zu einem glänzenden Ziel zu führen, dazu gehört eine große Einsicht in die höheren Staatsverhältnisse. Kriegsführung und Politik fallen hier zusammen, und aus dem Feldherren wird zugleich der Staatsmann." (103) Die Politik bleibt bestimmend über das Militärische, "bei dem Entwurf zum ganzen Kriege", d.h. Kriegsplan, "zum Feldzuge und oft selbst zur Schlacht (... ) denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Instrument..." (104)
Clausewitz macht - meines Erachtens bedauerlicherweise - keine direkten Aussagen zur Frage nach einem gerechten oder ungerechten Krieg. Er hat es, so Wallach, "in seiner sonst sehr gründlichen Forschungsarbeit absichtlich unterlassen, sich mit den tieferen Hintergründen und Kausalzusammenhängen des Krieges zu beschäftigen. Er hat den Krieg ganz einfach als eine natürliche Erscheinung innerhalb der Gesellschaftsstruktur hingenommen und das Problem seiner Rechtfertigung (das Problem 'gerechter' oder 'ungerechter' Krieg, wie es etwa Lenin behandelt hat) den Berufsphilosophen überlassen." (105)
Jedoch ist der Verteidigungskrieg fraglos in seinem Sinne ein gerechter Krieg. Zur Verteidigung muß der Krieg gewollt und auch vorbereitet werden. Dies folgert aus der folgenden zynischen Feststellung: "Der Eroberer ist immer friedliebend (wie Bonarparte auch stets behauptet hat), er zöge ganz gern ruhig in unseren Staat ein; damit er dies aber nicht könne, darum müssen wir den Krieg wollen und also auch vorbereiten, d.h. mit anderen Worten: es sollen gerade die Schwachen, der Verteidigung Unterworfenen, immer gerüstet sein und nicht überfallen werden; so will es die Kriegskunst." (106)
Fraglos ist es für ihn auch ein gerechter Krieg, wenn es um >Sein oder Nichtsein<, wenn es um die >Existenz des Volkes< geht (vgl. weiter oben die Aussagen zur Natur des Krieges).
Vor wenigen Jahren äußerte sich der amerikanische Außenminister Gneral Alexander Haig - meines Erachtens völlig zutreffend - wie folgt: "Es gibt wichtigere Dinge als den Frieden!" Richtig, es muß gerechte und ungerechte Kriege geben. Warum? Weil Politik es nicht mit reiner Gesinnungsethik sondern mit einer Verantwortungsethik zu tuen hat.
Der Präses der Studiendirektion und spätere Direktor der Kommission für
Militärstudien an der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin, der preußische General Rühle von Lilienstern, ein Zeitgenosse von Clausewitz, schrieb 1818: "Die Vernunft kann weder kategorisch gebieten: es soll überhaupt kein Krieg, noch: es soll kein anderer Krieg und kein anderer Frieden sein, als solche die vom echtem Geiste rechtlichen Strebens durchdrungen sind." (107)
Um es zu wiederholen: Clausewitz definierte: Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Hätte er gesagt: Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik zur Verteidigung der eigenen Existenz und Freiheit mit anderen Mitteln, was er auch sicherlich (siehe oben) so gemeint hat, hätte er gleichzeitig mit dem Zusatz - um die eigene Existenz und Freiheit - eine Definition für den gerechten Krieg, zumindest für eine von mehreren Möglichkeit hierfür, gegeben, denn ein solcher Krieg ist ebenso gerecht wie notwendig. Und ist ein Krieg um Völkermord, d.h. Genocid zu verhindern nicht ebenso gerecht?
Karl Jaspers vertrat ganz entschieden den m.E. vollkommen richtigen Standpunkt: "Frieden allein durch Freiheit". In seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahre 1958 sagte er u.a.: "Nie wird uns der Äußere Friede als Geschenk durch bloße politische Operationen zuteil werden. (...) Friede allein durch Freiheit. (...) Der Innere Friede der einzelnen Menschen und des einzelnen Staates ist durch Freiheit. Weil nur Freiheit zum Frieden fähig ist. (...) Erst die Freiheit, dann der Friede in der Welt! Die umgekehrte Forderung: 'erst der Friede, dann die Freiheit' täuscht." (108) Dem ist absolut nichts mehr hinzuzufügen!
Ebenso betont Pater Basilius Streithofen die Bedeutung der Freiheit für den Frieden: Erst die Freiheit, dann der Frieden. Er sieht die Freiheit neben dem Recht und der Macht als ein unabdingbares "Fundament" des Friedens. Die Freiheit sei wichtiger als der Friede. (109)
Clausewitz verweist darauf, daß der Krieg auf höchster Ebene zur Politik wird: "Mit einem Wort, die Kriegskunst auf ihrem höchsten Standpunkte wird zur Politik, aber freilich eine Politik, die statt Noten zu schreiben, Schlachten liefert. Mit dieser Ansicht ist es eine unzulässige und selbst schädliche Unterscheidung, wonach eine großes kriegerisches Ereignis oder der Plan zu einem solchen eine rein militärische Beurteilung zulassen soll; ja, es ist ein widersinniges Verfahren, bei Kriegsentwürfen Militäre zu Rate zu ziehen, damit sie rein militärisch darüber urteilen sollen..." (110) Jedoch er fordert: "Soll ein Krieg ganz den Absichten
der Politik entsprechen, und soll die Politik den Mitteln zum Kriege ganz angemessen sein, so bleibt, wo der Staatsmann und der Soldat nicht in einer Person vereinigt sind, nur ein gutes Mittel übrig, nämlich den obersten Feldherrn zum Mitglied des Kabinetts zu machen, damit dasselbe teil an den Hauptmomenten seines Handelns nehme." (111)
Fehler der Kriegsführung sind Fehler der Politik. Wallach: "Es ist interessant, daß heute tatsächlich die meisten Länder die Auffassung Clausewitz' für die Koordinierung politischer und militärischer Maßnahmen auf höchsten Ebene übernommen haben. (112)
4. Taktik und Strategie
Im zweiten Buch, erstes Kapitel, spricht Clausewitz u.a. von der "Einteilung der Kriegskunst". (113)
Er unterscheidet die Kriegskunst im eigentlichen Sinne und die Kriegsktunst im weiteren Sinne. Die erste ist die "Kunst sich der gegebenen Mittel im Kampf zu bedienen" und wird als Kriegsführung bezeichnet. Die zweite ist die Kunst, zu der "alle Tätigkeiten gehören, die um seinetwillen da sind, also die ganze Schöpfung, d.i. Aushebung, Bewaffnung, Ausrüstung und Übung der Streitkräfte". Zur ihr gehört auch die "Erhaltung aller Streitkräfte". (114)
Er unterscheidet demnach in die Bereiche Vorbereitung zum Krieg und Krieg selbst.
Die Kriegskunst im eigentlichen Sinne, d.h. die Kriegsführung, hat die Aufgabe der Anordnung und Führung des Kampfes. Der "Kampf besteht aus einer mehr oder weniger großen Zahl einzelner, in sich geschlossener Akte, die wir Gefechte nennen (... ). Daraus entspringt nun die ganz verschiedene Tätigkeit, diese Gefechte in sich anzuordnen und zu führen und sie unter sich zum Zweck des Krieges zu verbinden. Das eine ist die Taktik, das andere die Strategie genannt worden." (115)
Zentraler Inhalt des Krieges ist die direkte gewaltsame Auseinandersetzung, der Kampf. Der "Kampf oder das Gefecht" ist "die einzige unmittelbare wirksame Tätigkeit" (116) auf die sich alles bezieht. "Der Soldat wird ausgehoben, gekleidet, bewaffnet, geübt, er schläft, ißt, trinkt und marschiert, alles nur, um an rechter Stelle und zu rechter Zeit zu fechten." (117)
Das Gefecht ist naturgegebenermaßen auf das Ziel der "Vernichtung des Gegners oder vielmehr seiner Streitkräfte gerichtet." (118) Sich in ein Gefecht zu begeben und nicht den Sieg anzustreben, weil der Gegner ja das nämliche anstrebt, wäre absurd. Der Sieg beim Gefecht liegt nun wiederum nicht allein in der Niederringung des Feindes, sondern kann auch der zweiten Art des Krieges entsprechen. Etwa kann er auch im "Abzug des Gegners vom Kampfplatz", in der Schwächung der feindlichen Streitkraft, oder in der Inbesitznahme einer Stellung bestehen. (119)
In seiner Vorarbeit zum Werk »Vom Kriege«, aus dem Jahre 1804, definiert Clausewitz Taktik und Strategie wie folgt:
"Die Taktik ist die Lehre, wie man den Sieg erringt durch den Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht; die Strategie die Lehre, wie man den Kriegszweck erreicht durch Verbindung einzelner Gefechte; d.h. um der Eleganz des Ausdrucks willen: Taktik ist die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, Strategie die Lehre vom Gebrauch der einzelnen Gefechte zum Zweck des Krieges." (120)
Zur Notwendigkeit der Unterteilung der Kriegsführung in Taktik und Strategie schreibt Clausewitz: "Taktik und Strategie sind zwei in Raum und Zeit sich einander durchdringende, aber doch wesentlich verschiedene Tätigkeiten, deren innere Gesetze und deren Verhältnis zueinander schlechterdings nicht deutlich gedacht werden können, ohne ihre Begriffe genau festzustellen." (121)
Die Stratgie ist der Gebrauch des Gefechtes zum Zweck des Krieges; sie bestimmt den ganzen kriegerischen Akt, "sie macht die Entwürfe zu den einzelnen Feldzügen und ordnet in diesen die einzelnen Gefechte an.“ (122) Die Strategie ist "nur das Gebiet der Feldherren oder der Führer in den höchsten Stellen." (121)
Die Strategie bestimmt, d.h. "dekretiert" gewissermaßen den Ort, die Zeit und den Umfang der Streitkräfte für das Gefecht. Das Resultat des Gefechtes wird von den Strategie in Bezug auf den Zweck des Krieges eingeordnet. (124)
In der Strategie sind "die Verhältnisse der materiellen Dinge (Gleichgewicht, Überlegenheit, Zeit und Raum; Anm.d.Verf.) (... ) alle sehr einfach; schwieriger ist das Auffassen der geistigen Kräfte, die im Spiel sind." (125)
Zunächst weist Clausewitz darauf hin, "daß zu einem wichtigen Entschluß in der Strategie viel mehr Stärke des Willens gehört als in der Taktik." (126) In der Strategie ist vom Feldherm Stärke des Charakters, große Klarheit und Sicherheit des Geistes, Scharfsinn, Kühnheit, Beharrlichkeit, Ausdauer, Willensstärke gefordert. (127)
Zur Kühnheit heißt es: "So glauben wir denn, daß ohne Kühnheit kein ausgezeichneter Feldherr zu denken ist, d.h daß ein solcher nie aus einem Menschen werden kann, dem diese Kraft des Gemüts nicht angeboren ist, die wir als die erste Bedingung einer solchen Laufbahn ansehen." (128) Und hiermit ist nicht eine ungehemmte, nur dem blinden Gemüt entspringende Kühnheit gemeint sondern eine "durch vorherrschenden Geist geleitete Kühnheit (... ), diese Kühnheit besteht nicht im Wagen gegen die Natur der Dinge, in einer plumpen Verletzung des Wahrscheinlichkeitsgesetzes, sondern in der kräftigen Unterstützung jenes höheren Kalkühls, den das Genie, der Takt des Urteils in Blitzesschnelle und nur halb bewußt durchlaufen hat, wenn er seine Wahl trifft." (129)
Das "allgemeine Prinzip", der erste Grundsatz in der Strategie und in der Taktik, so Clausewitz, ist die "Überlegenheit der Zahl", die "möglichst größte Zahl von Truppen auf den entscheidenden Punkt" im Gefecht. (130)
Sie ist jedoch generell keine "notwenige Bedingung des Sieges". (131)
Die erste Regel der Strategie sieht Clausewitz in der Notwendigkeit "mit einem Heere so stark als möglich ins Feld zu ziehen." (132) Und er verweist darauf, daß man lange Zeit die Stärke der Streitkräfte keineswegs für eine Hauptsache angesehen hat. Die zahlenmäßige Größe des Heeres unterliegt keiner Begrenzung. Clausewitz beendet diesen Gedankengang mit dem Satz: "So viel was die absolute Macht betrifft, mit welcher der Krieg geführt werden soll. Das Maß dieser absoluten Macht wird von der Regierung bestimmt ...“ (133)
Die Bestimmung der Größe der Streitmacht ist schon der Beginn der "eigentlichen kriegerischen Tätigkeit" und "ein ganz wesentlicher strategischer Teil derselben.“ (134) Der Feldherr hat die Aufgabe, wenn es die Umstände nicht verhindern, auf "eine genügende Ausdehnung", d.h. Umfang (Anzahl) der Streitkräfte hinzuwirken. Gelingt dies nicht, so bleibt die Verantwortung hierfür bei der Politik: Wenn "die Politik an den Krieg Forderungen macht, die er nicht leisten kann, wäre das gegen die Voraussetzung, daß sie das Instrument kenne, welches sie gebrauchen will.“ (135)
Ist, etwa wegen der Größe der Streitkraft, auf dem entscheidenden Punkt keine Übermacht zu erreichen, so muß eine relative derselben angestrebt werden. Hierzu wesenlich ist die Berechnung von Raum und Zeit, sie ist jedoch nicht das "Entscheidende". Diesbezüglich verweist er zunächst darauf, das, als Beispiel, Friedrich der Große und Napoleon in geschickter Kombination von Raum und Zeit als entschlosssene und tätige Feldherren mit ein und demselben Heer mehrere Gegner schlugen. Sodann stellt er fest: "Die richtige Beurteilung ihrer Gegner (Daun, Schwarzenberg), das Wagnis, ihnen eine Zeitlang nur geringe Streitkräfte gegenüberstehen zu lassen, die Energie verstärkter Märsche, die Dreistigkeit schneller Anfälle, die erhöhte Tätigkeit, welche große Seelen im Augenblick der Gefahr gewinnen: das sind die Gründe solcher Siege - und was haben diese mit der Fähigkeit zu tun, zwei so einfache Dinge, wie Raum und Zeit sind, richtig zu vergleichen?" (136)
Clausewitz hebt hervor, in der Strategie "das Unwichtige zum Besten des Wichtigen fallen zu lassen, d.h. seine Kräfte in einem überwiegenden Maße vereinigt zu halten. (137) Hierin sieht er die Grundidee der "Überlegenheit der Zahl", die, wie bereits dargeleget, nicht als Grundbedingung für den Sieg betrachtet werden muß. Anders ausgedrückt, die „Überlegenheit der Zahl" betrifft die Stärke der Streitkräfte im Gefecht.
Im Anschluß an die bisher dargelegten strategischen Elemente verweist Clausewitz sodann auf das "Streben (... ) nach Überraschung des Feindes. Sie liegt mehr oder weniger allen Unternehmungen zu Grunde, denn ohne sie ist die Überlegenheit auf dem entscheidenden Punkte eigentlich nicht denkbar." (138)
Die Überraschung soll jedoch nicht nur als "das Mittel zur Überlegenheit" sondern auch "als ein selbstständiges Prinzip" angesehen werden. (139) Überraschungen können hervorgehen aus schnellen Entschlüssen und starken Märschen, Kraft und Entschlossenheit der Führung etc. Überraschen kann nur der, "welcher dem anderen das Gesetz gibt“. (140) Etwa die Überraschung durch den Angriff. Jedoch auch, so Clausewitz, der Verteidiger kann überraschen.
Ein zentrales Element in der Stratgie Clausewitz' ist der Zusammenhalt der Kräfte, d.h. "Sammlung der Kräfte im Raum": "Nichts soll von der Hauptmasse getrennt sein, was nicht durch einen dringenden Zweck davon abgerufen wird." (141)
Die Norm soll die "Vereinigung der ganzen Streitkräfte" sein, jede Trennung und Teilung wird als Abweichung von der Norm betrachtet. Warnend fügt er hinzu: "Es klingt unglaublich, und ist doch hundertmal vorgekommen, daß die Streitkräfte geteilt und getrennt worden sind, bloß nach dem dunklen Gefühl herkömmlicher Manier, ohne deutlich zu wissen, warum." (142)
Ein weiteres zentrales Element in der Strategie ist die "Vereinigung in der Zeit": "Alle Kräfte, welche für einen strategischen Zweck bestimmt und vorhanden sind, sollen gleichzeitig darauf verwendet werden, und diese Verwendung wird um so vollkommener sein, je mehr alles in einem Akt und in einem Moment zusammengedrängt wird." (143)
In seiner Vorarbeit aus dem Jahre 1804 zu dem Werk »Vom Kriege« schreibt er diesbezüglich: "Man kann sagen, die Franzosen haben ihre Kräfte in der Zeit konzentriert (immer auf allen Punkten gleichzeitig angegriffen), Friedrich der Große immer im Raum. Sie im Raum und Zeit gleichzeitig konzentrieren, würde das Maximun der Stärke geben, läßt sich aber nicht immer mit den Umständen vereinigen." (144)
Man kann also in der Strategie niemals zu viel Kräfte in den Kampf schicken, und dies gleichzeitig. Dies gilt jedoch nicht für die Taktik die "eines nachhaltigen Gebrauchs der Kräfte fähig ist und die Strategie nur eines gleichzeitigen." (145)
Wallach schreibt zur Konzentration: "In den militärischen Dienstvorschriften und Leitfäden findet sich heute die Forderung nach Konzentration im Raum und Zeit als eine Selbstverständlichkeit." (146) Die von Clausewitz geforderte Vereinigung der Kräfte in der Zeit darf jedoch nicht das "Hauptmittel des endlichen Erfolges (... ) nämlich die fortdauernde Entwicklung neuer Kräfte" aus den Augen verlieren lassen. (147)
Clausewitz lehrt, daß sich der gewaltige kriegerische Akt, der zentralste Vorstoß gegen den Schwerpunkt des Feindes richten muß: Wenn man die vorherrschenden Verhältnissse der Kriegsparteien im Auge hat, so wird man "ein gewisser Schwerpunkt, ein Zentrum der Kraft und Bewegung" erkennen, "von welchem das Ganze abhängt, und auf diesen Schwerpunkt des Gegners muß der gesammelte Stoß aller Kräfte gerichtet sein." (148) Das Zentrum der feindlichen Kraft kann
die feindliche Streitmacht sein, es kann die gegnerische Hauptstadt sein, es kann das Verhältnis der gegnerischen Bundesgenossen und das Interesse ihrer Einheit sein, es kann die öffentliche Meinung sein. "Gegen diese Dinge muß der Stoß gerichtet sein. Hat der Gegner dadurch das Gleichgewicht verloren, so muß ihm keine Zeit gelassen werden, es wieder zu gewinnen..." (149)
Die ganze geballte Kraft muß sich immer gegen das Ganze und nicht gegen einen Teil des Gegners richten.
Clausewitz' Strategie erachtet es als äußerst ratsam, die strategischen Aktionen auf eine kleine Anzahl von Schwerpunkten zu konzentrieren.
Im Dritten Buch "Von der Strategie überhaupt" äußert Clausewitz sich auch zur "Strategischen Reserve". Dort wo es zur Hauptentscheidung kommt, kann keine strategische Reserve zurückgehalten werden: "Die Verwendung aller Kräfte muß sich innnerhalb der Hauptentscheidung befinden, und jede Reserve (fertiger Streitkräfte) welche erst nach dieser Entscheidung gebraucht werden sollte, ist widersinnig." (150)
Zur strategischen Reserve schreibt er an anderer Stelle: "Diese völlig konfuse Idee spukt allerdings noch jetzt in den Köpfen. So sehr taktische Reserven zu empfehlen sind, so widersinnig ist der Gedanke einer strategischen Reserve von schon bereiten Streitkräften. Der Grund ist, daß die Schlachten die Wendung des Krieges entscheiden, der Gebrauch der taktischen Reserven aber vor, der der strategischen hinter der Entscheidung liegt." (151)
Clausewitz verweist auf die "Ökonomie der Kräfte", die rational jede "Verschwendung der Kräfte" ausschließt. (152) Bei der Verteidigung bejaht Clausewitz die Bereitstellung von Reserven.
Nach Clausewitz soll es in einem einmal angebrochenen Kriege keinen Stillstand, kein "Nichtstun" geben. Im Kapitel "Über den Stillstand im Kriegerischen Akt" heißt es diesbezüglich: "Der kriegerische Akt sollte also wie ein aufgezogenes Uhrwerk in stetiger Bewegung ablaufen". (153)
Die Bewegung im Kriegsfalle erfordert, aus der Natur der Sache bedingt, "den unbedingten Grad der Energie" als "das natürliche Element(s)" des Krieges". (154)
Er begründet dies u.a. wie folgt: "In der Tat, wie wollte man auch vor den Augen der Vernunft den Aufwand von Kräften rechtfertigen, welche man im Kriege macht, wenn ein Handeln nicht der Zweck wäre? (... ) Warum denn die ungeheuren Anstregungen eines Krieges machen, wenn man damit nichts hervorbringen will als ähnliche Anstregungen beim Feinde.“ Damit Clausewitz durch dieses Kapitel nicht dennoch zum Vernichtungstheoretiker abgestempelt werden kann, muß beachtet werden, daß er hier die Zeit der Kabinettskriege, die Zeit der Volkskriege mit seinen großen Kräften und großen Leidenschaften gegenüberstellt. Stillstand kann ja nur verantwortbar sein "unter der stillschweigenden Bedingung, daß der Gegner es nicht besser mache". (155)
Jedoch, "wissen wir, wie lange er diese Bedingung erfüllen wird?" (156) Im Stillstand liegt demnach die Gafahr der eigenen Niederlage. Deshalb warnt er: Wehe der Kriegsführung die "mit einer halben Politk und gefesselten Kriegskunst auf einen Gegner trifft, der wie das rohe Element keine anderen Gesetz kennt als die seiner innewohnenden Kraft! " (157)
In seinen weiteren Darlegungen setzt sich Clausewitz mit dem Mehrfrontenkrieg, dem Krieg gegen zwei oder mehrere Staaten, auseinander. Die primäre Frage hierbei ist, ob jeder der Gegner über "ein selbstständiges Interesse und eine selbstständige Kraft" verfügt oder ob sich die Interessen und Kräfte nur bei einem konzentrieren. (158) Falls letzteres der Fall ist, die Kraft der Gegner auf einen Gegner beruht, wird die "Hauptunternehmung zu einem Hauptstoß" vereinfacht. Somit wird der Grundsatz aufgestellt, daß "die Niederwerfung dieses einen das Ziel des Krieges sein muß, weil wir in diesem einen den gemeinschaftlichen Schwerpunkt des ganzen Krieges treffen." (159) Falls die Gegner in sich mehrere Kraftzentren darstellen, muß der Krieg gegen sie "wie zwei oder mehrere" betrachtet werden, "wovon jeder sein eigenes Ziel hat." (160) In einem derartigen Mehrfrontenkrieg sieht Clausewitz "überhaupt nicht" mehr die Möglichkeit der Niederwerfung des Gegners. (161)
Clausewitz weist jedoch auch für den Fall eines Krieges gegen eine feindliche Koalition darauf hin, daß, so Wallach, man mit "einem Schlag gegen die Nahtstelle zwischen den verbündeten Armeen die politische Spaltung der feindlichen Koalition" herbeiführen kann. (162)
Zur Niederwerfung des Gegners gehört nach Clausewitz nicht nur die militärische Überlegenheit einen vollkommenen Sieg zu erringen und zu behaupten, sondern auch die Sicherheit der politischen Lage, d.h. die Erkenntnis, daß durch die erfolgreiche Niederringung des einen nicht andere neu entstehen und "uns auf der Stelle zwingen (...) von dem ersten Gegner abzulassen." (163)
Im weiteren legt Clausewitz dar, daß ein Angriff oder eine Eroberung nicht "schnell genug vollendet werden kann.“ (164) Sie müssen "in einem Zuge (...) ohne Zwischenstation" erfolgen. Der Angriffskrieg hat "einen Charakter des raschen, unaufhaltsamen Entscheidens". (165)
Der Anlauf zum Ziele kann durch Ruhepunkte und Zwischenstationen verdorben werden. Der "Angriffskrieg, d.h. die Benutzung des gegenwärtigen Augenblicks (ist) da geboten, wo die Zukunft nicht uns, sondern dem Feinde bessere Aussichten gewährt." (166)
Zur Strategie in Bezug auf inneren und äußeren Linien schreibt Clausewitz mit einer gewissen Neigung zum Vorgehen auf der inneren Linie: "Es tritt in der Strategie des größeren Raumes wegen die Wirksamkeit der inneren, d.h. der kürzeren Linie stärker hervor und bildet ein großes Gegengewicht gegen die Anfälle von mehreren Seiten. (167)
Zur Bedeutung des Enderfolges heißt es: "bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt, wegen des Zusammenhanges, in welchem strenge genommen, die ganze Reihe der aufeinanderfolgenden Gefechte steht, wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen angeht, wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden, nichts gewonnen, nichts verloren. Hier ist es, wo man sich unaufhörtlich sagen muß: das Ende krönt das Werk." (168)
Eines der Mittel zur Erreichung des Kriegszieles ist bei Clausewitz der konzentische Angriff, die Umfassung. Will man umfassen, so ist es "offenbar besser", sich bereits vorher, d.h. "von Hause aus dazu einzurichten" (169) Jeder konzentrische Angriff hat "in der Strategie wie in der Taktik die Tendenz der größeren Erfolge (... ) ist also immer der erfolgreichere, aber wegen der getrennten Teile und des vergrößerten Kriegstheaters auch der gewagtere; es verhält sich damit wie mit dem Angriff und Verteidigung, die schwächere Form hat den größten Erfolg für sich. Es kommt also darauf an, ob sich der Angreifende stark genug fühlt, nach diesem großen Ziel zu streben. (170)
Clausewitz verweist auf eine Reihe von Gefahren, die mit der
Umfassung verbunden sind, und er verweist selbstverständlich auf Umstände wo die Umfassung ausgeschlossenen ist.
Zur Umfassung aus der Verteidigung heraus heißt es: "daß, wenn der Angreifende eine zu kleine Front annimmt, der Verteidiger ihn dafür nicht dadurch bestraft, daß er seine eigene Front von vornherein größer bestimmte, sondern durch offensive umfassende Gegenmaßregeln." (171)
Clausewitz verweist auf die Möglichkeit des "Umfassen(s) des Umfassenden". (172) Etwa durch zurückgestellte Streitkräfte.
5. Friktionen
Wie bereits dargelegt, bezeichnet Clausewitz den Krieg im positiven Sinne als >Spiel<. Zu seinen bereits angeführten Begründungen sei eine weitere hinzugefügt: "Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei viertel derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit." (173) Aus diesem und dem folgenden Zitat wird deutlich, was unter Friktionen verstanden werden muß: "Der Krieg ist das Gebiet des Zufalls. In keiner menschlichen Tätigkeit muß diesem Fremdling ein solcher Spielraum gelassen werden, weil keine so nach allen Seiten hin in beständigem Kontakt mit ihm ist. (174) An anderer Stelle seines umfangreichen Werkes heißt es: "... reich an individuellen Erscheinungen" ist jeder Krieg "ein unbefahrenes Meer voll Klippen." (175) Friktionen, d.h. Reibungen und Störungen entstehen durch das, was unvorhergesehen störend auftritt. "Es ist alles im Kriege sehr einfach, aber das Einfachste ist schwierig. Diese Schwierigkeiten häufen sich und bringen eine Friktion hervor, die sich niemand richtig vorstellt, der den Krieg nicht gesehen hat."
Und: "Das Kriegs-Instrument gleicht einer Maschine mit ungeheurer
Friktion, die nicht wie in der Mechanik auf ein paar Punkte zurückgeführt werden kann, sondern überall mit einem Heere von Zufälligkeiten in Kontakt ist." (176) Friktionen können sich beispielsweise ergeben durch Verzögerungen bei Aufmärschen, Unzulänglichkeiten der militärischen Unterführer, Aufenthalte durch Unregelmäßigkeiten, alle möglichen menschlichen Fehler und Schwächen, unvorhergesehene Witterungsverhältnisse, Bodenverhältnisse, nicht erbrachte erforderliche körperliche Anstrengungen, Gefahr, Erschöpfung, Not etc. Friktionen können soweit wie möglich in ihrer Auswirkung abgemildert werden durch die "Kriegsgewohnheit des Heeres" sowie durch den entschlossenen Feldherrn. Vor allem aber durch "Friedensübungen". (177) Auch verweist er zur Abhilfe von Friktionen auf das "Heranziehen kriegserfahrener Offiziere anderer Heere" (178) von oder das Entsenden eigener Offiziere zu aktuellen Kriegsschauplätzen. Die "Gefahr im Kriege gehört zur Friktion" (179) ebenso wie die Nachrichten im Kriege, d.h. "die ganzen Kenntnisse, welche man von dem Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller eigenen Ideen und Handlungen." Eine "der allergrößten" Friktionen ist deshalb: "... die meisten Nachrichten sind falsch, und die Furchtsamkeit der Menschen wird zur neuen Kraft der Lüge und Unwahrheit." (180)
Zu der Behandlung der Friktionen durch Clausewitz schreibt Wallach: „Dieser Ausdruck ist heute zu einem wesentlichen Bestandteil der modernen militärischen Fachsprache geworden." (181) "... und ebenso ist es ein Verdienst, zugleich damit dem Begriff von den 'moralischen Elementen' die Idee des Irrationalen im Kriege eingeführt zu haben.“
(182)
6. Die moralischen (menschlichen) Größen des Krieges
Friedrich von Cochenhausen weist darauf hin, daß sich Clausewitz´Auffassung vom Kriege gegenüber anderen Auffassungen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts ganz besonders dadurch unterscheiden, "daß sie die entscheidende Bedeutung der moralischen Faktoren in der Kriegführung ganz besonders hervorhebt. Clausewitz zeigt, wie nur Selbstvertrauen, Willenskraft und Beharrlichkeit imstande sind, alle die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich dem Handeln im Kriege entgegenstellen." (183)
Ebenso verweist Kessel auf die zentrale Bedeutung der moralischen Größen im Kriege "auf die Clausewitz seine Gedanken über den Krieg vornehmlich gründet. (184)
Clausewitz versteht unter den moralischen Kräften den menschlichen Aspekt des Krieges: "Jede Theorie, die aus Prinzip die moralischen Kräfte vernachlässigte, den menschlichen Aspekt des Krieges, würde für das Leben unbrauchbar werden." (185)
Die militärische Kraft muß somit in materielle, d.h. physische und in menschliche, d.h. moralische Faktoren eingeteilt werden. Auch hier arbeitet Clausewitz mit der Antithese rnoralisch-physisch. Aron: "Am Kampf beteiligen sich die Willen und nicht nur die Körper.“ (186)
Denn, so Clausewitz, "die Fechtenden hören nie auf, Menschen und Individuen zu sein, können nie zur willenlosen Maschine gemacht werden." (187)
Er weist vielfach darauf hin, daß "die moralischen Größen zu den wichtigsten Gegenständen des Krieges gehören. Es sind die Geister, welche das ganze EIement des Krieges durchdringen, und die sich an dem Willen, der die ganze Masse der Kräfte in Bewegung setzt und leitet, früher und mit stärkerer Affinität anschließen, gleichsam mit ihm in eins zusammenrinnen, weil er selbst eine moralische Größe ist. (188)
Zu den moralischen Eigenschaften gehören die Eigenschaften des Heeres, die man als innere moralische Kampfkraft, d.h. Wille zum Kampf bezeichnen kann. Zu den moralischen Größen gehören die Eigenschaften des Feldherren und der Regierungen, "die Stimmung der Provinzen, worin der Krieg geführt wird, die moralische Wirkung eines Sieges oder einer Niederlage." (189)
Indem die bisherigen Kriegstheorien sich nur mit den physischen Kräften beschäftigten, weist Clausewitz darauf hin, daß "die Wirkungen der physischen Kräfte mit den Wirkungen der moralischen ganz verschmelzen und nicht wie eine metallische Legierung durch einen chemischen Prozeß davon zu scheiden sind." (190)
Clausewitz ist geneigt, den moralischen Größen eine höhere Rangordnung zuzuweisen: "... und man möchte sagen: die physischen (Größen; Anm.d.Verf.) erscheinen fast nur wie das hölzerne Heft, während die moralischen das edle Metall, die eigentliche, blank geschliffene Waffe sind." (191)
Clausewitz spricht von "Moralischen Hauptpotenzen": "... die Talente des Feldherren, kriegerische Tugend des Heeres, Volksgeist desselben". (192) Zur Relevanz dieser moralischen Größen verweist er u.a. auf die Erfahrungen in der Kriegsgeschichte. Überzeugend weist er jedoch die große Bedeutung der moralischen Größen nach, wenn er auf die Verfassung der europäischen Heere in der neueren Zeit verweist. Sie seien "ziemlich alle auf denselben Punkt von innerer Fertigkeit und Ausbildung gekommen." Auch die Art und Weise der naturgemäßen Kriegsführung sei bei ziemlich allen Heeren ähnlich. Auch sei "auf die Anwendung besonderer Kunstmittel im engeren Sinn (etwa wie Friedrich des Großen schiefe Schlachtordnung), als Vorteil des einen über den anderen, nicht mehr zu rechnen". Hier nun tritt die ganz entscheidende Bedeutung der moralischen Größen hervor. Ein großer Spielraum für den "Volksgeist und der Kriegsgewohnheit des Heeres". (193) Der Unterschied besteht also in der kriegerischen Tugend des Heeres und in der Größe des Feldherrn.
Die menschliche Größe des Volksgeistes, die kriegerische Tugend des Heeres beschreibt Clausewitz mit den Begriffen: "Tapferkeit, Gewandheit, Abhärtung und Enthusiamus." Desweiteren, "als eine wahrhaft schöpferische Kraft" (194), verweist er auf das Vertrauen und die Beharrlichkeit. Zur Kühnheit heißt es neben dem bereits hier Dargelegten weiterhin: "Daß bei einem gleichen Grade von Einsicht im Kriege tausendfach mehr verdorben wird durch Ängstlichkeit als durch Kühnheit, das brauchen wir wohl nur auszusprechen, um des Beifalls unserer Leser gewiß zu sein." (195)
"Die kriegerische Tugend ist für die Teile überall, was der Genius des Feldherren für das Ganze ist." Von "allen kriegerischen Tugenden" trägt "die Energie der Kriegsführung stets am meisten zum Ruhm und Erfolg der Waffen" bei. (196)
Zur moralischen Größe muß der Gehormsam gezählt werden, "denn nichts geht im Kriege über den Gehorsam". (197)
Die Frage nach den moralischen Kräften untersucht die Absicht des Gegners, seine moralische Potenz, seine Widerstandskraft. "Die Dialektik der Steigerung bis zum Äußeresten resultiert zu einem Teil aus der Unbestimmtheit der moralischen Potenz."(198) Die Relevanz der moralischen Kräfte kann an einer Feststellung Arons besonders deutlich gemacht werden: "... die Zerstörung der Streitkräfte ist mehr im moralischen Sinn als im materiellen Sinn zu verstehen. Die Gewalt will letztlich die Moral des Feindes