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Hallo Sylvia,
bis jetzt habe ich Euere Diskussion nur still mitgelesen. Mir ist dabei
aufgefallen, dass Du von einem sechsjährigen Kind erwartest dass es
„funktioniert“, dass es einhält was es selber nicht für notwendig hält
und erfühlt. Die Erwartung hast Du, weil Du Dir Elternzeit und Freiraum
wünschst. Das gibt es aber bei Kindern nicht.
Ich bin doppelt so alt wie Du und seit über 20 Jahren aus der
Kleinkinderzeit meines Sohnes draußen. Trotzdem habe ich das nicht
vergessen, dass Kinder, wenn sie abends (vor acht/halb neun macht es eh
keinen Sinn) ins Bett geschickt werden, noch x-mal kommen: weil sie
einmal Durst haben; das nächste mal noch ein Bussi wollen; zur Toilette
müssen (die sie sonst auch alleine finden); einen Schatten sehen, den
ich mir ansehen soll; kein Taschentuch finden; das Kuscheltier ist aus
dem Bett gefallen usw. usw. usw. Das gehört z. B. zu dem
„Nichtfunktionieren“ eines Kindes. Ganz besonders schlimm ist es, wenn
Besuch da ist oder man einen Film ansehen will. (Deine will halt die
Zeit mit weinen „erweitern“ – das ist ihre Show, statt Durst haben).
Also hilft nur, die Zeiten auf den individuellen Rhythmus des Kindes
anzupassen.
Nicht anders ist das im Laufe des Tages. Ein Kind will 10 Minuten vor
dem Mittagessen Schokolade oder Bonbons; die Hausaufgaben am Abend
machen; keine Hände waschen usw. usw.
Nun stellst Du aus (Deiner) erzieherischen Sicht für das Kind Regeln
auf. Das Kind versucht jetzt auch bei Dir „seinen Freiraum“ zu
erweitern. Das gehört zum dringend notwendigen „Entwicklungsprogramm“
des Kindes. Wie soll es sonst mal als Erwachsener für Rechte und
Freiheiten einstehen? Wie soll es selbstständig Entscheidungen treffen
und selber wissen und (er)spüren was für „ES“ selber gut ist? Ihm geht
doch das Gespür verloren, da immer Andere für und über ES entschieden
haben. Selbst bei so banalen Sachen (als Beispiel), wie der Teller wird
leer gegessen. Das Kind verlernt wahrzunehmen wann es satt ist – mit
irgendwann fatalen Folgen von Übergewicht.
Gleichzeitig haben viele Regeln und viel Schimpfen noch einen anderen
Nebeneffekt. Da aus der Sicht des Kindes ja „ALLES verboten“ ist und
„STÄNDIG gemeckert oder geschimpft“ wird, werden alle Regeln als, aus
Kindersicht, unwichtig ignoriert – damit auch die notwendigen und
lebenswichtigen Regeln.
Mein Sohn war als Kind der größte Schlamper gewesen, den es je gegeben
hat. Sein Zimmer sah aus, als wäre eine Bombe explodiert, Hausaufgaben
wurden nur sporadisch gemacht. Beim Zimmer habe ich einfach die Tür
zugemacht und bei den fehlenden Hausaufgaben den Zettel vom Lehrer
kommentarlos unterschrieben, da seine Noten lange Zeit trotzdem gut
waren.
Mir waren andere Regeln wichtiger gewesen. Dass z. B. mit dem Fahrrad
nicht auf der Fahrbahn gefahren wird – nur auf dem Gehsteig. Dass er
Süßes erst nach dem Essen ist – da er sehr dünn gewesen ist, wollte ich
natürlich, dass er sich vor dem Naschen erst richtig ernährt. Als die
Noten schlechter wurden – habe ich meine Regeln dieser Situation
angepasst, dann konnte er auch kapieren, dass diese Regelanpassung ja
wohl nötig war. Somit war für ihn sicher, dass die Regeln die es gab,
für ihn wichtig waren.
Mein Sohn ist jetzt älter als Du und inzwischen selber Vater. Er war und
ist erst ein selbstbewusster Jugendlicher und dann Mann geworden. Als er
im Gymnasium gewesen war, hat einen Schulstreik organisiert. Ich wollte
vor dem Streik mit der Schulleitung sprechen, damit das Problem behoben
wird – er wollte dieses Gespräch nicht, er war der Meinung gewesen, dass
er das selber auf die Reihe bekommt (hat auch funktioniert).
Jetzt ist er von einer sehr großen Rettungsorganisation (der jüngste)
gewählte, ehrenamtliche Kreisbereichsleiter in ganz Süddeutschland.
Bügeln tut seine Frau nicht, da er ein Hemd/Bluse in sieben Minuten
fertig gebügelt hat. Seine Wohnung ist nicht nur aufgeräumt, weil es
seine Frau macht.
Das alles ging ohne Dressur mit einem Minimum an Regeln und
Vorschriften. Regeln und Vorschriften müssen für das Kind
nachvollziehbar sein. Wenn es um 19.30 Uhr noch nicht müde ist, ist die
Vorschrift für das Kind nicht verständlich. Dass Du Deine Ruhe haben
willst, kann es erst recht nicht verstehen – da es davon ausgeht, dass
Du gerne mit ihm zusammen bist und auch die Zeit genießt (und zwar auch
abends möglichst lange). Da es bei Mama länger aufbleiben darf, will es
zur Mama, da dort die Schlafregel nach dem individuellen Schlafbedürfnis
gemacht wurde. Wenn Du schimpfst resigniert sie nur, deswegen hört sie
auch auf zu weinen. Sie sieht die Aussichtslosigkeit ihres Begehrens
ein. Resignation ist aber keine gute Basis für ein Kind.
Wobei um ehrlich zu sein, ich es auch nicht verstehen kann, dass Du nach
einem Tag „Äktschen“ schon um 19.30 Uhr Elternzeit benötigst. Alle zwei
Wochen mal zwei Tage (also 12 Tage (Erholungs)Pause dazwischen) mal
angesägte Nerven, muss ein Mensch mit 26 Jahren locker überstehen.
Ich überstehe mit 52 Jahren meinen zweijährigen Enkel mehrere Tage
hintereinander auch. Da unser Haus nicht unbedingt kleinkindsicher ist,
muss ich, bevor er es tut, erst mal alles „umdekorieren“. Vasen, Bilder,
Schalen usw. aus der Reichweite des Kleinen in höhere „Gefilde“ stellen.
Türen abschließen die sonst offen stehen. Aus den Schubladen in der
Küche die Messer und anderen gefährlichen Sachen entfernen. Trotzdem
kann der kleine Max locker fünf Leute beschäftigen die hinter ihm
herdüsen und Schaden von ihm und von den anderen Sachen (Möbel, Blumen
usw.) fernhalten. Wenn es nicht nach seinem Kopf geht, kann man sein
Geschrei auch deutlich noch einige Häuser weiter hören. Ich brauche
keine „Erholung“, obwohl meine Lebensuhr nicht mehr auf so kleine Clowns
eingestellt ist.
Wenn Du mal Kinder haben wirst, kannst Du Dir Elternzeiten auch
abschminken, außer Du hast eine Oma usw. die mal einspringen kann. Wenn
Du nicht willst, dass Du einen Ja-Sager und Duckmäuser groß ziehst,
musst Du auch Dein „Regelwerk“ überdenken. Bücher geben nur die graue
Theorie wieder und sind subjektiv geschrieben. Jede Epoche hat nämlich
ihre Erziehungsstile und jeder Schreiber gibt auch von daher seine
Erfahrungen wieder. Wenn Du fünf Bücher liest, kann es dann passieren,
dass Du fünf sich widersprechende Ratschläge bekommst.
Bei Kindern ist es oft so, wenn sie nicht müssen, wollen sie freiwillig.
Mein Sohn war mit damals 7 Jahren bei meiner Schwester über Nacht. Sie
wollte mit ihm spielen, ihn auflassen bis sie selber ins Bett geht. Sie
fiel dann fast vom Glauben ab, weil er kurz nach 20.00 Uhr ins Bett
wollte und sich auch nicht überreden ließ noch aufzubleiben. Er war
müde. Mich wunderte das aber nicht. Das war der Erfolg davon gewesen,
dass er (nach Regelanpassung meinerseits), wenn er nicht müde war (sieht
man ja einem Kind an) auch mal länger aufbleiben durfte – so konnte er
sein Schlafbedürfnis selber spüren. Das war nicht nur beim Übernachten
bei meiner Schwester so. Es kam häufig vor, dass er freiwillig schon
lange vor 20.00 Uhr ins Bett wollte. Mir hat diese Umstellung auf
individuelle zu-Bett-geh-Zeit auch viele Nerven erspart, weil wie durch
ein Wunder es nur noch selten das „ich habe Durst; ich will noch ein
Bussi; ich muss zur Toilette; ich sehe einen Schatten, schau Dir den mal
an; ich finde kein Taschentuch; mein Kuscheltier ist aus dem Bett
gefallen usw. usw. usw. – Spiel“ gab. Klar habe ich auch Tricks
angewendet, damit die Zeit am Abend nicht zu lang wurde – z. B. bin
selber schlafen gegangen.
Also so viele Regeln und Grenzen wie nötig, aber so wenige wie möglich.
Mir hat mal jemand folgenden Spruch gesagt: je größer das Netz (steht
für Freiraum) gezogen ist, desto enger und undurchdringlicher sind die
Maschen.
Gruß
Ingrid
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Sylvia_Gast [mailto:@carookee.com]
Gesendet: Donnerstag, 24. März 2005 13:56
An: Zweitfrauen, Zweitmänner und Zweitfamilien - Probleme mit seinen,
meinen, unseren Kindern
Betreff: [Zweitfamilienforum] @mariosimone
Hallo Simone,
ich denke, Du hast da was falsch verstanden. Ich horche die Tochter
meines Freundes nicht aus und ich sage in ihrer Gegenwart auch nichts
Schlechtes über die Mutter. Wieso auch? Klar, sie macht vieles anders
als ich es tun würde, meiner Meinung nach um Konflikte zu vermeiden.
Aber im Grunde finde ich, sie ist eine gute Mutter. Sie hat ja auch ein
super Verhältnis zu ihrer Tochter. Selbst ich verstehe mich meist recht
gut mit der Mutter.
Ich weiß nicht, ob Du alles gelesen hast, aber ich akzeptiere die
Tochter meines Freundes sehr wohl. Das habe ich immer getan, auch wenn
es mir anfangs schwer fiel. Ich denke, wir haben auch eine gewisse
Erziehungsverantwortung, wenn das Kind bei uns ist. Nicht in dem Maße
wie die Mutter, aber immerhin auch ein wenig. Dass ich andere Wege gehe
als die Mutter, muss nicht heißen, dass es schlechtere Wege sind oder
ich dem Kind was Böses will. Ich würde auch nie behaupten, das Kind sei
gestört. Hallo? Ich mache auch nicht nur Vorschriften, aber ich setze
Grenzen und die muss sie eben auch einhalten. Dass ich vielleicht mal
etwas locker lassen muss, habe ich ja nun gelesen.
Ich finde es schade, dass die neue Frau Deines Ex so ist. Aber ich finde
es schon sehr vermessen, mich mit ihr zu vergleichen. Denn wenn Du mal
bitte alles liest, wirst Du sicherlich erkennen, dass ich um das Kind
wirklich bemüht bin. Und Probleme hat die Kleine mit mir auch nicht, ihr
passt halt nur nicht alles, was ich sage und tue. Und wie ich hier auch
gelesen habe, ist das mehr als normal.
Trotzdem danke
Sylvia
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Unser Kopf ist rund, damit unsere Gedanken die Richtung ändern können
Schumacher @ zweitfrauen.de